Poetry Slam

Bühne frei…für die Wissenschaft! (1)

Von Anne Schneider

Wissenschaft spielt im Leben von Studierenden (zwangsläufig) eine große Rolle. Als motivierte*r Student*in liest man diverse wissenschaftliche Journals, verbringt ganze Tage in der Bibliothek, um geeignete Literatur für die anstehende Seminararbeit zu finden, oder ist sogar selbst damit beschäftigt, eigene Forschung zu betreiben. Doch wie erreicht man die Leute, die noch gar nicht wissen, dass sie eigentlich ein Interesse für Wissenschaft haben? Mit dem Teilchen-Physiker Jochen Jens Heinrich habe ich über ein Format der Wissenschaftskommunikation gesprochen, das genau dieses Interesse in unserer Gesellschaft (wieder) zu wecken versucht.

Der Saal ist bis auf den letzten Platz gefüllt, die Bühne noch dunkel und leer, doch das wird sich gleich ändern. Ein Moderator betritt die Bühne und kündigt nach einer kurzen Begrüßung des Publikums und einigen Worten zum Ablauf des Abends den allerersten Slammer an. Wer jetzt denkt „Ach ja, das ist doch ein Poetry Slam!“ ist nah dran. Jedoch werden hier keine selbstgeschriebenen, poetischen Texte vorgetragen.

Unter Applaus betritt ein junger Wissenschaftler die Bühne, nur bewaffnet mit einem Mikrofon und einem Stick, um sogleich die im Hintergrund zu sehende Präsentation zu starten. Zehn Minuten hat er jetzt Zeit, um leicht verständlich von seiner Arbeit und Forschung zu erzählen, sodass alle – egal ob akademischer Hintergrund oder nicht, ob (bereits) forschungsbegeistert oder nicht – seinen Worten folgen können. Wir sind bei einem Science Slam, einem recht bekannten Format der Wissenschaftskommunikation, das Wissenschaft aus den Unis und Laboren hinaus an die Öffentlichkeit bringen möchte. Jungen Forschern wird eine Bühne geboten sowie eine Brücke zwischen Wissenschaft und Unterhaltung geschlagen.

 

Wissenschaft für alle

Jochen Jens Heinrich

Jochen Jens Heinrich arbeitet am CERN in Genf. Foto: Jochen Jens Heinrich

In den vergangenen zehn Jahren sind in allen größeren Städten Deutschlands solche Science Slams veranstaltet worden. Sie finden in Uni-Hörsälen, Kulturzentren oder Theatern statt, oder in abgewandelten Versionen in Bars – wie beispielsweise das Format Science in the Pub. An einem Abend treten etwa fünf bis sechs Slammer*innen im Wettbewerb gegeneinander an und bringen dem Publikum dabei Wissenschaft, wissenschaftliches Arbeiten oder ihren Forschungsalltag näher. Anders als beim Poetry Slam sind alle Hilfsmittel erlaubt, die das vorgestellte Thema veranschaulichen oder für Unterhaltung sorgen, zum Beispiel kurze Videos, Requisiten, Experimente oder auch Gesangseinlagen. Denn: Jeder Vortrag wird anschließend von einer Publikumsjury mit Punkten bewertet und am Ende des Abends dann ein Gewinner gekürt.

Jochen Jens Heinrich ist Physiker und neben seiner Arbeit am CERN, der Europäischen Organisation für Kernforschung, ebenfalls immer wieder als Science Slammer auf deutschen Bühnen unterwegs. Sein Spezialgebiet ist die Teilchenphysik. Mit seinen Auftritten möchte Jochen die Teilchenphysik greifbarer machen und erklären, wie er und seine Kollegen am CERN arbeiten. Am liebsten trägt er seinen Text vor, der sich mit der Higgs-Entdeckung beschäftigt.

Neben seiner Arbeit noch auf deutschen Bühnen aufzutreten und von einer Stadt zur nächsten zu reisen, nimmt viel Zeit in Anspruch –  und viel an Gage bekommt Jochen auch nicht für seine Auftritte. Was hat ihn also motiviert, mit dem Slammen anzufangen und weiterzumachen?

„Ich finde, gerade in einem Feld wie der Teilchenphysik, wo es jetzt keine konkrete Anwendung für die breite Masse gibt, muss man sich immer ein Stück weit rechtfertigen, warum man so viel Geld dort reinsteckt. Was hat der ‚normale‘ Mensch davon?  Ich glaube, dass jeder ein bisschen die Verpflichtung hat, das zu kommunizieren, was er tut. Das sind wir einfach der Öffentlichkeit schuldig und wir wollen nicht mehr diesen alten Club, so wie es früher war: Die Wissenschaft ist was für die Gebildeten und der Pöbel kann gucken, wo er bleibt.“ 

Erklär mir die Welt – in zehn Minuten

Doch zehn Minuten … Ist das nicht zu wenig Zeit, um ein komplexes Thema ganz erfassen zu können? Das sei jedoch gar nicht Sinn und Zweck des Science Slams, wie Jochen anmerkt: „Prinzipiell sind zehn Minuten natürlich zu kurz, um wirklich fundamentale Physik rüberzubringen. Es reicht, um ein Grundbild zu vermitteln: Das tun wir und auf die Art und Weise versuchen wir es zu erreichen.“

Es soll dem Publikum eher als Anstoß, als Aufhänger dienen, es neugierig machen und vielleicht auch zur Diskussion einladen. Auch das Gewinnen steht für die Slammer*innen – zumindest für Jochen –  nicht im Zentrum; es gehe primär darum, die Faszination über die eigene Arbeit nach draußen zu tragen und die Leute zu begeistern.

Ein lehrreicher Abend für Slammer*innen und ihr Publikum

Science Slams laden das Publikum also ein, sich einen Abend lang mit Wissenschaft zu beschäftigen, neugierig zu sein und Neues zu lernen, und das, ohne dass ein gewisses Vorwissen nötig wäre. Innerhalb weniger Stunden erhalten die Zuschauer*innen auf diese Weise einen spannenden und unterhaltsamen Querschnitt über aktuelle Forschung. Doch auch für die auftretenden Slammer*innen ist der Science Slam eine gute Möglichkeit und Übung, um ihr Forschungsprojekt, meist das Thema ihrer Promotion, noch einmal kurz und knapp sowie spannend darzustellen.

Science Slam

Als Science Slammer auf der Bühne. Foto: Science-Slam.com

„Ich finde, es sollte mit dazugehören, dass man, wenn man ein bahnbrechendes Paper geschrieben hat, es auch schafft, die eigene Forschung auf eine einfache Art an die Öffentlichkeit zu kommunizieren“, findet Jochen. „Jemand, der sich neu für Wissenschaftskommunikation interessiert, sollte unbedingt einmal solche Formate ausprobieren, bei denen man Sachen in kurzer Zeit und unterhaltsam rüberbringen muss“ meint auch der Physiker Nicolas Wöhrl. Er hat ebenfalls schon als Science Slammer auf diversen Bühnen Deutschlands gestanden. Sein Thema: Die Synthese von Diamanten. Heute redet der Physiker und Wissenschaftskommunikator gern mal länger und ausführlicher über Themen von Wissenschaft und Forschung – viel länger!

Mehr über Nicolas Wöhrl und seine Mission, eine Lanze für die Wissenschaft zu brechen und das Vertrauen der Menschen in Wissenschaft und Forschung wieder zu stärken, lest ihr im zweiten Teil von „Bühne frei für … die Wissenschaft!“