Tag 5: Welche Probeklausur?

von Caroline Wahl

Freitag. Null Uhr vier. Ich schaffe es nicht. Meine Augen zucken. Die Texte sind zu lang. Als dann zu allem Überfluss auch noch die Buchstaben vor meinen Augen anfangen zu tanzen, widme ich mich kurz dem geliebten, von Möglichkeiten überfluteten Internet. Ich muss eh noch schauen, in welchem Raum wir morgen, ich meine heute, schreiben, bzw. tippen und klicken. Ich besuche das Campus-Portal. Prüfungsverwaltung. Klick. Info über angemeldete Prüfungen. Klick. Medienwissenschaft (PO-Version 2010). Haha Po! Ich bin eindeutig übermüdet. Klick. Herzstillstand.

Freitag. Null Uhr fünf. Ach du Scheiße. Wieso steht da keine angemeldete Prüfung. Ich habe mich doch angemeldet. Ich bin mir hundertprozentig sicher. Ich habe mich angemeldet. Habe ich mich angemeldet? Die Dozentin hat uns immer wieder daran erinnert, dass wir uns auch ja rechtzeitig anmelden, damit sie genügend Laptops zur Verfügung stellen wird. Habe ich mich angemeldet?

Freitag. Null Uhr zwanzig. Mir ist es wieder eingefallen, nachdem ich die letzte Woche Revue passieren habe lassen. In meinem Kalender habe ich auf der Seite des letzten Mittwochs eine verteufelte ToDo-Liste wiedergefunden auf der zwischen „Pfandflaschen wegbringen“ und „Wäsche waschen“ dick und fett, sogar mit rotem Buntstift und mit vier Ausrufezeichen „Prüfungsanmeldung bis morgen!!!!“ steht. Was dann passiert ist, ist nicht schwer zu erraten: ToDo-Listen. Was mache ich jetzt? Ich schaffe es nicht mehr! Scheiße. Das Prüfungsamt hat mitternachts meinen Berechnungen zufolge geschlossen und die Klausur findet morgen schon um zehn Uhr statt. ST!

Freitag. Null Uhr zwölf. Nein! Das Prüfungsamt hat morgen geschlossen.

Freitag. Ein Uhr dreiunddreißig. Nachdem ich meine Mama aus dem Schlaf telefoniert habe und mehrere Dozenten und andere für die unterschiedlichsten Ämter Zuständige mit Emails tyrannisiert habe, entscheide ich mich für mein Bett und gegen die ungelesenen Texte. Wahrscheinlich kann ich die Klausur sowieso nicht schreiben.

Freitag. Ein Uhr vierzig. Ich habe zu viel Kaffee getrunken.

Freitag. Sieben Uhr. Ich bin todmüde. Aber ich muss aufstehen: Klausur. Nicht angemeldet. Texte.

Freitag. Sieben Uhr vierzig. Nachdem ich meine Dozentin in ihrem Büro aufgefunden habe, ihr meine verzweifelte Lage niedergelegt habe und es dabei peinlicherweise nicht geschafft habe, die Tränen zu unterdrücken, beruhigt sie mich. Ich bin nicht die Einzige, die die Anmeldung versäumt hat. Selbstverständlich darf ich mitschreiben, bzw. mittippen und mitklicken. Ein schwerer Stein fällt mir vom Herzen. Dafür wird mir aber die Last der vier ungelesenen Texte in meinem Rucksack umso bewusster.

Freitag. Neun Uhr drei. Ich sitze auf dem Boden vor dem Vorlesungsaal, in welchem gerade schon Laptops für die Klausur verteilt werden. Ich bin gleich mit dem zweiten Text durch, wobei ich mich aufgrund des Zeitdrucks nicht konzentrieren kann und eigentlich einfach nur den Text mit Textmarker anmale. Eine meines Erachtens in Anbetracht der Lage viel zu entspannte Kati gesellt sich zu mir. Und gut vorbereitet? Wie fandest du die Probeklausur? PROBEKLAUSUR? Welche Probeklausur? Nein! Nein! Nein! Hast du die nicht gesehen? Die wurde letzten Donnerstag auf ilias hochgeladen. Als ob ich jeden Tag auf ilias schaue, ob etwas neues Wichtiges hochgeladen wurde. Auf ilias wird jedes poplige Handout, jede noch so schlechtPowerpoint-Präsentation, jeder noch so unwichtige Text, „weiterführende Lektüre“ (haha), hochgeladen! Auf ilias wird alles hochgeladen! Als ob ich das alles verfolge! Ich habe schließlich wichtigeres zu tun! Ok, ich sollte hier nicht so rumschreien. Ruhe bewahren. Plan B: Ich werde doch Youtuberin. Ich muss Youtuberin werden. Dann verkaufe ich meine auf den ersten Blick für Zuschauer unbefriedigenden Schminktutorials und Food-Diaries eben als Comedy-Videos. Guter Plan.

Freitag. Zwölf Uhr. Anscheinend war die Probeklausur fast identisch mit der hochgeladenen Klausur. Laut Kati. Egal. Ich denke, dass ich bestanden habe. Auf jeden Fall muss ich diesmal nicht ein Semester warten bis die Klausur korrigiert wird.

Freitag. Vierzehn Uhr zwanzig. Nach über einer Stunde fährt der Bus ein. Inzwischen habe ich selbstverständlich auch schon eine Verspätungs-SMS bekommen. Er hatte eine Panne in Karlsruhe. Ich sage meinen Namen und der Fahrer lässt mich durch. Ich habe schließlich per Sofort-Überweisung bezahlt.

Freitag. Zwanzig Uhr sechs. Meine Mama hat Lasagne gemacht. Ich bin glücklich. Abends trinken wir einige Gläser Wein und reden viel. Als ich ihr das Bild von ihrer Schwester und deren „new beginning“ zeigen will, bemerke ich, dass der Akku von meinem Handy leer ist. Egal.

Freitag. Dreiundzwanzig Uhr sieben. Ich liege in meinem Bett in meinem Kinderzimmer. Weit weg von Lernplattformen, Fitness-Apps, Youtube-Videos und diversen sozialen Netzwerken. Mein Smartphone ist immer noch aus und mein Laptop steckt noch im Rucksack. Mir geht es gut.

Foto: flickr.com/Frank Behrens (CC BY-SA 2.0)