Spotify, Apple Music und co. – Wie Streaming die Musikindustrie verändert

Von Ann-Sophie Becker

Was früher Plattenspieler und CD waren, nennt sich heute Spotify, Deezer und Apple Music. Online-Streamingdienste haben das Musikhören radikal verändert. Und das mit großem Erfolg: seit 2018 gilt Streaming als das umsatzstärkste Format der deutschen Musikbranche und erwirtschaftete 2022 mit 1,6 Milliarden Euro über achtzig Prozent des Gesamtumsatzes. Tendenz steigend. Wie wirkt sich diese Veränderung auf die Musik und die Musikbranche aus?

Wofür das Streaming und vor allem die Plattform Spotify immer wieder kritisiert werden, ist die Bezahlung der Künstler*innen. Wie viel genau die Plattformen pro Stream bezahlen, ist nicht genau zu sagen und vor allem auch plattformabhängig. Laut dem Musikvertriebsunternehmen Ditto Music soll Spotify zwischen 0,003 Euro und 0,005 Euro pro Stream zahlen, wohingegen Apple Music mit 0,01 Euro pro Stream besser abschneidet. Letztendlich verdienen die Künstler*innen aber noch weniger, da der Betrag noch mit dem Plattenlabel aufgeteilt werden muss – unabhängige Künstler*innen ausgenommen.

Heutzutage können die wenigsten Musiker*innen vom reinen Verkauf ihrer Musik leben. Bild: Pixabay

Nach dem großen Reichtum klingt das nicht, aber wird mit der klassischen CD wirklich mehr verdient? Auch hier lassen sich keine eindeutigen Zahlen finden. Verschiedenen Angaben zufolge sollen nach Abgaben an Produktion, Vertrieb, Label, GEMA, Händler und Mehrwertsteuer noch zwischen vier bis elf Prozent für die Künstler*innen bleiben. Geht man bei einem Verkaufspreis von fünfzehn Euro und von Anteilen von sieben Prozent aus, entspricht das 1,05 Euro pro CD. Zum Vergleich: um mit Streaming bei Spotify auf das gleiche Einkommen zu kommen, braucht es bei 0,004 Euro pro Stream um die 250 Streams.

Diese Zahlen machen deutlich, dass die Haupteinnahmequelle von Künstler*innen nicht mehr der tatsächliche Verkauf ihrer Musik, weder durch CDs noch Streaming ist, sondern Alternativen wie Sponsoring, Merchandising, TV-Auftritte und Konzerte.

Zwischen Kunstfreiheit und Erfolg:

Folgen Lieder einem bestimmten Schema, ist ihr Erfolg auf Musikstreaming Plattformen wahrscheinlicher. So entsteht ein Zwiespalt zwischen dem Ausleben der Kunst und kommerziellem Erfolg. Bild: Pixabay

Die Bezahlung der Streamingdienste führt zum nächsten Punkt: die Länge und der Aufbau von Liedern. Bei Spotify wird ein Stream gezählt, sobald 30 Sekunden des Songs angehört wurden. Das hat zur Folge, dass lange Intros, in denen Spannung aufgebaut wird, wie zum Beispiel durch das ewige Uhrengeklingel im Intro von Time (1973) von Pink Floyd, Geschichte sind. Sie sind zu langweilig und würden die Hörer*innen nicht am Ball halten. Stattdessen tritt ein neues Phänomen auf: am Liedanfang wird ein Teil des Refrains angespielt, um die zuhörende Person auf das Kommende neugierig zu machen und sie so dazu zu bewegen, weiter zu hören. Damit hat sich der typische Liedaufbau von Strophe, Refrain, Strophe, Refrain, Bridge, Refrain zu Refrain, Strophe, Refrain, Strophe, Refrain, Bridge, Refrain gewandelt. Ein gutes Beispiel hierfür ist Nina Chubas Sommerhit Wildberry Lillet (2022), der erst mit dem eingängigen Refrain beginnt, bevor er zur ersten Strophe übergeht.

Auch auf die Songlänge wirkt sich Streaming aus. In einem Interview mit The Verge erklärt Musiker Charlie Harding, dass sich diese in den letzten achtzehn Jahren um durchschnittlich dreißig Sekunden verkürzt hat. Der Grund: wer kürzere, aber dafür mehr Lieder auf seinem Album hat, kommt in der gleichen Zeit auf mehr Streams als jemand, der längere Lieder veröffentlicht. Denn kürzere Songs erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass die rezipierende Person die Aufmerksamkeit und das Interesse nicht verliert, und sich dementsprechend das ganze Lied anhört. Und je häufiger ein Stück komplett gestreamt wird, desto größer wird die Wahrscheinlichkeit, dass es auf öffentlichen, von den Streamingdiensten kreierten Playlisten landet. Das wiederum vergrößert die Popularität des Liedes

Neue release Strategien:

Apropos öffentliche Playlisten: diese beeinflussen nicht nur die Songlänge, sondern auch die Release-Strategie der Künstler*innen. Veröffentlicht eine Band einmal im Jahr ein Album, ist ihre Chance klein, auf solchen Playlisten zu landen, da sie wöchentlich aktualisiert werden. Daher ist es besser, regelmäßig etwas zu veröffentlichen, statt alles auf einen Schlag. Genannt wird das Ganze „Waterfall-Release“. Hierbei wird zuerst eine Single veröffentlicht, zu der dann in geringen Zeitabständen weitere hinzugefügt werden. Wenn Nutzer*innen also den neusten Song einer Künstler*in gehört haben, wird danach direkt der zuvor releaste abgespielt – und dieser sammelt dann fleißig Streams.

Geringerer Preis – geringere Wertschätzung:

Eine weitere Veränderung liegt in der Wertschätzung, die der Musik entgegengebracht wird. Durch ein Monatsabo von knapp 10 Euro, verschwindet der Wert einzelner Stücke unter den Unmengen an bereitgestellter Musik. Hat man früher vergleichsweise 30 Euro für eine Vinyl mit nur wenigen Stücken bezahlt, wurde diese wahrscheinlich auch mehr geschätzt. Durch ihre Begrenztheit – nicht nur in Bezug auf Menge, sondern auch die geographische Begrenztheit auf das zu Hause – war Musik limitiert, und wurde somit zu etwas Besonderem. Das Streaming hat diese Besonderheit verringert.

Fazit:

Während Musikstreaming das Musikhören für Hörer*innen positiv revolutioniert hat, leiden vor allem Musiker*innen unter dessen negativen Folgen. Die Bezahlung ist so gering, dass sie nicht mehr von dem Leben können, was ihren Beruf eigentlich ausmacht: das Produzieren und Verkaufen ihrer Musik. Diese geringe Bezahlung führt weiter zu einer Wertverringerung ihrer Kunst und dadurch auf Seiten der Konsumierenden zu einer geringeren Wertschätzung. Zusätzlich entstand durch das Musikstreaming eine Art formeller Rahmen, an den sich Künstler*innen halten müssen, vorausgesetzt, sie wollen einen kommerziellen Misserfolg ihrer Musik nicht riskieren. Es schränkt somit deren künstlerische Freiheit massiv ein und stellt ihnen die Frage: Kunst oder Geld? Letztendlich könnte Streaming dadurch sogar die Diversität von Musik verringern.

Quellen:

Musikindustrie in Zahlen. https://www.musikindustrie.de/fileadmin/bvmi/upload/06_Publikationen/MiZ_Jahrbuch/2022/BVMI_Musikindustrie_in_Zahlen_2022_ePaper_230420_geschuetzt.pdf

How Much Does Spotify Pay Per Stream in 2023. https://dittomusic.com/en/blog/how-much-does-spotify-pay-per-stream/

How Much Does Apple Music Pay Per Stream in 2023. https://dittomusic.com/en/blog/how-much-does-apple-music-pay-per-stream/

Das Einkommen der Musik-Stars (Teil 4) – physische Verkäufe (dance-charts.de). https://www.dance-charts.de/2020040212702/das-einkommen-der-musik-stars-teil-4-physische-verkaeufe

How streaming affects the lengths of songs – The Verge. https://www.theverge.com/2019/5/28/18642978/music-streaming-spotify-song-length-distribution-production-switched-on-pop-vergecast-interview

Musik Wie Streamingdienste die Musikproduktion beeinflussen – DASDING. https://www.dasding.de/musik/themen/wie-streaming-die-musikproduktion-beeinflusst-100.html

Waterfall Release Strategie auf Spotify: Das Geheimnis erfolgreicher Alben | OMR. https://omr.com/de/daily/spotify-waterfall-strategie/