Kinder auf Social Media – Vertrauensbruch zwischen Kind und Eltern

Von Damaris Kober

Seitdem Kameras für die breite Masse zugänglich sind, nutzen Eltern diese, um das Leben des eigenen Kindes zu dokumentieren. Was mit analogen Fotoalben für den engsten Familienkreis begann findet nun im Internet und auf den Sozialen Medien statt. Doch was bedeutet das für die Kinder? Wie beeinflusst es ihre Entwicklung und die Beziehung zu ihren Eltern?

Soziale Medien wie Facebook, Instagram und Co sind fester Bestandteil unseres Alltages und es wird dort auch fast alles mit der Community geteilt. Das Eltern Bilder ihrer Kinder im Netz posten ist nichts neues aber das Ganze hat in den letzten Jahren um einiges zugenommen. Was mit netten Facebook-Posts oder Foren für Mütter begann hat sich nun zu einer eigenen Kategorie entwickelt. Viele der Menschen, die jetzt ihre Kinder auf Instagram teilen sind selbst mit den Plattformen groß geworden. Jetzt wo viele dieser Generation Eltern werden veröffentlichen sie diesen Teil ihres Lebens selbstverständlich auch. Sie sind stolz auf ihre Kinder und wollen ihr Glück mit der Familie und der Community teilen. Wie viele Follower*innen die Eltern haben ist unterschiedlich aber eines haben sie alle gemeinsam: das Kind wird Teil der Selbstdarstellung ihrer Eltern. Jede*r von uns hat es schon selbst erlebt: man öffnet Instagram und sieht ein Bild von einem Neugeborenen, das in eine pastellfarbene Decke gewickelt ist und auf einem flauschigen Fell liegt. Zusammen mit dem Namen werden Größe und Gewicht des Babys bekannt gegeben. Ab diesem Moment sind wir als Follower*innen dabei, wenn es seine ersten Schritte macht, das erste Mal feste Nahrung isst oder später eingeschult wird. Oft lassen die Eltern dabei keine Details aus und berichten, selbst wenn das Kind krank ist oder sich unwohl fühlt. Im Internet kursieren unendlich viele Videos von weinenden Kindern, die die Unterstützung von ihren Eltern benötigen. Doch stattdessen läuft die Kamera. Wie weit sind Eltern bereit zu gehen? Was macht das mit den Kindern? In diesem Kommentar werde ich näher darauf eingehen und auch von meinen eigenen persönlichen Erfahrungen mit dem Thema berichten.

Mommy-Blogger im Internet: Wie man durch Kinder reich wird

Zunächst wenden wir uns allerdings von den kleineren Accounts ab und hin zu den erfolgreichen Online-Größen die mit ihren Familien enorme Summen Geld verdienen. Wie auch Youtuberin Colleen Ballinger aus den USA. Seit 2006 hat die 36-Jährige ihren Hauptkanal @Colleen Ballinger auf YouTube der inzwischen 8,36 Mio. Follower*innen hat. Seit 2014 hat sie einen zweiten YouTube Kanal @Colleen Vlogs der inzwischen 3,42 Mio. Abonnent*innen hat. Auch auf ihrem Instagram Account hat sie um die 8 Millionen Abonnent*innen.

Kein Event wird ausgelassen. Sogenannte Mommy-Blogger fotografieren jede Aktivität mit den Kindern. Bild: Pexels

Anfangs drehte die dreifache Mutter Gesangsvideos und Comedy, erfand einen Charakter namens Miranda und baute sich eine Karriere als Comedian auf. Mit der Geburt ihres Sohnes Flynn 2019 änderte sich ihr Content, obwohl sie immer noch weiterhin andere Videos dreht. Sowohl die Geburt ihres Sohnes kann man sich auf YouTube anschauen, als auch ihre Schwangerschaft und die Geburt ihrer Zwillinge 2021. Gerade nach der Geburt ihrer Zwillinge teilt Ballinger sehr viel Persönliches über ihre eigene Gesundheit aber auch über die Gesundheit ihrer Kinder, die anfangs auf der Intensivstation lagen. In ihren Vlogs kann man den Alltag der Familie miterleben und man ist hautnah dabei, wenn die Kinder neue Meilensteine erreichen. Auch über Probleme und Ängste geht es in den Videos. Dabei sind nicht nur ihre Kinder unzensiert zu sehen, auch ihr Bruder hat einen YouTube Kanal, auf dem er seine Familie teilt. Laut diversen Quellen im Internet soll Ballinger ein geschätztes Vermögen von ca. 12 Millionen US-Dollar haben. Diese Einnahmen setzen sich durch ihre Onlinekarriere, aber auch durch ihre Auftritte als Comedian zusammen. Ihre Videos kommen bei den Zuschauer*innen gut an, gerade ihre ehrlichen Videos zum Thema Mutterschaft und ihren Erlebnissen auf der Intensivstation kommen bei anderen Müttern gut an. Sie fühlen sich gesehen und verstanden. Der Sohn Flynn ist dieses Jahr 4 Jahre alt geworden und beginnt so langsam zu verstehen, was vor sich geht. Er filmt manchmal selbst Videos. Die Zwillinge hingegen sind zu jung, um das Ganze zu verstehen, geschweige denn, um ihr Einverständnis zu geben. Wenn man Colleen au das Wohlbefinden ihrer Kinder anspricht, benutzt sie immer dieselbe Ausrede: ihr YouTube Kanal sei ein Online-Tagebuch und alle Videos sind dazu da, damit sie und ihre Kinder später sich an diese Zeit erinnern können. Eine Aussage die man immer wieder von Eltern zu hören, bekommt wenn es um das Thema Kinder in den Sozialen Medien geht.

Say Cheese!

Jeder Anlass muss festgehalten werden. Ob das Kind mitmacht oder nicht. Bild: Pexels

Auch mein eigener Vater benutzt das Internet aus diesem Grund. Seit meiner Geburt im Jahr 2000 existiert eine Webseite, auf der mein Vater anfänglich nur Bilder und Einträge über mich teilte, die 2006 schließlich zu einem Familienblog umfunktioniert wurde. Die Webseite ist selbst gebaut, passwortgeschützt und nur Familienmitglieder und Freunde haben Zugriff, trotzdem wurde fast jeder Aspekt meines Lebens geteilt. Aufgeteilt in Jahre und Monate kann man seit nun 23 Jahren mein Leben und das meiner Familie online mitverfolgen. Urlaube, Geburtstage, Einschulung. Zu jedem Thema lässt sich etwas finden und alles wurde in Bildern festgehalten.

Um die Webseite mit Bildern zu versorgen, machte mein Vater in allen möglichen Situationen hunderte von Bildern, anfangs noch mit einer Kamera inzwischen mit seinem Handy. Nach dem Einverständnis wurde grundsätzlich nicht gefragt, wenn ich ein Bild nicht auf der Webseite haben wollte, musste ich lange auf meinen Vater einreden und nur unter Protest wurde dieses Bild dann gelöscht. Auch wenn man direkt gesagt hat das man nicht fotografiert werden möchte, gab es Drama und sämtliche Geschütze wurden aufgefahren, um einen doch davon zu überzeugen doch ein Bild machen zu lassen. Auch hier tauchte oft die Aussage auf, dass es doch nette Erinnerungen für später seien. Sicherlich, ich schaue gerne Bilder aus dem Urlaub und erinnere mich zusammen mit ihm an das erlebte zurück.

Allerdings kann ich mich auch noch ganz genau an die Entstehungsgeschichte jedes einzelnen Bildes erinnern und weiß genau, wann ich wollte und wann nicht. Das sieht man den Bildern auch an. Ich denke es geht vielen Kindern so wie mir. Denn fotografiert werden, obwohl man eigentlich nicht möchte, prägt sich ein und hinterlässt Spuren. Man verliert sein Vertrauen in den Menschen, der einen eigentlich schützen sollte und man entwickelt ungesunde Weisen damit umzugehen. Den Kontakt zu meinem Vater habe ich inzwischen abgebrochen. Dass die Bilder nur von engeren Verwandten und Freunden meines Vaters gesehen wurden macht übrigens für mich keinen Unterschied. Denn es gibt eben Bilder und Situationen, von denen man nicht möchte, dass sie irgendjemand sieht, egal ob es Oma ist oder ein Fremder aus dem Internet. Das Schlimme für mich und sicherlich viele andere Betroffene ist, dass in dem Moment, in dem das Bild gemacht wurde, eine Person, die einen eigentlich schützen sollte, ihr eigenes Bedürfnis vor, das des Kindes stellt und sich entschließt ein Bild zu machen. Unsere Gesellschaft ist darauf trainiert, dass man in „wichtigen“ Momenten selbstverständlich ein Bild machen muss. Denn es ist viel schlimmer gar kein Bild vom vierten Geburtstag zu haben als eines auf dem das Geburtstagskind weint.

Mein Kind will nichts mehr mit mir zu tun haben. Und jetzt?

So wie mir geht es vielen anderen Kinder und auch sie brechen den Kontakt zu ihren Eltern ab. Bei mir kommen noch andere Faktoren hinzu, aber die Webseite und die damit verbundenen Vertrauensbrüche sind für mich ausschlaggebend. Wenn das Leben nur vor der Kamera stattfindet, lernt man schnell, dass das eigene Wohl nur bedingt wichtig ist. An erster Stelle stehen die Eltern, die in den Sozialen Medien angeben und Aufmerksamkeit bekommen wollen. Unter dem Vorwand eine Erinnerung für die Kinder zu schaffen, werden diese ausgenutzt und ignoriert. Wer sich wehrt und widerspricht muss mit Konsequenzen rechnen. Oft werden Kinder auch von ihren Eltern emotional erpresst und dazu überredet sich doch fotografieren zu lassen. Oftmals dauert es Jahre, bis die Kinder alt genug sind und sich trauen etwas zu sagen. Bis dahin haben schon viele Menschen die Beiträge gesehen und bei den Betroffenen entsteht ein Gefühl von Hilfslosigkeit. Mein Freund hat mich gefragt, ob ich nicht klagen möchte, um damit eine Abschaltung der Webseite zu veranlassen, aber wie bereits erwähnt, haben schon so viele Menschen die Dinge gelesen, die für mich schlimm sind. Meine Methode ist es, Abstand zu meinem Vater zu halten und mich so dem Ganzen zu entziehen. Auch die Webseite besuche ich nicht mehr. Ich fotografiere selbst gerne und bin eine fleißige Instagram-Nutzerin, aber ich frage diejenigen, die auf meinen Bildern sind, nach ihrem Einverständnis und ich bin nicht sauer, wenn jemand nicht möchte. Ich fotografiere bevorzugt analog und klebe die Bilder von Hand in ein Fotoalbum. Viele der Kinder, die momentan auf Instagram zu sehen sind, sind noch klein und wir werden noch ein paar Jahre warten müssen, um die Folgen zu sehen, aber ich bin mir sicher, dass die Beziehung zwischen Kind und Eltern bei vielen Betroffenen ebenfalls auseinander gehen werden. Gerade bei Kindern von großen Mommy-Bloggerinnen werden die psychologischen Folgen schlimm sein. Bis dahin kann ich jedem nur empfehlen, einen Gang zurückzuschalten und die Rechte der Kinder am eigenen Bild ernst zu nehmen. Es ist nicht schlimm, wenn man ein Ereignis mal nicht fotografiert, das Wohl des Kindes ist am allerwichtigsten. Auch ein analoges Fotoalbum kann ich nur wärmstens empfehlen. Bilder für die Kinder aufbewahren zu wollen ist nicht schlimm, aber das Medium, durch dies geschieht, sollte mit Bedacht auserwählt werden.