Bedrohte Ordnungen

Bedrohte Ordnungen und der Grimme Online Award

Von Eva Antonia Hahn und Luisa Poschmann

Roman Krawielicki hat schon immer gerne Texte geschrieben. Wahrscheinlich würde er im politiknahen Bereich arbeiten, wenn er nicht Wissenschaftskommunikator geworden wäre. Mit der Online-Ausstellung „Bedrohte Ordnungen“ war er gemeinsam mit seinen Kollegen im gleichnamigen Sonderforschungsbereich 923 im Jahr 2019 für den Online-Grimme-Award nominiert. Über einen jungen Mann, der gerne mit Leuten arbeitet, die viel klüger seien als er und denen zuzuhören sich lohnt, weil man so eine Menge lernen kann.

Roman Krawielicki

Roman Krawielicki. Foto: Luisa Poschmann

Hinter einem Schreibtisch in einem Büro voller Bücher in der Keplerstraße 2, unweit des Brechtbaus in Tübingen, sitzt Roman Krawielicki. Aufgrund seines Interesses für Marketing, nahm er nach dem Abitur zunächst ein BWL-Studium an einer Privatuni auf, stieß sich jedoch rasch mit einigen der dort gelebten Ideale. Also wechselte Krawielicki und studierte in Tübingen und Berlin Geschichte, Politik und Rhetorik. Nach dem Studium ging er 2011 als Historiker an den Sonderforschungsbereich 923 „Bedrohte Ordnungen“ der Universität Tübingen. Seit 2015 arbeitet der Fünfunddreißigjährige am selben SFB als Wissenschaftskommunikator.

Dass er dort vorher bereits als Wissenschaftler tätig war, brachte einen riesigen Startvorteil mit sich: Durch seine Forschung wusste er, wie die Öffentlichkeitsarbeit von den Wissenschaftler*innen wahrgenommen wird. Jedoch habe er anfänglich kaum gewusst, wie man Wissenschaftskommunikation eigentlich betreibt. Aber was man nicht weiß, lernt man schnell aus der Praxis. Zudem habe er sich viel mit Journalist*innen darüber unterhalten, was sie an der Forschung interessant finden und wie sie auf den SFB aufmerksam geworden seien. Die wichtigste Ressource für seine Arbeit waren weniger Geld oder die Projekte, sondern vor allem die kostbare Zeit der Wissenschaftler*innen: So bemüht sich Krawielicki ihnen für Öffentlichkeitsprojekte Zeit zu verschaffen, kommuniziert vorab intensiv und steckt realistische Zeitpläne ab.

Seinen Job, sagt Krawielicki ehrlich, könnte auch jeder kommunikationsbegabte Journalist oder Physiker machen: „Im Grunde geht es ja darum, die Texte, die von den Wissenschaftlern kommen, so umzuschreiben oder umzuformulieren, dass Menschen sie verstehen können und das kann jemand, der sprachaffin ist, unabhängig von seiner fachlichen Qualifikation.“

 

Der Alltag des Wissenschaftskommunikators

Bestimmten Zielgruppen erzählen, was im gesamten Forschungsverbund und in den kleinen Forschungsprojekten getan wird: Das ist Hauptbestandteil von Krawielickis Arbeit. Etwa die Hälfte seiner Zeit sei er mit dem „Alltagsgeschäft“ beschäftigt: Mithilfe der Kommunikationskanäle des SFB Informationen nach Innen und Außen zu verbreiten, etwa zu Veranstaltungen, neuen Publikationen oder Gastwissenschaftler*innen. Zudem sei er die Kontaktperson für die Hochschulkommunikation. Bei Presseanfragen wird er angerufen und wendet sich dann mit den Fragen an die Wissenschaftler*innen. Auch wird den Mitarbeiter*innen, die Workshops organisieren oder auf Reisen sind, das Angebot gemacht, von ihren Erfahrungen zu erzählen und sie auf der Homepage oder über die Kanäle der sozialen Medien zu teilen. Gelegentlich fungiert er auch als „so etwas wie der IT-Beauftragte“, scherzt er.

Zwei besondere, langfristige Projekte füllen die andere Hälfte von Krawielickis Arbeitszeit: Die Online-Ausstellung www.bedrohte-ordnungen.de, in der digital über den SFB und die Forschung informiert wird und Formate für Schüler*innen und Lehrer*innen, um die neueste Forschung in den Geschichtsunterricht zu integrieren. Auch ein Podcast ist geplant, in dem die Wissenschaftler*innen selbst zu Wort kommen können. Ziel seiner Arbeit sei es, das Forschungslabel „Bedrohte Ordnungen“ so zu etablieren, dass man automatisch die Uni Tübingen und ihren SFB damit in Verbindung bringt.

Das eigentliche Potential von funktionierender Wissenschaftskommunikation sieht Krawielicki darin, dass nicht nur nach außen kommuniziert wird, sondern auch die Kommunikation unter den verschiedenen Wissenschaftler*innen des SFB intensiviert wird. So entstünde neues Wissen, das in die Forschungsarbeit aufgenommen werden könne. Diese Ebene der Arbeit habe sich Krawielicki erst im Laufe der Zeit offenbart: „Als ich hier angefangen habe, habe ich gedacht, wir machen eben die Homepage und so ein Zeug.“

Die Nominierung für den Grimme Online Award 2019

In der Online-Ausstellung www.bedrohte-ordnungen.de werden verschiedene Projekte des Sonderforschungsbereichs miteinander verbunden. Sie erzählt unter anderem, was die Forscher*innen unter bedrohten Ordnungen verstehen. Ursprünglich sei eine reale Ausstellung in der Universitätsbibliothek geplant gewesen. Der Aufwand dafür sei jedoch erheblich gewesen und hätte womöglich nur kurzfristig und regional gewirkt.

Mit der virtuellen Ausstellung erhofft sich Krawielicki langfristig mehr Menschen zu erreichen. 2019 wurde die Ausstellung von der Jury des Grimme Instituts aus 1200 Einreichungen für einen Grimme Online Award nominiert. Bislang konnten nur wenige Forschungsverbünde auf dieser Bühne in Erscheinung treten, so Krawielicki. Er erhofft sich davon auch ein Signal an die Wissenschaftler*innen, weiterzumachen und auch im Web mit mehr Aufwand ihre Forschungsergebnisse einem breiten Publikum zugänglich zu machen. Im Anschluss habe der SFB zahlreiche Interviewanfragen und auch einige Glückwünsche von Wissenschaftskommunikator*innen und Wissenschaftler*innen anderer Universitäten erhalten. „Das Beste wäre wirklich, wenn jemand das Projekt sieht und sagt: ‚So etwas ähnliches will ich jetzt auch machen!’ Dann hätten wir wirklich gewonnen, weil sich die Idee dann weiterentwickeln würde“, sagt Krawielicki.

Das Wissen an Schulen weitergeben

Mit dem Wissen in die Schulen zu gehen, ist das weiteres großes Projekt Krawielickis: Für den Geschichtsunterricht wurde bereits ein Buch, ebenfalls mit dem Titel „Bedrohte Ordnungen“, herausgegeben. Um den Stoff noch ansprechender zu machen, wird nun eine digitale Schulplattform entwickelt, in der Geschichtsunterricht und historisches Lernen neu gedacht werden sollen. Dies schließe auch an sein eigenes Forschungsinteresse an, der Wissenschaftskommunikation und der Public History:

„Wir müssen uns über verschiedene Dinge Gedanken machen und reflektieren, was wir hier tun, und da gibt es eine methodische Frage, z.B.: Wie kann man Geschichte vermitteln, ohne dem Zuhörer eine auktoriale Erzählung aufs Auge zu drücken. Ich will ihnen ja nicht sagen: ‚So war es’, wenn ich an die Öffentlichkeit trete. Sondern ich will ihnen sagen: Das ist eine Interpretation der Geschichte. Du kannst dir auch einfach eine ähnliche suchen, aber das sind die Fakten dazu. Das ist das, was wir aus den Quellen haben lesen können. Das ist auch eine ganz wichtige Frage für unser Schulprojekt. Die Schüler sollen kritisch über Geschichte und über das, was sie umgibt, Nachdenken lernen.“

Wissenschaftler, Journalisten, Museen: Das Umfeld

Primär hat Krawielicki als Wissenschaftskommunikator natürlich mit Wissenschaftler*innen zu tun: Die Projektleiter*innen blieben zumeist, doch alle vier Jahre komme ein Team von neuen Doktorand*innen und Postdocs dazu. Der SFB sei ein buntes Team aus etwa zehn Nationen. Durch die vielen internationalen Gäste lerne er zudem Forscher*innen aus aller Welt kennen. Außerdem stehe er im Austausch mit vielen anderen Institutionen, etwa der Universität, der Presse, Schulen oder auch dem Stadtmuseum, der Volkshochschule und vielen weiteren.

Für die virtuelle Ausstellung hat er mit einer Kölner Agentur zusammengearbeitet. Dass Krawielicki sehr gerne mit Menschen zu tun hat und dieser Teil der Arbeit ihm Spaß macht, nimmt man ihm sofort ab. „Das ist sehr, sehr bunt gemischt, würde ich sagen, und das ist das coole. Du betreibst eben nicht nur Wissenschaft um der Forschung willen. Ich muss ständig aus unserem Elfenbeinturm raus und mich mit Leuten darüber unterhalten. Das finde ich super interessant.“

Dass er seinen Job mit großer Leidenschaft macht, wissen auch seine Kolleg*innen wertzuschätzen: „Er ist wirklich ein super Kollege!“, schwärmt Andrea Kirstein, Koordinatorin im SFB 923. „Vielseitig! Charakterlich ist er einfach ein super Mensch, nett, freundlich, unglaublich kollegial. Auch was seinen Job angeht: Er ist sehr innovativ, neugierig, geht auf die Leute zu, was natürlich gerade in seinem Beruf sein muss. Er hat die Öffentlichkeitsarbeit des SFB einen Riesensprung nach vorne gebracht.

Das liegt zum größten Teil einerseits an seinen Ideen, seinen Visionen, wie man den SFB außerhalb seines wissenschaftlichen Kontextes bekannt machen kann. Und andererseits, dass er auch charismatisch auf die Leute zugeht. Desto sympathischer man rüber kommt, desto mehr sind die Leute auch bereit Informationen zu liefern, die er dann weiter verarbeiten kann.“

Die Zukunft der Wissenschaftskommunikation

“Wissenschaftskommunikation ist gerade jetzt so wichtig, weil es den klaren Trend gibt, dass das gesellschaftliche Vertrauen in die Wissenschaft als Institution, aber auch als Bereitsteller von Wissen und von objektiver Expertise rückläufig ist. Die Aufgabe der Wissenschaftskommunikation ist es, diesem Schwund entgegenzuwirken. Es ist nicht mehr die Frage, ob man Wissenschaftskommunikation braucht, sondern wie viel man braucht. Der SFB 923 ist ein öffentlich finanziertes Projekt und wir bekommen sehr viel Geld. Diejenigen, die uns das Geld geben, haben auch ein Recht, zu erfahren, was wir hier machen und zwar in einer Sprache, die sie verstehen.

Wissenschaftskommunikation kann wissenschaftliche Expertise kommunizieren, mit fundierten falsifizierbaren Forschungsergebnissen. Wenn dadurch Fake News entlarvt werden können, weil wir durch Fakten populistische Rhetorik aufdecken können, ist das super, aber das können wir nicht immer. Wir sind auch nur Teil der Gesellschaft, also läuft hier garantiert auch immer mal etwas falsch, und man braucht Leute, die darauf hinweisen. Es reicht nicht, wenn es nur Wissenschaftskommunikation gibt. Den Wissenschaftsjournalismus als vierte Gewalt mit seinem kritischen Blick auf die Wissenschaft muss es dazu auf jeden Fall geben.

Allerdings steht es um ihn nicht gut, immer mehr Stellen werden gestrichen. Eine Finanzierung durch ein Stiftungsmodell ist denkbar, nur dann stellt sich die Frage, wer stiftet das Geld und mit welchem Interesse? Man merkt bereits tatsächlich wie sehr es fehlt, dass Wissenschaftsjournalisten kritische Debatten anstoßen, wo es gerade so viele technische Neuerungen wie Genetik und vieles mehr gibt. Alle Journalisten müssen gerade Federn lassen und da sind die Wissenschaftsredaktionen interessanterweise die ersten, die gehen müssen. Sie gehen dann oft an die Unis. Das ist eine verblüffende Entwicklung, aber keine sehr positive.”

Wissenschaftskommunikation – keine Einbahnstraße

Als zweifacher Familienvater kann Krawielicki seinen Beruf und seine Familie sehr gut unter einen Hut bekommen. Gelegentlich müsse er zwar flexibel sein, könne sich aber viele Termine gut legen. Das müsse nicht überall so sein, aber dadurch, dass man die vielen Projekte relativ gut überschauen und planen könne, funktioniere es gut.

Seinen Beruf würde Krawielicki noch einmal wählen: „Das schöne ist, Wissenschaftskommunikation ist keine Einbahnstraße. Wenn man eine Promotion und dann eine Habilitation macht, ist der Weg relativ klar: Ich will in der Wissenschaft bleiben und irgendetwas anderes zu machen ist dann schwer.“ Ihm macht seine Arbeit Spaß, denn sie trägt dazu bei ständig den Horizont zu erweitern. Für Menschen mit Interesse an der Wissenschaftskommunikation als Beruf gibt er den Tipp: „Ich würde jedem empfehlen ein spannendes, spezialisiertes Studium zu machen und gleichzeitig Schreiben zu üben, wann und wo es nur geht.“