Algorithmen

Meinten Sie Möbelbauer? – wie Suchmaschinen-Algorithmen Frauen benachteiligen

Von Ann-Christine Strupp

Wer heute schnell etwas nachschlagen will, tippt sein Anliegen einfach in eine Suchmaschine ein. Doch dass die Algorithmen, die Google, Yahoo! und Co. verwenden, um die Ergebnisse zu filtern, Webseiten von Frauen benachteiligen, wissen die wenigsten. Wir haben mit Kathi Grelck über SEO, alte weiße Männer und die Bedeutung von gendergerechter Sprache gesprochen.

Etwa 3,45 Milliarden Suchanfragen verzeichnete Google 2018 durchschnittlich pro Tag. Egal, ob wir wissen wollen, wann Angela Merkel geboren wurde, ob wir nach einer neuen Zahnarztpraxis suchen oder uns gleich selbst mit Hilfe des Internet diagnostizieren möchten – die Online-Suchmaschinen liefern uns die Antworten innerhalb von wenigen Sekunden. Das Nachschlagen in Lexika haben sie längst ersetzt.

Was viele Menschen dabei aber nicht bedenken: Die Reihenfolge, in der uns die Ergebnisse angezeigt werden, sind weder willkürlich, noch richten sie sich danach, was am besten für unser Anliegen geeignet ist. Vielmehr entscheiden moderne Algorithmen und die SEO-Werte der Webseiten darüber, was uns bei Google auf der ersten Seite präsentiert wird. Wie die Hamburger Texterin Kathi Grelck herausfinden musste, ist das nicht ganz unproblematisch.

 

Selbstständig in Hamburg

Kathi (Katharina) Grelck ist freiberufliche Texterin, Übersetzerin und Lektorin in Hamburg. Bevor sie sich selbstständig machte, studierte sie Kulturwissenschaft mit dem Fachschwerpunkt Literaturwissenschaft und arbeitete zwei Jahre lang in einer technischen Redaktion.

In einem Artikel hast du auf das Problem hingewiesen, dass die Algorithmen von Google und anderen Suchmaschinen Frauen benachteiligen. Wie ist das genau gemeint?

So ein Algorithmus ist ja an sich etwas Programmiertes, etwas Technisches – aber er wird natürlich von Menschen geschrieben und bespeist. Das heißt einerseits, dass die Dinge, nach denen Internetnutzer*innen so suchen, beeinflussen, was ihnen weit oben angezeigt wird. Und da ist es eben so, dass die meisten Menschen in Deutschland einfach das generische Maskulinum benutzen, auch wenn es ihnen eigentlich egal ist, was für ein Geschlecht ihr Dienstleister hat. Wenn man zum Beispiel einen anstehenden Arztbesuch hat, würde man etwa „HNO-Arzt Hamburg“ eingeben, nicht Ärztin, weil es eben egal ist. Aber eine HNO-Ärztin würde auf ihrer Seite logischerweise schreiben, dass sie eine Ärztin ist. Die Seite wird mir folglich bei Google nicht angezeigt, weil es – obwohl der Google-Algorithmus sehr intelligent ist und Zusammenhänge erstellen kann – den Zusammenhang zwischen der „Grundform“ und der Variante mit weiblicher Endung nicht versteht.

Nachdem mein Artikel erschienen ist, haben auch andere Kolleg*innen Recherchen gemacht und Folgendes herausgefunden: Wenn man nach typisch männlichen Berufsfeldern in der weiblichen Form sucht, zum Beispiel nach einer Dachdeckerin, dann fragt Google teilweise: „Meinten sie Möbelbauer?“. Aber andersherum macht Google das nicht.

Würdest du sagen, dass es technisch einfach noch nicht so gut möglich ist, die weibliche Form mit einzubeziehen, oder liegt das eher daran, dass es den Menschen, die den Algorithmus programmieren, nicht so wichtig ist?

Ich glaube, dass beides stimmt. Das ist jetzt nur eine Annahme. Aber ich vermute, dass die Menschen, die den Google-Algorithmus schreiben, größtenteils männlich sind. Dazu natürlich hetero, weiß und aus der Mittelschicht. Sie haben also einfach eine bestimmte Sicht auf Dinge und einen bestimmten Sprachgebrauch. Das, was sie dem Algorithmus sagen, das macht er dann auch. Und natürlich – das behaupte ich jetzt mal – kommen die nicht auf die Idee, dass es jetzt wichtig sein könnte, dem etwas Neues beizubringen.

Darf ich fragen, wie du darauf kommst?

Ich habe selbst zwei Jahre in einer Software-Firma gearbeitet, wo eben auch hauptsächlich weiße, heterosexuelle Cis-Männer aus der Mittelschicht gearbeitet haben. Damals wurde gerade das dritte Geschlecht gesetzlich anerkannt. Ich habe des Öfteren angesprochen, ob wir das nicht integrieren sollten. Doch da haben sich die Geschäftsleitung und die Programmierer alle gesperrt.

Wieso das?

 Aus zwei Gründen: Der Grund, den sie genannt haben, war, dass sie erst einmal warten müssen, bis andere Software-Hersteller das gemacht haben, damit sie sich das abgucken können. Ich habe dann aber im Alltag einfach gemerkt, dass es ihnen auch egal ist, weil sie selbst nicht davon betroffen waren und deswegen keinen Bedarf gesehen haben, da etwas zu unternehmen. Und das, obwohl richtig große Firmen wollten, dass das dritte Geschlecht in die Software integriert wird. Trotzdem hat es eineinhalb Jahre gedauert, bis damit irgendwann mal angefangen wurde. Ich denke mir, dass das bei Google auch so sein wird. Aber wenn da genug Druck entstehen würde, würden die sich wahrscheinlich die Mühe machen und den Algorithmus anpassen, der wird ja sowieso alle paar Monate angepasst.

Wie viel Hoffnung setzt du in die weitere Entwicklung des Algorithmus-Problems?

Ich denke, die Suchmaschinenbetreiber haben da jetzt einfach ein Stück weit die Verantwortung, weil sie das Knowhow von den Nutzer*innen einfach nicht verlangen können. Es gibt Menschen, die kennen sich aus mit SEO – und die sind vermutlich SEO-Berater*innen. Also die normale Person gibt etwas bei Google ein und denkt, dass das, was an erster Stelle steht, dort steht, weil es eben die beste Option ist, und nicht, weil es am besten optimiert wurde.

Ich glaube es ist gut, wenn das Thema jetzt immer wieder aufgegriffen wird. Wenn jeder ein bisschen was darüber schreibt, dann sieht das vielleicht wieder eine andere Person und befasst sich damit. Ich denke, dass das schon eine Menge Druck erzeugt, der sich früher oder später auf Google auswirken wird.

SEO

SEO (englisch: Search Engine Optimization) steht für Suchmaschinenoptimierung, womit Maßnahmen gemeint sind, die dazu dienen, die Platzierung einer Webseite in den Ergebnissen von Suchmaschinen zu verbessern und damit den Traffic zu steigern. Eine wichtige Rolle spielen dabei zum Beispiel Keywords, die Meta Description, Alt-Attribute und Links.
Quelle: https://onlinemarketing.de/lexikon/definition-suchmaschinenoptimierung-seo

Als Texterin mit eigener Webseite hast du ja selbst mit SEO zu tun, wie handhabst du diese Probleme?

Kathi Grelck

Kathi bei ihrer täglichen Arbeit als Texterin, Lektorin und Übersetzerin. Foto: Kathi Grelck

Meine Seite ist überhaupt noch nicht suchmaschinenoptimiert. Das Ganze gehe ich am Ende des Jahres an. Ich werde dann damit arbeiten, dass ich einerseits das generische Maskulinum einbaue in Allgemeintexten und mich selbst mit der weiblichen Variante bezeichne. Und was auch allgemein für SEO wichtig ist: Google mag viele Wörter. Deswegen sollte man auf den Seiten schon mindestens 500 Wörter haben und auch ein paar Keywords einbauen. Richtig gut ist natürlich immer, wenn man – so wie ich jetzt zufälligerweise – irgendetwas schreibt, worauf viele andere Leute eingehen und einen Link setzen.  

 

Hast du auch negative Rückmeldung bekommen?

Ja, schon. Mir ist von anderen Spezialist*innen vorgeworfen worden, dass ich einige Argumente außen vor gelassen habe und ich mir mein Narrativ so zurechtschneidere, wie ich das möchte. Dass  Männer eben einfach besser in SEO sind und Frauen sich dafür weniger interessieren. Dass der Algorithmus einfach nur das macht, was wir ihm vorgeben und das keine böse Absicht von irgendwelchen Menschen ist. Und dass es albern wäre, das Problem einfach nur auf die deutsche Sprache zu schieben, weil es ja auch noch andere Sprachen gebe, in denen das so wäre mit dem generischen Maskulinum – was natürlich auch gut sein kann. Das war so die professionelle Kritik.

Und welche unprofessionelle Kritik hast du bekommen?

Ich bin gefragt worden, ob der Artikel an Golem weitergereicht werden darf.  Da hab ich natürlich ja gesagt, hab‘ aber nicht „bedacht“, dass die natürlich auch wieder auf Suchmaschinenalgorithmen achten müssen. Sie dürfen ja keinen Duplicate Content hochladen, weshalb mein Artikel an ein paar Stellen geändert wurde, etwa die Meta Description, die ich vorher geschrieben habe. Und die Screenshots mit Erklärungen wurden herausgenommen. Dadurch klang der ganze Inhalt viel reißerischer und es ging viel Info und Logik verloren.  Ich habe Mails bekommen,  in denen Dinge standen, wie dass ich mich doch mal mit wichtigeren Problemen wie Menschenhandel auseinandersetzen solle. Schon nach ein paar Stunden waren unter dem Artikel über 170 Kommentare. Nach ungefähr 400 Kommentaren habe ich aufgehört, hereinzuschauen, weil es einfach absurd geworden ist.

Inwiefern?

Da haben sich wirklich richtig viele Leute die Mühe gemacht und meine Webseite gesucht, meine persönlichen Profile. Es wurde mir zum Beispiel auch vorgeworfen, dass ich vermutlich einfach untervögelt sei und deswegen mit dieser „Oh wir armen Frauen“-Geschichte um die Ecke komme. Irgendwer meinte, weil ich halt Kulturwissenschaften studiert habe, dass ich eine kleine Schneeflocke aus einer reichen Familie sei und die eben keine anderen Probleme haben und sich deswegen welche suchen. Das stimmt nicht einmal, ich bin aus der Unterschicht (lacht). Also ich wurde sehr, sehr viel mit Sexismus konfrontiert, auch mit sexuellen Übergriffigkeiten. Es ist echt interessant, dass die Menschen so schnell in diesen Sexismus in der Sprache verfallen, aber nicht anerkennen wollen, dass es ihn gibt.

Bei Stellenausschreibungen und ähnlichen Bereichen sieht man ja zum Teil schon eine Entwicklung hin zu einer gendergerechten Sprache. Wird diese deiner Meinung nach bald auch Einzug in unseren Alltag finden, oder dauert das noch eine Weile?

Also im geschriebenen Wort sehe ich auf jeden Fall große Fortschritte. Das liegt vielleicht auch an der Bubble, in der ich bin, aber ich sehe das immer mehr auf Plattformen wie Instagram, dass insbesondere Frauen oder Nicht-Cis-Männer gendern und auch dazu Stellung beziehen. Ich glaube im gesprochenen Wort ist das nochmal viel schwieriger. Da fällt’s mir nämlich auch schwerer, weil man da keinen Filter hat. Das, was einem in den Sinn kommt, das plappert man gleich aus. Das ist ja über Jahrzehnte vorgeprägt worden, da muss ich tatsächlich dran denken, „Arzt oder Ärztin“ zu sagen, weil ich automatisch „Arzt“ sagen will – obwohl ich nur zwei männliche Ärzte hab, alle anderen sind Frauen. Es spiegelt also gar nicht die Realität wider (lacht).

Aber zum Beispiel das Projekt „Genderleicht“ setzt sich dafür ein, dass etwa in Rundfunkbeiträgen und im Fernsehen im gesprochenen Wort gegendert wird. Und ich glaube, wenn man das mehr hört, dann wird sich das auch weiter durchsetzen. Ich kann mir aber vorstellen, dass es da einfach immer Menschen geben wird, die sich dagegen sperren, weil sie das in so eine Schiene schieben wie zum Beispiel die Jugendsprache. Dass sie denken: Es ist eben für manche Leute wichtig und manche Leute reden so, aber eigentlich gehört‘s nicht zur Sprache und wir wünschten uns, es wäre nicht so.

Man mag sich kaum vorstellen, wie Männer reagieren würden, wenn es mal andersherum wäre.

Katharina Grelck

In ihrer Freizeit liest Kathi gerne. Foto: Kathi Grelck

Stimmt. Ganz viele Frauen finden sich damit ab, dass sie eben „mit gemeint“ werden. Aber ein Mann würde sich niemals dabei angesprochen fühlen. Das haben wir dann auch so in der Software-Firma herausgefunden, in der ich gearbeitet habe.  Mein Teamkollege, er war Feminist, und ich, wir haben eine Recherche angestellt und herausgefunden, dass eigentlich über 70 Prozent der Personen, die unsere Software kaufen und die Handbücher lesen, Frauen sind. Deswegen wollte er gerne alle Handbücher umschreiben, sodass dann von Nutzerinnen die Rede ist – eben mit dem Hinweis „Wir benutzen die weibliche Form, weil das die meisten Leute anspricht“. Aber alle Frauen im Unternehmen haben einhändig gesagt: „Nee, macht das mal lieber nicht. Wir kommen damit klar, die untergebutterten zu sein und nicht angesprochen zu sein, aber wir wollen es uns nicht mit den männlichen Kunden verscherzen. Die werden sich da tierisch aufregen, wenn sie auf einmal als Nutzerinnen bezeichnet werden.“

Schade, dass das nicht geklappt hat. Was hätte das für eine Bedeutung gehabt?

Ich selbst gendere, weil ich nicht nur Männer und Frauen ansprechen möchte mit meinen Texten, sondern halt auch alles darüber hinaus und alles dazwischen. Das geht ja mit dem Gendersternchen ganz gut, oder einfach mit ungegenderten Formulierungen. Zum Beispiel kann man „Menschen, die zum Arzt gehen“ sagen, anstatt Arztbesucher und -besucherinnen. Diese Strukturen, die in unserer Gesellschaft laufen, schleichen sich in ganz viele kleine Teilbereiche ein, eben auch in die Sprache. Das ist dann was Feministisches, wenn man versucht, dagegen vorzugehen. Eine politische Aussage, mit der man auch gerne mal aneckt.

 

Wie man sieht, haben wir im Bezug auf gendergerechte Sprache noch einiges vor uns. Wie sie unsere Gedanken und unsere Wahrnehmung von Repräsentation beeinflussen, zeigt unter anderem dieses Video: