Zukunft des Wissenschaftsjournalismus: Nur Wissen zu vermitteln reicht nicht mehr

Von Julian Dorn und Hannah Vogel

Aktualitätsdruck, Sparzwang und die Gefahr der gesteuerten Information: Der Wissenschaftsjournalismus steht vor großen Herausforderungen. Manche vermuten ihn gar in einer Existenzkrise. Wie sieht SZ-Wissensredakteur Werner Bartens die Zukunft seiner Zunft?

Es begann mit einem leicht näselnden Professor, einer Mausefalle und Tennisbällen. Heinz Haber, der „Fernseh-Professor“, war in den Sechziger- und Siebzigerjahren eines der bekanntesten Gesichter der deutschen Medienlandschaft. Mit verständlichen Wörtern, anschaulichen Experimenten und professoraler Haltung brachte der Physiker den Fernsehzuschauern in seiner Sendung „Was sucht der Mensch im Weltraum?“ komplexe Sachverhalte nahe. Die nukleare Kettenreaktion etwa erklärte er mit einer Mausefalle, die Tischtennisbälle verschießt. Haber gilt als Pionier des deutschsprachigen Wissenschaftsjournalismus. Bis dieser Zweig seiner Nische entwuchs, sollte es noch über zehn Jahre dauern. Erst in den Achtzigerjahren begann sich das Publikum durch die Technisierung des Alltags immer stärker für wissenschaftliche Themen zu interessieren, und die Berichterstattung über Technik und Naturwissenschaften wurde erheblich ausgedehnt. Vorreiter waren im deutschsprachigen Raum die Neue Zürcher Zeitung und die Frankfurter Allgemeine Zeitung.

Seitdem hat sich der Wissenschaftsjournalismus zu einem wichtigen Teil der Medienberichterstattung entwickelt. Doch das „verspätete Ressort“ steckt in einer tiefen Krise. Das behauptet zumindest der Schweizer Medienforscher Stephan Ruß-Mohl: Der wachsende Aktualitätsdruck des Internets und gesteuerte Information durch PR-Arbeit von Konzernen und Forschungseinrichtungen bedrohten den Wissenschaftsjournalismus in seiner Existenz, so sein alarmierendes Fazit. Ein Bericht der Wochenzeitung „Zeit“ zeichnet ein ähnlich düsteres Bild. Die Wissensressorts fielen Sparzwängen zum Opfer – mit fatalen Folgen: Redaktionen hingen immer stärker von den PR-Mitteilungen der Konzerne ab, weil den Wissensressorts Personal fehlte, um das Material kritisch zu sichten. Oftmals werde der teils sehr plakative Inhalt einfach dankbar übernommen, heißt es in dem Bericht. Unreflektierte Schlagzeilen wie „Durchbruch in der Krebsmedizin“ oder „Espresso ist gesund“ sind dann die Folge, obwohl die Krebs-Forschung an Mäusen noch nichts über die Wirkung beim Menschen aussagt und die Espressostudie von einem Kaffeehersteller beauftragt wurde.

Steckt der Wissenschaftsjournalismus in einer Existenzkrise? Werner Bartens nimmt solche Meldungen mit einem Schmunzeln zur Kenntnis. Der Arzt und leitende Redakteur im Wissenschaftsressort der Süddeutschen Zeitung sitzt in seinem geräumigen Büro, in dem kreatives Chaos herrscht: Auf dem Schreibtisch, dem Teppichboden und auf dem gelben Sofa stapeln sich Bücher und Zeitungsartikel in teils bedrohlicher Schräglage. Bartens, in Jeans und grauem Poloshirt, verschränkt die Arme vor der Brust und schüttelt den Kopf. Man solle nicht dramatisieren, sagt er.

Macht Sparzwang den Wissenschaftsjournalismus abhängig von PR?

Sicher müsse in vielen Redaktionen gespart werden. Doch mangelnde Sorgfalt hinge nicht mit fehlenden Kapazitäten zusammen, glaubt der Wissenschaftsjournalist. Seriösität und Unabhängigkeit hätten nichts mit Geld zu tun, sondern mit dem Berufsethos des Journalisten. „Kleine Zeitungen haben in der Regel keine eigenständigen Wissenschaftsressorts. Wenn dann der Redakteur fürs Vermischte plötzlich damit beauftragt wird, sich um Wissenschaftsthemen zu kümmern, dann liegt es in seiner Verantwortung, sich entsprechend fortzubilden.“ Dazu gebe es eine Vielzahl an Möglichkeiten. Bartens ist überzeugt: „Wenn jemand diese aufrechte Haltung hat, dann ist die nicht kostspielig umzusetzen.“ Studien differenziert und kritisch zu bewerten und fundiert einzuordnen sei nicht teurer und aufwendiger als PR-Artikel umzuschreiben. „Und es ist sicher befriedigender und sachdienlicher.“

Gerade im Online-Journalismus ist die Gefahr mangelnder Sorgfalt aber auch wegen des permanenten Aktualitätsdrucks groß. Wissenschaftsjournalisten wie Werner Bartens werden damit oft konfrontiert, denn sie müssen cross – und multimedial arbeiten, also etwa auch Beiträge für den OnlineAuftritt verfassen. Ist der Aktualitätszwang nicht mit fundiertem, seriösem Wissenschaftsjournalismus, der Zeit braucht, unvereinbar? Bartens überlegt und lässt den Blick über seine überfüllte Pinnwand schweifen: Dort hängen Zeitungsartikel, Studien und Notizen. Ein Cover titelt in Großbuchstaben: „Print is not dead“. „Ja“, sagt der SZ-Redakteur dann bestimmt. „Und deswegen darf man sich erst gar nicht unter Druck setzen lassen.“ Reichweite und Schnelligkeit sollten nicht die Maximen sein, fügt er hinzu. Bartens ist sich sicher: Es ist sinnvoller und auf lange Sicht gewinnbringender, sich auf das Kerngeschäft eines Qualitätsmediums zu besinnen. „Der Leser wünscht sich gerade in Anbetracht der immer komplexer werdenden Welt eher die fundierte Erklärung von Zusammenhängen, verlässliche Einordnung und hintergründige Stücke als die schnelle, oberflächli
che Nachricht.“ Das müsse dann auch jeder (Wissens-)Redakteur immer wieder souverän deutlich machen, rät Bartens. „Wenn ein Artikel erst um drei statt um eins fertig ist, dann ist das eben so.“

Ein Problem sei jedoch, dass immer wieder wissenschaftliche Studien etwa in der Rubrik „Vermischtes“ kurz vermeldet würden, obwohl sie nicht immer von höchster Güte und besonderer Aussagekraft seien, sagt Bartens. „Da wird dann eine Studie als Lückenfüller genutzt, weil man noch dringend eine kurze Meldung gebraucht hat, und nimmt dann leichtfertig eine, die besonders plakativ klingt, – ohne näher hinzusehen.“ In solchen Fällen müsse man häufig noch strenger selektieren und sich vor boulevardesker Zuspitzung hüten, räumt der Journalist ein.

Bartens: Seriöses und unterhaltsames Schreiben sind keine Gegensätze

Eine schleichende Boulevardisierung im Wissenschaftsjournalismus kritisiert jedoch unter anderem die FAZ-Journalistin Sybille Anderl in einem Blogbeitrag. Oftmals folge man nur noch der Aufmerksamkeitsökonomie, wirft sie ihrer Zunft vor. Ein Dilemma, in dem sich insbesondere Wissenschaftsjournalisten sehr häufig wiederfinden, denn sie müssen ihre komplexen Themen journalistisch aufbereiten, also immer auch die Bedürfnisse und Erwartungen der Leser berücksichtigen. Die Texte sollen einerseits fachlich korrekt und andererseits verständlich, anschaulich – und unterhaltsam sein. Der Wissenschaftsjournalist findet sich in einem Spannungsfeld zwischen sachlicher Darstellung und populärer Präsentation wieder, zwischen den Polen „du sollst nicht schaden“ und „du sollst nicht langweilen“.

Werner Bartens sieht das anders. Unterhaltsam, mit einem Augenzwinkern, zugleich aber journalistisch anspruchsvoll und seriös informierend zu schreiben – das schließe sich nicht aus. Der Journalist müsse die richtige Balance finden. Ziel sei immer, die ohnehin schon nüchtern-sachliche Darstellung in Fachartikeln in eine journalistische Form zu bringen. „Der Text darf durchaus mit Leidenschaft und schreiberischer Eleganz verfasst sein – man kann auch sehr betörend über Wissenschaft schreiben“, sagt der Redakteur und grinst. Aber steigt dann nicht doch das Risiko, dass man vor lauter Leidenschaft überspitzt und sich zu stark von den Fakten entfernt? „Nein“, erwidert Bartens sofort. „An Artikeln herumzufeilen hat nicht zwangsläufig mit überspitzen zu tun, sondern damit, noch treffendere Ausdrücke, noch anschaulichere Vergleiche und Bilder zu finden.“ Man müsse dabei nicht übertreiben oder zwanghaft witzig sein. Außerdem redigierten Kollegen die Texte immer noch einmal, „und können, falls nötig, den Kollegen wieder auf den Teppich holen.“ Es sei
„kein Dilemma, sondern eher eine Gratwanderung.“ Das weiß Werner Bartens aus eigener Erfahrung.

Grenze zur Übertreibung oft fließend

Als Autor zahlreicher populärer Sachbücher ist er auch immer wieder in Talkshows zu Gast. Bei „Markus Lanz“ führte er vor fünf Jahren aus, dass Frauen abhängig von ihrem Zyklus zwei verschiedene Typen von Männern bevorzugten. Während des Eisprungs liege der Fokus auf kantigen, muskulösen Männern, so Bartens, die tendenziell die aufregenderen Liebhaber seien, sich dann aber wieder schnell aus dem Staub machten. Während der unfruchtbaren Phase favorisierten Frauen eher die „sanften und verständnisvollen Apfelkistenträger“, die eher länger blieben und sich um den Nachwuchs kümmerten.

Angesichts dieser plakativen Aussagen könnte man dem SZ-Redakteur nun vorwerfen, dass er bei der Gratwanderung die Grenze zur Zuspitzung und Vereinfachung selbst überschritten hat. Werner Bartens aber findet: „Vom Kern her ist das absolut richtig. Das ist keine Einzelthese, sondern wurde bereits hochkarätig von Nature Science geprüft. Wenn ich das dann so plastisch darstelle, dann dient das der Veranschaulichung und ist eher bildhaft als überspitzend gemeint.“ Außerdem sei das Medium entscheidend; in Talkshows und Sachbüchern sei eben eine andere Ansprache erforderlich.

Neues Rollenverständnis nötig

Egal, ob in seinen Sachbüchern oder Artikeln – immer wieder prangert Werner Bartens darin Missstände im Gesundheitssystem an: sinnlose Untersuchungen, falsche Versprechungen oder die Bevormundung des Patienten. Ein Mahner zu sein, der Fehlentwicklungen deutlich macht, so versteht der SZ-Redakteur seine Rolle als Wissenschaftsjournalist. Laut einer Studie des Münsteraner Kommunikationswissenschaftlers Bernd Blöbaum ist er damit noch in der Minderheit. Viele Wissenschaftsjournalisten sehen sich nach wie vor zumeist als neutrale Vermittler von Informationen. Untergeordnet seien andere Rollen wie die, Rat zu geben und zu unterhalten. Und mit weitem Abstand folgt die Kritik- und Kontrollfunktion.

Das müsse sich ändern, fordert Werner Bartens. Gerade in einer Zeit, in der PR-Abteilungen von Instituten und Konzernen Forschungsergebnisse selbst der Öffentlichkeit vermitteln, reicht es nicht mehr, nur der Übersetzer von Wissen zu sein. Pressemitteilungen etwa von Pharmakonzernen sind meist einseitig und voller Übertreibungen und Zuspitzungen. Der Publikationsdruck in der Wissenschaft macht es nicht leichter. Ein Forscher wird noch immer an der Anzahl seiner Publikationen gemessen. Die Folge: eine Flut wissenschaftlicher Werke, allein in der Astrophysik sind es 50 bis 100 neue Forschungsberichte – jeden Tag. Eine Studie des Max-Planck-Instituts in München und der ETH Zürich zeigt, dass sich der wissenschaftliche Output alle neun Jahre sogar verdoppelt. Was der Leser nun braucht, ist Orientierung.

Verlässliche Erklärung und Einordnung in unübersichtlicher Zeit

Aufgabe des Wissenschaftsjournalisten muss es sein, zu versachlichen und die Flut an Forschungsergebnissen zu sortieren und differenziert zu interpretieren. Ist das neue Medikament oder der neue Therapieansatz wirklich ein Fortschritt und bisherigen Behandlungskonzepten überlegen? Welche Patienten haben einen Nutzen davon? Wie valide ist die Studie? Welche Interessen stehen dahinter?

Die komplexe Welt der Wissenschaft in einfachen Worten zu erklären, so wie es „Fernseh-Professor“ Heinz Haber einst mit Tennisball und Mausefalle tat, bleibt zwar ein Kerngeschäft des Wissenschaftsjournalisten. Aber sicher ist für Werner Bartens auch: Diese Informationen fundiert einzuordnen und kritisch zu bewerten wird immer wichtiger. „Nur Wissen zu vermitteln reicht nicht mehr.“

Podcast: Hannah & Julian
im Interview mit Werner Bartens