Künstlerische Freiheit auf harter Probe
von Valerie Heck
So schnell wird aus einer filmischen Satire gefährlicher Ernst: Die von Seth Rogen und Evan Goldberg produzierte politische Komödie „The Interview“ sollte das nordkoreanische Regime und vor allen Dingen den Diktator Kim Jong Un auf den Arm nehmen – doch die negative Darstellung des Staatsoberhaupts wurde von Nordkorea als Terrorakt und Kriegshandlung deklariert. Der Filmstart musste bereits von Oktober auf Dezember verschoben werden, um besonders prekäre Darstellungen von Kim Jong Un herauszuschneiden. Nach massiven Angriffen einer Hacker-Gruppe mit dem Namen „Guardians of Peace“ auf das Betriebssystem des Filmstudios Sony Pictures Entertainment und Androhungen von Terroranschlägen auf die in New York geplante Premiere wollte Sony Pictures Entertainment den Filmstart ganz absagen. Doch nach scharfer Kritik von Präsident Barack Obama hat das Filmstudio den Film nun doch in die Kinos gebracht.
Die Macht des Kinos
Der Film „The Interview“ handelt von einem Starjournalisten und einem Produzenten, die sich ein Interview mit dem Nordkorea Führer Kim Jong Un sichern und dann durch die CIA beauftragt werden, ihn zu töten. Gespielt werden die beiden Protagonisten von den Hollywoodschauspielern James Franco und Seth Rogen.
Mit der besonders negativen Präsentation des nordkoreanischen Staatsoberhaupts, dessen Namen sogar unverändert blieb und Filmzitaten wie „Kim muss sterben“ und „Ich möchte sehr gerne Kim Jong Un töten“, sorgte der Streifen für viel Aufregung. Nachdem die Veröffentlichung des Films im Dezember beinahe das zweite Mal in diesem Jahr verhindert wurde, wird die Auseinandersetzung um „The Interview“ jetzt sogar auf höchster politischer Ebene ausgetragen: Barack Obama und Kim Jong Un sprechen von Cyberwar, Liste der Terrorstaaten und sogar von Bodenangriffen.
Wie aus einem Film politischer Ernst wurde
Nachdem der Filmstart von Oktober auf Dezember verschoben wurde, kam es im November zu einem massiven Hacker-Angriff auf das System von Sony Pictures Entertainment. Dabei wurden nicht nur 100 Terabyte an Daten kopiert, sondern auch Drohungen an die Mitarbeiter verschickt und ein Virenangriff zerstörte die Operationsfähigkeit des gesamten Sony-Rechnersystems für mehrere Tage.
Als am 16. Dezember die Hackergruppe „Guardians of Peace“ auf einer Website mit Angriffen auf Besucher der Filmpremiere von „The Interview“ in New York drohte und sie ihre Pläne mit den Terroranschlägen vom 11. September verglichen, sah Sony keine andere Möglichkeit, als die New Yorker Filmpremiere abzusagen. Damit erreichte der internationale Cyberterrorismus eine ganz neue Stufe: Ein Filmstudio ließ sich seine Geschäftspolitik von praktizierter und angedrohter Gewalt diktieren.
Steckt Nordkorea hinter dem Cyberwar?
Mit dem Sony-Kollaps verlor Amerika seinen ersten Cyberwar. Nachdem das nordkoreanische Regime bereits im Juni mit gnadenlosen Gegenmaßnahmen bei Veröffentlichung oder stillschweigender Billigung des Films von Seiten der US-amerikanischen Regierung drohte, geht man in den USA davon aus, dass Nordkorea etwas mit dem Hacker-Angriff zu tun hat. Kim Jong Un und seinem Regime weisen die Vorwürfe von sich und fordern die US-Regierung sogar zu gemeinsamen Ermittlungen auf, um ihre Unschuld zu beweisen.
Beweise für die nordkoreanische Beteiligung an den Angriffen haben die USA zwar nicht, dennoch löste die Cyber-Attacke heftige Spannungen und einen Krieg der Worte zwischen den beiden Ländern aus. Barack Obama droht mit Konsequenzen und möchte das Regime von Kim Jong Un wieder auf die Liste der Terrorstaaten aufnehmen. Außerdem bemühen sich die USA um eine internationale Reaktion auf die Attacke und dafür haben sie sogar Nordkoreas engsten Verbündeten China konsultiert. Daraufhin verschärfte das nordkoreanische Regime seinen Ton gegenüber dem amerikanischen Staat. Die nationale Verteidigungskommission von Nordkorea warnte vor harten Gegenaktionen, die sich offen gegen das Weiße Haus, das Pentagon und das gesamte US-Festland richten. Auch von einer Konfrontation mit den USA in allen Kriegsbereichen einschließlich des Cyber-Kriegsraums war die Rede.
Ein Zeichen für die Kunstfreiheit?
Doch die Cyber-Attacke stellt nicht nur einen Angriff auf die amerikanische Politik, sondern auch einen Angriff auf die künstlerische Freiheit dar. Die Hacker-Gruppe schaffte es, Sony zu unterdrücken und einen Filmstart beinahe zu verhindern. Der US-amerikanische Präsident kritisierte die Entscheidung des Filmstudios. Er sagte dazu, dass er nicht in einer Gesellschaft leben könne, in der „irgendein“ Diktator Zensur in Amerika betreiben könne.
Die scharfe Kritik des Präsidenten nahm sich Sony Pictures Entertainment wohl zu Herzen. Nachdem sie zunächst zwar versicherten, dass der Film verbreitet werden solle, der Zeitpunkt aber noch nicht bekannt war, hat das Filmstudio jetzt eine Kehrtwende vollzogen. Wider Erwarten wurde „The Interview“ am 25. Dezember in mehr als 300 amerikanischen Kinos gezeigt. Auch auf der Onlineplattform YouTube, bei Google Play und bei Xbox Video von Microsoft wurde der Film für das amerikanische Publikum veröffentlicht.
Ein klares Zeichen für die Kunst- und Meinungsfreiheit wurde mit der Veröffentlichung von „The Interview“ trotz massiver Angriffe und Drohungen gesetzt. Die Frage wie hoch der Preis dafür sein wird, bleibt noch offen. Denn auch aus politischer Sicht hat das Drängen des Präsidenten zur Veröffentlichung von „The Interview“ Konsequenzen. Der nordkoreanische Verteidigungsrat sagt, dass Obama sich „rücksichtslos wie ein Affe im Urwald“ verhalten habe. Auch eine weitere Drohung wurde ausgesprochen: Wenn Washington weiter an seinem arroganten und verbrecherischen Kurs festhalte, würde die nordkoreanische Regierung der gescheiterten Politik mit unentrinnbaren tödlichen Schlägen begegnen.
Dass eine Hollywood-Satire wie „The Interview“ eine so ernste und bedrohliche Diskussion zwischen zwei Staaten auslösen kann, zeigt, dass selbst Kunst heute nicht mehr vor der politischen Realität sicher ist. Auch wenn ein erstes Zeichen von Seiten der USA gesetzt wurde, scheint, wenn Zensur von einem anderen Land und sogar Krieg die Folge von künstlerischem Schaffen sein können, die Kunst- und Meinungsfreiheit ernsthaft bedroht zu sein.
Foto: flickr.com/Barack Obama (CC BY-NC-SA 2.0), flickr.com/Zennie Abraham (CC BY-ND 2.0)