Filmkritik: Tomorrow – die Welt ist voller Lösungen
von Sonja Sartor
Als Mélanie Laurent 2012 die Studie „Approaching a state shift in Earth’s biosphere” liest, ist die Schauspielerin geschockt. Die Autoren Anthony Barnosky und Elizabeth Hadly prognostizieren darin den Zusammenbruch der Zivilisation in den nächsten 40 Jahren. Laurent ist zu dem Zeitpunkt schwanger und die Vorhersage nimmt sie so mit, dass sie „den ganzen Tag weint“, sie ist verzweifelt. Soll ihr Kind das Ende des Ökosystems dieses Planeten miterleben? Ist es schon zu spät zu handeln?
Anstatt aufzugeben und sich dem Schicksal zu ergeben, fasst Laurent zusammen mit dem befreundeten Umweltaktivisten Cyril Dion einen Beschluss: Sie werden einen Film drehen. Aber nicht einen Film wie Dutzende davor, der ein Horrorszenario nach dem anderen durchspielt, sondern einen, der zeigt: Die Welt ist voller Lösungen.
Wie man mal kurz die Welt retten kann
Das französische Filmteam um Dion und Laurent beginnt mit seiner Reise um die Welt und das Publikum taucht in das erste Kapitel ein: Die Landwirtschaft. Während die Anbauflächen immer weniger werden, nimmt die Weltbevölkerung stetig zu. Es werden die Fragen aufgeworfen: Welche innovativen Anbaumöglichkeiten in Stadt und Land gibt es? Wie kann man verhindern, dass riesige Agrarkonzerne die Kleinbauern in den Ruin treiben?
Den ersten Stopp machen Laurent und Dion im Norden ihres Heimatlandes und entdecken eine Gemüsefarm, die sich dem Zwischenfruchtanbau sowie der Permakultur verschrieben hat. Die Besitzer der Farm, Perrine und Charles Hervé-Gruyer, zeigen stolz ihren unübersichtlichen, aber charmanten Bio-Irrgarten irgendwo im Nirgendwo. Die Pflanzen werden auf begrenztem Raum angepflanzt, das Basilikum wächst unter der Tomate. Pestizide brauchen die Bauern nicht, denn der intensive Geruch des Basilikums hält Ungeziefer von allein fern.
6000 Kilometer Luftlinie entfernt ist das Ausmaß der industriellen sowie landwirtschaftlichen Monokultur nicht zu übersehen. Verlassene Wohnhäuser, leergefegte Kirchen und verfallene Fabrikgelände prägen das Stadtbild vieler Viertel im amerikanischen Detroit. Die Blütezeit der einstigen Autometropole ist vorbei, Firmen wanderten ab, die Zahl der Arbeitslosen stieg und Supermarktketten verschwanden aus der Stadt. Zugang zu gesunder Nahrung? Fehlanzeige. Aber Detroit hat eine kluge Lösung gefunden, mit der die 700.000-Einwohnerstadt die Lebensmittelversorgung seiner Bewohner gewährleisten kann. Das Stichwort heißt „Urban Gardening“. Brachland mitten in der Stadt wird in Gemüsegärten umgewandelt. Arbeitslose finden so eine Beschäftigung und die Detroiter haben Zugang zu lokalen und gesunden Produkten.
In England finden Laurent und Dion einen Ansatz, der auch in einigen deutschen Städten angewendet wird. In dem kleinen Städtchen Totnes kann man statt in britischen Pfund auch in „Totnes Pound“ zahlen. Die Lokalwährung unterstützt die hiesigen Geschäfte. Laut den Filmemachern könnte auch in Griechenland eine regionale Währung der Schlüssel zum Erfolg sein, da erwirtschaftete Gelder in der heimischen Wirtschaft blieben und nicht in den internationalen Geldkreislauf zurückfließen würden.
Beim Thema Energie beeindruckt Island mit seiner Fortschrittlichkeit. Die Insel profitiert von seinen Geysiren, Vulkanen und heißen Quellen und versorgt mittlerweile 90 Prozent der Haushalte über Wasserdampf mit Wärme. Lösungen über Lösungen – die Welt ist voll davon.
Eine Botschaft, die alle betrifft – nicht nur Ökos
Der 118-minütige Dokumentarfilm, der bereits mit einem César ausgezeichnet wurde, setzt neue Maßstäbe. Er wühlt nicht in den unzähligen Problemen, die der Klimawandel mit sich bringt, sondern liefert konkrete und inspirierende Lösungsansätze. Nicht alle Lösungen hauen den deutschen Zuschauer vom Hocker, darunter das ambitionierte Zero-Waste-Projekt aus San Francisco, bei dem Müll vorbildlich getrennt wird. Dennoch sind solche Projekte ein Hoffnungsschimmer, der zeigt, dass auch anderen Ländern bewusst wird, dass Ressourcen kostbar sind und Wiederverwertung ein notwendiger Schritt ist. Außerdem reibt der Film dem Zuschauer nicht belehrend unter die Nase, was er im Moment alles Schlechtes tut, sondern verbreitet von Beginn an eine positive Grundstimmung. Trotz der ernsten Thematik gibt es immer wieder Momente, in denen man lacht, schmunzelt und staunt.
Besonders angenehm ist, wie sehr sich das Filmteam zurücknimmt. Selten sind die Kameraleute und die beiden Regisseure Dion und Laurent im Bild. Sie betonen damit, was wirklich zählt. Denn „Tomorrow – Die Welt ist voller Lösungen“ lebt vor allem von den Personen, die nicht zuschauen, sondern handeln. Und das mit vollem Einsatz und voller Begeisterung für ihr Projekt. Wenn der französische Geschäftsführer einer Briefumschlagfabrik dem Zuschauer erklärt, wie er und seine Mitarbeiter es schaffen, eine umweltfreundliche und nachhaltige Produktion auf die Beine zu stellen, bei der immer weniger Ressourcen verbraucht und in einen ausgeklügelten Kreislauf eingespeist werden, kommt man aus dem Staunen nicht mehr heraus. Gern hätte man mehr davon.
Mélanie Laurent trifft auf den Punkt, was die interviewten Aktivisten auszeichnet: „Die Personen in unserem Film haben nicht darauf gewartet, bis etwas von oben kommt. Sie handeln, da wo sie können. Punkt.“ Schon während man den Film anschaut, beginnt man sich selbst zu fragen, was man im Alltag anders und besser machen könnte. Sollten wir das Auto nicht öfter mal stehen lassen? Und vielleicht auf dem Markt einkaufen anstatt beim Discounter? Eines lehrt der Film auf eindrucksvolle Weise: Man muss im Kleinen anfangen, damit man Großes bewegen kann.
Fotos: Tomorrow-derfilm.de
Weitere Artikel dieser Reihe:
Wenn Leid zu Glück wird – Der Eurovision Song Contest 2016
Die Crème de la Crème des Autorenkinos