Das Serienhäppchen für zwischendurch

Von Philipp Mang

Fans transmedialer Franchises kommen aktuell voll auf ihre Kosten. Im Netz werden die leidenschaftlichen Anhänger immer öfter mit digitalen Extras überhäuft. So auch im Fall von The Walking Dead: Um die Wartezeit zwischen den ersten beiden TV-Staffeln zu verkürzen, entschied sich der verantwortliche Kabelsender AMC im Jahr 2011 erstmals, eine Reihe so genannter Webisodes zu produzieren. Unter dem Titel Torn Apart wurde schließlich eine eigenständige Mini-Serie geschaffen, die ausschließlich über die Webseite des Senders abrufbar war. Für die Regie des knapp 20 minütigen Erzählstücks zeigte sich dabei kein geringerer als Greg Nicotero, der Special-Effects-Experte der Mutterserie, verantwortlich.

Wer ist das Bycicle Girl?

1_Daniel SemInhaltlich knüpft die sechsteilige Reihe dabei an ein Ereignis aus der TV-Pilotfolge an. Hier wird Rick in seinem Heimatort King County wie aus dem Nichts von einer Beißerin ohne Unterleib angegriffen, als er auf der Suche nach seiner Familie ein am Boden liegendes Fahrrad aufheben möchte. In einer emotionalen Szene setzt er dem Monster später den Gnadenschuss. Torn Apart erzählt nun gewissermaßen die Vorgeschichte dieser faszinierenden Figur, die in Fankreisen als so genanntes Bycicle Girl bekannt ist. Ähnlich wie der Deputy wird auch Hannah zu Beginn der Webserie vollkommen abrupt mit der neuen Welt konfrontiert, als sie am Steuer ihres Unfallwagens zu sich kommt. Auf der Stirn der blonden Frau klafft eine Platzwunde. Im Hintergrund dröhnt eine Alarmanlage. Und die Kinder sind spurlos vom Rücksitz verschwunden. Der Zuschauer begleitet die Protagonistin fortan auf der Suche nach ihrer Familie – bis zu der Stelle, an der sie sich für das Leben ihrer Söhne opfert und schließlich von Rick erlöst wird.

Eine spannende Inszenierung …

Inszeniert ist dieses Web-Prequel derart schnell und hektisch, dass man als TV-Zuschauer leicht den Überblick verlieren kann. So beinhaltet praktisch jede Einstellung der ohnehin nur rund dreiminütigen Episoden eine für den Plot entscheidende Wendung. Damit wird eine höchstmögliche Dichte innerhalb der Narration erreicht. Diese ist angesichts der Schnelllebigkeit des Mediums von den Produzenten aber durchaus beabsichtigt. Für gewöhnlich verbringt ein Internetuser nämlich nur wenige Minuten auf einer Homepage. Nirgendwo sonst ist das Angebot konkurrierender Unterhaltungsangebote außerdem größer. Torn Apart versucht deshalb bewusst, die Spannungskurve hoch zu halten. Während die TV-Serie ihren Handlungssträngen und Figuren stellenweise fast schon zu viel Raum zur Entfaltung gönnt, lässt das Netz-Pendant den Zuschauer kaum zu Atem kommen. Schnelle Schnittfrequenzen, dramatische Musik und der Einsatz effektvoller Hintergrundgeräusche (u.a. Pulsschläge) sorgen hier für ein kontinuierliches Suspense-Gefühl.

… mit qualitativen Mängeln

Dadurch wird jedoch die Ausarbeitung der Figuren zum Teil sträflich vernachlässigt. Tatsächlich bleiben viele der Charaktere, mit Ausnahme von Hannah, auch nach Ablauf der Sendezeit nicht viel mehr als blutleere, austauschbare Hüllen. Dies macht es schwierig als Zuschauer eine echte Beziehung zu ihnen aufzubauen. Und auch sonst offenbart die Mini-Serie teils deutliche Qualitätsunterschiede zum Mutter-Format. So wurde ein Großteil der Szenen beispielsweise ausschließlich in geschlossenen Räumen gedreht. Apokalyptische Landschaftstotalen oder riesige Zombieherden sucht man in Torn Apart damit praktisch vergebens. Diese Tatsache ist vor allem dem deutlich geringeren Produktionsbudget geschuldet.

Der Reiz der Webserie

Trotz dieser qualitativen Mängel entfaltet die Webserie aber praktisch von der ersten Sekunde an eine fast unheimliche Sogwirkung. Und das obwohl Torn Apart nicht einmal mit einem so genannten Origami Unicorn – also einem überraschenden Plot-Twist, der die gesamte Lesart umkrempelt – aufwarten kann. Worin besteht also der besondere Reiz des Formats? Nun zunächst einmal lässt sich die Faszination zu einem großen Teil durch die Protagonistin selbst erklären. So hat das Bycicle Girl seinen Ursprung bereits in Kirkmans Comicreihe und avancierte dort als erster Zombie mit Leidensweg schnell zur Kultfigur. Darüber hinaus bietet die Webserie dem Zuschauer die einzigartige Möglichkeit, weitere Teile der dystopischen Welt von TWD außerhalb von Ricks Perspektive kennenzulernen. So bekommen Fans in Torn Apart etwa zum ersten Mal einen Einblick in die Frühphase der Zombieapokalypse – also in die Zeit, zu der sich Rick in der TV-Serie eigentlich noch im Koma befindet. Bezeichnenderweise wird jedoch auch hier keinerlei stichhaltige Erklärung über den Ursprung der Zombieapokalypse geliefert und damit eine erzähllogische Ungereimtheit verursacht. Stattdessen bekommt der Zuschauer lediglich die vage Verschwörungstheorie eines verwirrten Mannes zu hören, wonach Terroristen für das Chaos verantwortlich seien. Damit bleibt nicht nur eine zentrale narrative Leerstelle des Originals erhalten, sondern auch eine der wichtigsten Regeln des transmedialen Kosmos unverletzt.

Die Webapokalypse geht weiter

Es ist also keine Überraschung, dass in den folgenden Jahren sogar noch zwei weitere Webserien produziert wurden. Diese unterscheiden sich jedoch teils beträchtlich von ihrem Vorgänger. So zeichnen sich sowohl Cold Storage (2012) als auch The Oath (2013) durch ein deutlich entschleunigtes Erzähltempo aus. Hierfür wurde die Episodenanzahl nicht nur kontinuierlich auf drei herunter geschraubt sondern gleichzeitig die Laufzeit der einzelnen Folgen verlängert. Alles in allem ist es den Machern damit erstmals in der Evolution des Franchise gelungen, das transmediale Universum von TWD um eigenständige Geschichten zu erweitern. Diese können dem Zuschauer jederzeit als Einstiegspunkt in das Franchise dienen und schlagen gekonnt immer wieder erzählerische Brücken zum Mutter-Format.

Fotos: flickr.com/Digitas Photos (CC BY 2.0), flickr.com/Daniel Sempértegui (CC BY-NC-ND 2.0)


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