„Coffeeshop“: Multimediales Erzählen in der ‚Literatur‘

von Alexander Karl

Das ist der Literaturbranche bestimmt nicht Latte (Macchiato): Denn Coffeeshop von Gerlis Zillgens stellt einen Bruch mit den gängigen Buchkonventionen dar. Zunächst einmal ist es kein haptisches Buch, sondern eine E-Book-Serie mit 12 Episoden (wahlweise auch als Hörbuch oder als Read & Listen Version verfügbar). Darin erlebt die Sachensucherin Sandra die unterschiedlichsten Abenteuer mit ihren drei besten Freunden, deren zentraler Treffpunkt der „Coffeeshop“ ist, das Café ihres schwulen Freundes Captain. Allein die Episodenhaftigkeit und somit die strukturelle Anlehnung an TV-Serien mag für den Literaturbetrieb ungewöhnlich sein. Dabei stellt dies aber nur Basis-Version der Erzählung dar. Denn die „Coffeeshop“-App sorgt für ein kunterbuntes Story-Erlebnis.

Multimediale App

Multimedial wird Coffeeshop vor allem durch die App, die es parallel zu den anderen Produkten gibt: Jede der 12 Episoden in der App besteht nicht nur aus geschriebener Handlung, sondern reichert sie multimedial an. Kurze Filme greifen Handlungselemente auf, führen sie aus und kommentieren sie. Comicsequenzen zeigen die Gedanken der Protagonistin Sandra. Zudem werden Gespräche mit ihrem Vater auf rein auditiver Ebene eingebunden. Hinzu kommen weitere Elemente, um weiter in das „Coffeeshop“-Universum einzutauchen: Die Tagesgerichte des Coffeeshops lassen sich mittels der abrufbaren Rezepte nachkochen und Steckbriefe fassen die Eigenheiten der Protagonisten zusammen. Eine weitere Perspektive auf die Handlung wird durch die jeweils zur Episode passenden Kolumnen von Captain geboten. Hinzu kommen ein Spiel sowie Musik- und Büchertipps der Protagonistin, wobei letztere ins Web ausgelagert sind. Zusätzlich kann man sich die Episoden auch vorlesen lassen.

All das, was sonst transmedial ist

Mit dieser App geht Coffeeshop weit über das hinaus, was der Literaturliebhaber alter Couleur kennt: Statt ‚nur‘ gedruckte Worte auf Papier zu liefern, schafft Coffeeshop ein multimediales Erlebnis, das weit über die eigentliche Buchlektüre hinausgeht und innerhalb einer App all das versammelt, was in TV-Serien sonst gerne transmedial ausgelagert wird. Etwa bei der Erfolgsserie Breaking Bad, die online mit den Blogs der Figuren Marie und Hank sowie Graphic Novel Games und einigen Minisoden aufwartet – wie Jason Mittell in seinem online vorab publizierten Buch Complex TV : The Poetics of Contemporary Television Storytelling beschreibt, dienen die transmedialen Erzählungen von Breaking Bad vor allem dazu, den (Neben-)Figuren zusätzliche Tiefe zu verleihen. Ähnliches lässt sich auch bei Coffeeshop mit der Kolumne von Captain feststellen, da die eigentlichen Episoden aus Sandras Ich-Perspektive erzählt werden. Und auch die kurzen Videos ermöglichen Kommentare der weiteren Hauptdarsteller und Nebenfiguren, etwa Sandras Eltern.

Doch wie neu ist dieses Vorgehen? „Coffeeshop ist ein multimediales Projekt, bei dem erstmals ein Verlag und eine Filmproduktionsfirma zusammenarbeiten und ihre Stärken in einer neuen Form des Storytellings verbinden“, heißt es in einer Presseinformation.

Mehr noch: Coffeeshop stellt ein Beispiel für Paradigmenwechsel der Buchwelt dar, die zusehends mit hochwertig produzierten (und komplexen) TV-Serien konkurrieren muss, die als Romane der Neuzeit gefeiert werden. Daher scheint es nur logisch, die Stärken der unterschiedlichen Medien zu vereinen und dadurch ein multimediales Gesamterlebnis zu schaffen.

 

„Coffeeshop“ von Gerlis Zillgens von Bastei Lübbe, hier die Übersicht der Produkte.

 

Cover: Copyright Bastei Lübbe

Hüttengaudi meets Big Brother

 von Selina Juliana Sauskojus

Der Horrorfilm The Cabin in the Woods sollte das Genre revolutionieren. Kommerziell gelang der Produktion in den Kinos zwar ein beachtlicher Erfolg, aber das vom Regisseur Drew Goddard vorgegebene Ziel, dem Genre den Spiegel vorzuhalten und dadurch stilbildend zu wirken, war wohl doch etwas zu hoch gegriffen.

Eine Teenagerin möchte sich einen schönen Filmabend zu Hause machen. Das Popcorn steht schon auf dem Herd  – da klingelt das Telefon. Eine dubiose Männerstimme am anderen Ende der Leitung möchte ein Horrorfilmquiz spielen. Sie spielt mit. Und verliert. Der Rest ist Kinogeschichte.

Die Einstiegsszene des Horrorfilms Scream aus dem Jahr 1996 hat mittlerweile beinahe Kultstatus erreicht. Dem Regisseur-Urgestein Wes Craven gelang mit diesem Slashermovie die Wiederauferstehung eines tot geglaubten Genres. Scream führte die Absurditäten des Horrorfilmes vor, parodierte die gängigen Strukturen und machte durch seinen Erfolg den Weg frei für Horrorproduktion aller Couleur, besonders aber dem Teenslasher.

2011 scheint die Kinolandschaft dasselbe Problem zu haben, wie vor 15 Jahren. Der geneigte Horrorfan wird mit so gut wie jedem neuen Film, der im Kino erscheint, herausgefordert. Nicht aber, weil sich das Genre in eine ganz vortreffliche Richtung entwickelt, sondern weil es eine Herausforderung ist, sich denselben Film in unterschiedlichen Variationen wieder und wieder anzusehen. The Cabin in the Woods aber versprach Neues. Dabei klingt die Handlung zunächst einmal alles andere als einfallsreich.

Teenies (fast) allein im Wald

Fünf Collegestudenten wollen ein paar Tage in einer einsamen Hütte mitten im Wald verbringen. Auf dem Weg dorthin werden sie von einem ruppigen Tankwart vor jener Hütte gewarnt – keiner der Vorbesitzer hätte es dort lange ausgehalten. Alle Warnungen in den Wind schießend, macht sich die Gruppe auf zu ihrem Ziel. Was sie nicht wissen: sie werden beobachtet von einer internationalen Organisation, die den Jugendlichen ein Wochenende der etwas anderen Art bescheren will. Genauer gesagt: keiner der fünf soll das hochtechnologisch abgeschirmte Areal jemals lebendig verlassen. Der Plan scheint aufzugehen. Die Protagonisten verhalten sich wie erwartet: die Blondine Jules spielt das Girlygirl, der Sportler Curt lässt den Macho raushängen, die prüde Dana ziert sich zu jeder möglichen Gelegenheit, der attraktive Gruppenintellektuelle Holden ist ganz Gentleman und der Kiffer Marty kifft und philosophiert am laufenden Band. Während des ungezwungenen Wahrheit oder Pflicht-Spieles am Abend entdeckt die Gruppe eine Luke zum Keller, der sogleich besichtigt wird. Die Jugendlichen finden allerlei Gegenstände: Spieluhren, Puppen, alte Schmuckstücke und ein Tagebuch aus dem Dana einen lateinischen Spruch vorliest. Daraufhin wühlt sich eine Schar Zombies aus der Erde um den fünfen das Leben nicht nur zu erschweren, sondern auch dramatisch zu verkürzen.

Tour de Force der Parodie

Wie bei Scream klingt der Plot nicht einfallsreicher als andere dieses Genres. Aber während bei diesem das Spiel mit der Konvention und deren Bruch zunächst nicht ganz offensichtlich ist, so wird dem Zuschauer bei Cabin in the Woods jedes erdenkliche Klischee vor Augen und anschließend ad absurdum geführt.

Wes Craven bediente sich derer noch dosiert. Ihm gelang das Kunststück aus einem reichen Fundus an gängigen Horrorfilmklischees zu schöpfen, ohne den eigenen Film und dessen Handlung aus den Augen zu verlieren. Daran scheitert  Drew Goddard allerdings kläglich. Der Film scheint von einem Seitenhieb zum nächsten zu hetzen. Zumindest vermag er es, von Zeit zu Zeit zu überraschen. Dass die Jugendlichen, nicht wissentlich, wählen können, welches Szenario ihnen bevorsteht, ist ein geschickter Kniff. Es hätten statt Zombies schließlich auch Vampire, Kettensägenmörder oder Wassermänner sein können, die der Gruppe den Garaus machen. Auch die Tatsache, dass alle Geschehnisse von einer Organisation inszeniert und auf eine beinahe abstruse Art manipuliert werden, bringt frischen Wind in den Film. Zumindest für eine gewisse Zeit. Der Film scheint schon fast vorbei, die Zombies haben ihren Job erledigt, im Überwachungsraum der Organisation knallen die Sektkorken. Dann steuert der Film unerwartet den nächsten Höhepunkt an. Dieser scheint zunächst auch seinen Sinn zu haben. Allerdings macht der Film an dieser Stelle einen qualitativen Schnitt. Bei der Beantwortung der Fragen, wer denn diese Organisation ist und warum sie tut, was sie tut, scheint jede Motivation der Drehbuchautoren, kreativ mit dem Material umzugehen, verflogen. Als wäre man eine Checkliste durchgegangen, wird nun jedes Element, das sich irgendwie in einen Horrorfilm einbauen lassen könnte, verheizt. Dass es noch zwei Überlebende gibt, die das Hauptquartier der Organisation finden und somit die Euphorie unter den Mitarbeiten dieser vorerst dämpfen, stellt an sich noch keinen Bruch dar. Allerdings wirkt die Armada an allen erdenklichen Ungetümen, Killern und Monstern, die nach der Befreiung durch Dana und Marty kurzen Prozess mit der Belegschaft macht, eher ungewollt komisch, als furchteinflößend. Die wenigsten werden bei einer Fledermaus das Stottern und Schwitzen beginnen – es sei denn, man ist Bruce Wayne. Dass eine solche ungruselige Fledermaus plötzlich ein Blutbad anrichten soll, kommt beim Zuschauer nicht wirklich an. Kreativ mag das Potpourri an alptraumwürdigen Wesen schon gar nicht wirken. Und wenn man sich als Zuschauer denkt, man könne nicht mehr Klischees auffahren, da legt Goddard erst richtig los. So stellt sich heraus, dass die ganze Inszenierung ein Ritual war, um unterirdisch lebende Götter mit einem jährlichen Opfer in Schach zu halten. Vom Gelingen dieser Unternehmung hängt nicht weniger ab als das Überleben der gesamten Menschheit. Als dann noch Sigourney Weaver als Leiterin der Organisation auftaucht, möchte man am liebsten die Hände vor dem Kopf zusammenschlagen und sich wünschen, dass der Film nach sechzig Minuten einfach zu Ende gewesen wäre.

Fazit

Drew Goddard hat sich mit The Cabin in the Woods zu viel vorgenommen. Es gelang ihm nicht konsequent, die richtige Mischung aus einem Film mit eigenständiger Handlung und einer bloßen Collage zu finden. Der Film amüsiert zeitweise, keine Frage. Er hat auch seine starken Momente, insbesondere in den ersten sechzig Minuten. Insgesamt wirkt der Film aber eher wie ein aufgezogenes Duracell-Häschen, das von einem parodierenden Moment zum nächsten hetzt. Weniger ist manchmal mehr, das wusste 1996 auch schon Wes Craven.

 

THE CABIN IN THE WOODS, USA 2011 – Regie: Drew Goddard. Buch: Joss Whedon, Drew Goddard. Kamera: Peter Deming. Mit: Kristen Connolly, Chris Hemsworth, Jesse Williams. 95 Minuten.

 

Szenebilder: Universum Film

Neues Fernsehen

von Lina Heitmann

HBO, Netflix, Amazon, Twitter – wie verändern sie Fernsehinhalte und unser Fernsehverhalten? Eine Untersuchung von der Entstehung neuer Qualitätsserien bis hin zur Bedeutung von Social Media.

Wie HBO & Co alte Serienstrukturen umwarfen

Im Tagesspiegel schreibt Bodo Mrozek, dass sich Serien verändert haben, weil die Charaktere menschlicher wurden – aber wie geschah das? Möglich wurde die Entwicklung, wie auch in dem Essay dargestellt, dadurch, dass die Handlung sich nun über eine oder mehrere Staffeln hinausziehen konnte. NBC gab vielleicht mit Hill Street Blues den Anstoß, aber möglich wurde die Revolutionierung der Fernsehinhalte durch die Premium-Kabel-Sender in den USA, die anfingen, selbst Serien zu drehen. HBO (The Sopranos, The Wire, Boardwalk Empire, Girls, Game of Thrones) und Showtime (Dexter, Californication, Weeds, Nurse Jackie, Homeland) sind weder an Werbeeinnahmen, noch an strenge FCC-Regeln gebunden, die Profanität verbieten. Vince Gilligan, der Erfinder der Erfolgsserie Breaking Bad deutet noch auf einen weiteren Vorteil hin: die Staffeln auf Kabelsendern sind 13 statt 24 Folgen lang. Nicht nur kann die Handlung dadurch viel straffer sein, die gewonnene Zeit kann für genaueste Konzeption und Vorproduktion genutzt werden; die Showmacher können sich für eine Folge viel mehr Zeit nehmen.

Im Buch The Revolution Was Televised beschreibt TV-Kritiker Alan Sepinwall anhand von Interviews mit den Qualitäts-TV-Machern die Ursprünge dieser Serien, denen bis dahin unvorstellbare kreative Freiheiten gegeben wurden. Auf HBO also durfte experimentierfreudig geschrieben werden. Zwar ist es schwierig, bei Serien mit einer einer staffelübergreifenden Handlung nach dem Beginn der Serie neue Zuschauer zu gewinnen. Man betrachte nur einmal The Wire, wo ein Einstieg in der Mitte nahezu unmöglich ist. Andererseit sind die bei HBO entstandenen Serien das beste Beispiel dafür, dass ein solcher Aufbau dennoch nachhaltig sein kann – zum Beispiel durch den Verkauf von DVDs. Bald entstanden auch bei Basic-Kabel-Sendern wie AMC und FX weitere Qualitätsserien wie Mad Men, Breaking Bad und Louie. Natürlich gab es auch auf Broadcast-Network Serien, die kreative Freiheiten zeigten, doch diese Ausnahmen waren eher weniger erfolgreiche Serien, die den Chefs wohl eher egal waren. Beispiele dafür sind Freaks and Geeks, Friday Night Lights und Arrested Development.

Die zweite Revolution: Amazon, Netflix und Social Media

Heute sind wir schon inmitten einer zweiten TV-Revolution. Diese haben wir, wie die erste, neuen Content-Anbietern zu verdanken. Diesmal sind es nicht HBO und andere Fernsehkanäle, sondern Streaming-Videotheken, die die Fernsehlandschaft verändern. Netflix, eine Online-Videothek für Abonnenten (wie hier z. B. Watchever), und Amazon drehen nun eigene Serien. Der Internetriese Amazon geht nun auf Nutzer direkt zu und lässt sie abstimmen, welche der von ihm gedrehten Pilote als Serien weiterverfolgt werden sollten. Netflix seinerseits hat mit House of Cards mit großem Erfolg die erste eigene Serie herausgebracht (ein Remake der britischen Serie gleichen Namens). Zur Erstellung hat Netflix gesammelte Daten über die Rezeptionsgewohnheiten seiner 29 Millionen Nutzer erfasst  und untersucht. Es ergab sich, dass die Zielgruppe politische Dramas, Kevin Spacey und David Fincher mag. Aus genau diesen Puzzleteilen wurde dann eine Serie gemacht – voilà, House of Cards! Die sehr genauen Vorgaben, die sich aus der Analyse von Nutzerverhalten ergeben, haben in diesem Fall zu einem Erfolg geführt. Die Einschränkungen, die sich aus dieser Arbeitsweise ergeben, stehen aber in starkem Kontrast zu der kreativen Freiheit, die den Machern von Vorreiterserien wie The Sopranos, The Wire und Mad Men gegeben wurde – die übrigens alle nicht von bereits bekannten Stars leb(t)en.

Die Online-Videothek Netflix belebte nun die Kultserie Arrested Development neu, die nie den großen Erfolg hatte, dafür aber immer sehr vokale, loyale und im Internet aktive Fans. Netflix ist nicht an Quoten gebunden, aber der Anbieter weiß genau, welche Nutzer welche Filme oder Serien ansehen. Er empfiehlt deshalb darauf basierend weitere Angebote. Die Kategorien können so banal sein wie „Komödien“ und so spezifisch wie „Dramas, die auf zeitgenössischer Literatur basieren”.

Bisher wird die Präsenz von Serien in sozialen Netzwerken nicht über Quoten erfasst. Trotzdem gewinnen die virtuellen Treffpunkte auch für das Film-und Fernseh Business an Bedeutung – beispielsweise durch das Live-Tweeten von Sendungen. Die traditionellen Quoten verlieren dabei immer mehr an Bedeutung. Es wird zunehmend deutlich, dass traditionelle Quoten kaum akkurat darüber Auskunft geben, wie viele Zuschauer eine Sendung tatsächlich hat. Erst seit Kurzem gibt es die +7 Version der Ratings, die auch die DVR-Rezipienten innerhalb von einer Woche zählt. Mediatheken werden gar nicht gezählt. Wired schreibt schon pointiert: „The Nielsen Family is Dead“. (Die Nielsen Ratings sind in den USA die Fernsehquotenzahlen, vergleichbar mit der GfK in Deutschland.) Die Sender aber verlassen sich immer noch stark auf Quoten, um Programmentscheidungen zu treffen. Außerdem hängen TV-Quoten und das Engagement der Fans beispielswise auf Twitter miteinander zusammen: so auch bei Scandal, dem White House Drama von Shonda Rhymes (Grey’s Anatomy, Private Practice), welches mit acht Millionen Zuschauern pro Woche die besten Quoten eines Dramas in seinem Zeitfenster hat. Während den Ausstrahlungen kommen mehr als 190.000 Tweets zusammen. Das Live-Tweeting trägt dazu bei, dass mehr Zuschauer die Folgen live sehen, um sogenannte “Spoiler” zu vermeiden. So wird TV wieder zu einem gemeinsamen Erlebnis.

 

Fotos: flickr/perspective (CC BY-SA 2.0), flickr/mo (CC BY-SA 2.0)

Kubricks ‚Stieffilm‘ „Spartacus“

von Ralf Michael Fischer

veröffentlicht im Projektstudium von Selina Juliana Sauskojus 

Eigentlich könnten all jene Verehrer Stanley Kubricks richtig liegen, die „Spartacus“ demonstrativ ignorieren. Immerhin verbannte der ‚Meister‘ höchstpersönlich seinen einzigen ‚richtigen‘ Hollywood-Film rückwirkend aus dem Oeuvrekatalog – zu unrealistisch und dazu noch ein Auftragswerk, so das Urteil des Regisseurs.

In der Tat nimmt es das Drehbuch mit den historischen Fakten des Sklavenaufstandes zwischen 73 und 71 v. Chr. im Römischen Reich nicht sonderlich genau. Mehr als drei Stunden führt uns das aufwendige Historienspektakel mit prächtigen 70-mm-Bildern vor Augen, wie der ungebildete Sklave Spartacus, gespielt vom Produzenten Kirk Douglas, zunächst in der römischen Provinz zum Gladiator ausgebildet wird, um schließlich zum charismatischen Freiheitskämpfer an der Spitze einer riesigen Sklavenarmee zu avancieren. Nur eine hinterlistige und unnötige Intrige des römischen Feldherrn Marcus Licinius Crassus (Laurence Olivier) verhindert den Massenexodus aus dem Reich. Die Aufständischen müssen umkehren und werden beim erzwungenen Marsch auf Rom erwartungsgemäß besiegt. Crassus‘ Triumph bleibt nicht ohne Wermutstropfen, denn die Überlebenden wollen Spartacus nicht ausliefern und nehmen es deshalb hin, entlang der Via Appia gekreuzigt zu werden.

 

Pseudo-historische Schwarz-Weiß-Malerei

Einfache Gegensätze dominieren die Handlung: Die Römer sind zwieträchtig, dekadent und diktatorisch, die Sklaven hingegen solidarisch, freiheitsliebend, naturverbunden und unverbildet. Typisch für Hollywood ist die Reduktion historischer Prozesse auf individuelle Konflikte, in unserem Fall ist es der unerbittliche Hass, der den von Ehrgeiz zerfressenen Crassus gegen Spartacus antreibt. Indem er den Gladiatorenführer vor dessen Kreuzigung demütigt, entwertet er seinen eigenen Sieg auf dem Feld in eine moralische Niederlage.

Letztlich ist allerdings eine Dreiecksgeschichte der Motor des Films. Als Katalysator fungiert, natürlich, eine Frau, denn Crassus und Spartacus konkurrieren beide um die Sklavin Varinia (Jean Simmons). Der Protagonist zettelt seinen Aufstand an, weil sie verkauft werden soll, und der Römer kann es nicht ertragen, dass er ihre Liebe nicht für sich erobern kann. Noch während der Entscheidungsschlacht bringt Varinia Spartacus‘ Sohn zur Welt, und sie wird mit diesem am Ende aus Rom fliehen, damit er das Erbe des Vaters in die Welt hinausträgt.

 

Aus der Reihe

„Spartacus“ wurde 1959 gedreht, 1960 uraufgeführt und hat mit Kubricks ersten vier Spielfilmen reichlich wenig gemeinsam; weder mit der pessimistischen Analyse des militärischen Räderwerks in „Paths of Glory“ („Wege zum Ruhm“, 1957) noch mit „Dr. Strangelove, or: How I Learned to Stop Worrying and Love the Bomb“ („Dr. Seltsam, oder wie ich lernte, die Bombe zu lieben“, 1963–64), der den Wahnsinn des Kalten Krieges als Atomkriegssatire auf den Punkt brachte. Und Kubricks bewusst vieldeutige ‚reife‘ Filme ab „2001: A Space Odyssey“ („2001: Odyssee im Weltraum“,1964¬–68) sind Welten von „Spartacus“ entfernt. Kein Kenner würde ihn jedoch aus der Liste der wichtigsten Historienfilme streichen, und das sollte trotz aller Vorbehalte nachdenklich stimmen.

Jenseits der zahllosen Konflikte zwischen Kubrick und dem Produzenten Kirk Douglas gibt es nämlich Bemerkenswertes zu entdecken, auch in formaler Hinsicht. Außergewöhnlich ist etwa die Parallelmontage von zwei zeitlich versetzten Reden, in denen einerseits Spartacus seine Anhänger zum Marsch gegen Rom aufruft, während Crassus andererseits seinen Truppen befiehlt, die Sklaven zu vernichten. Diese (häufig übersehene) formale Lösung vermittelt mit unerhörter Präzision das ausweglose Intrigenkorsett, in das Crassus die Aufständischen manövriert hat. In dieser Sequenz scheint unverkennbar der junge Kubrick auf, der von Beginn an die Grenzen filmischer Gestaltungskonventionen ausgelotet hat. (Nebenbei bemerkt: Dieser seltene Typ der Parallelmontage wird in Filmseminaren vorrangig mit Hilfe von Autorenfilmen vermittelt, wo man derartige Experimente eher vermutet als in einem Hollywood-Film; zu den Paradebeispielen gehört Rainer Werner Fassbinders „Fontane Effi Briest“ [1974]).

Mehr als Freiheitskämpferromantik

Weitet man den Blick auf die Produktions-, Rezeptions- und Überlieferungsgeschichte von „Spartacus“ aus, dann verliert der Film etwas vom Beigeschmack der naiv-rührseligen Freiheitskämpferromantik. Bereits die Planungsphase wurde von einer gesellschaftskritischen Motivation getragen, und die Handlung selbst ist als anspielungsreiche Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen innenpolitischen Situation der USA zu verstehen. Das hatte hochkomplexe Zensur- und Restaurierungsmaßnahmen zur Folge.

Dass mit „Spartacus“ von Anfang an weitaus mehr bezweckt wurde als ein reines Unterhaltungsspektakel, erkennt man bereits an den maßgeblichen Akteuren: Ende 1957 fiel die Aufmerksamkeit von Kirk Douglas auf den gleichnamigen, 1951 publizierten Roman von Howard Fast, den er auch mit dem Drehbuch beauftragte. Die Figur des Gladiatorenführers kam seinem Faible für idealistische Helden im Dienste der Unterdrückten entgegen (man denke nur an Douglas‘ Rolle in „Paths of Glory“). Da der Autor ein überzeugter Kommunist war, der Spartacus als Vorkämpfer einer klassenlosen Gesellschaft geschildert hatte, war dieses Vorgehen hochgradig brisant. Die unter Senator Joseph McCarthy forcierte Jagd nach „unamerikanischen Umtrieben“ ebbte nach dessen Karriereende 1954 zwar etwas ab, aber das Berufsverbot gegen Personen mit kommunistischem Hintergrund war noch immer wirksam. Der Schriftsteller Fast wurde beispielsweise mehrere Monate inhaftiert, weil er keine Parteigenossen preisgeben wollte, und seine Bücher wurden in öffentlichen Bibliotheken verboten.

 

Filme als Protest

Da Fasts Drehbuchentwurf unbrauchbar war, engagierte Douglas Dalton Trumbo, der 1947 zu den berühmt-berüchtigten Hollywood Ten gehört hatte, die vor dem „House Committee on Un-American Activities“ (HUAC) die Aussage verweigert hatten und deshalb für ein Jahr ins Gefängnis mussten. Nach über zehn Jahren wurde Trumbo sowohl in „Spartacus“ als auch in Otto Premingers zeitgleich entstandenem „Exodus“ erstmals nach über zehn Jahren nicht mit einem Pseudonym, sondern mit seinem eigenen Namen im Vorspann aufgeführt – damals ein Politikum ersten Grades und ein maßgeblicher Schritt, um den Bann der Schwarzen Liste der HUAC zu brechen.

Die gesellschaftskritischen Vorzeichen von „Spartacus“ signalisiert auch die Erstbesetzung des Regiestuhls mit Anthony Mann. Dieser erlangte insbesondere in den 1950ern durch seine reflektierte Neudefinition des Western Bekanntheit, beispielsweise 1958 mit „Man of the West“ („Der Mann aus dem Westen“). Gerade in seinen films noirs, beispielsweise „Border Incident“ („Tödliche Grenze“, 1949) oder dem noir-Western „Devil’s Doorway“ („Fluch des Blutes“, 1950) thematisierte er trotz restriktiver Zensurbedingungen ungewohnt offen heiße Eisen wie Menschenschmuggel und Rassismus, um die Brüchigkeit des Zivilisationsfirnis in den USA zu veranschaulichen.

Die Zeitbezüge in „Spartacus“, denen wir uns abschließend zuwenden, lassen erahnen, dass Mann keineswegs zufällig gewählt wurde. In den meisten seiner Filme setzte er sich kritisch mit den Vereinigten Staaten und Fragen nationaler Identität auseinander. Die darin aufscheinende Weltsicht hat dazu beigetragen, ihn als herausragenden Hollywood-Auteur wahrzunehmen. Wegen angeblicher künstlerischer Differenzen wurde Mann von Douglas nach 18 Drehtagen durch den damals weniger bekannten Kubrick ersetzt, realisierte danach jedoch weitere bedeutende Historienfilme. Manns Beitrag zu „Spartacus“ erstreckt sich auf die Sequenzen am Anfang.

 

Bezugspunkt Vergangenheit: Amerikanischer Unabhängigkeitskampf

Mit diesem Hintergrundwissen lässt sich „Spartacus“ als doppelte Parabel interpretieren, und zwar als fiktionale Vorgeschichte des US-amerikanischen Unabhängigkeitskampfes im 18. Jahrhundert, die zugleich vor der Gefährdung nationaler Werte in der Gegenwart mahnt. Diese Denkfigur ist im Übrigen nicht nur auf diesen einen Film beschränkt

Der gekreuzigte Spartacus ist als christusähnlicher Vorkämpfer späterer Freiheitsbewegungen und somit auch als Urahn der nordamerikanischen Unabhängigkeit definiert. Die naturverbundenen und brüderlichen Aufständischen wurden fast ausnahmslos mit Amerikanern besetzt, so dass sie sich sprachlich von den Römern unterscheiden, die von Briten verkörpert werden. Diese Besetzungspolitik kennzeichnet die Sklaven ebenfalls als Proto-Amerikaner, die sich von der Dekadenz der Alten Welt lösen wollen, um in eine Neue Welt jenseits des Imperiums vorzustoßen.

 

Bezugspunkt Gegenwart: Appell zur Rückbesinnung auf amerikanische Werte

Und wenn Crassus nach seiner Machtergreifung „lists of the disloyal“ erstellen lässt, dann ist dies eine unübersehbare Kritik an der antikommunistischen Hexenjagd à la McCarthy. Rom repräsentiert in „Spartacus“ folglich zugleich das Alte Europa ebenso wie die gegenwärtigen Vereinigten Staaten, die zu einer weiteren Diktatur zu degenerieren drohen. In letzter Konsequenz ist „Spartacus“ ein Appell zur Rückbesinnung auf ‚ur-amerikanische‘, demokratisch-freiheitliche Werte.

Einem restriktiven Patriotismus stellt er, ebenfalls nicht ideologiefrei, die Idee eines liberalen Patriotismus entgegen, der eine Rückkehr zu ‚authentischen‘ nordamerikanischen Verhältnissen bewerkstelligen soll. Heutzutage mag das naiv erscheinen, und mit dem tiefgreifenden Skeptizismus von Kubricks Kino hat das wenig zu tun, doch um 1960 war das politischer Zündstoff. Das offenbaren nicht zuletzt die Boykottaufrufe zahlreicher patriotischer Gruppierungen, die „Spartacus“ wegen der Beteiligung von Fast und Trumbo als gefährliches kommunistisches Machwerk verdammten. Ungewöhnliche Schützenhilfe kam aus dem Weißen Haus, denn Präsident John F. Kennedy besuchte in persona eine öffentliche Vorführung des Films, zu dem er sich anschließend positiv äußerte.

Kubrick legte nach dem Debakel als Auftragsregisseur Wert auf die absolute Kontrolle über alle Arbeitsgänge und drehte einen Klassiker nach dem anderen. Das Band zu Kirk Douglas war endgültig zerrissen, doch dieser gestand Kubricks Meisterschaft zumindest indirekt ein, als er meinte, „Stanley Kubrick is a talented shit“.

„Spartacus“ fungierte, übrigens neben Anthony Manns „Fall of the Roman Empire“ („Der Untergang des römischen Reiches“, 1964), als Hauptinspirationsquelle für Ridley Scotts „Gladiator“ (2000) und gelangte 1991 in einer rekonstruierten Fassung in die Kinos, die auch heute noch sehenswert ist. Sie hält überraschende Facetten bereit, die selbst dem Uraufführungspublikum zensurbedingt verborgen bleiben mussten.

 

 

Ralf Michael Fischer – Kurzvita

Studium der Kunstgeschichte und Germanistik in Tübingen; von 2001 bis 2009 wissenschaftlicher Mitarbeiter an den Universitäten Marburg und Frankfurt am Main; seit 2009 Assistent am Kunsthistorischen Institut der Uni Tübingen. 2006 Promotion mit einer Arbeit über Raum und Zeit in den Filmen Stanley Kubricks in Marburg (publiziert 2009). Interessenschwerpunkte: Essayfilm (v.a. Chris Marker), Autorenfilm (v.a. Stanley Kubrick, Ingmar Bergman, Akira Kurosawa, Michelangelo Antonioni , Alain Resnais, Rainer Werner Fassbinder), Western und film noir (v.a. Anthony Mann), Intermedialität, Bildkünste seit 1800, , US-amerikanische Kunst seit 1820 (v.a. Thomas Eakins, Edward Hopper und Jackson Pollock) und Visualisierungen der US-amerikanischen frontier,  documenta-Geschichte.

Foto: Zugeschickt

Der Kult der Prominenz

von Sanja Döttling

Daniela Katzenberger, Markus Lanz und Justin Bieber. Sie alle sind uns bekannt wie unbeliebte Nachbarn. Doch während Nachbarn zahlenmäßig beschränkt auftreten, kommen Prominente im Rudel: Eine Promi-Inflation macht sich in den Zeitungen und Blogs breit. Rezipienten sehen hilflos und staunend zu. Jens Bergmann wollte sich der penetranten Aufmerksamkeitshascherei der Prominenz nicht mehr ungeschlagen hingeben. Er schrieb das Buch „Ich, Ich, Ich – Wir inszenieren uns zu Tode“, in dem er über die Hintergründe des bunten Promi-Zirkus aufklärt.

Am Montag kam der Journalist aus Hamburg nach Tübingen, um Studenten seine Thesen zu der „Soziologie des Seichten“, zu dem „Kult der Prominenz“, vorzustellen. Professor Bernhard Pörksen, der mit Jens Bergman zusammen Bücher wie „Skandal! Die Macht öffentlicher Empörung“ und „Medienmenschen: Wie man Wirklichkeit inszeniert“ verfasst hat, stellt das Buch in eine Reihe, die über die Selbst- und Fremdinszenierung in den Medien nachdenkt. Er nennt Bergmanns Ansatz „investigative Medienforschung“.

 Prominent ist, wer prominent ist

„Ich fühle mich bedrängt, belästigt und verfolgt von Prominenten“, sagt Bergmann. Sein Buch ist deshalb ein Akt der Notwehr. Denn immer mehr Prominente drängen auf den Markt, formen eine Promi-Invasion, der man nicht entkommen kann. Das Absurde dabei: „Heute stehen zahlreiche Leute im Rampenlicht, die über keinerlei besondere Fähigkeiten verfügen“, so Bergmann. Das führt ihn zu seiner Grunddefinition: „Wer es – egal wie – schafft, über einen gewissen Zeitraum hinweg öffentliche Aufmerksamkeit zu erregen, gehört dazu. Kurz: Prominent ist, wer prominent ist.“

Doch was sind die Gründe für C- und D-Promis, auch lange nach ihrem Verfallsdatum noch in den Medien, in Auffangbecken wie dem Dschungelcamp oder aber beim Promi-Dinner, zu erscheinen? Es ist, nach Bergmann, vor allem die Aufmerksamkeit der Massen, die Prominente anzieht wie Licht die Fliegen.

Außerdem bringt die Prominenz Vorteile. Prominente werden bevorzugt behandelt, außerdem ist der Promi-Zirkus ein lukratives Feld. Und wer will, kann einfach umsatteln. Prominenz gilt als „Meta-Qualifikation“, die man nutzen kann, um andere Berufe auszufüllen: Als Schriftsteller, Modedesigner oder allgemein als Medienmensch.

Promis als Projektionsflächen

„Die Reaktion auf diese Figuren ähnelt dem Kniesehnenreflex: Wenn wir ihre Namen hören oder lesen, haben wir spontan ihr Bild vor Augen und eine Meinung zu ihnen. Justin Bieber – der nervigste Teenie-Star aller Zeiten. Sahra Wagenknecht – die schönste Versuchung seit Rosa Luxemburg. Jogi Löw – zu gut angezogen für einen Mann. Angela Merkel – die Mutti der Kompanie“, sagt Bergmann. Promis dienen dem Publikum, also uns, als Projektionsfläche für Wünsche und Sehensüchte. Die parasoziale Beziehung zum Promi ist dabei immer folgenlos. Egal, wie sehr man über Lady Gaga lästert und klatscht – sie wird es nicht mitbekommen. Doch das Publikum hat auch Macht über die Promis. Bergmann sagt: „Es ist das Publikum, das entscheidet, wer prominent wird.“ Ein Beispiel ist der Eisbär Knut, den das Publikum zu seinem Liebling stilisierte.

Narzissmus der Stars

„Wir müssen uns Prominente als verwöhnte Gören vorstellen – nur ohne den segensreichen Einfluss von Kindergarten, Schule und Pubertät. Wie ungezogene Vierjährige tun sie alles, um auf sich aufmerksam zu machen. Sie blühen auf, wenn sie Publikum haben, und fühlen sich entsetzlich leer, wenn sie mit sich allein sind“, sagt Bergmann. Kein Wunder, dass die meisten Promis sich als extrem ich-bezogen und narzisstisch erwiesen haben.

Kunstobjekt Prominenter

Prominente sind nicht wie echte Menschen. Denn ihr Image, das Bild, das von ihnen in der Öffentlichkeit der Medien verbreitet wird, ist ein Kunstobjekt. Bergmann sagt: „Wer prominent wird, gewinnt an Bekanntheit und verliert an Einfluss auf sein eigenes Bild in der Öffentlichkeit.“ Der Prominente wird zum Seriendarsteller seines eigenen Images.

Die Medien und die Prominenz – keine Liebesgeschichte

Ungesunde Verknüpfungen von Medien und Prominenz äußern sich vielfältig. Wie brisant dieses Thema ist, zeigt auch die Veröffentlichungsgeschichte des Buches. In einem Verlag wurde es akzeptiert, der Vertrag unterschrieben und die Fahne gedruckt. Dann aber bekam Jens Bergmann Post vom Verlagsleiter. Der wollte einige Stellen ändern; aus Margot Käßmann und ihrer„Trivialmoral“ sollte da beispielsweise die „engagierte Theologin“ werden. Als „peinliche PR-Prosa“ bezeichnet Bergmann dieses Vorgehen. Der Verlagsleiter hatte sich wohl zu sehr auf „seine“ Prominenten eingelassen, zu denen die Genannten gehörten.

Die Beziehung von Medien und Prominenten kränkelt. Bergmann bringt es so auf den Punkt: „Journalisten und Berühmtheiten sind einander häufig in inniger Verachtung verbunden – man braucht den anderen, hält aber nicht viel von ihm.“

Auf der einen Seite brauchen Medien die Promis, denn „Promis gelten als Universalwaffe im Kampf um Auflagen, Quoten und Klicks: Alles, was sie tun, lassen oder meinen ist es wert, verbreitet zu werden“, so Bergmann. Auf der anderen Seite nutzen Stars Journalisten als „Werbeonkel“ für ihre Kampagnen. Die Kontrolle, die PR-Leute dabei über die Journalisten haben, macht eine unabhängige Berichterstattung unmöglich.

Ein Teufelskreis?

Doch Promis schleichen sich nach und nach in alle Felder des Journalismus, eine allgemeine Boulevardisierung findet statt. Bergmann sagt: „So führt die Promi-Inflation zu einer Häufung von Null-Nachrichten – Prominenz schlägt Relevanz.“

Doch wie kann man die ungesunde Beziehung zwischen den Medien und den Prominenten entwirren? Bergmanns Idealvorstellung: „Augenblicks-Berühmtheiten, die nur bei einer bestimmten Leistung in die Öffentlichkeit gestellt werden. Prominenz sollte kein Status mehr sein.“ Im ersten Schritt sollte die Medienlandschaft ihr Schaffen und die Mechanismen der Promi-Inflation erst einmal hinterfragen.

 

Ich, ich, ich – Wir inszenieren uns zu Tode. Von Jens Bergmann. Erschienen im Metrolit-Verlag, Februar 2013.

Foto: Stefan Ostermeier

 

Play the Game – Kunst und Kultur der Videospiele

von Miriam Gerstenlauer

Vor über 20 Jahren ist es ausgebrochen, das Klötzchenfieber. Tetris, mir seiner einfachen Spielmechanik und seiner Ohrwurmmelodie eroberte die Spielewelt im Sturm und machte Nintendos Game Boy zum ständigen Begleiter, ob auf dem Schulhof oder auf der Toilette. Heute erfreut sich der große kleine Bruder des Gameboys, der Nintendo DS, weiterhin großer Beliebtheit. Er wird aber, zusammen mit seinen Handheld-Kollegen, immer mehr von Smartphones und Tablets vom Markt verdrängt.

Jahrzehnte der Game-Kultur haben vieles verändert: Statt kantiger Polygon-Grafik und fummeliger Steuerung gibt es heute hochauflösende Hauttexturen und Bewegungssensoren. Konsolen und Spiele wurden zu Kult- und Kulturobjekten, Statussymbolen und Alltagsgegenständen. Laut statistischem Bundesamt ist mindestens jeder fünfte Haushalt mit wenigstens einer Spielekonsole ausgestattet,. Nintendo hat bereits letztes Jahr die neu Generation der Konsolen mit der Wii U gestartet, die Konsolen der Konkurrenz, Microsofts Xbox One und Sonys Playstation 4 werden zum Ende des Jahres erwartet.  Mitte Juni werden wieder zehntausende Besucher auf der E3, einer der größten Spielemessen der Welt, erwartet, die einen Blick auf die Zukunft der Spieleindustrie werfen wollen.

Doch blickt man sich einmal in der Medienlandschaft um, ist das Bild ein ganz anderes:

Schaffen es Videospiele doch einmal in das Tagesprogramm, so geht es meist um Diskussionen über Gewaltdarstellung, Eskapismus und Verrohung der Jugend. Dabei ist meist sowohl Journalisten als auch Politikern anzumerken, dass sie wenig bis gar keine Ahnung vom Thema Games haben. So glaubt ein Phönix-Moderator vielleicht bis heute, in World of Warcraft ginge es um die Befreiung Europas von der Islamisierung und auch die Tierschutzorganisation. Peta war sich nicht zu schade, aus Pokémon ein Beispiel von Tiermisshandlung zu machen. Verständlich, vielleicht, schließlich ist die Materie umfangreich und für Nicht-Digital-Natives schwer zu durchschauen.

Daher soll es in dieser Artikelreihe um einen kulturellen Querschnitt durch die virtuelle Welt der Videospiele gehen.  Wir werfen einen Blick auf den Weg der Games nach Hollywood, sehen uns an welche Spiele bis heute als die wichtigsten Vertreter ihres Genres gelten  und wer eigentlich daran Schuld ist, dass manche Spiele nur geschnitten in Deutschland erscheinen.  Und für alle, die Karriere in der Games-Branche machen wollen, zeigen wir welche man Berufe rund um Games ergreifen kann.

Was Videospiele ausmacht: Sie haben narrativ hochwertige Geschichten, ihre Welten sind komplex, ihre Helden sind nicht immer die Guten, und manchmal parkt jemand sein Motorrad senkrecht an der Wand. Eine solch facettenreiche Welt ist es wert, in einem Projektstudium untersucht zu werden.

Lasst die Spiele beginnen.


Foto: Miriam Gerstenlauer

Mut zur Lücke, Mut zur Stille – Mut zur mangelnden Romantik­

von Kathrin Piecha

Ein Liebesfilm ohne Romantik? In Hollywood undenkbar, im sonst so verträumten Frankreich jedoch realisiert. Mit seinem neuesten Werk Der Geschmack von Rost und Knochen kreiert Jacques Audiard eine Romanze, die vollkommen ohne Kitsch, vielsagende Blicke und Schmetterlinge im Bauch auskommt – eine wahre Herausforderung für unser Empathie-Empfinden.

Jacques Audiard zeigt mit seinem neuesten Werk Der Geschmack von Rost und Knochen (Originaltitel: De rouille et d’os) völlig nüchtern und schmucklos die Realität zweier, vom Leben gepeinigter Charaktere, die auf erstaunlich dramatische, und doch unverblümte Art und Weise zueinander finden.

Fernab von Glück und Harmonie

Ali (Matthias Schoenaerts) zieht Zuflucht suchend mit seinem kleinen Sohn Sam in den Süden Frankreichs nach Antibes an der Côte d’Azur zu seiner Schwester Anna (Corinne Masiero). Dort nimmt er Gelegenheitsjobs an, vergnügt sich mit Frauen und kümmert sich (wenn überhaupt) sporadisch um seinen Sohn. Er lebt in den Tag hinein, übernimmt keinerlei Verantwortung und beginnt des Geldes wegen an illegalen Straßenkämpfen teilzunehmen.

Stéphanie, gespielt von Oscar-Preisträgerin Marion Cotillard, ist Waltrainerin, die voller Leidenschaft ihrem Beruf nachgeht und selbstbewusst auftritt – bis zu dem Tag, an dem sie bei einer Orca-Show durch einen Unfall beide Unterschenkel verliert.

Apathie auf den ersten Blick

Die erste Begegnung beider Charaktere läuft anders ab, als erwartet: Nüchtern. Es funkt nicht zwischen den beiden. Stéphanie und Ali begegnen sich zum ersten Mal (noch vor Stéphanies Unfall) in einem Club. Ali arbeitet dort als Türsteher und hilft Stéphanie, die in eine Schlägerei verwickelt ist. Er fährt sie nach Hause, steckt ihr seine Nummer zu – lediglich auf ein sexuelles Intermezzo aus – doch Stéphanie zeigt keinerlei Interesse. Umso überraschender, dass sie gerade ihn mehrere Monate nach dem Unfall anruft; nach Monaten voller Lethargie, Resignation und Einsamkeit. Die beiden verabreden sich und plötzlich scheint Stéphanie wieder an Lebenslust zu gewinnen. Ali geht mit ihr nach draußen, an die frische Luft und an den Strand, was sie nach vorangegangener Isolation sichtlich zu genießen scheint. Dabei begegnet er ihr förmlich ignorant was ihr Handicap anbetrifft, er hilft ihr nur, wenn sie ihn auch darum bittet. Alis Stumpfsinnigkeit und sein oftmals verantwortungsloses Handeln kommen Stéphanie nur zugute, da sie sich zu keiner Sekunde bemitleidet fühlt. So verbringen sie viel Zeit gemeinsam, schlafen miteinander und scheinen sich langsam einander anzunähern, bis es zu einer Auseinandersetzung zwischen Ali und seiner Schwester kommt, die ihn daraufhin aus der Wohnung schmeißt.

Ali macht sich wortlos aus dem Staub, lässt seinen Sohn und Stéphanie zurück und beginnt, hart für die illegalen Straßenkämpfe zu trainieren. Nach einiger Zeit besinnt er sich und möchte seinen Sohn Sam wiedersehen. Bei einem gemeinsamen Vater-Sohn-Tag kommt es dann jedoch zu einem unerwarteten Unglück: Sam bricht in einen eingefrorenen See ein und droht zu ertrinken. Erstmals zeigt Ali wahrhaftige Emotionen. Verzweifelt versucht er seinen Sohn zu befreien, der unter der dicken Eisdecke eingeschlossen ist – ein Ereignis, das dem Film, aber vor allem Alis Charakter, eine völlig neue Wendung gibt…

Romantik für Fortgeschrittene

Jacques Audiard kreiert mit seinem Werk Der Geschmack von Rost und Knochen einen Film, der grob gesagt in jeder Hinsicht allen Liebesfilm- Klischees widerspricht. Die erste Begegnung der beiden Protagonisten läuft wie erwähnt recht nüchtern ab, keine vielsagenden Blicke, keine zwischenmenschlichen Spannungen, keine Schmetterlinge im Bauch. Ebenso unverblümt wie bedacht undramatisch führt Audiard den Film fort, wodurch viel emotionales Potential ungenutzt auf der Strecke bleibt. Doch eben dies macht den Film aus. Man könnte es als den „Mut zur Lücke“ bezeichnen: In Szenen, aus denen manch ein anderer Regisseur mit großen Eimern Dramatik schöpfen würde, lässt Audiard den Zuschauer mit wenigen, stillen und dennoch einprägsamen Bildern regelrecht allein. So beispielsweise auch bei Stéphanies Unfall. Schnelle hektische Momentaufnahmen münden plötzlich in ruhigen Unterwasseraufnahmen, sodass unklar bleibt, was genau geschehen ist. Mit sanfter Klaviermusik untermalt, sieht der Zuschauer lediglich, wie Trümmer ins Wasser stürzen und sich langsam und zaghaft Blut im Becken ausbreitet. Und dann plötzlich Stille. Kein Geräusch, keine Hintergrundmusik, nur wirre Bilder. Jacques Audiard erzeugt an dieser Stelle mutig einen Moment, wie man ihn nur selten erlebt – ein Moment, der sicherlich jedem Zuschauer besser im Gedächtnis bleiben wird als völlig bild- und tonüberladene Hollywood-Szenarien, die vor lauter Sensationslust und Dramatik nur so strotzen.

Ebenso enthält der Film keinerlei romantische Szenen im klassischen Sinne, keine Liebesfloskeln und keinen Kitsch. Der Zuschauer muss vielmehr selbst die undurchsichtige Beziehung zwischen Ali und Stéphanie durchdringen, das Leid beider verstehen und aufmerksam beobachten, wie sich beide Charaktere gegenseitig Kraft schenken (Ali bestärkt nicht nur Stéphanie darin, trotz Handicap ein lebenswertes Leben zu führen, Stéphanie unterstützt auch Ali bei seinen Straßenkämpfen durch ihre bloße Anwesenheit und wird sogar seine „Managerin“).

Ali am ewigen Wendepunkt

Ein kleines Manko bleibt jedoch erwähnenswert: der unzugängliche Charakter Alis. Mehrmals im Film scheint dieser endlich an einen Wendepunkt gekommen zu sein, enttäuscht dann jedoch wieder durch sein altes Verhaltensmuster, durch Verantwortungslosigkeit, Rücksichtslosigkeit und mangelnde Empathie. Das macht seine Person für den Zuschauer unverständlich – was an sich nicht weiter schlimm wäre. Allerdings zieht sich sein Selbstfindungsprozess bis ins Unendliche, zumindest scheint es so. Und was gibt es wohl unerfreulicheres für einen Zuschauer, als einen nervenden Protagonisten?

Fazit

Mit Der Geschmack von Rost und Knochen inszeniert Jacques Audiard allemal einen Liebesfilm, der erst auf den zweiten Blick durch Eigenleistung und Interpretationsfähigkeit der Zuschauer Romantik verspricht. Audiard verzichtet dabei auf überschwängliches Gefühlskino à la Hollywood und ermöglicht damit ein wahrhaft realitätsnahes Kinoerlebnis, das vor allem eine Frage beantwortet, nämlich die, wie bitter-süß Rost und Knochen schmecken können.

DER GESCHMACK VON ROST UND KNOCHEN, Frankreich, Belgien 2012 – Regie: Jacques Audiard. Buch: Jacques Audiard, Thomas Bidegain. Kamera: Stéphane Fontaine. Mit: Marion Cotillard, Matthias Schoenaerts, Bouli Lanners. 122 Min.

 

Bilder: FilmPressKit

Die Angst vor dem Fremden: „Edward mit den Scherenhänden“

von Selina Juliana Sauskojus

Aufgeräumte Vorstadtsiedlungen, erfolgreiche Ehemänner, Hausfrauen, die sich ihren Alltag mit Tratsch versüßen – so stellt Tim Burton den amerikanischen Traum in seinem Film Edward mit den Scherenhänden dar. Doch was passiert, wenn plötzlich ein Exot das Leben in Suburbia durcheinander bringt?

In Amerika ist man bekanntermaßen sehr stolz darauf, dass jeder Mensch die gleichen Chancen zum Aufstieg hat. Hautfarbe, Herkunft, Religionsangehörigkeit – all das ist egal, sofern man sich dem amerikanischen System anpasst und sich ein bisschen bemüht. So viel zur Theorie. Filmisch wurde das Thema des amerikanischen Traumes schon des Öfteren aufgegriffen. 1990 tat dies auch der Meister des skurrilen Fantasyfilms Tim Burton. Der Regisseur zeigt uns eine stereotype Vorstadtwelt mit bunten Reihenhäuschen, gestutzten Hecken und heilen Familien. Doch Burton wäre nicht Burton, würde er all dies nicht in einen fantasievollen Rahmen einbinden. So scheint uns Edward mit den Scherenhänden zunächst ein modernes Märchen um den tragischen Titelhelden zu sein. Bei näherer Betrachtung ist der Film jedoch eine bissige Satire auf den American way of life und die Gesellschaft.

Eine unvollendete Kreatur in der Vorstadt

In einem düsteren Schloss kreiert ein Erfinder (die letzte Rolle des Horror-Urgesteins Vincent Price) einen Menschen namens Edward (Johnny Depp). Bevor er sein Geschöpf fertigstellen kann, anstatt Händen hat Edward bisher nur Scheren, stirbt der Erfinder. Edward lebt jahrelang isoliert im Schloss, bis eines Tages die Make-Up-Vertreterin Peg das Schloss aufsucht um potentielle Kunden zu gewinnen. Sie findet den schüchternen Edward. Aus Mitleid beschließt sie, ihn mitzunehmen und ihn unter ihre liebevollen Fittiche zu nehmen. Zunächst ist Edward die neue Attraktion im Vorort. Die Nachbarinnen sind fasziniert von diesem Exoten, umso mehr als dieser sich als Meister des Heckenschneidens und Frisierens entpuppt. Edward ist ebenso erstaunt und verwirrt von dieser neuen Welt, insbesondere als er sich in Peg’s Tochter Kim (Winona Ryder) verliebt. Doch schnell wendet sich das Blatt. Edward’s Unsicherheit und Unerfahrenheit kollidieren mit den Konventionen der Gesellschaft. Anstatt ein willkommenes Mitglied der Nachbarschaft zu bleiben, wird Edward nun zum allgemeinen Feindbild der Leute.

„If you had regular hands, you’d be like everyone else“

Der Charakter Edward ist einer der beliebtesten Figuren der modernen Popkultur. Das liegt nicht nur an seinem unverwechselbaren Äußeren, sondern ebenso daran, was diese Figur verkörpert. Edward, der fast sein ganzes Leben in Isolation verbracht hat, wird in eine Welt geworfen, in der alles standardisiert und konventioniert ist. Diese neue Welt ist ihmfremd und er begegnet ihr zunächst mit einer gewissen Vorsicht. Durch sein sanftes Wesen wirkt er auf den Zuschauer ungemein gewinnend. Innerhalb der Geschichte sind es vor allem seine Scherenhände, die ihn zu einer beliebten Person in der Nachbarschaft machen. Als Edward bei einer Talkshow im Fernsehen auftritt bemerken die Studiogäste: „If you had regular hands, you’d be like everyone else. (…) But then, no one would think you were special.“

In der von Burton dargestellten Welt scheint es keine Sensation zu sein, dass es künstlich geschaffene Menschen mit Scherenhänden gibt. Zwar macht Edward diese Tatsache zu einem Exoten, dies wirkt jedoch eher anziehend als abstoßend. Als ihn jedoch die Nachbarin Joyce verführt, weiß er mit der Situation nicht umzugehen und weist sie ab. Kurz darauf beteiligt sich Edward, aus Liebe zu Kim, an einem Einbruch und wird erwischt. Nun ist Edward ein Ärgernis. Die Nachbarn meiden ihn, nehmen seine Hilfe nicht mehr in Anspruch. Statt sich seiner anzunehmen und ihm bei seiner Sozialisierung zu helfen, verstoßen sie ihn.

Der Film stellt den Umgang der Gesellschaft mit Sonderlingen dar. Dabei wird kein Unterschied gemacht, ob es sich um Menschen handelt, die anders handeln, weil sie sich selbst als Outlaws positionieren wollen oder ob sie, wie Edward, lediglich fremd sind mit den Konventionen, die sich allmählich etabliert haben.

Edward ist eine Figur, die stets aus reinem Herzen und aus Sympathie handelt. Auf die Frage hin, was er mit Geld machen würde, dass er auf der Straße findet, antwortet er, er würde es seinen Liebsten geben, um sie glücklich zu machen. Diese Antwort ist jedoch nicht akzeptabel, da man das Geld gefälligst zur Polizei zu bringen habe. Doch Edward wird nicht als die reine Person gesehen, die er ist. Er stellt vielmehr eine Gefahr für den Trott der Vorstadt dar. Da er sich den Regeln nicht fügen kann (was er aber durchaus gerne würde) wird er verstoßen. Erst als die Nachbarschaft die Gefahr für endgültig gebannt hält, endet die Kampagne, die kollektiv gegen Edward gestartet wurde. Am Ende stellt sich heraus, dass der Protagonist in der Einsamkeit seines Schlosses besser aufgehoben ist, als in der normalen Gesellschaft. Am Ende hat die Vorstadt gesiegt.

Fazit

Mit seiner märchenhaften Geschichte um Edward mit den Scherenhänden schuf Tim Burton eine sehr gelungene Kritik an der Gesellschaft. Burton lässt das Absurde gegen das Normale antreten. Plötzlich scheinen einem die Normalität und die Realität so lieblos, dass man fast an der Gesellschaft verzweifeln mag. Der Protagonist jedoch, der für das Anders- und Fremdsein steht, wächst dem Zuschauer sehr ans Herz, sodass er viel Identifikationspotential bietet. Edward mit den Scherenhänden ist ein modernes Märchen, das mal Spaß macht und mal traurig stimmt. Und letztlich verhält es sich bei diesem Film, wie mit allen Märchen: am Ende steckt doch ein Fünkchen Wahrheit darin.

Foto: flickr.com/Dan C (CC By-NC-SA 2.0)

Tübinale 2013 – Die Gewinner des Abends im Interview

von Nicolai Busch

Klappe, die zweite! Die diesjährige Tübinale mit dem Thema „Medienkonvergenz“ wird Teilnehmern und Zuschauern in Erinnerung bleiben. Media-bubble.de hat für Euch mit den Gewinnern des Kurzfilmwettbewerbs gesprochen und zeigt einen der ausgezeichneten Filme in voller Länge.

Gruppe „It’s complicated“

Medienkonvergenz kann die Annäherung verschiedener Einzelmedien, aber gleichzeitig auch die soziale Distanzierung ihrer Nutzer voneinander bedeuten. Eine Distanzierung, die Janina Wollensak, Kristin Ruff, Moritz Moser und Sebastian Luther in ihrem Kurzfilm „It’s complicated“ nur zurecht zum Thema ihrer Generation erklären. Wie die Welt zweier Menschen, nämlich die des analogen Romantikers mit Hemingway-Syndrom und jene seiner handyversessenen Freundin, aus dem Gleichgewicht gerät, erzählen auf schauspielerisch und kameratechnisch hohem Niveau die Gewinner der Tübinale und des diesjährigen Publikumspreises.

media-bubble.de: Die wichtigste Frage natürlich zu erst: War der Kuss echt?

Moritz Moser: (lacht) Nein, der war natürlich nicht echt! Aber weil es uns schauspielerisch schließlich doch ganz gut gelungen ist, ihn recht echt wirken zu lassen, sind wir wirklich ganz zufrieden mit dem Ergebnis.

mb: Medien rauben zunehmend Aufmerksamkeit und gefährden dadurch zwischenmenschliche Beziehungen. Das ist grob gefasst der Inhalt eures Films. Ein autobiographisches Statement der Mitwirkenden?

Moritz Moser: Ich persönlich bemerke deutlich, dass sich unsere zwischenmenschliche Kommunikation durch Mobile Devices, wie das Smartphone, verändert. Und ich glaube auch, dass wir uns durch die ständige, durch die neuen Medien erzeugte Ablenkung letztendlich voneinander entfremden. Eben das sollte in „It’s complicated“ auch hoffentlich deutlich geworden sein.

mb: Besonders auffällig an eurem Film sind die starken Farben und Kontraste, aber auch die herausragende Tiefenschärfe? Worin liegt das kameratechnische Geheimnis?

Sebastian Luther: Das Geheimnis liegt tatsächlich in der großartigen Ausrüstung, mit der uns das Zentrum für Medienkompetenz (ZFM) ausgestattet hat. Uns als Team war es von Anfang an wichtig, mit einer Kamera zu arbeiten, die unsere filmoptischen Erwartungen auch zu hundert Prozent erfüllt.

mb: Gab es Herausforderung beim Umgang mit dem technischen Equipment?

Sebastian Luther: Eine Herausforderung war ganz sicher, die Technik nicht kaputt zu machen (lacht). Abgesehen davon, fotografiere ich selbst schon seit vielen Jahren und habe mir durch mein Hobby einiges an Know How angeeignet. Das hat den Umgang mit der Kamera um einiges erleichtert.

mb: Wie sich zwei ineinander verlieben, boy meets girl, das ist die am häufigsten erzählte Geschichte der Welt. In „It’s complicated“ erzählt aber jemand vom Anfang, obwohl das Ende schon längst feststeht. Worin lag für euch der Reiz dieser anachronistischen Erzählweise?

Sebastian Luther: Möglicherweise kann sich der Laie unter den Begriffen „Medienkonvergenz“ und „Medienwandel“ nur wenig vorstellen. Wir hatten uns deshalb überlegt, die Thematik durch die Geschichte boy meets girl unterhaltsam und verständlich aufzupeppen . Aber um diese relativ banale Handlung erzähltechnisch aufzuwerten beziehungsweise, um den Zuschauer auch gedanklich etwas zu fordern, haben wir uns dann letztlich entschieden, die Geschehnisse zeitlich versetzt darzustellen.

mb: Mir scheint auch, „It’s complicated“ ist voller sorgfältig bedachter Bilder und Metaphern. Da wäre z.B das Ein- und Ausatmen des Zigarettenqualms am Anfang und Ende des Films. Ein selbstzerstörerisches Motiv? (Sebastian, Moritz)

Moritz Moser: (Überlegt) Ein selbstzerstörerisches Motiv hat die Zigarette meiner Ansicht nach nicht. Sie hat eigentlich zum einen viel mehr die Aufgabe, die beiden Zeitstränge am Ende des Films wieder zusammenzuführen. Zum anderen versucht das Bild der Zigarette oder der Akt des Rauchens bestimmte andere bildliche, die Stimmung des Films sehr prägende Merkmale, wie den Wein, die alte Schreibmaschine, oder den alten Holztisch, in ihrer situativen Bedeutung zu intensivieren. Nur, wenn der Protagonist raucht, ist er ganz bei sich selbst, absseits des Trubels und fähig, die Gründe der dargestellten Beziehungskrise zu reflektieren.

mb: Euer Film zeigt großartige Naturaufnahmen. Welche thematische Rolle spielt die Natur in eurem Film? Wo habt ihr gedreht?

Moritz Moser: Ich glaube, besonders die Aufnahmen am Bodensee sind für die anfängliche Atmosphäre des Films von großer Bedeutung. Hier harmoniert das Paar noch mit der natürlichen Schönheit der farbintensiven Kulisse, während sich später im städtischen, zunehmend dunklen Raum die Probleme zuspitzen und die Situation im Tunnel letztendlich völlig eskaliert. Uns war es wichtig, die Entwicklung der filmischen Liebesbeziehung auch durch die Darstellung der natürlichen Umwelt sinnbildlich deutlich werden zu lassen.

mb: An letzter Stelle: Ergaben sich Schwierigkeiten oder Herausforderungen beim Dreh? Worin lag die größte Herausforderung im schauspielerischen Bereich?

Kristin Ruff: (lacht) Besonders schwierig war es tatsächlich ernst zu bleiben und auch die Handlung ernst zu nehmen. Denn natürlich muss man lachen, wenn man etwas spielt, dass von der eigenen Realität stark abweicht. Es war z.B wirklich nicht leicht, den Streit im Film authentisch darzustellen. Viel einfacher ist es mir wiederum gefallen, die glücklichen Szenen zu spielen. Auch muss man sich daran gewöhnen, während des Spielens nicht in die Kamera zu schauen, was am Anfang beinahe immer rein automatisch passiert ist.

mb: Danke und Herzlichen Glückwunsch!

 

 

Gruppe „Medienwandel und Alltagskultur“

Einen Medienwandel erleben wir nicht erst seit gestern. In ihrem Beitrag „Medienwandel und Alltagskultur“ machten es sich Arianne Schmitt, Katja Lißel und Anna Dudenhausen auch in Wohnzimmern der 60er Jahre gemütlich, um den historischen Wurzeln des Wandels auf den Grund zu gehen. Die Jury zeigte sich begeistert und verlieh den drei Filmproduzentinnen zurecht den Journalistenpreis der Tübinale 2013.

mb: Wie kam es zu eurer großartigen Filmidee?

Anna Dudenhausen: Ich glaube, unsere Ausgangsfrage war tatsächlich: Wie prägen Medien heute unseren Alltag? In unserer Generation ist es zur Gewohnheit geworden, immer erreichbar zu sein und stündlich viel Zeit am Smartphone oder am PC zu verbringen. Mehr als unsere heutigen Gewohnheiten, hat uns als Gruppe dann im Laufe der Vorbereitungen des Films aber bald die Mediennutzung der Menschen früher interessiert. Wir wollten zeigen: Wie sah der Mediengebrauch des deutschen Durchschnittbügers früher aus? Wann haben Menschen Medien genutzt und welchen Stellenwert hatten die Medien vor allem für die Menschen vor unserer Zeit?

mb: Ihr habt für euren Beitrag das Format der Dokumentation gewählt. Eine ganz absichtliche Entscheidung?

Arianne Schmitt: Eigentlich hatten wir anfänglich die Unterschiede der Mediennutzung früher und heute schauspielerisch darstellen wollen. Aber dann ist uns schnell klar geworden: Es ist gar nicht so einfach, das Leben dieser Zeit zu spielen (lacht). Uns fehlten da z.B die Kostüme, das 60er Jahre Bühnenbild und, und, und. Vor allem, weil wir viele geschichtliche Fakten und Erkenntnisse unterhaltsam präsentieren wollten, entwickelte sich aus unserer Schauspielidee letztendlich doch noch die Idee einer Dokumentation.

mb: In eurem Film beginnt der Medienwandel bereits mit der Einführung des Fernsehgeräts im bürgerlichen Haushalt. Diese geschichtliche Komponente fehlt in den meisten anderen Filmbeiträgen der Tübinale.

Katja Lißel: Stimmt, das Museum der Alltagskultur in Waldenbuch und der Ausstellungsbereich „Wohnwirklichkeiten“ des 20. Jahrhunderts hat sich für uns als perfekter Drehort erwiesen. Die Ausstellung in Waldenbuch macht es möglich, das typische Wohnzimmer der beispielsweise 60 oder 70 Jahre zu betreten und selbst in die Rolle damaliger Mediennutzer zu schlüpfen. Auch wurden wir während des Drehens im Museum von Mitarbeitenden wirklich großartig unterstützt. Wir sind sehr froh, derart fachkundige Interviewpartner gefunden zu haben. Vor allem die Interviews nehmen den Zuschauer an der Hand und führen ihn durch eine Zeitreise der Medien

mb: Ergaben sich Schwierigkeiten oder Herausforderungen beim Dreh der Interviews?

Katja Lißel: Schwierig beim Interview ist es natürlich, herauszufiltern, was für den eigenen Beitrag tatsächlich von Interesse ist und was nicht. Das fällt umso schwerer, wenn man, wie in unserem Fall, Fachkundige interviewt, die besonders viele, interessante Dinge erzählen können. Man möchte dann ungern unterbrechen und am liebsten alles Erfahrene filmisch auch irgendwie verarbeiten.

Anna Dudenhausen: Auch die Technik bereitet natürlich einige Herausforderungen! Da gibt es dann den ein oder anderen Wackler im Bild oder einen nicht beabsichtigten kratzenden Ton. Das ärgert natürlich, weil man plötzlich eine interessante und wichtige Szene so nicht mehr verwenden kann. Hier hilft es wiederum viel und ausgiebig zu filmen, um letztendlich die Möglichkeit zu haben, unbrauchbares Material aussortieren zu können.Es gilt: Je mehr Bilder und Perspektiven einem nach den Dreharbeiten zu Verwendung stehen, desto besser!

mb: Und das Ergebnis kann sich wirklich sehen lassen! Herzlichen Glückwunsch auch an Euch und vielen Dank für das Interview!

 

Foto und Video: Copyright Sebastian Luther, Moritz Moder und Janina Wollensak

Screenshot: Copyright Anna Dudenhausen, Arianne Schmitt und Katja Lißel

Probieren geht über Studieren – eine ehemalige Studentin berichtet

Für was studieren wir eigentlich? Finden wir unseren Traumjob oder sind wir froh, dass da draußen überhaupt eine Stelle für uns frei ist – für uns als Teil einer wachsenden Masse von Studienabgängern? Bei Geisteswissenschaftlern stellt sich meist die Frage „Was macht man denn damit?“ Auch für einen Medienwissenschaftler ist es nicht immer leicht, die eigene Richtung zu finden. Vielleicht verlässt manch einen auch ab und an der Mut, wenn er düstere Geschichten über den Arbeitsmarkt in der Medienbranche hört. Media-bubble.de hat deshalb einmal nachgehakt, was denn aus den ehemaligen Tübinger MeWis heute so geworden ist.

von Sandra Schröder-Kalemba

Ich heiße Sandra Schröder-Kalemba, bin 30 Jahre alt und habe von 2007 bis 2009 Medienwissenschaft mit dem Abschluss Master in Tübingen studiert:

Die Berufswelt bietet einem Medienwissenschaftler heute viele Möglichkeiten. Wir können danach sowohl als Journalisten, als auch in der PR arbeiten und verfügen über breitgefächerte Kompetenzen im medialen Geschehen. Das Studium bietet eine gute Orientierung und schneidet alle Bereiche von Print, über Hörfunk, bis Fernsehen, Online und PR an. Diese Vielfalt macht uns als Allrounder für viele Arbeitgeber interessant, die crossmedial arbeiten. Aber: man sollte sich im Klaren sein, dass man nach dem Abschluss nur an der Oberfläche gekratzt hat.

Für Arbeitgeber zählen Arbeitsproben

Wer in den Medien Fuß fassen will, der sollte bereit sein, viele Praktika – auch unbezahlt – zu absolvieren, um möglichst viele verschiedene und aussagekräftige Arbeitsproben vorweisen zu können. Es ist ein langer Ausbildungsweg, der einem in vielen Bereichen ein Volontariat zum Redakteur trotzdem nicht erspart. Viele Verlage betrachten Projekte aus der Uni eher als Übungsstoff und bestehen auf „echten“ Beiträgen, die auch veröffentlicht wurden. Diese sollte man unbedingt sorgfältig aufheben, aufbereiten, zugänglich machen und für Bewerbungen sofort parat haben. Besonders gern gesehen sind Projekte, bei denen der Medienwissenschaftler eigenverantwortlich Beiträge umgesetzt hat.

Schon vor meinem Studium habe ich für die Lokalpresse NWZ geschrieben. Während des Studiums war ich drei Monate in einer lokalen Werbeagentur und habe dort Webseiten gestaltet. Nach meinem Studium war ich drei Monate beim Göppinger Stadtmarketingverein und habe dort das Bühnenprogramm für das Event Waldweihnacht organisiert und vom Flyer bis zur Pressemitteilung aufbereitet. Danach war ich ein halbes Jahr bei der Wochenzeitung Staatsanzeiger im Onlinebereich. Erst danach wurde ich aufgrund der aktuellen Arbeitsproben für ein Volontariat bei der Ludwigsburger Kreiszeitung genommen und habe dort noch mal von Grund auf das journalistische Handwerk der Tageszeitung und das Blattmachen gelernt.

Jobs der Zukunft liegen im Netz 

Jetzt bin ich Onlineredakteurin bei der Südwest Presse in Ulm für die Region Göppingen/Geislingen. Dort betreue ich die Webseiten der NWZ und Geislinger Zeitung, erstelle Bildergalerien, habe schon erste Videos gedreht und schreibe auch selber Beiträge. Meine Wünsche haben sich komplett erfüllt: Ich kann als Journalistin online arbeiten und habe großen Freiraum bei der Themengestaltung in allen Medienformen in Text, Bild, Audio und Video. Ich bin froh, dass wir im Studium selbst Videos gedreht und geschnitten haben. Auch der Onlinekurs hat mir sehr viel mit auf den Weg gegeben. Noch heute schaue ich in meinen Aufzeichnungen nach zu Photoshop, Montagetechnik, Interviewtechnik und Reportage.

Das alles habe ich in der Praxis vertieft und darauf aufgebaut. Mein Motto lautet am Ende aber: Probieren geht über Studieren – nur wer das Gelernte anwendet und entwickelt, kann mit den ständig wechselnden Anforderungen der Medien mithalten.  Man ist nie fertig und muss ständig bereit sein, sich auf neue Programme, Gestaltungsregeln etc. einzulassen. Vor allem im Onlinebereich sehe ich die größten Zukunftschancen. Egal ob Zeitungshaus, Stadtverwaltung, Ministerium, Verband oder Verein: alle wollen online machen und suchen Leute, die sich mit Web, Facebook und Co auskennen, schreiben, fotografieren und filmen können. Viel Erfolg!

 

Fotos: Copyright Christine Böhm