Vom Magersucht-Trend zum Übergewichts-Hype: Was bringt Body Positivity?

Von Ann-Sophie-Becker

Dicke Bäuche, unreine Haut und Dehnungsstreifen – die 2012 auf der Social-Media-Plattform Instagram entstandene Body-Positivity-Bewegung hat die Abschaffung von unrealistischen und diskriminierenden Schönheitsidealen zum Ziel, indem sie davon abweichende Körper präsentiert. Doch die Bewegung wurde in letzter Zeit immer wieder kritisiert. Was ist dran an der Kritik und was bringt Body Positivity wirklich?

Mehr Diversität in Werbung – eine mögliche Folge von Body Positivity

Dass Werbung immer diverser wird, ist wohl den meisten schon aufgefallen. Vergleicht man zum Beispiel Werbespots des Modelabels H&M von 2009 und 2022 , stechen einem die Veränderung direkt ins Auge. Wo früher fast ausschließlich weiße, sehr schlanke und sehr große Models abgebildet wurden, zeigen sich heute Personen aller Farben, Größen-, Gewichts- und Altersklassen. Dieses sogenannte Diversity Marketing, bei dem eine breitere Zielgruppe repräsentiert und somit auch angesprochen wird, ist mittlerweile bei einer Vielzahl von Werbetreibenden zu beobachten. Und das aus gutem Grund: 54 Prozent der Befragten gaben in einer Umfrage des Markt- und Meinungsforschungsinstituts YouGov an, dass sie Diversität im Marketing wichtig finden. Nach Jahrzehntelanger Repräsentation von dem Einen schlanken, jungen, weißen Typ scheint man eine Sehnsucht nach diverseren Körpern zu haben – eine mögliche Folge der Bewegung.

Der Schönheitsdruck und seine Auswirkungen

Immer mehr Menschen fühlen sich durch das Schönheitsideal unter Druck gesetzt. Bild: Pexels

Wieso es überhaupt wichtig ist, dass das herkömmliche Schönheitsideal aufgebrochen und in Frage gestellt wird, zeigen folgende Zahlen: Dreißig Prozent der Jugendlichen seien über ihr Äußeres besorgt und 18 Prozent der Befragten fühlen sich durch das Schönheitsideal unter Druck gesetzt, so Gesundheitswissenschaftlerin Katharina Pilgrim gegenüber dem Deutschlandfunk. Eine Zahl, die jährlich ansteige. Auch die Psychologinnen Brigitte Lunardi und Julia Göllner beschreiben in einem Interview mit der medizinischen Fachzeitschrift Pädiatrie eine erschreckende Entwicklung. Nicht nur habe die Körperzufriedenheit in den letzten fünfzig Jahren abgenommen. Auch beginne dieser Trend bereits in einem sehr jungen Alter. „Studien sagen uns, dass bei 8- bis 13-jährigen Kindern bereits 30 Prozent zwar noch kein essgestörtes Verhalten im engeren Sinne zeigen, jedoch Diät halten und sehr stark auf ihre Ernährung achten.“ (rosenfluh.ch) Der Schönheitswahn setzt uns immer mehr unter Druck. Body Positivity hingegen hat einen positiven Einfluss auf die Körperzufriedenheit. Ein Schluss, zu dem Anna Schmidt in ihrer Bachelorarbeit zu Schönheitsidealen in den sozialen Medien kommt.

„Die Freiheit, endlich sein zu dürfen“

Eine ähnliche Erfahrung beschreibt auch Kathrin Tschorn in ihrem Blog Marshmallow-Mädchen. Als dicke Frau erzählt sie dort von ihren Erfahrungen mit Body Positivity. „Für mich […] bedeutet diese Form der Körperakzeptanz vor allem die Freiheit, endlich sein zu dürfen.“, schreibt sie. Bevor sie das jedoch erreichte, sei sie in einem Kreislauf aus Essstörungen, Diäten und Selbsthass gefangen gewesen. Erst durch Body Positivity und Selbstakzeptanz schaffte sie es, daraus auszubrechen. „Ich wiege heute mehr als früher, aber ich war auch noch nie so glücklich.“ , erzählt Kathrin. Sowohl körperlich als auch psychisch sei sie noch nie so gesund gewesen. Neben verbesserten Blutwerten konnte sie dadurch auch ihre Depressionen und ihren Selbsthass überwinden.

Kritik: Ein Aufruf zum Dicksein?

Durch Body Positivity wird nun auch kurvigen Menschen eine Plattform gegeben – ein Problem, wie manche finden. Bild: Pexels

Trotz des scheinbar positiven Einflusses der Bewegung wird ihr häufig vorgeworfen, dass Body Positivity ein Aufruf zum Dicksein sei und eine Ignoranz dessen negativer Folgen auslöse. Klar, dass jetzt auch dicke Menschen repräsentiert werden, kann dazu führen, dass sich diese weniger stigmatisiert und wohler in ihrem eigenen Körper fühlen – und dann nicht mehr zwingend abnehmen wollen oder sich sogar ermutigt sehen, zuzunehmen. Das kann zum Problem werden, denn Adipositas erhöht das Risiko für verschiedene chronische Krankheiten wie Diabetes, Arthrose oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Doch dass die mentale Belastung durch den Schönheitsdruck und ein unrealistisches Ideal ebenso gesundheitsschädigend sein kann, wird häufig vergessen: Unzufriedenheit mit sich selbst, Depression, riskante Körpermodifikation bis hin zu Essstörungen mit tödlichem Ausgang können dessen Folgen sein, so Dr. Thomas Ettl (Psychologie-Aktuell.com). Daher halte ich persönlich die Entstigmatisierung von Übergewicht für einen unglaublich wichtigen Schritt. Zudem wird häufig vergessen, dass es vor der Body Positivity Bewegung ein ähnliches Problem gab – nur in die ganz andere Richtung. Denn durch die ausschließliche Darstellung von schlanken, und zwar häufig ungesund schlanken Körpern, wurde eine Normalisierung von Untergewicht erzeugt. Und das kann, ebenso wie Übergewicht, massiv gesundheitsschädigend sein. Außerdem zeigt ebengenanntes Beispiel, dass mit Gewichtszunahme nicht zwingend eine Verschlechterung der Gesundheit einhergehen muss: für Kathrin passierte sowohl in Bezug auf ihre mentale- als auch körperliche Gesundheit das Gegenteil. 

Body Neutrality statt Body Positivity

Doch ein weiteres Problem bleibt: die exzessive Fokussierung auf den Körper und auf Äußerlichkeiten, statt auf Fähigkeiten und Können. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) gibt an, dass „[e]in Drittel unseres Selbstwertgefühls […] laut Psychologen von unserem Aussehen bestimmt [wird]“, wobei der Anteil bei Frauen vermutlich noch höher liege. „Das ist das Problem. Frauen wird systematisch beigebracht, dass ihr Wert von ihrem Aussehen abhängt.“, sagt Sozialpsychologin und Autorin Anuschka Rees im Interview mit der FAZ. Weiter kritisiert sie die Body-Postitivity-Bewegung folgendermaßen: „Selbst wenn Schönheitsideale sich wandeln und lockern: Das ändert nichts daran, dass die Gedanken von vielen Frauen und zunehmend auch Männern stark ums Aussehen kreisen. Schönheit hat einfach einen extrem hohen Stellenwert in unserer Gesellschaft, und daran ändert auch ein bisschen mehr Diversität nichts.“ Als mögliche Alternative zum Schönheitswahn schlägt sie Body Neutrality vor. Dabei wird der Fokus weg vom Aussehen und hin auf die Fähigkeiten eines Körpers gelenkt. Somit wird der Selbstwert nicht mehr aus ästhetischen Werten, sondern aus dem eigenen tatsächlichen Können gezogen. Und das ist um einiges weniger vergänglich als das Aussehen. 

Fazit

Mein persönliches Fazit: Keine Bewegung ist perfekt, und so ist es Body Positivity sicherlich auch nicht. Für mich überwiegen aber die Vorteile. Denn dass das Kreieren eines alternativen Schönheitsideals positive Folgen hat und vor allem Menschen helfen kann, die dem herkömmlichen Standard nicht entsprechen, sollte nun ja deutlich geworden sein. Langfristig sollten wir aber versuchen, unsere Wertung ganz zu verschieben: und mehr auf Fähigkeiten, als auf Äußerlichkeiten achten.

Quellen:

A Critical Analysis of the Body Positive Movement on Instagram: How Does it Really Impact Body Image? URL: https://web.archive.org/web/20210430191428id_/https:/digitalscholarship.unlv.edu/cgi/viewcontent.cgi?article=1003&context=spectra

Matthew Williamson for H&M TV commercial, URL: https://www.youtube.com/watch?v=ERb_CoCLX0s&t=1s

Holiday style just got magical, URL: https://www.youtube.com/watch?v=h76EO_168vE

Neue Studie zu Diversität im Marketing, URL: https://yougov.de/economy/articles/41318-neue-studie-zu-diversitat-im-marketing

Soziale Medien verändern Blick auf den Körper – Alle glatt, strahlend, perfekt, URL: https://www.deutschlandfunkkultur.de/soziale-medien-koerper-wahrnehmung-junge-menschen-100.html

«Unser heutiges Schönheitsideal ist irreal und gefährlich», URL: https://www.rosenfluh.ch/media/paediatrie/2018/05/Unser-heutiges-Schoenheitsideal-ist-irreal-und-gefaehrlich.pdf

Schmidt, Anna: Schönheitsideale in sozialen Medien. Eine empirische Untersuchung zum Einfluss von Körperidealen und der Body Positivity Bewegung auf Studierende der Hochschule Meißen, URL: https://opus.bsz-bw.de/hsf/frontdoor/deliver/index/docId/2031/file/Schmidt_Anna-Bachelorarbeit.pdf