Tag 7: #Tatort
von Caroline Wahl
Sonntag. Dreizehn Uhr vierzehn. Meine Mama weckt mich zum Mittagessen. Ich habe Kopfschmerzen. Eigentlich müsste ich mich jetzt um einen Zug, einen Fernbus oder eine Mitfahrgelegenheit kümmern. Heute Abend bin in ich in Tübingen zum „Tatort“-Public Viewing schauen verabredet. Aber ich will einfach nur hier mit meiner Familie und meinem Kater am Esstisch sitzen. Am liebsten für immer. Mein Kopf tut weh und wir haben leider kein „Schleckerey deutscher Gymnasiasten und Burschen“ zum Verjagen des Katers hier.
Sonntag. Fünfzehn Uhr elf. Apathisch sitze ich noch immer am Esstisch. Meine Schwester sitzt neben mir und spielt Candy Crush. Ich finde zurzeit keine Energie, unter diversen Verbindungen mit unterschiedlichen Verkehrsmitteln die preiswerteste und noch dazu die schnellste zu finden. Davon würde ich nur noch mehr Kopfschmerzen bekommen. Außerdem bin ich ein Gegner von Sofort-Überweisungen. Ich denke, dass ich nachher einfach zum Bahnhof fahre und mich überraschen lasse, welcher Zug mich mitnimmt. Dann zahle ich eben einundfünfzig Euro.
Sonntag. Siebzehn Uhr vier. Ich sitze in einer Regionalbahn und bin zum zweiten Mal umgestiegen. Ich war dann doch nicht bereit, einundfünfzig Euro für einen ICE zu zahlen. Dafür höre ich jetzt in den Durchsagen jede gefühlte Minute einen neuen lustigen Ortsnamen, den ich noch nie im Leben gehört habe. Bretten. Illingen. Sachsenheim.
Sonntag. Neunzehn Uhr fünfundzwanzig. Ich bin endlich da. Jetzt noch schnell für Tatortschauen fertig machen. Wann treffen wir uns überhaupt? Wo habe ich denn mein Handy hingesteckt? Verdammt. Ich habe es zuhause vergessen.
Sonntag. Zwanzig Uhr. Todesmutig bin jetzt einfach zu der Bar gefahren, in der wir meistens Tatort schauen, und hoffe, dass sich meine Freunde nicht kurzfristig in irgendeiner neu gegründeten WhatsApp-Gruppe nach langer Diskussion für einen anderen Ort entschieden haben. Marie, da bist du ja. Wieso schreibst du nicht in die „Tatort“-Gruppe? Wir dachten schon, dir ist was passiert! Wieso gehst du nicht an dein Handy? Wir haben dich mindestens zwanzigmal angerufen! Ich habe mein Handy zuhause vergessen. Und wieso postest du das nicht auf Facebook? Dann würden wenigstens alle wissen, dass du nur noch über Facebook erreichbar bist! Vergessen. Mache ich morgen.
Sonntag. Zwanzig Uhr fünfzehn. Schade Marie, jetzt kannst du gar nicht mit „Tatort-Twittern“. Ich komme zurecht. Dabei bist du immer die, die von Anfang an weiß, wer es war. Wen soll ich jetzt retweeten?
Sonntag. Zwanzig Uhr zwanzig. Fleißig tippen meine Detektiv-Freunde unter dem Hashtag Tatort ihre neusten Vermutungen ein, welche Indizien für welchen Mörder sprechen, was sie unlogisch finden und welchen Darsteller sie am besten finden. Ganz lustig, das als Außenseiter zu beobachten. Ich weiß wer der Mörder ist.
Sonntag. Zweiundzwanzig Uhr neunundfünfzig. Ich liege im Bett und weiß nicht was ich machen soll. Normalerweise verbringe ich die letzten Stunden vor dem Einschlafen immer mit meinem Handy. Facebook. Instagram. Snapchat. Youtube. Whatsapp. Jetzt liegt mein Handy zuhause und ich hier. Ich könnte meinen Laptop holen aber der ist noch im Rucksack. Stattdessen nehme ich mir einen Roman, den ich schon lange lesen wollte. Ich bin es gewohnt, dass mein Tag mit meinem Smartphone beginnt und endet. Vielleicht wollte ich es ja einfach mal liegen lassen. Vielleicht wollte ich einfach mal einen Roman lesen. Und vielleicht gehe ich die Woche mal im Wald spazieren.
Sonntag dreiundzwanzig Uhr. Es war die richtige Entscheidung das Handy liegen zu lassen. Ja, es war eine Entscheidung. Ich habe ganz vergessen, wie gerne ich immer schon gelesen habe.
Foto: flickr.com/Insomnia Cured Here (CC BY-SA 2.0)