Schwarzes Licht am Ende des Tunnels

Von Lea Tautz

Kommt die Wahrheit ans Licht oder bleibt sie im Dunklen verborgen? In Med Hondos Thriller „Lumièr Noire“ („Black Light“) versucht Guyot (Patrick Poivey) die Wahrheit über den Mord an seinem Freund Blanc ans Licht zu bringen. Der Film spielt auf wahre Begebenheiten an: die Manipulations- und Vertuschungsversuche der französischen Polizei, die in den 1980er-Jahren neben Morden auch Abschiebungen von Schwarzafrikanern geheim hielt. Bei seinen Recherchen stößt Guyot auf Ungereimtheiten, die nicht nur ihn in Gefahr bringen.

Im Bild: ein Flughafen und eine Autobahn. Straßenlaternen beleuchten die Fahrbahn. Mitten zwischen den Autos eine hektische Verfolgungsjagd. Heftige Schlangenlinien. Plötzlich Schüsse. Dann Stille. Das eine Auto steht mitten auf der dunklen Straße, ein Mann liegt unbewegt daneben. Dunkelrotes Blut. Ein zweiter Mann beugt sich gekrümmt über ihn. Auf einmal durchbohrt sein durchdringendes Schreien die Stille. Die Wut in der Stimme ist kaum zu überhören. Er schüttelt den am Boden liegenden Mann: Er soll aufstehen! Mitten im Geschrei wird es dann klar: Der Mann am Boden ist tot.

Mit dieser Szene beginnt Med Hondo seinen Politthriller, der erstmals 1994 veröffentlicht und bei den Französischen Filmtagen 2018 in Tübingen erneut gezeigt wurde. Vorlage für „Lumière Noire“ war der gleichnamige Krimi von Didier Daeninckx, der auf wahren Begebenheiten beruht.

Der Verlust seines Freundes macht Guyot vor allem eines: unfassbar wütend. Die französische Polizei versucht derweil, mit allen Mitteln den Mord an Blanc zu vertuschen und stellt ihn als Notwehr dar. Verschiedenste Polizeioffiziere setzen Guyot, den scheinbar einzigen Zeugen, mit Manipulationsversuchen unter Druck, um ihn zum Schweigen zu bringen. Doch der lässt sich nicht unterkriegen und findet einen weiteren Zeugen, der die Schießerei beobachtet haben soll. Dabei deckt er einen neuen Skandal auf: die geheime Abschiebung von Schwarzafrikanern. Um seinem toten Freund wenigsten ein bisschen Würde zu bewahren, reist Guyot sogar bis nach Mali, um den Zeugen ausfindig zu machen. Dabei werden ihm immer wieder Steine in den Weg gelegt – und Blancs Tod wird nicht der einzige bleiben.

„Lumière Noire“ führt die damalige Politik der französischen Regierung kritisch der Öffentlichkeit vor. Kein Wunder also, dass Med Hondo große Schwierigkeiten hatte, die Produktion zu verwirklichen und der Film politisch unerwünscht war.

Patrick Poivey spielt die Rolle des Guyots  überzeugend: konzentriert und zielstrebig, wenn er auf dem Weg nach Mali alles auf sich nimmt, um den einzigen Zeugen zu finden; laut und aufbrausend, wenn er dessen Wutanfälle mimt. Besonders in den Szenen, in denen er ohrenbetäubend mit den Polizisten diskutiert, beeindruckt er mit schauspielerischem Talent. Mit Worten, die sich überschlagen, und mit völlig natürlicher Mimik und Gestik trägt der Schauspieler der Hauptfigur zur Dramaturgie gelungen bei.

Erwähnenswert ist besonders der Einsatz der Off-Töne. Um Hektik und Spannung aufrecht zu erhalten, lässt Med Hondo die sonst normal im Film vorkommendenöne im Nachhinein als Off-Ton einfügen: das Auf-und-zu-Machen eines Reisverschlusses an Guyots Reisegepäck, Motorengeräusche der Autos, die in der Verfolgungsjagd zu sehen und vor allem zu hören sind, und extra laute Schüsse aus den Pistolen der französischen Polizei. Über diese Art von Tonrealisierung lässt sich heutzutage zwar streiten, allerdings konnte Hondo hierdurch mit den Geräuschen spielen und die Lautstärke unnatürlich hochschrauben – eine gelungene Möglichkeit, die spannende Atmosphäre des Films zu unterstützen.

Nicht nur der Ton, sondern auch die Einstellungsgrößen der Kamera spielen hier eine entscheidende Rolle. Die zahlreichen Detailaufnahmen von den Gesichtern der Schauspieler kreieren eine nicht aushaltbare Dramatik. Die Kiefer aufeinandergepresst, die Augen misstrauisch zusammengekniffen, Lippen, die langsam gefährliche Worte formen, oder ängstliches Schlucken – all das ist übermächtig groß auf der Leinwand zu sehen. So wird der Ernst der Lage hervorragend an die Zuschauer vermittelt.

Statt einer Auflösung der zuvor aufgebauten Spannung durch Bild, Ton und Schauspielkunst endet der Film ganz plötzlich mit einem weiteren Skandal. Beim Zuschauer hinterlässt dieser Schluss ein unbefriedigendes Gefühl und den Wunsch, dass noch irgendetwas kommt – eine letzte Szene, die Gerechtigkeit in die Sache bringt. Fasst man das plötzliche Ende edoch als Stilmittel auf, so kann man von einem gelungenen Abschluss sprechen.

Mit dieser erfolgreichen Inszenierung hat es Med Hondo also wieder einmal geschafft, ein wichtiges Zeichen zu setzen. Nicht nur für die Filmindustrie und die Meinungsfreiheit, sondern vor allem für die Wahrheit. Er hat der Welt die Augen geöffnet. Auch in der heutigen Zeit spielt der Film thematisch noch eine große Rolle. Denkt man zum Beispiel an die politische Situation in den USA, an die Probleme zwischen weißen und schwarzen Amerikanern oder auch an die momentane Flüchtlingssituation – in Europa, Nord- und Südamerika scheint das Thema leider zeitlos und passend.

Med Hondo hat mit „Lumière Noir“ ein beeindruckendes Werk geschaffen und die französische Filmindustrie international erfolgreich vertreten. Zwar ist dem Film kein Happy End vergönnt, dennoch gibt Hondo mit dem Titel des Films ein deutliches Statement ab: Auch ein schwarzes Licht ist ein Hoffnungsschimmer am Ende des dunklen Tunnels.

LUMIÈRE NOIR, 1994 Frankreich, Mauretanien – Regie: Med Hondo. Buch: Med Hondo. Mit: Ines de Medeiros, Patrick Poivey und Charlie Bauer. 103 Min.

Lea Tautz (21) ist Studentin der Medienwissenschaft an der Universität Tübingen und hat durch die Französischen Filmtage ihr verdecktes Interesse am Kulturkino entdeckt.