Der Schmerz Duras

Von Lia Tabea Kentischer

Das besetzte Paris um 1944, kurz vor seiner Befreiung: Emmanuel Finkiels Kriegsdrama „La Douleur“ (Der Schmerz) erzählt, basierend auf der gleichnamigen autobiografischen Romanvorlage, die Leidensgeschichte der französischen Schriftstellerin Marguerite Duras. So eindrücklich wurde die allgegenwärtige Angst, das vorherrschende Misstrauen, die alles erdrückende Hoffnungslosigkeit der zurückgelassenen Ehefrauen während des Zweiten Weltkrieges selten gezeigt.

Die junge Schriftstellerin Marguerite Duras (Mélanie Thierry) wartet auf die Rückkehr ihres Mannes Robert Antelme (Emmanuel Bourdieu) aus der Kriegsgefangenschaft – und steht am Rande des Wahnsinns. Diesen Zustand, den die Autorin selbst als „das wichtigste Ereignis ihres Lebens“ bezeichnet, in all seinen Facetten zu zeigen, macht sich das Drama „La Douleur“ zur Aufgabe. Marguerite beweist ein unglaubliches Durchhaltevermögen und die Ängste, die sie durchsteht, sind während der gesamten Laufzeit des Films derart präsent zu spüren, dass sie dem Zuschauer in einer außergewöhnlichen Weise nahegehen.

Mangels anderer Möglichkeiten der Informationsbeschaffung wendet sich Marguerite in ihrer Verzweiflung an den deutschen Gestapo-Offizier Pierre Rabier (Benoît Magimel), um mehr über den Aufenthalt ihres Mannes in Erfahrung zu bringen. Ein gefährliches, manipulatives Spiel beginnt sich zwischen den beiden zu entwickeln, bei dem stets unklar bleibt, wer Katze und wer Maus ist. Zu dieser explosiven Dynamik trägt insbesondere die Beziehung Marguerites zu ihrem Liebhaber Dionys bei, grandios gespielt von Benjamin Biolay.

Beispielhaft für die bildgewaltige Umsetzung dieser dramatischen Geschichte ist eine Sequenz, in der Marguerite in einem roten Kleid allein auf dem Rad durch die verlassenen Pariser Straßen fährt. Der Place de la Concorde zieht in pastelligen Tönen vorbei. Die malerische, helle Kulisse der Großstadt und die auditiv eingeblendeten Zitate aus ihren Tagebucheinträgen, trübsinnig und hoffnungslos wie selten zuvor, bilden einen starken Kontrast.

Acht Tage später: die Befreiung von Paris. Die ganze Stadt, eine einzige große Fete, die Stimmung ausgelassen, überall Musik und tanzende Menschen. Marguerite hingegen verschanzt sich einsam und fiebernd in ihrer Wohnung, überwältigt von dem an ihr nagenden Schmerz. Unzählige Nahaufnahmen nehmen dem Zuschauer jegliche Distanz zu den überwältigenden Gefühlen der Verzweifelten, sodass ihre Niedergeschlagenheit intensiv zu spüren ist. Die Intimität, die der Regisseur somit erschafft, ist für den Betrachter letztlich kaum mehr auszuhalten.

Mélanie Thierry, die mit ihrer fantastischen Darstellung der tristen Gefühlswelt Marguerites den kompletten Film trägt, war zuletzt 2016 in dem Film „Die Tänzerin“ von Stéphanie di Giusto mit Lily-Rose Depp zu sehen. Ihre schauspielerische Leistung ist brillant und beeindruckend. Jede Regung, jede ihrer vergossenen Tränen wirkt authentisch und gebannt lauscht man den poetischen Gedankengängen Duras, die ihr in den Mund gelegt werden.

Nun mag man sich als Kinogänger fragen: Wieso noch ein weiterer Film, der den Zweiten Weltkrieg thematisiert? Besonders originell scheint dieses Themengebiet zunächst nicht, da es Filme mit eben jenem Inhalt bereits zur Genüge gibt. Dennoch gelingt es Emmanuel Finkiel mit der emotionsgeladenen Romanverfilmung den tiefen Schmerz des Krieges im ästhetisch äußerst ansprechend inszenierten Paris der 1940er-Jahre einzufangen. Im Fokus liegt hierbei nicht der Krieg als Ereignis, sondern erzählt wird aus der Perspektive einer zurückgebliebenen Frau. So bleibt einem beim Verlassen des Kinosaals vor allem die präzise psychologische Ausdifferenzierung der Protagonistin im Gedächtnis.

„La Douleur“ stellt eine außergewöhnlich authentische, sehr kunstvolle Umsetzung eines realen Schicksals dar, die insbesondere durch den gekonnten Einsatz von Licht- und Farbgestaltung, präzise geführter Kamera und den ausgewählten starken Aussagen der Autorin als narratologisches Mittel überzeugt. Nach den Erfolgen seines ersten Filmes „Voyages“, der unter anderem im Jahre 1999 einen César und den Prix Louis-Delluc gewann, scheint nun auch dieser Film Finkiels Chancen auf internationale Auszeichnungen zu haben. Zuletzt wurde „La Douleur“ von der Academy of Motion Picture Arts and Sciences als Anwärter Frankreichs ins Rennen geschickt, den Titel des „Besten Ausländischen Films“ der Oscars 2019 zu erringen.

LA DOULEUR, Frankreich / Belgien / Schweiz 2017 – Regie: Emmanuel Finkiel. Buch: E. Finkiel. Kamera: Alexis Kavyrchine. Mit: Mélanie Thierry, Benoît Magimel, Benjamin Biolay. 127 Min.

Quelle des Fotos: http://www.filmsdulosange.fr/uploads/pictures/3edb596434e9d4377cc34450d567c82784dc724f.jpg (Dossier de Presse „La Douleur“ – Les Films du Solange)

Lia Kentischer (20) ist Studentin der Medienwissenschaft an der Universität Tübingen, schaut für ihr Leben gerne Literaturverfilmungen und ist dadurch bei den Französischen Filmtagen besonders auf ihre Kosten gekommen.