Ein Gespräch über Power Trains, glückliche Zufälle im Leben & ein Büro der Wahrheit

Ein Portrait über Lisa Dollenmaier

Von Jérémie Lux

Montag morgens, 10 Uhr.

Die Sonne scheint über dem idyllischen Neckartal, einem Hybrid aus Weinbergen und den Industrieanlagen des schwäbischen Autobauers.

Schon von weitem erkennt man den silbernen Stern, umgeben von rauchenden Schornsteinen und Bürotürmen. Schließlich gelange ich an den vereinbarten Treffpunkt: Tor 1, Emil – Kessler Straße 4.

Begrüßt werde ich von Lisa persönlich und nach kurzer Anmeldung als Besucher machen wir uns auf den Weg in die Interview Location: einem Meeting Raum im Herzen der Anlage. Erst wenn man an den unzähligen Fabrikhallen und Gebäuden entlangläuft, werden die Ausmaße des Geländes richtig deutlich. Insgesamt 19.000 Mitarbeiter sind allein an diesem Standort beschäftigt. Bei Unternehmen dieser Größenordnung ist ein Betriebsrat meist obligatorisch. Und die Kommunikationsbeauftragte des Betriebsrats der Daimler AG in Untertürkheim werde ich heute interviewen.

 

Nach kurzem Smalltalk und einer Tasse Kaffee, (angemerkt besserem als dem der Uni) beginne ich mein Interview mit Lisa. Ihrem Leben, interessanten Glücksfällen und dem Job bei Daimler. Zunächst erzählt sie einiges zu ihrem Arbeitsplatz, oder genauer was auf dem dortigen Gelände eigentlich so passiert. Beim Werk in Untertürkheim handelt es sich nämlich um einen sogenannten „Powertrain“ Standort. Hier werden die Antriebsstränge hergestellt, die schließlich in die unterschiedlichen Mercedes Modelle eingesetzt werden. Auch die Forschung und Entwicklung hat hier ihren Sitz. Dort werden unter anderem neue Antriebskomponenten entwickelt und in einem eigenen Zelllabor an Batteriezellen geforscht. Ein notwendiger Bereich, denn das Unternehmen befindet sich im Umbruch. Die Mobilitätswende entwickelt sich hin zu Elektroantrieben, und diese brauchen zwangsläufig andere Komponenten als der klassische Benzin- oder Dieselmotor. Ein Umstand, der in direktem Zusammenhang mit ihrem Job steht, wie sich im weiteren Verlauf noch herausstellt.

Doch nun einmal weg von technischen Informationen oder Daten über den Standort. Weiter wollte ich etwas über ihren bisherigen Werdegang erfahren, interessante Wendepunkte und ihrem Weg dorthin wo sie jetzt ist.

Ihren Bachelor absolvierte Lisa an der Universität Tübingen im Bereich der American Studies. Kein Nebenfach, dafür hauptsächlich in englischer Sprache. Viele Texte und Hausarbeiten, allerdings nichts womit sich nach dem Studium einmal Geld verdienen lässt. Nebenher arbeitete Lisa in einer kleinen Zeitungsredaktion am Bodensee. Journalistisches Arbeiten gefällt ihr sehr, ihr damaliger Chef erkennt ihr Talent, fordert und fördert sie. Einer Erfahrung die ihr bis heute von Nutzen ist. Die nächste Station auf ihrer Reise zum Stern war dann das deutsch – amerikanische Institut in Tübingen.

Automatisch generierte BeschreibungHier kommt sie in Kontakt mit Öffentlichkeitsarbeit und neuen Medien. Die Entscheidung, beruflich in Richtung Kommunikation gehen zu wollen, verfestigt sich. Irgendwann war schließlich dann der Punkt gekommen, an dem sie sich die Frage stellen musste, wie es nach dem Abschluss weitergehen soll. Berufseinstieg oder Master? Die Entscheidung war wesentlich beeinflusst von dem Gefühl, dass sie mit dem Kapitel Uni noch nicht abgeschlossen hatte – zu viel Spaß machten ihr wissenschaftliches Arbeiten und der Umgang mit Wort und Schrift.

Geprägt von den bisherigen Erfahrungen entscheidet sie sich für einen Master in den Medienwissenschaften. Eine Wahl, die sie bis heute nicht bereut – im Gegenteil: Zum einen waren viele Inhalte des Masters, wie zum Beispiel der praktische Umgang mit verschiedenen Medien, für ihren beruflichen Einstieg sehr nützlich. Zum anderen hat sie auf diesem Weg, zwischen zwei Seminaren, über eine Kommilitonin von einem Job beim Betriebsrat der Daimler AG erfahren – ihrem heutigen Arbeitgeber. Sie bewirbt sich, hat Glück und bekommt die Werkstudentenstelle. Hier findet sie alles, was ihr bis heute Spaß macht: politische Themen, ein Team in dem sie sich wohlfühlt und vor allem, die Möglichkeit zu Schreiben und kreativ zu sein.

Es beginnt eine anspruchsvolle Lebensphase, geprägt vom ständigen Spagat zwischen dem Betrieb und der Uni. Wie schwer diese Kombination sein kann, zeigt sich zu Beginn der Masterarbeit: Bibliothek und Büro bestimmen bis zum Abschluss ihren Alltag. Jedoch geht auch diese Phase vorbei – allerdings gilt das auch für ihre Werkstudentenstelle bei der Daimler AG. Nach erfolgreichem Abschluss startet sie deshalb zunächst in einem mittelständischen Unternehmen, sehnt sich aber permanent zurück in ihre Zeit beim Betriebsrat… Die Freude war deshalb groß, als sich wenige Monate später eine ehemalige Kollegin aus ihrer Zeit als Werkstudentin meldet und sie fest zurück zum Stern holt. Von da an beginnt ihre weitere Karriere in der Position der Kommunikationsbeauftragten des Betriebsrates am Standort Untertürkheim, sowie deren Pressesprecherin.

Die Aufgaben sind vielseitig wie vielversprechend: Insgesamt viermal im Jahr findet eine Betriebsversammlung statt. Diese wird von Lisa organisiert, ebenso verfasst sie die Reden des Betriebsratsvorsitzenden. In Zeiten von Corona in analogem Format unmöglich, weshalb sie ein Format entwickelt hat, diese Versammlungen digital zu veranstalten. Per Video. Zudem kümmert sie sich um die Gewerkschaftszeitung, Texten, Layout und Bilder für sieben bis zehn Ausgaben im Jahr. Im Intranet der Daimler AG hat der Betriebsrat einen eigenen Space, der moderiert und bespielt werden will. Zudem fällt die sogenannte Regelkommunikation, etwa über gesetzliche und arbeitspolitische Grundlagen, in ihren Verantwortungsbereich. Doch damit nicht genug: In ihrer Funktion als Pressesprecherin führt sie Hintergrundgespräche mit Journalisten, einer Tätigkeit auf dünnem Eis, immer darauf bedacht, Informationen und Positionen im Sinne des Betriebsrats zu vermitteln und gleichzeitig die des Unternehmens zu schützen. Besonders relevant sind dabei Themen wie die Transformation hin zu E-Mobilität, die die gesamte Branche tiefgreifend verändert. Denn die Transformation führt zu einem wesentlich geringeren Bedarf an Arbeitskräften, was im direkten Spannungsfeld zu den Aufgaben des Betriebsrates steht – nämlich die Interessen der Arbeitnehmer zu vertreten und durchzusetzen. Ein wichtiges und anhaltendes Thema, wie sie mir erzählt.

Abschließend will ich noch von Lisa wissen, was genau ihr der Master in Medienwissenschaft real für den Berufsalltag gebracht hat. Ich finde in der Antwort wieder, was ich mir selbst davon erwarte: Praxisnähe, Vertiefung der Schreibfertigkeit, Bild- und Videobearbeitung, Selbstorganisation und die Fähigkeit sich in die Abhängigkeit eines Teams zu stellen. Als ich nach ihrer beruflichen Zukunft frage, bekomme ich eine klare und sichere Antwort. Sie will auf jeden Fall im Kommunikationsbereich bleiben, ihr Job macht sie glücklich. Die Zeit für das Interview liegt nun in den letzten fünf Minuten, und ich nutze die Gelegenheit für eine letzte Frage: „Was war dein schönster Moment in deiner bisherigen Laufbahn hier?“ – und nach ein paar Sekunden bekomme ich eine Antwort, die ich so nicht vermutet hätte. In einem derartig großen und vielfältigen Kosmos wie dem Daimler Betriebsgelände, findet sie Sicherheit in ihrem „Büro der Wahrheit“ und lacht. Was es damit auf sich hat? Diese Räumlichkeit teilt sie sich mit ihrer Kollegin und einem gemeinsamen Versprechen absoluten Vertrauens und keinerlei beruflichen Geheimnissen. Einer Konstellation die sicherlich nicht oft zu finden ist.

Schließlich endet unser Gespräch, die Tassen mit Kaffee sind leer, und mein Fragenportfolio auch. Nach freundlicher Verabschiedung verschwindet Lisa in den Gängen des Gebäudes zum Folgetermin, und ich mache mich auf den Heimweg.