Kreativer, was bist du wert?
von Gastautor Jan Nowak
„Er ist alt und trägt einen grauen Kittel und sein Selbst bleibt vollkommen unausgedrückt. Der holt mir keinen Kaffee und erzählt sich dabei eine Geschichte oder träumt von einem diffusen Bereich, der allen offen steht. Der holt mir einfach nur meinen Kaffee. Der schreibt einfach seine Probenpläne. […] Das ist keine Katastrophe für den zu altern, der altert in einem klar definierten Job und nicht in einem diffusen Versprechen.
[…]
Wie viel mehr aber könnte der hippe Praktikant aus Entfremdung gewinnen. […] Irgendwer muss dem erzählt haben, dass es ihn ernährt, er selbst zu sein. In einer Sprache, die ihm nicht gehört, in der aber die Dinge lesbar sind für ihn. Hier müssten aber Körper Texte reden, in denen sie vorkommen.“
So beginnt der deutsche Regisseur René Polleschs seinen Text Lob des alten litauischen Regieassistenten im grauen Kittel. Pollesch hat ihn für die jungen Kreativen unter uns geschrieben. Ein unangenehmer, seltsamer Text. Seltsam, weil er jemanden beschreibt, der durch den Versuch, gar nicht erst er selbst zu sein, etwas von sich retten kann; während ein Anderer beim Versuch, sich selbst zu verwirklichen, doch nur das Gegenteil erreicht.
Eine mutige These?
Und ob! Nicht bloß mutig, fast schon verrückt, doch zumindest vollkommen unzeitgemäß, magst du vielleicht behaupten. Und ein bisschen hast du womöglich auch recht. Denn unsere Kultur, die Zukunft unserer Gesellschaft lebt doch schließlich von jungen Menschen mit großem Willen zum Ausdruck! Keine Frage.
Wer heute Abitur hat, dem ist die Selbstverständlichkeit einer selbstverwirklichenden Tätigkeit ja quasi in die Wiege gelegt. Nicht das Geld, schon allein unser Interesse am eigenen Interessantsein motiviert uns oft zu Höchstleistungen. Ein Leben, das zu jedem Zeitpunkt eine selbstgeschriebene Geschichte erzählt. In keiner Generation hat die unabhängige Autorenschaft der eigenen Autobiografie eine größere Rolle gespielt, als in der Unsrigen.
Das sah vor etwa fünfzehn Jahren noch ganz anders aus. Damals schon prognostizierte uns Richard Sennett den „flexiblen Menschen“ und mit ihm den Untergang von Tugenden, wie Treue und Verantwortungsbewusstsein. Schuld daran sei nach Sennett der Turbokapitalismus unserer Zeit und mit ihm die Jagd der Unternehmen nach noch schnelleren Gewinnen. Aus Berufen mache man erst „Jobs“ und später „Projekte“. Die Nachfrage nach reaktionsschnellen und anpassungsfähigen jungen Leuten wachse. Doch auch die Beziehungsarmut und Einsamkeit dieser Menschen müsse dadurch gewachsen sein, so Sennett. Sennetts düstere Prognosen gingen damals um die Welt. 2013 macht sich scheinbar keiner mehr Sorgen um unser flexibles Dasein.
Was hat sich verändert?
Wir doch sicher nicht!? Weder damals noch heute will irgendjemand freiwillig Polleschs ausdruckslosen Regieassistenten im grauen Kittel spielen. Was sich aber optimiert hat, ist das Geschäft mit unserer Selbstverwirklichung. Weil uns nichts wichtiger ist, als die Entfaltung unserer Persönlichkeit, unserer Unabhängigkeit und unserer Freiheit, hat die Kreativwirtschaft “flexible“ Arbeitszeitmodelle, die “Abflachung“ von Hierachien und noch mehr “Komfort“ am Arbeitsplatz geschaffen, anstatt flächendeckend Löhne zu erhöhen, die Workload des Einzelnen zu verringern, oder gesicherte Arbeitsverhältnisse zu garantieren. Für den Sozialforscher Axel Honneth entsteht hier ein ganz neues Anspruchsystem. Wem man gestattet, Telefonkonferenzen wie bei Google gechillt in der Hängematte zu führen, im unternehmenseigenen Fitnessstudio zu entspannen oder die angeblich hippsten Projekte zu leiten, von dem darf man wohl auch erwarten, sich zu einem lächerlichen Gehalt und unmenschlichen Arbeitszeiten den letzten Tropfen Kreativität (wenn man das denn so nennen darf) aus den Fingern zu saugen.
Arm, aber trotzdem nicht sexy?
Vielleicht ist es endlich an der Zeit, dass wir jungen Kreativen uns überlegen, wie viel unsere Ideen, unsere Ideale, doch vor allem wir selbst uns und der Welt wirklich wert sein möchten. Eben diese Wertvorstellung muss jetzt unbedingt auch öffentlich diskutiert werden. Ein offener Studentenbrief der Hochschule Pforzheim an deutsche Agenturen zeigt, wie es gehen könnte. Denn erst, wenn wir unseren eigenen Marktwert überdenken, erinnern wir uns vielleicht daran, dass Glück nicht bloß die große Selbstverwirklichung, sondern vor allem soziale und ökonomische Sicherheiten bedingt. Weil es, wie Pollesch schreibt, „nichts bringt, dauernd Selbst anzuhäufen, wenn uns das Kapital fehlt. […] Denn, was über uns hinausgeht, ist nicht das Heroische. Was über uns hinausgeht, ist das andere Leben. Etwas, das von sich zeugt, ohne Ausdruck, ohne Erinnerung.“
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Foto: flickr.com/joerpe (CC BY-ND 2.0)
Senett, R. (2000). Der flexible Mensch.
Menke, C. & Rebentisch, J. (2012). Kreation und Depression. Freiheit im gegenwärtigen Kapitalismus.
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