Klartext: Gefangen in der Blase – Eli Parisers „Filter Bubble“

von Sandra Fuhrmann


Sucht man nach dem Wort „Depression“ in einem Internetlexikon, installiert die Seite sofort bis zu 223 Cookies. Und fortan wird man mit Werbeanzeigen für Antidepressiva durch das Internet gejagt. Die Gemeinschaft der Internetnutzer ist gefangen in einer Blase, die sie mit ihren eigenen Interessen umgibt. In seinem 2011 erschienenen Buch The Filter Bubble – What the Internet Is Hiding from You thematisiert Pariser genau das: die gemeinsame Einsamkeit im Netz.

Ein Mann der Tat

Eli Pariser ist ein Mann, der durch die Praxis groß wurde. Seinen Bachelor machte er am Simon’s Rock College in Great Barrington, Massachusetts in den Fächern Recht, Politik und Gesellschaft.

Er ist zwanzig Jahre, als er infolge der Terroranschläge von 9/11 eine eigene Website gründet, die sich kurze Zeit später mit der Seite MoveOn.org verbindet. Unter Parisers Leitung schafft die Seite damals einen Meilenstein in der Geschichte der Online-Mobilisierungen, indem sie viele der heutigen üblichen Praktiken etablierte und zeigte, dass es möglich ist, auf dem Online-Weg eine große Menge an vielen kleinen Spendenbeiträgen zusammenzutragen. Mit Auftritten in den meisten amerikanischen Hauptnachrichtensendern erlangte Pariser in den Folgejahren Bekanntheit. Man kann ihn kurz und einfach Online-Aktivisten bezeichnen.

Wie kann ich Ihnen helfen?

Eine kleine Nostalgiereise in die Einkaufswelt vor dem Onlineshopping: Es gab sie damals und es gibt sie noch heute, die Buchläden der realen Welt. Dort suchte man früher nach einem Schmöker, der einem das Einschlafen erleichtert oder lange Zugfahrten überbrückt. Vielleicht ging man sogar öfter in besagten Laden. Dann kam der nette Verkäufer, der uns und unseren Geschmack kannte, oftmals auf uns zu und wies uns auf den neuen Band der Romantrilogie hin, von der wir bereits die ersten beiden Bände gekauft hatten. Ein solcher Buchladen hat viele Regale und man war oft dankbar für solche Tipps, die wertvolle Zeit sparen und einem ein fast garantiertes Lesevergnügen bescheren.

Man stelle sich nun die virtuellen Buchregale bei Amazon vor, denen platzmäßig keine Schranken auferlegt sind. Inzwischen sind es nicht mehr nur Bücher, sondern im Grunde das ganze Spektrum an Möglichkeiten, an dem wir unsere Konsumlust ausleben können. Aber auch hier gibt es ihn: den freundlichen Verkäufer, der uns auf die Angebote hinweist, die uns vermutlich gefallen. Er heißt nicht Herr Meyer oder Frau Müller wie im Buchladen, sondern „Personalisierungsagent“.

Wer wir sind

Bereits zu seinen Anfängen 1995 war Amazon ein Online-Shop mit eingebauter Personalisierung. Die Idee von Personalisierungsagenten aber wurde schon früher entwickelt. Mitte der 90er Jahre gab es eine zunehmende Anzahl an Fernsehsendern, aus denen das Publikum auswählen konnte. So entwickelte Nicolas Negroponte am MIT Media Lab 1994 die Idee einer lernfähigen Fernbedienung, die die Vorlieben der Rezipienten abspeichern konnte.

Ganz ähnlich funktionieren die Personalisierungsalgorithmen, die heute so oft den Pfad bestimmen, den wir auf unserer Reise durch das Internet nehmen. Amazon merkt sich die Produkte, die wir gekauft oder nur angeschaut haben und schickt uns entsprechende Empfehlungen. Google speichert unsere „Click Signals“ und erstellt dementsprechend unseren persönlichen „Page Rank“, also die Reihenfolge der Treffer, die angezeigt werden. Das bedeutet, dass zwei Personen, die nach demselben Wort googeln, ihre Ergebnisse nie in derselben Reihenfolge präsentiert bekommen werden. Oben steht, was erwartungsgemäß am meisten unseren Präferenzen entspricht.

So hinterlassen wir Spuren im Internet. Und in jeder dieser Spuren stecken mehr Informationen über uns selbst, als mancher sich vorstellen mag. Ein angenehmer Service, bei der unendlichen Informationsflut im Internet, könnte man sagen. Ja, ABER, würde Pariser antworten.

Zirkel der Verdammnis

„The structure of our media affects the character of our society. The printed word is conductive to democratic argument in a way that laboriously copied scrolls aren’t.“ Das, was man in den Medien zu lesen und zu hören bekommt, prägt den Charakter der Gesellschaft, sagt Pariser. Die Gesellschaft, das ist das, was sich aus jedem einzelnen Individuum zusammensetzt, also aus uns. Beeinflussen diese gefilterten Inhalte also uns, haben sie damit das Potenzial die ganze Gesellschaftsstruktur zu verändern. Damit kommen wir zu dem, was Pariser als „The Filter Bubble“ bezeichnet.

„[Alghorithms] are prediction engines, constantly creating and refining a theory of who you are and what you’ll do next. Together, these engines create a unique universe of information for each of us.“

Was Pariser beschreibt, lässt sich dramatisch ausgedrückt als Zirkel der Verdammnis beschreiben. „What you’ve clicked on in the past determines what you see next – a web history you’re doomed to repeat.“

Die Jagd nach Unterwäsche – gejagt von Unterwäsche

Als klänge das nicht besorgniserregend genug, geht Pariser noch einen Schritt weiter. Nicht nur, dass wir in einer Blase festsitzen, die immer wieder unsere eigenen Interessen widerspiegelt. Nein, Personalisierung birgt noch weitere Potenziale und Gefahren. Ihre Potenziale wurden bereits von der Wirtschaft entdeckt, ihre Gefahren bleiben bei den Nutzern oft unerkannt. Wer sich schon einmal gefragt hat, warum er von Anzeigen für Markenunterwäsche durchs Internet gejagt wird, seitdem er nur einmal darauf geklickt hat, der hat nun ein Wort dafür: Retargeting.

„For now, retargeting is being used by advertisers, but there’s no reason to expect that publishers and content providers won’t get in on it“. Hier muss man keinen großen Gedankensprung mehr machen, um sich auszumahlen, dass durchaus noch weitere Teilnehmer mit ins Spiel kommen könnten, die das Interesse und die Macht haben, Personalisierung für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Man denke beispielsweise an die politische Führung verschiedener Länder.

Doch die Vorteile für Anbieter gehen weit über bloßes Stalking der potenziellen Kunden hinaus. Die Daten der Nutzer, also die bereits erwähnten Spuren, die wir im Internet hinterlassen, gelten in der Online-Welt längst als eine Art Währung. „The company that has the most data and can put it to the best use gets the advertising dollars.“

Wie wir ticken

Pariser verdeutlicht anhand mehrerer Studien, welch starken Einfluss Medien auf unsere Meinungsbildung haben. So führte beispielsweise der Neuropsychologe Drew Westen einen Versuch durch, bei dem Probenden aufgefordert wurden, sich eine Liste von Wörtern zu merken. Darunter die Wörter Mond und Ozean. Als er danach zu der Frage wechselte, welches Waschmittel sie bevorzugten, zeigten die Probanden eine starke Vorliebe für das Produkt Tide. Doch beeinflussen Medien nicht nur unsere Vorlieben. Auch neigen wir dazu, Dinge eher zu glauben, von denen wir vorher schon einmal gehört haben und die uns so bereits bekannt sind.

Homage an die Freiheit

„All of these are basic psychological mechanisms. But combine them with personalized media, and troubling things start to happen. Your identity shapes your media, and your media then shapes what you believe and what you care about.“

In den nächsten Jahren werden die Regeln geschrieben, die das Online-Leben des kommenden Jahrzehnts oder sogar noch längerer Zeit bestimmen werden, so Parisers Prophezeihung. Die großen Player sind gut darauf vorbereitet, diese Regeln nach ihren Wünschen zu formen. Allein die Internetnutzer scheinen es bislang nicht zu sein. Getreu seiner Rolle als Aktivist sind Parisers Worte ein Plädoyer für die Freiheit im Netz und der Aufruf an alle Nutzer, sich aus ihrer Blase zu befreien. „If the great mass of us decide that an open, public-spirited Internet matters and speak up about it […] the lobbyists don’t stand a chance.“

Ein gefährlicher Aspekt der Personalisierungsagenten ist, wie Pariser feststellt, dass sie unsichtbar sind. Der Kampf für die Freiheit im Netz sollte also mit der Aufklärung der Nutzer beginnen. Genau das tut Pariser in The Filter Bubble. Ein Buch, das nicht nur für Medienwissenschaftler spannend sein dürfte, sondern für jeden, der im Internet regelmäßig auf sich selbst stößt.

 

Klartextlogo: Copyright Pascal Thiel; Fotos: flickr.com/poptech (CC BY-SA 2.0); flickr/gi  (CC BY-SA 2.0)

 

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