Into the Woods – Ich wünsche, also bin ich

von Miriam Gerstenlauer und Henrike Ledig

 

Nach dem großen Erfolg von „Les Misérables“ 2012 schafft es dieses Frühjahr eine weitere Musicalverfilmung eines in unseren Breitengraden eher unbekannten Stückes in die Lichtspielhäuser: Stephen Sondheims Into the Woods.

Unter der Regie von Rob Marshall (den meisten wohl für seine Arbeit an der Musicalverfilmung Chicago ein Begriff) kommt im Februar der wohl untypischste Streifen für die Produktionsfirma Walt Disney daher. In dieser musikalischen Märchenpersiflage bekommen die Helden alle gehörig ihr Fett weg: Zöpfe werden ausgerissen, Wölfe werden direkt gehäutet, jeder bestiehlt jeden und am Ende will trotzdem niemand an der ganzen Misere die Schuld haben. So wirklichkeitstreu waren Märchen noch nie.

 

“Once upon a time, in a far off kingdom…”

Der Kenner weiß: Fast iedes Märchen beginnt mit einem Kinderwunsch. So auch im Falle von Into the Woods. Ein Bäcker (James Corden) und seine Frau (Emily Blunt) wünschen sich nämlich nichts sehnlicher als eigenen Nachwuchs. Leider bricht eines Tages die Nachbarshexe (Meryl Streep) zur Tür herein und offenbart ihnen, dass sie aus Rache einst einen Fluch über die Bäckersfamilie gelegt hat, dieser aber zum Glück aller Beteiligten just in drei Tagen gebrochen werden könne, wenn ein blauer Vollmond über dem (praktischerweise nebenan liegenden) Zauberwald leuchtet. Dazu müssen die Bäckersleute ihr jedoch vier magische Zutaten für einen Zaubertrank bringen: Eine Kuh so weiß wie Milch, einen Umhang so rot wie Blut, einen Schuh so rein wie Gold und schlussendlich Haar so gelb wie Mais.
Welch ein Glück, dass sich sowohl Aschenputtel (Anna Kendrick), Jack (Daniel Huttlestone) und seine Kuhfreundin Milky White, Rotkäppchen (Lilla Crawford) und Rapunzel (MacKenzie Mauzy) im tiefen, dunklen Wald befinden und dort ebenfalls an der Erfüllung ihrer eigenen Wünsche arbeiten.

Auffällig ist, dass es sich bei den Geschichten in Into the Woods tatsächlich um die ursprünglichen Grimm-Versionen handelt: So regnet Aschenputtels Ballkleid aus Gold vom Baum am Grab ihrer Mutter auf sie herab, und ihre Stiefschwestern werden noch traditionell um ihre Zehen beziehungsweise Fersen gebracht, beim Versuch, sich in den glückverheißenden Schuh zu quetschen. Aus diesen Gründen ist Into the Woods vielleicht auch nur bedingt für junge Zuschauer geeignet: zwar ist die Stimmung zuerst vornehmlich fröhlich und humorvoll, aber spätestens im zweiten Akt auch sehr gnadenlos – hier ist keiner mehr sicher, Pro- und Antagonisten gleichermaßen!
Mal ganz abgesehen von Johnny Depps urkomischem aber nicht ganz jugendfreiem Auftritt als trashigem Großem Bösen Päderasten-Wolf.

Von Hollywood und Broadway nur das Beste

Neben Johnny Depp, der nur einen recht kurzen, dafür umso komischeren Auftritt hat, brilliert ein stimmiger und talentierter Cast. Allen voran die dreifache Oscarpreisträgerin Meryl Streep, die mit ihrer Rolle als böse Hexe gute Chancen auf ihren vierten Gewinn bei den Academy Awards hat. Sowohl mit ihrem ausdrucksstarken Gesang als auch ihrem unnachahmlichen Schauspiel sorgt Meryl Streep für emotionale Höhepunkte und trägt die Geschichte voran. Ihre Kolleginnen Anna Kendrick, Cinderella, und Emily Blunt, die Frau des Bäckers, kennt man bisher nur nicht singend auf der Leinwand.

Selten jedoch hat man in Hollywood bisher ein so charakterstarkes Duo von gleich zwei weiblichen Protagonistinnen gesehen, die nicht nur eindimensionale Stereotype darstellen – und das als Märchenfiguren. Daniel Huttlestone ist Musical-Fans schon bekannt als Gavroche in Tom Hoopers Film-Version von Les Misérables (2012), und als naiver Tollpatsch Jack (Hans in der deutschen Version) singt er sich in die Herzen der Zuschauer.
Überrascht hat vor allem Chris Pine, sonst bekannt als Captain Kirk in Star Trek, der als Prince Charming seiner Rolle als Hollywood-Schönling  alle Ehre macht und seiner Perfomance zeigt, dass er dabei auch noch schön (und schnulzig) singen kann.

Es kommt sogar richtiges Broadway-Feeling auf, dank der Besetzung von James Corden als der Bäcker, MacKenzie Mauzy und Billy Magnussen als Rapunzel und ihr Prinz, sowie des 12-jährigen Ausnahmetalents Lilla Crawford als Rotkäppchen. Durch ihre Erfahrungen auf der Bühne wirkten alle Performances durchweg stimm- und rollensicher, was die Mischung aus Gesprochenem und Gesungenem stets organisch wirken lässt.

 

Viel Musik und noch mehr Text

Stephen Sondheim gehört, zusammen mit Andrew Lloyd Webber und Stephen Schwartz, zu den größten Komponisten des Musicalgenres, wenngleich seine Werke in Deutschland eher selten gespielt werden. Am ehesten sind hierzulande West Side Story und Sweeney Todd – The Demon Barber of Fleet Street bekannt, letzterer vornehmlich durch die Verfilmung aus dem Jahr 2007 unter der Regie von Tim Burton.
Die Gründe dafür liegen dabei vor allem in den komplexen Texten in Sondheims Stücken, hier von James Lapine, die sich meist nur schwer ins Deutsche übertragen lassen, und daran, dass diese durch seine nicht sehr eingängigen Melodien auch nicht viel verständlicher werden.

Darunter könnte auch Into the Woods leiden, denn über wirkliche Ohrwürmer a là Memory aus Cats oder dem Phantom der Oper verfügt das Musical nicht. Das tut den musikalischen Nummern des Films (und davon gibt es viele!) jedoch keinen Abbruch, denn für kurzweilige Unterhaltung sorgt die durchweg brillante Inszenierung: In Nummern wie Agony in der die Prinzenbrüder (Chris Pine und Billy Magnussen) versuchen, sich gegenseitig so theatralisch wie möglich in ihrem Liebesleid zu übertrumpfen ist es kaum möglich, sich vor Lachen noch auf dem Kinositz zu halten.

 

„That’s what woods are for: for those moments in the woods”

Charmant und urkomisch, romantisch und gnadenlos ehrlich – Into the Woods scheint auf den ersten Blick eine ganz typische Disney-Schmonzette zu sein, entpuppt sich aber nach und nach immer mehr als ironische Persiflage ebensolcher, indem die Charaktere auch einmal sich und das, was passiert, hinterfragen. Am Ende ist die Hexe vielleicht doch gar nicht so böse, und die Moral von der Geschicht‘: ist jemand nett, ist er noch lange nicht gut. („Nice is different than good.“)

Into the Woods läuft 124 Minuten, ist momentan noch nicht FSK geprüft und startet am 19. Februar in den deutschen Kinos. Zudem ist er für 3 Oscars nominiert in den Kategorien „Beste Nebendarstellerin“ (Meryl Streep), „Bestes Produktionsdesign“ und „Bestes Kostümdesign“.