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Eine feministische Heldenfigur?

Auseinandersetzung mit Disneys Mulan

Von Mona Philipp

„Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die Schönste im ganzen Land?“ Schneewittchen, Dornröschen, oder doch Cinderella? Eine schöner als die andere. Viel Tüll, Rouge, langes volles Haar, weiße Haut und eine Taille, die so dünn ist, dass das Gehirn kaum noch mit Sauerstoff versorgt werden kann. Gott sei Dank, brauchen sie nicht denken. Sei schön, sei artig, sei ein braves Mädchen und warte auf deinen Prinzen. Disneys Mulan hingegen ergreift Eigeninitiative und wehrt sich gegen dieses Frauenbild. Scheinbar.

Das Mädchen trägt pink. Der Junge blau. Sie ein Kleid mit Tüllärmeln, er Jeans und ein T-Shirt. Kreischend rennt sie durch das Wohnzimmer, während ihr Bruder ihr mit dem Schwert hinterherjagt. Bald wird sie sich nicht schön genug finden, bald er sich nicht stark genug. Was ich mir für sie wünsche? Dass Weiblichkeit Männlichkeit bedeutet. Das Männlichkeit Weiblichkeit bedeutet und hoffentlich bald diese Kategorien aus unseren Köpfen verschwinden. 

The damsel in distress

Disney besitzt eine Deutungs- und Definitionsmacht. Bild:Unsplash

The damsel in distress beschreibt einen Rollentypus, der sich in den meisten Märchen und den jeweiligen Disney-Verfilmungen wiederfindet: Im Fokus der Geschichte steht meist eine junge, in Knechtschaft lebende Frau. Unfähig, sich von ihrem Leid zu befreien, hofft sie auf einen Prinzen, der sie retten wird. Eben dieser erscheint: Das Happy End erfolgt durch die männliche Heldenfigur [1]. Auch im Film Mulan herrschen klar voneinander getrennte Geschlechterrollen, mit denen unterschiedliche Norm- und Wertvorstellungen einhergehen. Die Frauen haben dem Volk Ehre zu erweisen, indem sie eine gehorsame Ehefrau abgeben und zudem Kinder gebären. Die Männer müssen in den Krieg ziehen und bereit sein für ihr Volk zu sterben. Einen dementsprechend hohen Stellenwert besitzt die Heiratsvermittlerin des Dorfes, in dem Mulan aufwächst. Diese wird darüber entscheiden, ob sich Mulan als “perfekte” Ehefrau eignet. Eine andere Position bleibt den jungen Frauen verwehrt. Wenn sie der Rolle der perfekten Ehefrau nicht gerecht werden, geraten sie ins soziale Abseits [2]. Während die Frauen Mulan für das Treffen vorbereiten, singen sie: „We’ll have you washed and dried/ Primped and polished/ Till you glow with pride/ Trust my recipe for instant bride“ [3]. Anders als ihre Vorgängerin will und kann sich Mulan nicht mit der ihr zugewiesen Rolle identifizieren. Anstatt ihre Umstände zu akzeptieren, sucht sie sich einen Weg, um diesen zu entfliehen.  

Eure Welt, eure Regeln, meine Rebellion

Definiert Mulan die Regeln ihrer Gesellschaft neu, oder fügt sie sich ihnen? Bild: Unsplash

Nachdem Mulan von der Heiratsvermittlerin als heiratsunwürdig bewertet wird, kehrt sie gedemütigt nach Hause zurück. Wenig später erhält ihr Vater die Nachricht in den Krieg ziehen zu müssen. Mulans Entscheidung, sich heimlich als männlicher Soldat zu verkleiden und an Stelle ihres Vaters in den Krieg zu ziehen, hat zwei Beweggründe: Zum einen beschützt sie ihren auf Krücken gehenden Vater vor dem sicheren Tod. Zum anderen erhofft sie sich in einer Welt, die sich außerhalb ihrer gewohnten Gesellschaftsordnung abspielt, Anerkennung finden zu können und ihre wahre Identität ausleben zu dürfen. Mit Erfolg. Mühsam erlernt Mulan zahlreiche Fähigkeiten, die ihr zur Selbstständigkeit verhelfen. Aus dem passiven Objekt wird ein aktives Subjekt. Ihre Intelligenz, die für die Rolle der perfect bride bedeutungslos blieb, kommt in der Rolle als Soldat Ping zum Tragen. Mulan/Ping rettet zuerst ihren Kameraden und später dem Kaiser das Leben. Dieser drückt seine Dankbarkeit dadurch aus, indem er ihr eine Stelle als Ratsmitglied anbietet. Die gefeierte Heldin lehnt das Angebot ab und kehrt wieder zurück nach Hause. Die Phase ihrer Rebellion ist vorbei und die Chance auf einen gesellschaftlichen Wandel vertan [4]. Mulans Beweggrund liegt weniger in dem Wunsch nach Unabhängigkeit, sondern viel mehr in dem Wunsch nach Anerkennung.

(K)ein Raum für Wachstum? Es ist vorbei, komm zurück

Manche Heldinnen sind nicht von Dauer. Bild: Unsplash

Das Angebot des Kaisers zeigt seine Bereitschaft für einen gesellschaftspolitischen Umbruch. In Mulans Gesellschaft blieb Frauen das Recht auf die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben sowie ein politisches Mitsprachrecht verwehrt. Mulan lehnt das Angebot ab und kehrt zurück nach Hause. Sie nimmt bereitwillig den Platz an, den die Gesellschaft von Anfang an für sie vorgesehen hat [2,4]. Die Geschichte endet dort, wo sie angefangen hat. Zuhause. Das Abenteuer scheint Mulan lediglich dazu gedient zu haben ihrer Familie Ehre zu erweisen. Weder ihre Erfolge noch ihre Fähigkeiten scheinen mehr von Bedeutung. Sie ist nun bereit die Rolle der perfect bride anzunehmen, obwohl sie doch zu Beginn des Filmes noch singt: „Can it be/ I’m not meant to play this part?/ Now I see/ That if I were truly/ To be myself/ I would break my family’s heart [] Why is my reflection someone/ I don’t know?/ Somehow I cannot hide/ Who I am/ Though I’ve tried“ [3]. Mit der Entscheidung am Ende der Reise wieder zurück nach Hause zu kommen, akzeptiert Mulan eine Welt, in der das Geschlecht in zwei klar voneinander getrennten Kategorien gedacht und gelebt wird. Eine Erklärung dafür, warum sie plötzlich so bereitwillig nach den Regeln ihrer Gesellschaft spielt, bleibt aus [5]. Mulan stellt als Soldat Ping unter Beweis, dass sie dem männlichen Geschlecht ebenbürtig ist, doch am Ende scheint sie eben diesem gehorchen zu wollen. Sei ein braves Mädchen und komm zurück nach Hause. 

Quellen:

[1] Yerby, A., Baron, S., & Lee, Y. (2014). Gender roles in Disney animation. Assignment for History of Animation course. Washington, DC: American University. 

[2] Cheu, J. (Ed.). (2013). Diversity in Disney films: Critical essays on race, ethnicity, gender, sexuality and disability. McFarland.

[3] Coats, P., Haaland, K. (Produzentinnen) & Bancroft, T., Cook, B. (Regisseure). (1998). Mulan [Film]. United States: Walt Disney Pictures.

[4] Brocklebank, L. (2000). Disney’sMulan„—the“ True“ Deconstructed Heroine?.Marvels & Tales, 268-283.

[5] Streiff, M., & Dundes, L. (2017). Frozen in time: How Disney gender-stereotypes its most powerful princess. Social Sciences, 6(2), 38.

 

Hurley, D. L. (2005). Seeing white: Children of color and the Disney fairy tale princess. The Journal of Negro Education, 221-232.

Zipes, J. (1995). Breaking the Disney spell. From mouse to mermaid: The politics of film, gender, and culture, 21-42.