Gérard Depardieu: „Es hat sich so ergeben“

von Sonja Sartor

Der 16-jährige Gérard sitzt im Gefängnis. In seinem jugendlichen Leichtsinn hat er ein Auto gestohlen und muss dafür drei Monate hinter Gittern absitzen. Eines Tages besucht ihn ein Psychologe. Er betrachtet Gérards Hände und sagt, er habe die Hände eines Bildhauers, die Hände eines Künstlers. Schlagartig wird Gérard klar: Noch hat er die Chance, ein ehrenwerter Mensch zu werden.

Vom Kleinkriminellen zum Tausendsassa des französischen Kinos

Doch wie konnte Gérard Depardieu, der zu einem der talentiertesten französischen Schauspieler werden sollte, derart auf die schiefe Bahn geraten?  Eigentlich dürfte es ihn gar nicht geben. Schon als Kind erzählt ihm seine Mutter immer wieder, dass sie versucht habe, das ungeborene Kind mit Stricknadeln abzutreiben. Gérard überlebt und kommt 1948 in Châteauroux, einem Provinzstädtchen mitten in Frankreich, zur Welt.

Die Familie Depardieu lebt in ärmlichen Verhältnissen, die Eltern und ihre sechs Kinder leben in einer Zweizimmerwohnung, der Vater betrinkt sich. Gérard scheint nicht für die Schule gemacht zu sein, viel lieber treibt er sich auf den Gassen des Städtchens herum. In seiner Autobiographie Es hat sich so ergeben (Originaltitel: Ça s’est fait comme ça) aus dem Jahr 2015 schockierte er die Öffentlichkeit mit der Behauptung, er habe sich schon mit zehn Jahren prostituiert: „Ich sah mit 10 aus wie 15. Ich wusste schon sehr früh, dass ich den Homosexuellen gefiel.“ Nur das Geld habe ihn an den Freiern interessiert.
Mit 13 Jahren fliegt er von der Schule, da er fälschlicherweise eines Diebstahls bezichtigt wird. Er beginnt eine Lehre in einer Druckerei und entdeckt das Boxen für sich. Daher erklärt sich wohl sein Markenzeichen, die knollige Boxernase. Als Teenager kommen ihm fast nur Flausen in den Kopf – mit einem Bekannten soll er Leichen ausgegraben und deren Schmuck veräußert haben.

Und doch gelingt Depardieu die Wende, als er 20 Jahre alt ist. Der dem Autoklau geschuldete Gefängnisaufenthalt hat den jungen Mann geläutert. Er geht nach Paris, wo ihn ein Freund zum Schauspielunterricht ans Theater mitnimmt. Dort wird der Regisseur Lucien Arnaud auf dessen „Holzfäller-Mundwerk, Boxernase und langes Haare“ aufmerksam. Depardieu könne mit seinem Aussehen alte Damen in der Dämmerung erschrecken. Daraufhin bietet ihm ein anerkannter Regisseur, Jean-Laurent Cochet, kostenlos Schauspielkurse an. Für Depardieu ist das die Rettung. Er habe das Sprechen von neuem lernen müssen.

gerard1Glücklicherweise lässt der Erfolg nicht lange auf sich warten: Am Theater sowie in Film und Fernsehen hat er kleine Auftritte. Der Durchbruch gelingt ihm 1974 mit dem Drama „Die Ausgebufften“, in dem er an Seite der berühmten Jeanne Moreau spielt. Für seine Hauptrollen in dem vielfach ausgezeichneten Drama „Die letzte Metro“ von François Truffaut erhält der hünenhafte Schauspieler seinen ersten César. Auch außerhalb Frankreichs gewinnt Depardieu an Anerkennung. Den meisten ist er wahrscheinlich als Cyrano de Bergerac oder als Obelix in Erinnerung geblieben. Betrachtet man seine Filmografie, stellt man fest, dass sich der Charakterdarsteller in kein Filmgenre drängen lässt: Egal ob Historienfilme, Dramen oder komödiantische Kassenschlager, Depardieu fühlt sich überall zu Hause und gibt jeder Rolle, vom Bauern, Gauner, Priester bis zum Bildhauer Rodin, einen authentischen Zug.

Eine Wucht in vielerlei Hinsicht

Privat hat Depardieu für zahlreiche Furore gesorgt: Er pinkelt auf einem Flug von Paris nach Dublin in die Air-France-Maschine, fährt mit 1,8 Promille Motorroller und entscheidet sich  mit der Begründung „Ich bezahle doch nicht 87 Prozent Steuern“ für die Steuerflucht nach Belgien. 2013 erhält er die russische Staatsbürgerschaft, die ihm sein Freund Präsident Putin höchstpersönlich angeboten hatte. Dem Land hatte sich Depardieu schon hingezogen gefühlt, seitdem er die russischen Klassiker von Dostojewski und Co. gelesen habe.

Depardieu ist ein Mensch, dem Freiheit heilig ist. Er lässt sich nichts vorschreiben. Seine erste und einzige Ehe ging nach 26 Jahren in die Brüche, als seine Frau von einer Affäre Depardieus erfuhr, aus der die Tochter Roxane hervorgekommen war. Insgesamt hat er drei Kinder von vier verschiedenen Frauen und ist sich bewusst, dass er nie einen vorbildlichen Vater abgegeben hat, wie er in seiner Autobiografie schreibt: „Mit keiner der drei Frauen, die mir Kinder geboren haben, habe ich eine Familie gebildet. Ich mag die Idee der Familie nicht. Die Familie, das ist ein Gräuel, sie tötet die Freiheit, tötet die Wünsche, tötet die Begierde“. Eines seiner Kinder, Guillaume, hatte ihm immer wieder vorgeworfen, ein schlechter Vater zu sein. Er starb 2008 mit nur 37 Jahren an einer Lungenentzündung.

Von diesem harten Schicksalsschlag hat sich Depardieu erholt, selbst vom Alkohol lässt er die Finger. Trotz seiner Ansicht, er sei nun ein „Schauspieler in Rente“, war er in den letzten Jahren immer noch sehr produktiv.  2010 sahen Depardieu über 2,3 Millionen Kinobesucher in der Komödie „Das Schmuckstück“ unter der Regie von François Ozon. Derzeit kann man ihn in  Politserie „Marseille“ von Netflix verfolgen, einer Art französischen Version von „House of Cards“, die gemischte Kritiken erhielt.

Depardieu sind Kritiken wahrscheinlich ziemlich egal. In einem Interview mit der Frankfurter Rundschau vor acht Jahren sagt er, die Filmbranche interessiere ihn immer weniger, die Filme von heute seien nichtssagend. Er schert sich nicht um die Meinungen anderer und macht einfach das, was er will – und das macht ihn erfolgreich.

Fotos: flickr.com/Televisione Streaming (CC BY 2.0), wikimedia.org/Cyrano Rostand (CC BY-SA 4.0)


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