Fans & Fiktionen – Der Fan, die unbekannte Spezies

von Sanja Döttling

Frage: Wie sieht ein typischer Star Trek Fan aus? Leicht übergewichtig, Brille mit dicken Gläsern und mit Akne im Gesicht? Mit Uniform und vulkanischen Ohren aus Plastik? Ein bisschen so neerdig wie die Clique aus Big Bang Theory, nur nicht so sympathisch? Etwa so, oder? Lustig, denn viele Fans sehen aus wie du und ich. Man sieht es mir nicht an, oder?

Fiktionen über Fans: Wie jede Subkultur und Minderheit muss auch sie mit Stereotypen kämpfen. Empirische Studien beweisen, dass alles ganz anders ist. Bildung, Mittelstand – und im Fanfiction-Bereich vor allem Frauen. Das ist der Otto-Normal-Fan.

Literatur der Unterdrückten

Laut Henry Jenkins (in seinem Buch „Textual Poachers“) haben Fans oft einen hohen Bildungsgrad und kommen aus dem Mittelstand – Leute also, „die es besser wissen sollten“ als ihre Zeit mit fiktionalen Geschichten zu verbringen. In ihrem Essay „Archontic Literature“ beschreibt Abigail Derecho Fanfiction als die Literatur einer „untergeordneten Gruppe“. Sie meint damit, dass sich in diesem Bereich die Frauen die Klinke in die Hand geben – sowohl beim Schreiben als auch beim Lesen.

Der Term der „untergeodneten Gruppe“ bezieht sich dabei nicht auf den Stellenwert der Frau in der Gesellschaft – viel spezifischer geht es in diesem Fall um die Relation von Frauen und  Medienerzeugnissen. In ihnen ist die weibliche Besetzung – fiktional und real –  vergleichsweise klein. (Derecho zitiert an dieser Stelle den „Media Report to Women 2002“ von Gibbons, der besagt, dass nur 37 Prozent aller Charaktere in Fernsehsendungen zur Prime Time weiblich sind. Woran das liegen könnte? Bei Film und Fernsehen arbeiten insgesamt nur 17 Prozent Frauen, die restlichen Jobs werden von Männern besetzt.)

Warum sind so viele Frauen das, was wir als „Media Fan“ bezeichnen wollen? Dazu ist es angebracht, ein wenig auszuholen. In seinem Grundlagenwerk zum Thema Fan Culture schreibt Henry Jenkins:

„The fans‘ response typically involves not simply fascination or adoration but also frustration and antagonism, and it is the combination of the two responses which motivates their active engagement with the media. Because popular narratives often fail to satisfy, fans must struggle with them, to try to articulate to themselves and others unrealized possibilities within the original work.“ (Jenkins, Textual Proachers, S.23)

In der Wirklichkeit der Fan-Kultur bezieht sich das ausloten dieser Möglichkeiten hauptsächlich auf das Verkuppeln von Charakteren, die im Original mehr oder weniger romantisch involviert sind, zu einem Pairing. Cathrine Driscoll (im o.g. Essay-Band) bestätigt diese Ansicht. Die meisten Fanfics sind entweder der Kategorie „het“ (heterosexuellen Beziehungen) oder „Slash“ zuzuordnen. Generelle Geschichten („gen“) ohne Pairing gibt es selten. Frauenliteratur war schon immer romantische Literatur, und so bedingt sich diese weibliche Community gegenseitig und lässt Männer außen vor. In seinem Buch über Gruppenpsychologie (1922) erkennt selbst Sigmund Freud lange vor den Fan Communities im Internet deren Zusammenhalt durch „immature identification by the contagious communication of enthusiasm among girls sharing a romantic ideal“.

Pornos für Frauen

Fanfiction, „das sind diese perversen Geschichten, oder?“, wird oft gefragt. Perversion ist natürlich Geschmackssache, aber es lässt sich nicht abstreiten, dass bei vielen Geschichten Liebe und Sex eine essentielle Rolle spielen. In ihrem Essay „One true Pairing“ (o.g. Sammlung) untersucht Catherine Driscoll das Verhältnis von Fanfiction, erotischen Geschichten und romantischer Literatur.

Fanfiction gleichen romantischen Romanen insofern, dass sie (schreibend und lesend) von Frauen dominiert werden; außerdem folgen viele Fanfictions den klischeehaften Plot-Abläufen kommerzieller Liebesromane. Auf der anderen Seite enthalten viele Fanfics (mehr oder minder) ausführliche Beschreibungen sexueller Handlungen – meistens, aber nicht immer ist diese Eingebettet in Plot und Beschreibungen. Nur so erhalten die Fanfics ihren Anschluss an das Original.

Sind Fanfictions also Pornos für Frauen? Driscoll sagt jein. Sie sieht sicher Verbingen zwischen romantischem Roman, Porno und Fanfic – glaubt aber nicht, das dies gleichzusetzen ist.

Auch innerhalb der einzelnen Communities gibt es Unterschiede: Was die einen Lesen, ist für die anderen unerträglich und umgekehrt. Deshalb ist eine klare Einteilung von den vielschichtigen Roman Fanfics nicht machbar.

Wie gut dass keiner weiß…

Fan des A-Teams? Trekkie? Oder doch lieber My little Pony? Die Kreativität und der Verschiedenheit sind keine Grenzen gesetzt. In den 90er Jahren verlagerten sich die Fan-Aktivitäten ins Internet; nun konnten sich Fans über große Entfernungen hinweg aufgrund ihrer Interessen zusammenfinden. In Karen Hellekson und Kristina Busses Essay-Sammlung erklären die beiden Herausgeberinnen schon in er Einleitung: „For many fans, online fan experience is a way to meet people with similar interests who may become friends and whom one may, or may not, ever meet in RL [Real Life]“ (S.16).

Die einzelnen Fandoms treffen sich entweder auf großen Seiten in jeweiligen Untergruppen wie auf fanfiction.net oder haben ihre eigene Plattform, auf denen sie Geschichten, Blogeinträge, Bilder und andere Inhalte teilen. Das geschieht so gut wie nie unter Angabe des richtigen Namens, sondern im Deckmantel der Anonymität. Viele Fans führen geradezu ein Doppelleben zwischen „Real Life“ und Community. Warum sie das tun?

Noch immer ist es einfach, einen Fan mit einem Fanatiker gleichzusetzen – geschichtlich stammt das Wort sogar daher und hat bis heute seinen negativen Unterton nicht verloren. Laut Jenkins setzten viele Autoren das Fan-Dasein mit einer Art religiösem Glauben gleich. Fans. Jenkins zitiert eine Zeitung, die Fans als „emotionally unstable, socially malajusted, and dangerously out of sync with reality“ beschreibt und damit dem allgemeine, stereotypen Vorurteil folgt. Kein Wunder also, dass Fans unter sich bleiben und ihre Liebe nicht an die große Glocke hängen. 

Krieg der Geschmäcker

Doch woher kommt diese Verachtung?

„The fan, whose cultural preferences and interpretive practices seem so antithetical to dominant aesthetic logic, must be represented as „other“, must be held at a distance so that fannish taste does not pollute sanctioned culture.“ (Jenkins, S. 19)

Vor allem die Gamer, die sichtbaren, männlichen Verwandten der versteckt agierenden „Media Fans“ bekommen in dem Medien regelmäßig die Abwertung des „Mainstream“ zu spüren.

Auch Fans japanischer Comics und die schon oben genannten Star Trek-Fans – genannt Trekkies – sind oft dem Spott der Masse ausgesetzt. Henry Jenkins listet Vorurteile gegen Trekkies auf: sie seien „brainless consumers“, denen man alles verkaufen könnte; sie würden sich „worthless knowledge“ aneignen; sie seien emotional und intellektuell zurückgeblieben und könnten Fantasie und Realität nicht mehr unterscheiden. Ein wenig so, wie der Comic-Book-Guy der Simpsons – der sich auch nicht zu einem akkuraten Bild der Fangemeinde beiträgt. 

Doch auch innerhalb der Fan-Communities hören die Grabenkämpfe mit der Leitfrage „Wer ist noch fanatischer als ich?“ nicht auf.

Es ist also sinnvoll, sich im Bezug auf Fanfiction und andere Fan-Aktivitäten an einen Grundsatz zu halten, der in der Fan-Community aufgrund der vielen unterschiedlichen Meinungen verbreitet hat, zu halten: „Don’t like, don’t read!“

 

Fotos: flickr/Nathan Rupert  (CC BY-NC-ND 2.0), flickr/ Elliot Trinidad (CC BY-NC 2.0)

 

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