Mythos Zombie

von Philipp Mang

Vampire, Werwölfe und Dämonen – die Mythen- und Sagenwelt kennt viele Monster. In den letzten Jahren machen jedoch vermehrt andere Kreaturen von sich Reden: Zombies. Die Untoten sind in nahezu jedes Medium eingefallen. So belegte die satirische Novelle „Stolz und Vorurteil und Zombies“ zum Beispiel wochenlang die vordersten Plätze der Bestsellerlisten. Brad Pitt kämpfte in dem Blockbuster „World War Z“ gegen eine globale Zombie-Pandemie. Und das Videospiel „Plants vs. Zombies“ brach Downloadrekorde in App-Stores. Auch in der Fernsehserie The Walking Dead spielen die Monster eine zentrale Rolle – als tödlichste Gefahr des transmedialen Universums.

Ein wahrer Kern

2988494095_d366536cbd_zDie wandelnden Toten sind jedoch keine Erfindung der Film- oder Fernsehindustrie. Tatsächlich lassen sich ihre kulturellen Wurzeln bis nach Afrika zurückverfolgen. Ursprünglich stammt der Begriff Zombie aus den so genannten Bantusprachen und bedeutet so viel wie „Totengeist“. Er wurde im 17. Jahrhundert erstmals durch afrikanische Sklaven nach Haiti importiert. Dort glaubt man auch heute noch an die Magie des Voodoo – wonach ein Mensch mittels eines schwarzmagischen Pulvers zuerst getötet und anschließend als willenloser Arbeitssklave wieder zum Leben erweckt werden kann.

Doch auch im europäischen Raum übten die Wiedergänger bereits früh eine makabere Faszination auf die Menschen aus. So finden sich bereits im 14. Jahrhundert in vielen Kirchen so genannte Transi (franz. „ein (vor Kälte) Erstarrter“). Hierbei handelt es sich um spezielle Grabplastiken, die den Verstorbenen nicht selig schlafend oder körperlich unversehrt zeigen, sondern als lebende Leiche in teils drastischen Phasen der Verwesung. Diese sollten den Menschen die Vergänglichkeit des eigenen Lebens vor Augen führen.

Vom Grab auf die Leinwand

Erst hundert Jahre später wurde der Mythos um die Zombies schließlich erstmalig auf die große Leinwand übersetzt. Mit Filmen wie „The White Zombie“ (1932) hielten die Untoten Einzug in die Populärkultur. Für den endgültigen Durchbruch des Genres sorgte aber George A. Romero. Mit „Die Nacht der lebenden Toten“ (1969) erfand der amerikanische Regisseur die Monster gewissermaßen neu: Von bemitleidenswerten Sklaven wurden sie zu fleischfressenden Mordmaschinen. Romero beraubte die Zombies hierfür nicht nur ihrer haitianischen Wurzeln (indem er die Handlung in amerikanische Metropolen verlegte), sondern auch jeglicher Individualität. Es ist der Beginn der Zombies, wie wir sie heute kennen.

„ (…) they don’t talk. They don’t think. They eat people.“

45 Jahre später schreibt The Walking Dead die Geschichte dieser Kreaturen weiter. Ähnlich wie in Romeros frühen Werken werden die titelgebenden „Walker“ hier ebenfalls als triebgesteuerte Leichen dargestellt, die nur ein Ziel kennen: zu töten. Dabei können die Zombies nur durch eine massive Verletzung des Gehirns in ihrem Blutrausch gestoppt werden. Dies macht sie alles in allem zu einer ernstzunehmenden Bedrohung. Immer wieder müssen auch beliebte Charaktere wegen den Untoten ihr Leben lassen. Wodurch die Zombieapokalypse ausgelöst wurde? Hierüber ranken sich unter den Fans die wildesten Theorien. Geht es nach Erfinder Robert Kirkman wird diese Frage aber möglicherweise niemals abschließend geklärt werden. Nur so viel ist bislang bekannt: Weder radioaktive Strahlung noch schwarze Magie sind für die Verwandlung der Toten verantwortlich – sondern ein ominöser Virus!

Im Comic braucht es zur Darstellung dieser Transformation nur ein paar Striche und etwas Farbe. Für ein realistisches Medium wie die TV-Serie stellen die wandelnden Leichen dagegen eine ästhetische Herausforderung dar. Um eine Horde Untoter zu schaffen, braucht es hier allein zahlreiche Statisten, unzählige Liter Kunstblut und aufwändige Masken. Darüber hinaus werden die Darsteller bei jedem Dreh genau instruiert, auf eine zombietypische Art zu gehen – so als würden sie betrunken aus einer Bar wanken.

Monster von nebenan

Während The Walking Dead die Untoten aufwändig als mörderische Gefahr inszeniert, gehen andere Produzenten in Hollywood längst neue Wege. Die US-amerikanische Fantasyserie Resurrection erzählt beispielsweise die Geschichte eines kleinen Jungen, der über 30 Jahre nach seinem vermeintlichen Tod ungealtert in seine Heimatstadt zurückkehrt. Und in iZombie bekämpft eine Untote Pathologin Verbrecher, indem sie die Gehirne der Opfer verspeist. Still und heimlich ist hier eine neue Generation von Zombies herangewachsen. Diese sind nicht länger eine Plage, die es zu bekämpfen gilt. Stattdessen handelt es sich um körperlich unversehrte Monster von nebenan, die Mitgefühl wecken – und uns manchmal sogar zum Lachen bringen.

Die Welt im Zombiefieber

9998500733_022494c414_zWie wir es also auch drehen und wenden – die Untoten faszinieren. Und das so sehr, dass immer mehr Menschen auch an so genannten Zombie Walks teilnehmen. Hierbei handelt es sich um Veranstaltungen, bei denen Fans als Untote verkleidet durch Großstädte auf der ganzen Welt ziehen. Wie ist diese eigenartige Faszination für die Wiedergänger aber zu erklären? Als lebende Tote stellen diese zunächst einmal ein faszinierendes Paradoxon dar, das die Grenze zwischen tot und lebendig zu einer diffusen Grauzone verwischt. Außerdem lassen sich an den Untoten tiefgreifende Fragen der Humanität verhandeln. So ist für viele Fans z.B. unklar, wie viel Menschlichkeit in den Leichen überhaupt noch steckt. Am wichtigsten erscheint jedoch, dass Zombies als Spiegelung unserer Furcht vor dem Tod betrachtet werden können. Serien wie The Walking Dead sind damit auch ein Stück weit „Therapie“: Sie ermöglichen es uns, in einem sicheren Kontext diese Ängste durchzuspielen.

Fotos: flickr.com/Daniel Sempértegui (CC BY-NC-ND 2.0), flickr.com/Lawrence OP (CC BY-NC 2.0), flickr.com/traumweltenwanderer (CC BY-NC 2.0)

Das Transmediale Phänomen The Walking Dead

Von Philipp Mang

Lange Zeit fristeten Comics in unserer Gesellschaft ein Nischendasein. Sie wurden belächelt, geächtet und sogar auf Scheiterhaufen verbrannt. Heute begeistern so genannte graphic novels die Massen. Das liegt vor allem daran, dass Hollywood die Stoffe immer häufiger für die große Leinwand adaptiert – mit riesigem Erfolg: So basieren drei der zehn erfolgreichsten Filme aller Zeiten laut Box-Office Ranking auf einer Bildergeschichte (u.a. Marvel’s The Avengers und Iron Man 3). Interessanterweise lassen sich ein Großteil dieser Werke dabei dem Superhelden-Genre zuordnen. Doch nicht nur Comic-Filme brechen derzeit alle Rekorde. Auch bei amerikanischen Fernsehsendern erfreuen sich die zumeist kosmischen Geschichten immer größerer Beliebtheit. Allein in den letzten Jahren sind hier mit Arrow, Gotham, Supergirl und The Flash eine Flut von Serien-Adaptionen entstanden.

Warum Comics Hollywood erobern …

3376341189_64a7381d18_zWer diese Entwicklung nun allein auf die mangelnde Kreativität der Drehbuchautoren in Hollywood zurückführt, der irrt. Tatsächlich lässt sich die Anziehungskraft von Comics auf Film- und Serienmacher vor allem durch die enorme Visualität des Mediums erklären. Bei Comicadaptionen kann beispielsweise auf die Entwicklung so genannter Storyboards verzichtet werden. Hierbei handelt es sich um meist skizzenhafte Darstellungen des Drehbuchs. Diese sollen Produzenten bereits früh eine genaue Vorstellung von der Umsetzung der Geschichte vermitteln. Ein weiterer Grund für die Popularität von Comicadaptionen liegt in der sowohl seriellen als auch episodischen Erzählweise der Vorlagen. Darüber hinaus können die Bildergeschichten oft auf eine bereits etablierte Zuschauerschaft zurückgreifen – angesichts zahlreicher loyaler Fans scheinen hohe Zuschauerzahlen so nur noch reine Formsache zu sein.

Zombies brechen Rekorde

Die dystopische Horror-Serie The Walking Dead ist ebenfalls ein Produkt dieses neuen Hollywood-Trends. Auch sie basiert auf einem Comic (von Robert Kirkman) und bricht seit ihrer Erstausstrahlung im Jahr 2010 auf dem Sender AMC regelmäßig Quotenrekorde. Mit über 15 Millionen Zuschauern gehört sie zu den erfolgreichsten Serien in der Geschichte des amerikanischen Kabelfernsehens. Seit Staffel 2 wird die Sendung deshalb zusätzlich von einer einstündigen Talkshow (The Talking Dead) begleitet. Cast, Crew und Fans lassen hierin noch einmal die zentralen Ereignisse der vergangenen Folge Revue passieren. Mittlerweile haben selbst Kritiker Gefallen an den lebenden Toten gefunden – so wurde die Serie unlängst mit dem wohl bedeutendsten Fernsehpreis der Welt ausgezeichnet: dem Emmy. Und auch an den Universitäten des Landes setzt man sich immer häufiger wissenschaftlich mit dem popkulturellen Phänomen auseinander.

Ein multimediales Franchise

Amerika ist jedoch nicht das einzige Land, in dem der Hype um The Walking Dead keine Grenzen kennt. Längst hat sich die Serie zu einem internationalen Medienereignis entwickelt, das über verschiedenste Kanäle auf der ganzen Welt erzählt wird. So sind aus dem Comic nicht nur eine Fernsehsendung, sondern auch zahlreiche Webserien, Computerspiele und Apps hervorgegangen. Im Mittelpunkt des Franchise steht dabei der Polizeibeamte Rick Grimes, der nach einer gefährlichen Schussverletzung ins Koma fällt. Als er wieder zu sich kommt, findet sich der Sheriff in einer alptraumhaften postapokalyptischen Welt wieder, in der Tote durch ein Virus wieder auferstehen und die Lebenden attackieren. Gemeinsam mit anderen Überlebenden macht sich Rick auf die Suche nach seiner Familie und kämpft fortan täglich um sein Überleben – ein Plot der beim Publikum Anklang findet, denn mittlerweile zählt die internationale Facebookseite der Serie mehr als 32 Millionen Fans.

Faszination TWD – ein Ausblick

Wie ist diese einzigartige Erfolgsgeschichte aber zu erklären, wo doch der Serienmarkt von Comicadaptionen in den letzten Jahren zunehmend überschwemmt wird? Wodurch hebt sich The Walking Dead von anderen Genre-Vertretern ab? Oder anders ausgedrückt: Was fasziniert die Menschen auf dem ganzen Globus so stark an diesem Franchise? Die folgende Artikelreihe unternimmt den Versuch genau diese Fragen zu beantworten. Hierfür werden mit den titelgebenden „Walkern“ und dem postapokalyptischen Setting zunächst zwei zentrale Gründe für die generelle Faszination des Publikums beleuchtet. In einem nächsten Schritt soll es dann um spezielle Gestaltungsmerkmale der TV-Serie gehen, die sich entscheidend auf das Rezeptionserlebnis auswirken können. So zeichnet sich die Sendung beispielsweise nicht nur durch eine explizite Darstellung von Gewalt, sondern auch durch die Verhandlung moralischer Dilemmata aus. Charakteristisch ist außerdem, dass die Geschichte über unterschiedliche mediale Plattformen erzählt wird. Abschließend sollen deshalb zwei unbekanntere Dimensionen des Franchise näher vorgestellt werden: die Computerspiele und Webserien. Ein Streifzug durch die transmediale Welt von The Walking Dead beginnt …

Fotos: Flickr.com/Heather Paul (CC BY-ND 2.0); Flickr.com/Dave (CC BY-ND 2.0)

Captive – Gefangen in der eigenen Wohnung

Von Andrea Kroner

Ashley (Kate Mara) befindet sich am Tiefpunkt ihres Lebens: Sie ist drogenabhängig, alleinerziehend und hat Probleme bei der Arbeit. Doch als sie als Geisel genommen wird, ändert sich alles.

Zwei Welten prallen aufeinander

Ashley weiß nicht, wie sie mit den Problemen in ihrem Leben umgehen soll. Sie möchte unbedingt eine gute Mutter sein, für dieses Ziel ist sie bereit, alles zu tun. Sie besucht sogar eine Selbsthilfegruppe. Doch sie fällt trotzdem immer wieder in alte Muster zurück und schafft es nicht, von ihrer Sucht loszukommen.

Zeitgleich bricht Brian Nichols (David Oyelowo) aus seiner Zelle in einem Gerichtsgebäude aus. Er ist wegen Vergewaltigung verurteilt. Während seiner Flucht verletzt und tötet er mehrere Menschen ohne mit der Wimper zu zucken. Wieder in Freiheit zieht es ihn zunächst zu seinem neugeborenen Sohn, doch dort kreuzt auch die Polizei bald auf. Ihm wird schnell klar, dass seine ehemalige Freundin nichts mehr mit ihm zu tun haben möchte.

Deshalb fährt er ziellos weiter und stößt zufällig auf Ashley. Er bedroht sie und nimmt sie in ihrer eigenen Wohnung gefangen. Verzweifelt versucht die junge Frau zunächst, eine Fluchtmöglichkeit zu finden. Doch schon bald muss sie sich mit der Situation abfinden und sich ihrem Schicksal ergeben. Nach und nach kommen sich die beiden näher – sowohl auf menschlicher, als auch auf spiritueller Ebene. Denn sie verbindet mehr, als sie glauben. Wie es mit der Geiselnahme weitergeht und ob Nichols am Ende gefasst werden kann, wird sich zeigen.

Eine wahre Begebenheit

Mit diesen Worten wollen viele Filme Zuschauer gewinnen und einen realen Bezug schaffen. Und natürlich trägt es enorm zum Spannungsaufbau bei, sich vorzustellen, dass diese Geschichte sich wirklich in ähnlicher Form zugetragen hat. In diesem Film wurden sogar die Originalnamen der Protagonisten beibehalten. Damit es noch authentischer wirkt, waren zusätzlich im Abspann weitere interessante Informationen über den Vorfall und Bilder oder Videos der Beteiligten zu sehen. Dadurch wurde das reale Geschehen sehr gut in den Film integriert.

Die Tiefe fehlt

An sich behandelt der Film ein sehr spannendes Thema: eine Täter-Opfer-Beziehung. Doch leider kratzt er an vielen Stellen nur an der Oberfläche. Besonders Hintergründe und psychologische Prozesse bleiben oft im Dunkeln. So wird für die Ermittlungen zwar der behandelnde Psychologe von Nichols befragt. Jedoch erzählt dieser nur, sein Patient behaupte, die Tat nicht begangen zu haben. Dieser interessante Punkt wird jedoch nicht näher behandelt, im Gegenteil: Danach hört man nichts mehr davon, weder von den Ermittlern, noch von Nichols selbst.

Auch die Beweggründe beider Protagonisten bleiben sehr oberflächlich. Man versteht als Zuschauer nicht, was Nichols dazu gebracht hat, jemanden zu vergewaltigen oder gar umzubringen. Aber auch Ashleys Lebensgeschichte wird nur angerissen. Man bekommt zwar einen Eindruck von ihrer derzeitigen Situation, erfährt jedoch nicht, wie es dazu gekommen ist. Deshalb gestaltet es sich im Allgemeinen als sehr schwierig, sich in die Personen hineinversetzen zu können.

Die richtige Mischung

Im Gegensatz zu den Figuren ist die Handlung in sich stimmig, da verschiedene Stränge langsam immer mehr miteinander verflochten werden. Auf der einen Seite steht Ashley, die nicht mit ihrem Leben zurecht kommt. Auf der anderen befindet sich Nichols, der vor der Polizei flieht. Dazwischen steht der ermittelnde Kommissar, der den beiden immer mehr auf die Spur kommt. Leider sind jedoch viele Ereignisse auch recht vorhersehbar, wodurch nie wirklich Spannung entstehen kann. Dennoch ist der Film an vielen Stellen unterhaltsam und berührend oder actionreich. Eine gute Mischung also, die viele Geschmäcker vereint.

Foto: Flickr.com/Joseph Morris (CC BY-ND 2.0)

Katzenjammer auf höchstem Niveau

Von Maya Morlock

Am 29. Oktober 2015 kommt Xavier Giannolis neuer Film in die Kinos. In der Tragikomödie „Madame Marguerite oder die Kunst der schiefen Töne“, die Madame wird von Catherine Frot (Dinner für Spinner) gespielt, geht es vordergründig um eine Frau, die völlig schief und unrhythmisch singt, doch dies durch die durchweg positive Resonanz ihres Publikums nicht weiß. Doch der Film hat auch eine äußerst verletzliche und sentimentale Seite.

Bis die Ohren bluten

Lucien Hazel © 2015 Concorde Filmverleih GmbH

In den 1920er Jahren gibt Marguerite Dumont ein Benefizkonzert für die Kriegswaisen in ihrem kleinen Schloss nahe Paris. Einige begnadete Musiker und Sänger treten auf, zarte und wohlklingende Musikstücke der Klassik sind zu vernehmen. Als Höhepunkt betritt Marguerite die Bühne. Die allseits bekannten Anfangstöne der Arie der „Königin der Nacht“ aus Mozarts Zauberflöte erklingen. Dort besingt die Königin der Nacht die Verstoßung ihrer Tochter Pamina. „Der Hölle Rache kocht in meinem Herzen. Tod und Verzweiflung“, singt Marguerite, doch leider nicht mit den gewöhnlichen Tönen. Völlig falsch intoniert und schwankend im Rhythmus quält sie sich durch das Stück. Bei dem gefürchteten Hochton und der Koloratur gefriert dem Zuschauer fast das Blut in den Adern, so unerträglich ist der Missklang. Gleichzeitig imponiert die Inbrunst, mit der die Gastgeberin ihr nicht vorhandenes Gesangstalent zur Schau stellt.

Das Publikum ist wenig überrascht, im privaten Klub kennt man die Madame und ihr Gejaule bereits. Nur der Journalist Lucien Beaumont (Sylvain Dieuaide) und die spontan eingesprungene Sängerin Hazel (Frankreichs Shootingstar Christa Théret) sind neu. Trotz des unausstehlichen Gekrächzes applaudieren die Zuhörer und überschütten die Gastgeberin mit Lob – die Neuen sind verwundert. Als der Journalist Lucien am Folgetag eine begeisterte Kritik veröffentlicht, fasst Marguerite den Entschluss endlich auf einer großen Bühne in der Öffentlichkeit aufzutreten. Ihr Mann, der sich für sie schämt, versucht dies auf Teufel komm raus zu verhindern.

Der Ursprung der schiefen Töne

Die Geschichte basiert auf der reichen Erbin Florence Foster Jenkins, die in den 40er Jahren in den USA verstarb. Auf YouTube, kann man ihre unverwechselbare und wahrhaftige Interpretation der Königin der Nacht anhören. Auch sie war überzeugt von ihrer Gesangsqualität, obwohl sie keinen Ton traf. Trotzdem ist dieser Film keinesfalls eine Biografie (diese wird momentan in den USA gedreht), sondern entwickelt nach der Basis einen eigenen Handlungsstrang. Denn neben der Belustigung findet der Zuschauer einen Draht zur Innenwelt der Marguerite und begreift, dass sie eigentlich völlig einsam ist. Während den Geschäftsreisen ihres Mannes ist ihr nur die Musik geblieben und ausschließlich durch sie kann sie sich ausdrücken und etwas Aufmerksamkeit vonseiten ihres Mannes erhaschen. Denn im Grunde möchte sie nur, dass er stolz auf sie sein kann.

Die perfekte Besetzung

Gesangslehrer © 2015 Concorde Filmverleih GmbHCatherine Frot brilliert in ihrer Rolle als Marguerite: Sie ist überschwänglich und heiter, behält sich jedoch auch in diesen Szenen einen Kern Traurigkeit. Ihre Mimik spricht Bände, sodass sie vergleichsweise wenig sagen muss, um sich darzustellen. Ein weiterer Augenschmaus ist der exzentrische Gesangslehrer Atos Pezzini (Michel Fau), der Marguerite auf ihr großes Konzert vorbereiten soll. Er lebt für die Musik, erstarrt zur Salzsäule, als er den schaurigen Gesang der Madame zum ersten Mal hört und versucht trotz aller schlechten Omen sie bestmöglich für ihr Vorhaben zu wappnen.

Zu empfehlen

Auch wenn der Film einige Längen aufweist, ist er für jeden Musikliebhaber sehenswert. Der Facettenreichtum ist erfreulich, eine schlichte Komödie, bei der die Madame zur Witzfigur degradiert wird, wäre zu flach und bliebe unter dem möglichen Potenzial. Man lacht Tränen, hält sich die Ohren zu und leidet mit der Hauptfigur mit, die im Grunde nur um ihrer selbst willen geliebt werden möchte. Man fiebert gespannt dem großen Auftritt entgegen und hofft sie möge nun endlich die Töne treffen.

Ob Marguerite Dumonts Ehrgeiz und Wille sich am Ende gelohnt haben, könnt ihr ab dem 29. Oktober auf der Leinwand verfolgen. Von mir gibt es auf jeden Fall drei Daumen nach oben!

Fotos: © 2015 Concorde Filmverleih GmbH

Abschlussartikel zu „Vergessene Filme – verborgene Schätze“

von Andrea Kroner

Viele Klischees wird man wohl nie ausräumen können – egal, ob sie sich auf Filme oder andere Bereiche beziehen. Doch man sollte stets im Hinterkopf behalten, dass es neben diesen „typischen“ Filmen für ein bestimmtes Land oder Genre auch andere außergewöhnliche Projekte gibt, die davon abweichen und sich dadurch auszeichnen. Genau das sollte diese Artikelreihe für acht unterschiedliche Filme zeigen.

Mit „Faust“ gelingt es Alexander Sokurov, das bekannte Werk Goethes auf eine völlig neue Art zu interpretieren: Er zeigt die große Macht der Worte auf eine schlichte Weise, ohne auf viele Spezialeffekte zurückzugreifen.

Ebenso schlicht gestaltet Terence Malick sein oberflächliches Beziehungsdrama. Die Schauspieler von „To The Wonder“ haben durch Improvisation viele Freiheiten bekommen, was sich nicht nur positiv ausgewirkt hat. Die frühen Meisterwerke des Regisseurs ließen mehr erwarten. Dennoch gelingt es ihm, eine ganz andere Sicht auf das amerikanische Kino zu schaffen, als es Hollywood zeigt.

„Erleuchtung garantiert“ beeindruckt hingegen durch die Verschmelzung von Dokumentar- und Spielfilm. Die Handlung stammt aus der Feder von Doris Dörrie. Doch während der Dreharbeiten in einem buddhistischen Kloster mussten sich die Schauspieler an den dortigen Alltag anpassen, um die Mönche nicht zu stören und den Film authentischer werden zu lassen.

Aber nicht alle Filme folgen der Chronologie. Bei „5×2“ steigert sich das ins Extreme. Denn François Ozon hat den zeitlichen Ablauf der Filmhandlung komplett umgekehrt, was absolut gut gelungen ist: Es geht nicht mehr darum was passiert, sondern warum es dazu gekommen ist.

Ganz anders dagegen „Moolaadé“, der sich mit afrikanischer Tradition beschäftigt. Er macht auf die Folgen des weit verbreiteten Rituals der Beschneidung aufmerksam. Das ist Ousmane Sembènes auch ohne grausame Darstellungen gelungen.

Bei „The Garden of Words“ vergisst man an vielen Stellen fast, dass es sich bei dem detailgetreuen, plastischen Film um einen Animé handelt. Noch dazu glänzt der Film durch eine tiefgehende, gefühlvolle Handlung. Daran zeigt sich, dass gute Filme nicht immer Spielfilme sein müssen.

Befasst man sich stattdessen mit geschichtlichen Themen, spielt die Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit eine wichtige Rolle. Dabei werden die vielen geflohenen Verbrecher jedoch oft vergessen. Lucìa Puenzo gelingt es mit „Wakolda“, wahre Begebenheiten über den ehemaligen KZ-Arzt Josef Mengele mit eigenen Ideen zu verbinden und so seinen Aufenthalt in Argentinien zu skizzieren.

Möchte man statt Geschichte einen Einblick in das wahre Gesicht Indiens bekommen, bietet „Salaam Bombay“ eine ideale Möglichkeit, in die Slums zu sehen. Dieser Film zeigt ehrliche Charaktere, mit denen man mitfühlen kann und schafft es, den grausamen Alltag realistisch darzustellen.

Nach acht beeindruckenden Filmen zeigt sich, dass auch sie Elemente enthalten, die Klischees entsprechen. Dennoch verbindet all diese Filme etwas außergewöhnliches. Ihre Liste könnte man noch weiterführen, doch hier soll nur ein kleiner Anreiz geschaffen werden, sich weg vom Mainstream in die weite Welt der unbekannteren Filme zu wagen.

Foto: flickr.com/die.tine (CC BY-ND 2.0)

 

Alle Artikel aus dieser Reihe:

Salaam Bombay – die Geschichte eines Straßenkindes

von Andrea Kroner

Eigentlich ist das Leben der ärmsten Schicht auf den Straßen von Bombay trost- und perspektivlos, denn es gibt kaum Hoffnung auf ein besseres Leben. Doch eine Gruppe von Straßenkindern kämpft dennoch jeden Tag aufs neue um ihren Platz in der Gesellschaft, denn eines haben sie gelernt: Man darf nie aufgeben.

Krishnas Weg

Der 10-jährige Krishna wird von seiner Mutter aus seinem Dorf vertrieben, weil er das Motorrad seines Bruders angezündet hat. Dass dieser ihn vorher verprügelt hat, spielt dabei keine Rolle. Krishna darf erst zurückkommen, wenn er 500 Rupien verdient hat, um den entstandenen Schaden zu begleichen. Das ist für den Jungen eine Menge Geld – geplant ist ein halbes Jahr Arbeit in einem Zirkus. Doch er ist wesentlich länger unterwegs, als geplant: Denn der Zirkus lässt ihn eines Tages allein zurück, weshalb er auf eigene Faust nach Bombay, der nächstgelegenen Stadt, aufbricht.

In der Großstadt lebt er mit anderen Kindern auf der Straße und arbeitet als Teejunge, der dieses Getränk an verschiedene Kunden ausliefert. Sein Leben dort ist nicht leicht: Er muss jeden Tag sein Überleben sichern und sich nebenbei um seine Freunde kümmern: Er versucht, seinem drogenabhängigen Freund Chillum im Kampf gegen die Drogensucht zu helfen. Auch der vernachlässigten Manju, deren Eltern im Prostitutions- und Drogengewerbe tätig sind, gibt er Halt und Sicherheit, die sie in ihrer Familie nicht bekommt. Noch dazu verliebt sich der Junge in ein 15-jähriges Mädchen, das zur Prostitution gezwungen wird. Ob er seinen Freunden helfen und je wieder nach Hause zurückkehren kann, wird sich zeigen.

Eine traurige Wahrheit

Der Film wirkt insgesamt stark dokumentarisch, obwohl die Handlung erfunden ist. Das liegt zum einen daran, dass die Szenen direkt an Originalschauplätzen in Bombay gedreht wurden und alle Kinder von der Straße dieser Stadt stammen. Daher handelt es sich bei ihnen um Laienschauspieler, die davor noch nie vor der Kamera gestanden sind. Doch dafür kennen sie die Wirklichkeit und können ihre Rollen besonders authentisch spielen.

Trotz der Realitätsnähe hat die Regisseurin Mira Nair auch darauf geachtet, dass die Handlung nicht zu dramatisch gestaltet wurde. Nair ist selbst Inderin, wodurch sie die Situation und den dortigen Alltag wesentlich besser nachvollziehen kann, als ein Außenstehender. Um sich auf diesen Film vorzubereiten, hat sie vor diesem Film vier Reportagen über Indien gedreht, was sich deutlich in der Qualität von „Salaam Bombay“ widerspiegelt.

Darüber hinaus trägt auch die Kameraführung zu diesem Eindruck bei: Sie liefert starke, prägende Bilder, die den Zuschauer direkt in die Handlung hineinversetzen und das Geschehen nachvollziehbarer gestalten. Diese Leistung wurde sogar mit einer „Caméra d’Or“ in Cannes gewürdigt.

Indien bekommt eine eigene Identität

Vordem 1988 erschienenen „Salaam Bombay“ handelten die meisten indischen Filme von einer großen, gesichtslosen Masse – doch in diesem Film bekommt sie mit Krishna ein eigenes, ausdrucksstarkes Gesicht mit einer individuellen Geschichte. Dadurch beginnt man viel eher, mit dem naiven, schnell lernenden Jungen mitzufühlen und gewinnt auch seine Freunde lieb, die alle trotz ihrer Fehler einen sympathischen Charakter besitzen.

Man wird mitgerissen in eine Welt von Obdachlosen, Prostituierten und Drogenhändlern, aus der es für die Kinder kein Entrinnen gibt. Denn sie befinden sich in einem schrecklichen Teufelskreis: Eigentlich bräuchten sie in ihrem Leben Halt und Stabilität, sie müssen aber in Armut und ohne Eltern leben. Dadurch sehen sie in vielen Fällen keine anderen Ausweg, als verzweifelt oder kriminell zu werden.

Es gibt noch Hoffnung

Der Film weist keinen Ausweg aus der Armut. Gerade deshalb zeichnet „Salaam Bombay“ ein so realistisches Bild von Indien. Dennoch bleiben auch positive Erinnerungen, da die Kinder die Hoffnung auf ein besseres Leben nie aufgeben und tapfer weitermachen auf ihrer ganz persönlichen Suche nach dem kleinen Glück.

Foto: flickr.com/Patrik M. Loeff (CC BY-NC-ND 2.0)

Weitere Artikel aus dieser Reihe:

Teil Eins: Vergessene Filme – verborgene Schätze

Teil Zwei: Der Meister der Stille

Teil Drei: „Faust“ – die Geschichte lebt wieder auf

Teil Vier: „Erleuchtung garantiert“ – wirklich?

Teil Fünf: „5×2“ – Wieso ging es schief?

Teil Sechs: „Moolaadé“ – Bann der Hoffnung

Teil Sieben: The Garden of Words

Teil Acht: Wakolda – ein Arzt auf der Flucht

Müller is bäck!

Von Maya Morlock

Nach dem riesigen Erfolg von FACK JU GÖHTE 2013, der über 7,3 Millionen Zuschauer in die Kinos lockte, hat das Warten der Fans auf einen zweiten Teil der Komödie nun endlich ein Ende. Seit heute, dem 10. September 2015, sind Ex-Häftling und Neulehrer Zeki Müller (Elias M`Barek), Lisi Schnabelstedt (Karoline Herfurth) und die völlig außer Kontrolle geratene 10b, samt der „Musterschüler“ Chantal (Jella Haase), Zeynep (Gizem Emre), Danger (Max von der Groeben) und Burak (Aram Arami) wieder in ein turbulentes Abenteuer verwickelt.

Knacki-Lehrer – Zeki vier Monate später in seinem neuen Alltag

3 © 2015 Constantin Film Verleih GmbH  Christoph AssmannDer Wecker klingelt, schnell ist er ausgeschaltet. Nur Bruchteile später klingelt ein weiterer und auch dieser wird unsanft von Zeki Müller zum Schweigen gebracht. Dem Neulehrer fällt das frühe Aufstehen sichtlich schwer und er versucht den Rückweg ins Traumland zu finden. Doch dabei hat er nicht mit seiner neuen überengagierten Superpädagogenfreundin Lisi gerechnet, die dem pelzigen Hund einen dritten Wecker im Maul platziert hat. Nach einem Kontrollanruf ist Zeki dann auch endlich wach und bereit für seinen neuen, alten Job als Lehrer.

Wie im Vorgängerfilm ist Herr Müller nicht die Art von Lehrer, die man sich für sein Kind vorstellt. Er ist mürrisch, egozentrisch, authentisch, ehrlich, aber schweigsam, wenn es um seinen eigenen Vorteil geht und spart nicht gerade an verbalen Beleidigungen. Sätze wie: „Verpiss dich doch“ oder „halt´s Maul“ sind Teil seines alltäglichen Wortschatzes.

Diamanten vs. mürrische 10b

2 © 2015 Constantin Film Verleih GmbH  Christoph AssmannIm zweiten Teil des erfolgreichen deutschen Films 2013 wird eine Idee umgesetzt und ausgebaut, die eigentlich bereits für den ersten Teil gedacht war. Eine Klassenfahrt nahm damals aber laut Regisseur Bora Dagtekin zu viel Raum in Anspruch. Im zweiten Film kommt Zeki Müller jedoch unfreiwillig zu dem Vergnügen der Reise. Kurz zuvor findet er einen Teil der vergrabenen Beute wieder: Kleine glänzende Diamanten, die ein Vermögen wert sind. Unglücklicherweise landen diese im Spendencontainer für die Partnerschule in Thailand. Sein Ziel lautet: Die Diamanten finden, koste es was es wolle und dann nichts wie weg – nie wieder Lehrer sein!

Abseits des Klischees: Keine Liebeskomödie

Produzentin Lena Schömann und Bora Dagtekin (Buch und Regie) setzen erneut auf das Genre der „Schulkomödie“. Es soll nicht um die Liebesbeziehung zwischen Zeki und Lisi gehen. Man fragt sich nicht, ob die Gegensätze zusammenbleiben oder fiebert nach einer Dummheit Zekis einem Beziehung-Happy-End entgegen. Vielmehr wird die Beziehung zwischen Herrn Müller und seinen Schülern thematisiert, sowie die Wandlung Zekis, die er während dieser Klassenfahrt durchläuft. Man fragt sich: „Bleibt Zeki Lehrer und hält das Versprechen seine 10b durch das Abitur zu bringen? Oder wird er einknicken, den einfachen Weg gehen und die Diamanten der Schule vorziehen?“

„Ey isch schwöre du bist so Arzt!“ (Zeynep)

© 2015 Constantin Film Verleih GmbH  Christoph AssmannWem bereits Teil eins gefallen hat, dem wird auch der Nachfolger zusagen. Situationskomik und flache Witze sind wieder vorhanden und auch die Schüler der 10b sind noch genauso hohl, wie zuvor. Auch die deutsche Grammatik haben die Zehntklässler noch nicht wirklich verinnerlicht. So schafft es Chantal am letzten Tag ihres Praktikums ein zur Schau gestelltes Auto zu Schrott zu fahren, versucht sich zweifelhaft als YouTube-Bloggerin und wundert sich, dass sie ein vermeintlicher Wolf, in Wahrheit ein Affe, von einem Baum aus anstarrt. Fans von Chantal wird es freuen, zu erfahren, dass sie in FACK JU GÖHTE 2 den Part einer weiblichen Hauptrolle übernimmt und des Öfteren auch aus dem Off erzählt. Ansonsten hat der Film, neben der Komik, viel zu bieten: Die malerische Schönheit der Küstenprovinz in Thailand Krabi wird gezeigt und mit Stunts und Actioneinlagen wird nicht gespart. Es gibt rasante Passagen mit Jetskis, eine Explosion im Chemielabor und feindliche Einwohner, die Zeki und seine Klasse attackieren. Es ist sicherlich ein Film ohne großen Anspruch, doch stellenweise mit viel Herz und Liebe zum Detail. Auch wenn die Witze meist eher plump und offensichtlich daher kommen, sind diese 112 Minuten perfekt, um nach einem langen Arbeitstag dem Alltagsstress zu entkommen.

Fotos: © 2015 Constantin Film Verleih GmbH/ Christoph Assmann

Wakolda – ein Arzt auf der Flucht

von Andrea Kroner

Der deutsche Arzt Helmut Gregor wirkt nett, unauffällig und höflich, als ihn eine junge Familie auf dem Weg in ihre neue Heimat mitnimmt. Doch er verbirgt ein dunkles Geheimnis, das erst nach und nach zum Vorschein kommt.

Ein getarnter Verbrecher

Eine junge, deutschstämmige Familie reist nach Bariloche, Argentinien. Sie will in dieser Gemeinde für verfolgte Deutsche ein neues Leben beginnen: Eva (Natalia Oreiro) plant, eine Pension wiederzueröffnen und ihr Mann Enzo (Diego Peretti) will Porzellanpuppen aus Eigenproduktion verkaufen. Noch ist seine Leidenschaft dafür eher ein Hobby, doch er hofft, damit später Geld verdienen zu können.

Als sie sich mit dem Auto auf den Weg dorthin begeben, lernen sie in einem kleinen Rasthof den charmanten, charismatischen deutschen Arzt Helmut Gregor (Alex Brendemühl) kennen. Er ist sehr interessiert an deren Pension und sucht selbst einen neuen Wirkungskreis. Deshalb nehmen sie ihn als ersten Pensionsgast auf.

Dieser zeigt reges Interesse an ihrer Tochter Lilith (Florencia Bado), die an einer Wachstumsstörung leidet. Deshalb kann das 12-jährige Mädchen nicht mit ihren Mitschülern mithalten und wird von ihnen gehänselt. Gregor möchte sie mithilfe einer Hormonbehandlung unterstützen, doch ihr Vater ist dagegen. Deshalb bekommt sie die Spritzen mit Evas Einverständnis hinter seinem Rücken. Auch Eva, die mit Zwillingen schwanger ist, bietet er seine Hilfe an – ebenfalls heimlich.

Zwischendurch werden immer wieder Zeichnungen aus seinem Notizheft eingeblendet, die Schlimmes vermuten lassen. Und mit der Zeit wird die Vermutung zur Gewissheit, denn eine als Fotografin getarnte, israelische Spionin lässt den Arzt auffliegen: Denn er ist in Wirklichkeit der ehemalige Chefarzt des Konzentrationslagers Auschwitz, Josef Mengele, der unter falschem Namen nach Südamerika geflohen ist, um dort unterzutauchen und seine grauenvollen Menschenexperimente fortzusetzen. Doch jetzt muss Mengele erneut fliehen. Ein spannender Wettlauf mit der Zeit beginnt.

Zwischen Wagheit und Wahrheit

Es ist tatsächlich belegt, dass Mengele seine Forschungen im Ort Bariloche weiterführte. Sein besonderes Interesse galt dabei Kleinwüchsigen und Zwillingen. Das kommt daher, dass er den „arischen Menschen“ perfektionieren und durch vermehrte Zwillingsgeburten den Fortbestand des deutschen Volkes sichern wollte. Dafür war ihm jedes Mittel recht. In Auschwitz hatte er die Erlaubnis, seine grausamen Forschungen uneingeschränkt durchzuführen – zum Leidwesen zahlreicher jüdischstämmiger Opfer. Auch nach dem Sturz des nationalsozialistischen Regimes konnte er nicht von seinem perfiden „Traum“ ablassen und forschte in Argentinien an der unschuldigen Bevölkerung weiter. Doch Einzelheiten über seinen dortigen, sechsmonatigen Aufenthalt, wie sie im Film gezeigt werden, sind lediglich Spekulationen.

Die Details machen es aus

Die blauäugige Familie, bei der Mengele wohnt, merkt bis zum Schluss nicht, wie die wahre Identität ihres Gastes aussieht. Das liegt vor allem daran, dass Mengele alle geschickt manipuliert und gegeneinander ausspielt. Dabei ist seine vordergründig nette und harmlose Art von entscheidender Bedeutung, denn dadurch verdrängen Eva und Enzo die offensichtlichen Anzeichen, die sich mit der Zeit äußern. Der Zuschauer hingegen weiß mehr über Mengeles Hintergrund, als die handelnden Personen, denn viele detaillierte und kommentierte Zeichnungen Mengeles geben Hinweise auf seine dunklen Machenschaften.

Ein Spiegel seiner Vergangenheit

Obwohl die Puppenherstellung von Enzo im Film eher eine Nebenhandlung darstellt, spielt sie in der Interpretation eine entscheidende Rolle: Sie spiegelt Mengeles komplette Lebenseinstellung wider. Indem er Enzo hilft, seine Puppen maschinell und in großen Mengen zu produzieren, kann er symbolisch seinen „Traum“ von der Massenproduktion des perfekten, makellosen Menschen verwirklichen.

Doch solche Anspielungen kratzen nur an der Oberfläche, denn die wahren Abgründe von Mengeles Charakter werden nur angedeutet oder bleiben ganz im Dunkeln.

Viel erreicht?

Der Film erzeugt durchgehend eine enorme Spannung, da der Zuschauer die ganze Zeit auf den Moment der Entlarvung Mengeles wartet. Auch wird man von der gelungen erzeugten Atmosphäre förmlich mitgerissen: Es werden deutlich die Probleme gezeigt, die die Bevölkerung damit hat, mit den nationalsozialistischen Verbrechern umzugehen – denn Mengele war bei Weitem kein Einzelfall. Viele Nazis flüchteten nach dem zweiten Weltkrieg nach Südamerika.

Auch die Perspektive ist etwas ganz besonderes, denn der Film wird aus der Sicht von Lilith, einem unschuldigen, kleinen Mädchen erzählt – mit einer außergewöhnlichen Leistung der 12-jährigen Schauspielerin Florencia Bado. Dennoch wirkt der Film insgesamt zu überladen: Er erzählt zum einen von Liliths Problemen, aber zugleich auch von Mengeles Flucht und seinen Experimenten. Darüber hinaus baut Enzo seine Puppenfabrik auf. Gerade weil alle drei Bereiche schwierige und wichtige Themen darstellen, kann das den Zuschauer schnell überfordern. Dennoch ist der Film in sich stimmig und zeigt die Spätfolgen des Nationalsozialismus aus einem ganz neuen Blickwinkel.

Foto: flickr.com/RV1864 (CC BY-NC-ND 2.0)

 

Weitere Artikel aus dieser Reihe:

Teil Eins: Vergessene Filme – verborgene Schätze

Teil Zwei: Der Meister der Stille

Teil Drei: „Faust“ – die Geschichte lebt wieder auf

Teil Vier: „Erleuchtung garantiert“ – wirklich?

Teil Fünf: „5×2“ – Wieso ging es schief?

Teil Sechs: „Moolaadé“ – Bann der Hoffnung

Teil Sieben: The Garden of Words

True Story – Spiel um Macht

von Jasmin M. Gerst

Sicherlich, jeder Journalist war schon mal in einer Situation wie Michael Finkel: Die Story, an der er gerade arbeitet, ist doch nicht so dramatisch wie gedacht, die Deadline rückt näher und er spielt mit dem Gedanken sie ein wenig zu frisieren. All das, um eine Titelstory zu bekommen. Eine wahre Geschichte, denn das Drehbuch zu dem Drama „True Story – Spiel um Macht“ basiert auf Finkels Memoiren „True Story: Murder, Memoir, Mea Culpa“, die von dem Tiefpunkt seiner Karriere im Jahr 2001 erzählen.

Ein gescheiterter Journalist auf Storysuche

Der Journalist Michael Finkel (Jonah Hill, „22 Jump Street“) ist sehr erfolgreich. Seine Storys haben nicht nur die eigene Bürowand, sondern auch schon viele Magazincover geschmückt. Doch dann begeht Finkel einen fatalen journalistischen Fehler: für seinen neusten Artikel erfindet er Teile einer Reportage. Daraufhin wird er entlassen. Michael Finkel ist nun an seinem Karrieretiefpunkt angekommen und zieht zu seiner Freundin Jill (Felicity Jones „Die Entdeckung der Unendlichkeit“). Er versucht tagelang verzweifelt wieder in der Journalisten-Welt Fuß zu fassen – zu Anfang jedoch vergeblich.

Ortswechsel: Gleichzeitig wird Christian Longo (James Franco, „The Interview“) für die Ermordung seiner Familie von der Polizei gesucht. Auf seiner Flucht hatte dieser Finkels Identität angekommen, weil er ein begeisterter Leser ist und ihn beneidet. Schließlich wird Christian Longo in Mexiko gestellt und den amerikanischen Behörden übergeben.

108_DF-04176_R_A4Währenddessen beginnt Michael Finkel die Hoffnung aufzugeben je wieder im journalistischen Milieu Fuß fassen zu können. Bis das Telefon klingelt und die Geschichten von Finkel und Longo beginnen, sich miteinander zu verweben. Michael Finkel wird über die Geschichte Longos von einem Lokalreporter informiert und prüft diese Sensation nach. Christian Longo soll sich auf seiner Flucht für ihn, den Journalisten, ausgegeben haben. Dieser wird angeklagt seine Familie in Oregon umgebracht zu haben. Getrieben von Neugier und der Frage nach dem Warum, entschließt sich Finkel Longo zu schreiben und ein Treffen zu vereinbaren. Longo antwortet unverhofft und Finkel bekommt ein ungewöhnliches Angebot: Er soll als einziger die Exklusivrechte für die Geschichte von Christian Longo erhalten. Doch Christian Longo stellt zwei Bedingungen: Erstens soll Finkel bis zum Prozess mit Niemandem über die Geschichte sprechen und zweitens soll er Longo das Schreiben beibringen. Finkel wittert eine Story, stimmt zu und besucht daraufhin Longo regelmäßig im Gefängnis. Dieser kennt Finkels Lage und versucht ihn mit Insiderinformationen über den Tod seiner Familie zu locken. Zwischen den beiden entsteht eine Vertrauensbeziehung, welche für Finkel später zum Verhängnis wird. Finkel sieht nämlich die Story seine Lebens schon vor sich, die ihm seine Karriere zurückbringen könnte. Jedoch wird das für Finkel gefährlicher, als er geglaubt hatte.

Minimalismus statt Special-Effects

Regisseur Rupert Goold setzt bei diesem Film auf Minimalismus – hier ist weniger wirklich mehr. Es gibt keine Special-Effects und keine Action-Szenen – dafür wird der Zuschauer von Longo bis zur letzten Sekunde verwirrt – hat er es jetzt getan oder nicht? Deshalb sind auch die minimalistischen Kameraperspektiven perfekt, nichts lenkt hier vom eigentlichen Thema des Films ab. Der Zuschauer wird so in den Bann gerissen und fühlt jede Sekunde mit.

Die faszinierenden Konflikte zwischen Finkel und Longo fördern die Spannung des Dramas. Auch diese Art Freundschaft, die zwischen den beiden entsteht. Natürlich trägt die Tatsache, dass es sich um eine wahre Begebenheit handelt, auch dazu bei, dass der Film umso authentischer wirkt.

Verwirrung bis zur letzten Sekunde

Für mich ist „True Story“ einer der besten Filme des Jahres. Er ist spannend und raubt einem den Schlaf. Schön ist auch, dass er zum Nachdenken anregt und den Wahrheitsgehalt in den Medien anzweifeln lässt – so etwas kann schließlich jedem Journalisten passieren. Wenn die Story doch nicht so viel hergibt wie gedacht und der Abgabetermin naht, können aus zwei misshandelten Jungen ein brutal misshandelter Junge werden. Vielleicht ist es auch die Wahrheit, die nicht immer so spektakulär ist, wie man sie sich vorgestellt hat. Aber während des gesamten Films fühlt man mit der Rolle Finkels mit und versucht Stück für Stück die Wahrheit herauszufinden, auch wenn man schon ahnt, dass einem diese Wahrheit nicht gefallen wird.

Jonah Hill spielt hier die Rolle seines Lebens – er macht seinen Oscar-Nominierungen alle Ehre. Für mich seine bisher beste Performance. Aber auch James Franco spielt die angebliche Unschuld des Familienmördes Christian Longo so überzeugend, dass man ihm beinahe Glauben schenkt, ihn sogar in manchen Teilen des Films sehr sympathisch findet. Man kann dadurch auch verstehen, dass Longo Finkel private Details erzählt und sie eine Art Freundschaft aufbauen. Longo überzeugt Finkel, dass er die Tat nicht begangen hat – wieso sollte er auch? Er war schließlich ein glücklicher Ehemann und Vater. Nach und nach wird Finkel aber klar, was Longo für ein mieses Spiel mit ihm spielt. Schade ist allerdings, dass am Ende nicht direkt aufgelöst wird, und man sich fragt, was ist nun die „True Story“?

Fotos: 20th Century Fox

The Garden of Words

von Andrea Kroner

Im realen Leben und auch in den meisten Filmen ist Regen negativ besetzt. Er dient oft als Zeichen von Trauer, Schmerz oder als Vorbote von Unheil. Anders in „The Garden of Words“. Hier zeigen fantastische Bilder und minimale Geräusche, wie außergewöhnlich Regen sein kann.

Die Schönheit des Regens

Der Schüler Takao liebt den Regen. Denn dann fühlt er sich dem Himmel ein Stück näher. Deshalb verbringt er regnerische Tage auch nicht in der langweiligen Schule. Er sitzt im Pavillon eines Parks von Tokyo, träumt vor sich hin und zeichnet Schuhe. Dadurch möchte er seinem großen Wunsch näher kommen, später einmal Schuhmacher zu werden, obwohl die Aussichten nicht gut sind.

In diesem Park begegnet er eines Tages einer Frau namens Yukari, die ihre Vormittage im Pavillon mit Alkohol und Schokolade verbringt. Zunächst haben sie nicht viel miteinander zu tun, doch mit der Zeit kommen sich die beiden langsam näher: Takao beginnt sich zu öffnen und von seinen großen Träumen zu erzählen. Das hatte er bisher noch nie gemacht.

Yukari ist so begeistert von seinen Entwürfen und Plänen, dass sie ihn bittet, ein Paar Schuhe für sie anzufertigen, damit sie symbolisch wieder auf eigenen Beinen stehen könne. Denn sie versucht, ihrer ungeliebten Vergangenheit zu entfliehen, statt sich ihr zu stellen.

Mit dem Ende der Regenzeit enden auch die Treffen der beiden. Jeder muss sich jetzt seinen eigenen Aufgaben und Problemen stellen und sein Leben in die Hand nehmen. Yukari krempelt ihr bisheriges Leben um und versucht, von vorn zu beginnen. Auch Takao muss zurück in den Alltag und seinen Abschluss schaffen, um seinen Traum verwirklichen zu können. Doch beide wünschen sich insgeheim den Regen und die gemeinsamen, unbeschwerten Treffen zurück.

Animationskunst auf höchstem Niveau

Alle Hintergründe sind so detailgetreu und liebevoll gestaltet, dass die Grenze zwischen Animation und Realität zu verschwimmen beginnt. Gerade bei den Naturaufnahmen im Park zeigt sich das sehr deutlich: Jedes einzelne Blatt und jeder Regentropfen ist klar konturiert, präzise gezeichnet und voll schöner, leuchtender Farben. Im Internet gibt es sogar zahlreiche Vergleiche zwischen den Zeichnungen und den dazu gehörenden, realen Orten – teilweise sind diese kaum zu unterscheiden.

Doch in der Gestaltung der verschiedenen Handlungsorte gibt es deutliche Unterschiede. Das hektische, laute Stadtleben von Tokio wird anders dargestellt, als die Stille des Parks. Obwohl beide Bereiche realistisch und plastisch gezeichnet sind, wirkt das städtische Leben durch unnatürliche Perspektiven und Blickwinkel surreal und überzeichnet.

Einen starken Gegensatz zu den filigranen Hintergründen bildet auch die Darstellungsweise der Figuren. Sie sind mit großen Augen, einer spitzen Nase und den strähnigen Haaren, wie in Animés üblich, gezeichnet. Dadurch entfernt sich der Film wieder mehr von einer realistischen Darstellung.

Es wird alles gesagt

„The Garden of Words“ dauert nicht einmal 45 Minuten. Das erscheint zunächst äußerst kurz, doch bei Shinkai ist das keine Seltenheit, denn kaum einer seiner Filme dauert länger.

Dennoch könnte man argumentieren, dass er durch die Kürze das Potential seiner Geschichte nicht voll ausgeschöpft hat. Doch er möchte auch gar keine ausschweifende, komplexe Geschichte erzählen, sondern beschränkt sich auf das Wesentliche – deshalb muss man als Zuschauer auch auf die Kleinigkeiten achten, die so wichtig für die tiefgründige und feinfühlige Geschichte einer ganz besonderen Beziehung sind.

Dabei bleibt den ganzen Film über die Spannung bis zum Ende erhalten. Dieses selbst ist jedoch etwas enttäuschend ausgefallen, was aber auch im Auge des Betrachters liegen kann. Aber das muss jeder für sich selbst herausfinden.

Foto: flickr.com/Antonio Tajuelo (CC BY 2.0)

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Teil Eins: Vergessene Filme – verborgene Schätze

Teil Zwei: Der Meister der Stille

Teil Drei: „Faust“ – die Geschichte lebt wieder auf

Teil Vier: „Erleuchtung garantiert“ – wirklich?

Teil Fünf: „5×2“ – Wieso ging es schief?

Teil Sechs: „Moolaadé“ – Bann der Hoffnung

Teil Sieben: The Garden of Words

Teil Acht: Wakolda – ein Arzt auf der Flucht