Böhmermann und der Stinkefinger

von Philipp Humpert 

Fake, Fake-Fake, Meta-Fake? Am 15. März konfrontiert Günther Jauch in seiner Polit-Talk-Sendung den griechischen Finanzminister Varoufakis mit einem Video von einer Konferenz aus dem Jahr 2013, in dem der Minister Deutschland den Mittelfinger zu zeigen scheint. Am darauf folgenden Mittwoch veröffentlicht Jan Böhmermann ein Video, dass ihn und die Redaktion des Neo Magazin Royale dabei zeigen, wie sie angeblich den Finger digital in die Originalaufnahmen gezaubert haben.

Der Skandal ist perfekt: Der Talkmaster Jauch ist auf den Trick eines Spaßvogels vom Programmrand hereingefallen. Bald darauf veranlasst das ZDF Böhmermann dazu, wiederum ein Dementi seines Videos zu veröffentlichen, was den angeblichen Fake zu einem „Fake-Fake“ werden lässt. Spätestens jetzt scheint sich niemand mehr sicher zu sein, was Wirklichkeit ist und was Fälschung.

Ungeachtet dessen, ob das Video letztendlich manipuliert wurde oder nicht, hat die Debatte darum jedoch deutlich gemacht: traditionelle Medien wie das Fernsehen verlassen sich vermehrt auf Quellen aus dem Internet, deren Authentizität nur schwer festzustellen ist. Und manche nutzen diese Quellen, um ihre Sicht der Dinge „objektiv“ untermauern zu können.

Manchmal verwechseln wir Meinung mit Fakten

In einem Format wie Jauchs Polit-Talkshow steht natürlich zunächst die Meinung der Gäste im Vordergrund. Sie interpretieren das politische Geschehen in unterschiedlicher Weise, und im Idealfall kann sich der Zuschauer so ein besseres Bild zu den verschiedenen Ansichten machen. Dabei sollte jedoch besonders der Moderator darauf achten, dass Fakten und Meinungen klar voneinander getrennt bleiben. Dass Jauch das Video in Zusammenhang mit der aktuellen Debatte bringen wollte ist daher mehr als eine journalistische Ungenauigkeit.

Es ist der Versuch, eine Debatte zu provozieren, die in dieser Form keine Berechtigung hat, da sie ohne Kontext geführt wird. „Der Stinkefinger für Deutschland, Herr Minister. Die Deutschen zahlen am meisten und werden dafür mit Abstand am stärksten kritisiert. Wie passt das zusammen?“ (ZeitOnline). Diesen Punkt wollte Böhmermann wohl auch mit seiner Aktion verdeutlichen wollte: Letztendlich präsentiert uns Jauch nur eine Interpretation der Fakten, nicht die Wirklichkeit selbst. Er verwendet dabei Bildmaterial, welches authentisch erscheint und im Einklang mit seiner Meinung steht. Dass das Material – wenn auch nicht absichtlich – gefälscht sein könnte, kommt dem Zuschauer besonders bei Videos meist nicht in den Sinn. Wichtiger ist jedoch die Tatsache, dass die Aufnahmen selbst aus dem Jahr 2013 stammen, als Varoufakis noch als privater Wirtschaftsexperte auftrat, und somit nur seine eigene Meinung und nicht die der griechischen Regierung vertrat. Zudem lässt auch der Name „Subversive-Festival“, auf dem die Aufnahmen entstanden, auf eine nicht ausschließlich von Political Correctness geprägte Atmosphäre schließen, in der provokanten Gesten eher zur Untermauerung eines Arguments genutzt werden können als zur gezielten Provokation. All dies hat Jauch in seiner Sendung weitgehend außen vor gelassen. Es sollte vielmehr der Eindruck entstehen, die Aussagen stünden im Zusammenhang Varoufakis aktuellem Posten als griechischer Finanzminister. Das ist eine Form von Meinungsmache, mit der sich Böhmermann und seine Redaktion wohl nicht abfinden wollten. Ob das Video tatsächlich gefälscht wurde oder nicht, spielt dabei zunächst keine Rolle. Viel wichtiger ist, dass deutlich gezeigt wurde, dass nicht alle Bilder, die über unsere Bildschirme flimmern, tatsächlich die Wirklichkeit widerspiegeln.

Die Sache mit der medialen Wirklichkeit

Was haben wir also gelernt aus der Causa „#Varoufake“? Authentizität von Quellen kann in Zeiten des Internets nicht immer garantiert werden. Es ist verführerisch, bei dem tagtäglich mit hunderten von Informationen dem dokumentarischen Charakter von Bildern und Videos mehr Glauben zu schenken als der Rede eines Politikers oder dem Artikel eines Journalisten, oder eben der Meinung von Talkshowgästen. Doch Bilder sind ebenso manipulierbar wie Texte, und vor allem die Interpretation und der Kontext, in dem sie gezeigt werden.
Wollten wir die Debatte um die Griechenlandkrise vollständig verstehen, müssten wir uns mindestens sämtliche Bundestagsdebatten auf Phoenix dazu verfolgen, alle Zeitungsartikel lesen und am besten noch Radiointerviews mit Politikern unterschiedlicher Lager anhören. Das kann niemand leisten. Wir müssen uns mit einem Ausschnitt, einer Zusammenfassung der Wirklichkeit, zufrieden geben. Wir können und sollten nicht stets alles für die Unwahrheit halten, was in den Medien berichtet wird, wie es beispielsweise die Pegida-Bewegung bekanntermaßen tut (Stichwort „Lügenpresse“). Es ist jedoch keine Schande, seinen gesunden Menschenverstand zu gebrauchen und verschiedene Meinungen kritisch zu beurteilen.

Foto: flickr.com/Chefzwerg (CC BY-SA 2.0)