„Inzwischen ändern wir jährlich die Forschungsthemen” Wissenschaftskommunikatorin Ilka Bickmann im Porträt
Von Judith Bahr und Marvin Zirkelbach
Brücken bauen und Menschen zusammenbringen, das ist nicht immer einfach, wenn dabei Vertreter unterschiedlichster Disziplinen aufeinandertreffen. Aber nur dann, wenn wir über den sprichwörtlichen Tellerrand hinaus blicken und uns aus unseren Filterblasen herausbewegen, können wir Neues kennenlernen. Für Vertreter der Wissenschaft ist es eine besondere Herausforderung ihre oftmals sehr spezifischen Kenntnisse an Laien weiter zu geben, denn für einen Wissensaustausch braucht man eine gemeinsame Gesprächsebene. Wie eine solche Ebene geschaffen werden kann, darüber spricht Wissenschaftskommunikatorin Ilka Bickmann.
Ilka Bickmann (48 Jahre, 3 Kinder), Germanistin, Psychologin und Journalistin aus Halle (Saale).
Die vielreisende Wissenschafts- kommunikatorin musste von Anfang an den Spagat zwischen Familie und einem herausfordernden Berufsalltag meistern. Das Reisen gehört auf die Tagesordnung. So ist es bezeichnend, dass unser erster Gesprächstermin aufgrund einer schlechten Telefonverbindung während einer Zugfahrt abgesagt werden musste. Umso mehr freuten wir uns schließlich, dass kurz darauf ein überaus aufschlussreiches Gespräch stattfand.
Zwischen Ernährerin und Botschafterin
Bei der Frage nach den persönlich wichtigsten Stationen ihres Werdegangs berichtet Ilka Bickmann zunächst, wie sie die Entscheidung für die Wissenschaftskommunikation und gegen den Journalismus gefällt hat. Damals hatte sie bereits ein Kind und war die „Ernährerin” der kleinen Familie. So fiel ihr der Wechsel von der journalistischen Tätigkeit hin zur Presseleitung einer Buchverlagsgruppe nicht allzu schwer, da sich rein finanziell gesehen sehr viel bessere Möglichkeiten auftaten. Bickmann beschreibt diese Entscheidung selbst als sehr pragmatisch.
Doch vergingen noch einige Jahre, bevor sich Ilka Bickmann der Wissenschaftskommunikation dann vollkommen verschrieben hat. In dieser Zeit wurde „der Blick größer“ und es handelte sich um eine Art Orientierungsphase, in der sie Einblicke in viele Bereiche erlangen sollte. Dazu gehörten zum Beispiel die Gründung eines Start-up-Unternehmens, aber auch die Arbeit bei women.de, einem Internetportal, das Chancengleichheit für Frauen unterstützt, vor allem im Bereich der Unternehmerinnen.
Ilka Bickmann bezeichnet diese Station in ihrem Werdegang als Ausgangspunkt für die Auseinandersetzung mit politischen Themen und letztendlich auch als Initiator für kommende politische Projekte und Initiativen. Ebenso waren der Einstieg in die Selbständigkeit und die Geburt ihres zweiten Kindes bedeutende Ereignisse in den Jahren um 2007.
2007 sollte mit der Gründung von Science2Public schließlich auch das Jahr werden, das Bickmanns Karriere bis heute prägend beeinflusst. Als sie Nano-Physiker Ralf Wehrspohn kennenlernt, treffen die zwei Perspektiven der Chancengleichheit für Frauen und das technologische Verständnis aufeinander und fusionierten. Das Thema der Nanowissenschaft war damals, ähnlich wie heute das Thema Künstliche Intelligenz, sehr aktuell und es kamen viele politische und wissenschaftliche Schnittstellen auf, die mehr Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit erlangen sollten. Als Ergebnis dieser Fusion gründeten sie Science2Public, deren geschäftsführender Vorstand Bickmann bis heute ist.
Bereits einige Jahre betreibt man dort nun schon erfolgreich Wissenschaftskommunikation. Gesellschaftliche (Geschlechter-) Ungerechtigkeit aufzuzeigen, Frauen als Unternehmerinnen zu profilieren und vor allem die Situation langfristig zu verbessern, sind einige Aspekte des „Spezialgebietes“ von Bickmann. Frauen speziell im Wissenschaftsbereich zu fördern, damit startete Science2Public mehr oder weniger seit der Gründung – und das mit Erfolg. Bickmann zieht insgesamt eine positive Bilanz, es habe sich schließlich in den letzten Jahren beispielsweise beim Frauenanteil in den Mathematik- oder Technik-Studienfächern (MINT-Fächer) schon einiges getan. Sie verweist jedoch auch darauf, dass Deutschland im internationalen Vergleich noch etwas hinterher hinkt und nach wie vor Luft nach oben sei. Hier komme es jetzt darauf an, weiterhin vor allem öffentlichkeitswirksame Projekte umzusetzen, die mit einer gewissen Sichtbarkeit der Frauen im Wissenschaftsbereich verbunden sind, um die Situation weiter zu verbessern. „Nano4women“ oder die „NEnA – Nano-Entrepreneurship-Academy“ sind hierbei nur zwei Beispiele aus der Vergangenheit, die den Erfolg der Öffentlichkeitsarbeit in diesem Bereich aufzeigen.
Was macht Science2Public eigentlich?
Doch was genau macht Science2Public und was sind Alleinstellungsmerkmale, die man besonders hervorheben sollte? Wirft man einen Blick auf die Webseite, begegnen einem die Schlagworte Forschung, Gesellschaft, Zukunft und Netzwerk. Alles wichtige Themen, die wortwörtlich jeden von uns betreffen, sei es direkt oder indirekt. Science2Public stellt sich hier die Frage, „In welcher Welt können, wollen, werden wir zukünftig leben?” und wie kann das hierzu benötigte Wissen vermittelt werden? Bei allen Aktionen von Science2Public steht aber vor allem eines im Vordergrund: Interaktion. Wissenschaft soll erlebbar werden und durch Mitmach-Events zu den unterschiedlichsten Themen wird dazu eingeladen, sich mit aktuellen wissenschaftlichen Bereichen auseinander zu setzen. Vergangene Veranstaltungen waren beispielsweise Science2youth, eine Tagung zum Thema Wissenschaft in den Medien für Jugendliche, oder der Wissenschaftswettbewerb nano+art und das Foresight Festival, um nur einige Beispiele zu nennen.
Grundsätzlich gibt es sechs unterschiedliche Ansätze, auf welche Weise Wissenschaftskommunikation bei Science2Public praktisch umgesetzt wird. Angefangen mit Filmfestivals, die ein breites Publikum ansprechen. Forschungstrends und die gesellschaftliche Entwicklung werden hier auf innovative, kunstvolle, aber auch kritische Weise in Form von Kurzfilmen dargestellt. Die besten Filme werden am Festivalabend von den Zuschauern über Online-Kanäle prämiert, sodass gleichzeitig Foren entstehen, um über Zukunftslösungen zu diskutieren.
Die „Science2you” – Events, die in Zusammenarbeit mit Partnern aus der Wissenschaft Treffpunkte bilden, die durch ein kreatives Programm Kontaktaufnahme mit aktuellen wissenschaftlichen Themen ermöglichen, spielen ebenfalls eine wichtige Rolle. Angepasst an das jeweilige Publikum entsteht hier partizipative Wissenschaftskommunikation und -Kooperation. Neben diesen lebendigen Veranstaltungen, die informieren aber auch unterhalten sollen, organisiert Science2Public bundesweite Akademien, dich sich vor allem auf den direkten Erfahrungstransfer konzentrieren. Es werden Zugänge zu Technologien und Wissenschaften ermöglicht, die unter anderem auch den Berufseinstieg in diesen Bereichen erleichtern sollen.
Alles in Allem möchte Science2Public ein Netzwerk aufbauen und Wissenschaft in unsere schnelllebige Zeit bringen. Die Frage, wie das am besten geht, steht dabei immer im Mittelpunkt. Wer ist die Zielgruppe und wie kann man sie am besten ansprechen? Bevor ein Event stattfinden kann, werden in der Analysephase genau diese und viele weitere Fragen geklärt. Nach der Umsetzung einer Veranstaltung steht dann die Evaluation und Dokumentation an. Die angewendeten Maßnahmen werden auf ihre Effektivität geprüft und es wird entschieden, ob sie auch bei kommenden Projekten durchgeführt werden sollten.
Kernpunkte von Ilka Bickmanns Arbeit
Doch wozu brauchen wir nun überhaupt Wissenschaftskommunikation? Dazu hat Bickmann eine recht klare Meinung. Für sie ist es einerseits eine gemeinsame Zukunftsgestaltung von WissenschaftlerInnen und Zivilgesellschaft, an der schließlich jeder Einzelne beteiligt sein sollte. Auf der anderen Seite haben WissenschaftlerInnen aber auch eine große Verantwortung gegenüber der Gesellschaft, so zum Beispiel in der aktuellen Nachhaltigkeitsentwicklung. Als negatives Beispiel einer inkonsequenten Verantwortungsübernahme in der Vergangenheit nennt Ilka Bickmann die Forschung zur Nutzung von Plastik vor einigen Jahrzehnten, noch bevor die gesamte Industrie davon überschwemmt wurde. Bereits hier hätten Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen das Ausmaß einer riesigen Umweltverschmutzung in der Zukunft erahnen können, ja sogar erahnen müssen. Man wäre durchaus dazu in der Lage gewesen, zu berechnen, welche riesigen Müllberge sich über die Jahre hinweg ansammeln würden und vor welches großes Problem der Müllbeseitigung Plastik letztendlich die zukünftigen Generationen stellen könne. Dies zeugt deshalb nicht gerade von einem verantwortungsvollen Umgang gegenüber der heutigen Gesellschaft. Bickmann ist der Meinung, dass bei jeder Forschung deshalb gleichzeitig darüber nachgedacht werden muss, was diese für die Gesamtgesellschaft bedeutet und vor allem welche Auswirkungen diese in Zukunft mit sich bringen kann.
Doch ganz unabhängig davon, zu welchem Themenschwerpunkt geforscht wird, ist es auch immer eine große Frage, was mit finanziellen Forschungsmitteln alles möglich ist und was eben nicht. Und hier gibt es große Probleme, denn die Gelder sind oft sehr begrenzt, Stellen werden gestrichen und Honorare sind ebenfalls niedrig. Von Stiftungen zur Unterstützung ist Bickmann jedoch nicht vollständig überzeugt, da diese ein stagnierendes Modell darstellen, welches in der heutigen Zeit nicht mehr vielversprechend ist. Tatsächlich müsste es sich um eine bereits große Stiftung handeln, die schon gegründet wurde und die sich in einem speziellen Bereich wie des Wissenschaftsjournalismus annimmt und diesen fördert, um erfolgversprechend zu sein. Als Beispiel nennt Bickmann die Tschira Stiftung, die das Nationale Institut für Wissenschaftskommunikation (NaWik) stiftete. Neugründungen von Stiftungen erscheinen ihr aber nicht besonders sinnvoll.
Als Gemeinnützige Organisation finanziert sich Science2Public hingegen hauptsächlich durch Beteiligungen an Verbundprojekten und Initiativen. Hier geht es vor allem um die Bereiche Öffentlichkeitsarbeit, Netzwerkkoordination, Konzeption der Formate und Umsetzung, die von der Organisation übernommen werden. Meist folgen auf eine anfängliche Anschubförderung weiteres regionales Engagement und Verankerungen, um das Format weiterzuführen bzw. endgültig zu etablieren.
Abschließend bleibt ein weiterer relevanter Aspekt zu erwähnen, der immer wieder Ilka Bickmanns Arbeit maßgeblich beeinflusst. Es geht dabei um die von Forschern und Forscherinnen, Hochschulen und Institutionen selbst kommunizierte Wissenschaftskommunikation und den von Journalisten und Journalistinnen als unabhängig angestrebten Wissenschaftsjournalismus. Sollte man hier eine klare Trennlinie ziehen, sind die beiden Bereiche vielleicht aber nicht voneinander klar zu trennen und wie kann eine effektive Zusammenarbeit, also eine gute Wissenschaftskommunikation hin zum Publikum am Besten gelingen?
Zu diesen Fragen hat Bickmann eine klare Antwort und sieht die Beziehung komplementär. Die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaftskommunikation und -journalismus klappe überwiegend gut. Journalisten und Journalistinnen sollten allerdings ihre Unabhängigkeit behalten und mit der Wissenschaftskommunikation zusammenarbeiten, sich aber stets eine eigene Meinung bilden und diese auch kommunizieren. Laut Bickmann zeichne gute Wissenschaftskommunikatoren aus, dass sie als Partner des Journalismus agieren und dessen Arbeit mit Zugängen zu Forschung bzw. Forscher und Forscherinnen unterstützen. Bei der Arbeit innerhalb von Science2Public suche sich die Wissenschaftskommunikatorin deshalb auch gezielt passende Medienpartner aus. Eine gute Kooperation ist dabei enorm wichtig. Das Kerngeschäft der Organisation besteht mittlerweile nicht mehr aus der klassischen Abarbeitung der Öffentlichkeitsarbeit durch beispielsweise Pressemitteilungen. Vielmehr arbeite man von Anfang an, das heißt bereits ab der frühen Entwicklungs- und Konzeptionsphase eines Projekts, bereits mit Medienpartnern zusammen, die dadurch sehr früh in den Prozess mit einbezogen werden und so noch bessere Medienarbeit leisten können. Als gutes Beispiel für eine Zusammenarbeit, bei der von Anfang an Medienvertreter mit in den Prozess eingebunden wurden, kann das Kurzfilmfestival “Nanospots”, damals gefördert durch die Volkswagenstiftung, genannt werden.
Vorgehensweise in der Praxis
Wie der Stein ins Rollen gerät, wenn es darum geht eine neue Veranstaltung zu organisieren, beschreibt Bickmann anhand eines Projekts, dass sie zusammen mit Studierenden von drei Hochschulen umgesetzt hat. Hier wurde auf die Studierenden und die jeweiligen Fachgebiete eingegangen und sich folgende Frage gestellt: Wie kann man in diesen Bereichen Wissenschaftskommunikation effektiv betreiben? Ilka Bickmann spricht hier von „Vermittlungsbereichen” (in diesem Beispiel Theater, Mensch, Kunst und Viren), die zusammen mit den Studierenden in Seminaren bearbeitet wurden. Die Studierenden seien „junge Wissenschaftler”, die sich in ihrem Bereich auskennen und durch Science2Public in die Wissenschaftskommunikation einsteigen könnten. Durch die Erstellung von eigenen Konzepten für die Wissenschaftskommunikation begreifen die Studierenden worauf es ankommt, wenn es darum geht, Forschungsergebnisse außerhalb des gewohnten Umfeldes zu veröffentlichen. Die Praxiserfahrung, die anschließend bei der Umsetzung des Konzepts gesammelt werden konnte, bestand vor allem aus der Auseinandersetzung mit ungewohnten Themen. Aber auch der Transfer von Wissenschaft für eine Darstellung auf der Bühne war ein Kernelement der Kooperation mit Science2Public.
Ilka Bickmann nennt diese Art der Kooperation ihren Weg Wissenschaftskommunikation anzuregen. Sie betont, dass sie als Initiatorin vieler Seminare dient, die Ergebnisse aber zum großen Teil von den teilnehmenden Personen getragen werden. Sie greift hier auf den im englischsprachigen Raum häufig genutzten Begriff „Science Engagement” zurück und bemängelt, dass im deutschen Begriff „Wissenschaftskommunikation” der wichtige Teil des Engagement fehlen würde. Es geht schließlich nicht nur um einen Dialog, sondern auch den Willen, anderen Leuten etwas zu vermitteln. Ein Gespräch kann schließlich auch sehr einseitig geführt werden, ohne dass dabei ein nennenswerter Austausch stattfindet. Aus genau diesem Grund ist Ilka Bickmann auch eine Verfechterin der persönlichen und analogen Begegnung. In unserer Zeit, in der Social Media immer mehr an Bedeutung gewinnt, ist diese Sichtweise definitiv ein Alleinstellungsmerkmal.