Wie wir in Zukunft lernen werden – Leibniz-Institut entwickelt neue Techniken

von Sandra Fuhrmann

Eine ganze Bioklasse sitzt vertieft über ihren iPads. Dort kommt die Niere hin, da die Lunge. Eine App ermöglicht es, die Organe per Drag and Drop an den richtigen Platz im Körper zu ziehen. Eine Szene aus Hollywoods neuestem Science Fiction Blockbuster? Nein! Schon heute ist diese Szene Realität!

EyeVisit ist der Name des Projekts, mit dem sich Forscher des Tübinger Leibniz-Instituts für Wissensmedien (IWM) aktuell beschäftigen. „Unser Ziel ist es, Informationen in Zukunft intuitiver, personalisierter und vor allem auch multimedialer zu vermitteln“, sagt Professor Peter Gerjets, einer der beiden Leiter des Gesamtprojekts. Derzeit bezieht sich die Forschung vor allem auf die Wissensvermittlung im Museum. Peter Gerjets lässt aber durchblicken, dass das Ergebnis weit über das Museum hinausreichen wird. Die Revolution hat bereits begonnen – und sie wird alle nur erdenklichen Bereiche der Wissensvermittlung betreffen.

Auf der Schwelle zur Zukunft

Tritt man über die Schwelle eines Kellerraums des IWM, fällt einem sofort das Herzstück der momentanen Forschung ins Auge. Dort steht der Multitouch-Tisch, abgeschottet von Sonnenlicht, denn Infrarotlich würde ihn funktionsuntüchtig machen. Wie ein überdimensionales iPad oder Smartphone wirkt die Oberfläche. Darauf verteil scheinen Kunstwerke zu liegen, die aus dem Herzog Anton Ulrich Museum in Braunschweig stammen. Das Museum ist der aktuelle Forschungspartner des IWM. Mit den Fingern können die Bilder verschoben, vergrößert und auch gedreht werden. Auf der Rückseite finden sich dann Texte oder Videos mit Hintergrundinformationen zum Gemälde. Smartphones, Tablets oder andere digitale Geräte können außerdem durch Auflegen auf die Oberfläche mit dem Tisch interagieren. So können zum Beispiel interessant erscheinende Kunstwerke mit den mobilen Geräten abfotografiert werden und der Tisch liefert dann später – vielleicht bei einer Pause im Museumskaffe – die Informationen dazu. Fundstücke, nennt sich diese erste Idee, die von der interdisziplinären Forschungsgruppe, bestehend aus Psychologen, Informatikern und Museumspädagogen, entwickelt wurde.

Zunehmende Digitalisierung führt auch zu mehr Personalisierung, so scheint es.  So wird momentan an der zweiten Idee innerhalb des Projekts gearbeitet, die noch vor der endgültigen Realisierung steht. Im Tisch sollen dabei auf verschiedene Benutzergruppen abgestimmte Themenrouten vorgespeichert werden, die vom Besucher je nach belieben vor dem Start des Rundgangs abgerufen werden können. Jeder bekommt nur das, was ihn interessiert.

Aber hoppla! Kennen wir das nicht irgendwoher? Dass Inhalte im digitalen Zeitalter personalisiert werden ist nach Google, Amazon und Co. nichts Neues mehr. Hier jedoch wird Personalisierung noch einmal  auf sehr viele weitere und vor allem zentrale Bereiche des Lebens übertragen.

Science Fiction im Klassenzimmer

„Es geht viel darum, was die Medien mit den Besuchern der Ausstellung machen. Was kann bei der Rezeption der Ausstellungsinhalte helfen? Wie können Besucher angeregt werden, sich auszutauschen. Was wollen die Besucher überhaupt sehen? Macht es einen Unterschied, ob etwas medial oder mithilfe eines Objekts vermittelt wird?“

All das sind laut Gerjets zentrale Fragen, mit denen sich die Forschungsgruppe um EyeVisit beschäftigt.  Fragen, deren Beantwortung letztendlich nicht allein im Museum zu einer Revolutionierung der Wissensvermittlung führen könnte.

Gerjets sagt voraus, dass schon in zehn bis 20 Jahren Tablets mit neuartigen Lern-Apps die Klassenzimmer dieser Welt erobert haben könnten. Tablets sind günstiger als gewöhnliche Laptops oder Computer und gewähren dem Lehrer durch ihre flache Form mehr Einsicht. Schon jetzt werden sie in einzelnen Schulklassen ausprobiert und vom IWM entwickelte Apps wurden auch bereits an hochbegabten Schülern getestet.

Wissen ist Silber – Wissensvermittlung ist Gold

Doch warum sich  auf Schulen beschränken? Wissensvermittlung spielt überall in unserem Alltag eine Rolle. Wo wir gehen und stehen versuchen alle Arten von Medien Informationen an uns heranzutragen, uns mit Wissen, Eindrücken und natürlich nicht zuletzt mit Bedürfnissen zu füttern. Auf Messen, in Firmen, in der Produktkommunikation – Informationen sind wertvoll, noch wertvoller jedoch kann ihre erfolgreiche Vermittlung sein.

Den Aufbau des Projekts erklärt Gerjets so: „Innerhalb des Forschungsbereichs gibt es zwei große Gruppen. Einer der Forschungbereiche nennt sich Präsentationsmedien. Hier geht es vor allem darum neue Formen der Informationspräsentation zu entwickeln. Die Andere Gruppe beschäftigt sich mit Wissensaustausch/Wissenskommunikation. Dabei geht es zum Beispiel darum  Face-to-Face-Situationen im Web zu ersetzen oder Meinungssrukturen in Gruppen sichtbar zu machen.“

Hongkong liegt gleich hinter dieser Wand

So ist auch bereits ein neues technologisches Wunderwerk in Arbeit. Dieses Mal nicht ein Tisch, sondern eine Wand. Wem schon Skype bereits ein wenig futuristisch anzumuten scheint, der kann hier nur noch staunen. Die Wand scheint einer Glasscheibe zu ähneln. Nur, dass der Gesprächspartner auf der anderen Seite sich nicht etwa im Vorgarten befinden muss, sondern vielleicht in Hongkong, New York oder Pune. Im Gegensatz zu Skype ist es hier außerdem möglich, Schaubilder oder Ähnliches auf der Wand aufzumalen und sie zu verschieben. Der Gesprächspartner sieht diese nicht nur, sondern kann sie auch verändern. Die Bilder werden auch nicht spiegelverkehrt angezeigt, sondern zum Beispiel Schrift kann auch auf der anderen Seite ganz normal gelesen werden. Internationale Firmenmeetings könnten so ein ganz neues Flair bekommen.

Entwicklungen dieser Art werfen sicher zwiespältige Gefühle auf. Muffige Biologiebücher in den Klassenzimmern mögen in vielleicht nicht all zu ferner Zukunft Geschichte sein – die, die ihrem Muff noch nachtrauern werden, wird es auf jeden Fall geben. Veränderungen haben durch das Internet und die digitalen Medien jedoch schon jetzt überall in unserem Alltag stattgefunden. Dass diese Entwicklung damit noch nicht am Ende ist, das ist wohl allen klar – wohin sie weiterhin führen wird, vielleicht eher weniger.

 

Bilder: Copyright Jörg Edelmann

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