Wer wir sind und was wir wollen: Kommentar von einem weiteren Digital Native
von Sabine Appel
Er sieht aus wie ein deutscher Justin Bieber und seine Geschichte ist nicht ganz unähnlich. Mit seinem Podcast „Mein iPhone und ich“ wurde Philipp Riederle schon mit 13 über Nacht zum Star – er zeigte, wie man das damals nur auf dem US-Markt verfügbare iPhone für deutsche Simkarten knackt. Er hat damit den richtigen Trend erwischt, denn das iPhone boomt und Apple wird zur Trendmarke. Philipp Riederle wird zum bekanntesten deutschen Podcaster, ein Digital Native, der anderen seiner Generation, vor allem aber auch Älteren, die Bedienung von Smartphone und Tablet erklärt – weil er es kann. Und daraus entstand wohl auch die Geschäftsidee, Unternehmen den Umgang mit der neuen Technik, vor allem aber mit Social Media und einer neuen Generation, beizubringen. Mit 18 Jahren nennt er sich Unternehmensberater und schreibt ein Buch, das seine Generation erklären soll: „Wer wir sind und was wir wollen“. Als Teil dieser Generation habe ich das Buch unter die Lupe genommen. Wer sind wir denn nun? Und wollen wir das wirklich?
Die Werbung ist tot, es leben die wilden Behauptungen
Mein Vorsatz, Herrn Riederle und seine Schreibe objektiv zu behandeln, ging in den ersten 50 Seiten schon beinahe über Bord. Die Einleitung ist ein Chaos. Es fehlt Struktur, roter Faden und aufeinandergestapelt werden wilde Behauptungen und Phrasen. Fast jedes Kapitel beginnt und endet mit einem abgedroschenen Spruch. Verallgemeinerungen regieren. Keiner will mehr ein Auto, die Werbung ist tot, wir sind die Besten und Aufgeklärtesten und nichts kann uns blenden. Hin und wieder wird ein Fachbegriff wie das Riepelsche Gesetz eingeworfen, aber irgendwie weiß man nicht, was nun Fakt ist und was Fiktion – alias die subjektive Meinung eines Jungen. Das Schlimmste daran: Der arrogante Tonfall, der teilweise gegenüber den „Alten“ ins Beleidigende übergeht. Reißerische Gedanken für die finale Kritik bildeten sich in meinem Hinterkopf. Aber dann kam… okay, nicht alles anders, aber ein bisschen anders, als erwartet.
Der Hauptteil ist besser. Es ist etwas dran an dem, was Philipp Riederle zu sagen hat. Viele seiner Thesen bleiben naiv, zum Beispiel beharrt Riederle auf der Behauptung, dass klassische Werbung die Generation der Digital Natives nicht mehr beeinflussen könne. Sie dirigieren den Markt mit ihren „Likes“, dass der Markt sie immer noch mindestens genauso im Griff hat wie sie ihn, ignoriert Riederle. Womit er allerdings Recht hat, ist, dass es – vielleicht dank ihrer Generation, Onlinerezensionen und Social Media – einen Trend gibt, in Werbespots weniger zu verführen und mehr zu erzählen. Zu bewegen. Emotionales Storytelling.
Wer sind wir denn nun?
Ein paar Thesen, die Philipp Riederle aufstellt, sind also gar nicht so unangebracht, wie man aufgrund des Tonfalls zunächst annehmen mag. Aber jetzt zum Kern: Wer sind die Digital Natives denn nun eigentlich? Ich wartete vergeblich darauf, dass mir das im Hauptteil irgendwann explizit erklärt wird. Riederle spricht ständig von einem „Wir“, in dem ich mich als Digital Native inbegriffen fühle, aber irgendwie hat man das Gefühl, dass es viel mehr darum geht, seiner Meinung zu sein, als nur mit Computer und Smartphone aufgewachsen zu sein – Letzteres ist meine Definition von „Digital Native“. „Es ist eine Frage der Haltung“, stellt Riederle an einem Punkt fest, und bleibt damit unglaublich vage. Gehöre ich jetzt eigentlich dazu? Eine Antwort darauf habe ich in seinem Buch nicht gefunden, da er tatsächlich an keiner Stelle eine klare Definition liefert.
Manche seiner Verallgemeinerungen bringen mich allerdings dazu, gar nicht unbedingt in dieses „Wir“ fallen zu wollen, genauso wenig wie ich glaube, dass der Großteil der Gleichaltrigen dort hinein passt. „Wir“ brauchen nämlich zum Beispiel keine Statussymbole ergo Autos mehr, meint Riederle. Dass das neueste iPhone und das Retina MacBook genauso Statussymbole sind wie damals das erste Moped und die getunte Karre, entgeht dem jungen Superhirn komplett. Dabei spricht er ständig von iProdukten. Er verteidigt Smartphone und Co. irgendwann etwas lasch als „Mittel zum Zweck“. Na klar, aber da würde es doch auch ein 5 Jahre alter Dell Laptop und ein Huawei Smartphone tun, oder?! Nein, viele von „uns“ brauchen ihr erstes Statussymbol mit dem Apfel heutzutage schon im Alter von 10 Jahren. „Wir“ sind daher insgesamt nicht halb so unabhängig, wie Herr Riederle tut. Es ist doch fraglich, ob der Großteil der Digital Natives sich wirklich immer genau über alle Produkte informiert, anstatt auch oftmals Trends zu folgen und einfach das Produkt der beliebtesten Marke zu kaufen.
Der Teufel sitzt bei Philipp Riederles Buch im Detail – oder im Fehlen dessen. Vieles könnte besser definiert sein, er hätte weniger verallgemeinern und stattdessen ein bisschen tiefer blicken sollen. Positiv anzumerken ist, dass einige gute Ideen präsentiert werden, die vielleicht an sich nicht total neu sind; dennoch war es schön, sie zusammengefasst und in verständlicher Sprache zu lesen.
Die Mentalität einer Generation – und ihre Aufgabe
Besonders die Veränderung von (Arbeits-)Zeit und Tagesablauf im Angesicht der Digitalisierung wird gut und ausführlich diskutiert, zwar gespickt mit subjektiver Meinung, aber das ist in Ordnung, so lange es nicht nur Behauptungen sind. Der wissenschaftliche Bezug wird deutlicher, auch die Struktur ist im Hauptteil etwas klarer. Riederle hat über alle wichtigen Aspekte des Lebens nachgedacht; Freizeit, Arbeit, Bildung, Partnersuche, Familie; und sich doch überraschend konstruktiv mit ihnen auseinandergesetzt. Zugegeben, er bietet für das meiste keine endgültige Lösung, aber das kann man auch nicht erwarten, da es sich um gesellschaftliche Diskussionen handelt, die seit Jahren zu keinem Schluss kommen. Was aber rüberkommt, ist Riederles Verständnis der Mentalität einer Generation. Sicher kann man nicht alle über einen Kamm scheren, aber das Bedürfnis nach Substanz und Authenzität, nach Selbstständigkeit und Freiheit beim Arbeiten, trifft die aktuelle Stimmung doch ganz gut.
Dass „wir“ nicht so unpolitisch sind, wie andere Generationen oft behaupten, vertritt Riederle ebenfalls recht überzeugend. Er verteidigt die Nutzung von Social Media auf eine angebrachte Weise, die die Klischees des sinnlosen „Chattens“ und der völligen Öffentlichkeit persönlicher Inhalte widerlegt – Klischees, die sich viele Digital Natives bis heute von Digital Immigrants anhören müssen, die Facebook vielleicht nie betreten haben. Denen möchte ich dieses Buch, oder zumindest ein paar Kapitel daraus, doch tatsächlich mal in die Hand drücken. „Wenn ihr mir schon nicht glaubt, dann glaubt doch dem Typen, der schon Daimler und McDonalds beraten hat“ (Aber passt auf, dass ihr ihm nicht alles glaubt).
Bilder: google bilder/Marc Weber (CC-BY-SA-3.0); flickr/frauleinschiller (CC BY-NC-ND 2.0)
Hinterlasse einen Kommentar
An der Diskussion beteiligen?Hinterlasse uns deinen Kommentar!