Warum schauen wir Filme? Eine Schlussbetrachtung
von Ricarda Dietrich
Über die letzten Wochen war an dieser Stelle eine Menge über unterschiedliche Formate von Film zu lesen. Die Themen reichten von Daily Soaps über Serien, Krimis und Videoplattformen bis zum Kinobesuch, diversen Fernsehshows und schließlich informativen und bildenden Formaten wie den Nachrichten oder Dokumentationen.
Das Ziel des Schreibens und Lesens über diese Formate war es, ihre unterschiedlichen Bedeutungen für die Zuschauer zu erfassen und festzustellen, wie so viele Formate, die alle mit dem gleichen Medium, dem Film, vermittelt werden, nebeneinander existieren können. Meine Antwort nach eingängiger Beschäftigung mit dem Thema ist: Jedes einzelne Formate bedient ein anderes Bedürfnis des Menschen. Außerdem sind Geschmäcker natürlich verschieden, was immer eine große Rolle spielt, so auch in diesem Fall. Aber zurück zu den Bedürfnissen.
In den ersten beiden Artikeln ging es um Daily Soaps und Serien. Hier könnte man argumentieren, dass sie beide sehr ähnliche Bedürfnisse bedienen. Sowohl Serien als auch Soaps bieten die Möglichkeit, sich in eine andere Welt hineinzudenken. Da sie fortlaufend sind, entwickeln sich Geschichten und Charaktere komplexer als das bei einem Film möglich ist. Von der Thematik her ist die Serie natürlich sehr viel breiter aufgestellt. Hier wird jedes nur denkbare Thema verarbeitet. Daily Soaps hingegen haben immer einen dramatischen Unterton, auch wenn sie die Möglichkeit der Thematisierung von aktuellen Themen bieten. Sie sind dennoch nur in einem Genre angesiedelt. Serien bieten mit anspruchsvollen Quality-Serien auf der einen oder Sitcoms auf der anderen Seite eine große Bandbreite von Angeboten, die man je nach Stimmung wählen kann. Soaps hingegen haben den Vorteil der täglichen Ausstrahlung, was bei manchen Zuschauern noch ein weiteres Bedürfnis befriedigt, und zwar das nach einem strukturierten Tagesablauf. Durch täglich wiederkehrende Ereignisse lässt sich eine Routine entwickeln, das gilt für Unterhaltung durch Soaps genauso wie für Information durch die „Tagesschau“. Serien und Soaps bedienen also das Bedürfnis nach Ablenkung und Alltagsflucht, Identifikation mit den Charakteren und Handlungen sowie Spannung und Entspannung. Zusätzlich bieten Daily Soaps noch Struktur im Alltag.
Als nächstes wurden Videoplattformen am Beispiel von YouTube thematisiert. Hier bietet sich für den Nutzer die vollkommen selbstbestimmte Rezeption. Man schaltet nicht den Fernseher an und muss halt schauen, was grade kommt, sondern man sucht aktiv nach Videos, die man rezipieren möchte. Inzwischen ist das Repertoire von YouTube so gigantisch groß, dass es auch kaum etwas geben dürfte, zu dem man keinen Videobeitrag auf der Plattform finden kann. YouTube befriedigt also das Bedürfnis nach Selbstbestimmung in der Rezeption, ähnlich wie dies inzwischen Streaming-Dienste wie Netflix oder Amazon Prime bieten. Zusätzlich bietet YouTube auf der anderen Seite Möglichkeiten für den „Normalo“, Videos herzustellen und hochzuladen. So ist inzwischen ein ganz neuer Berufszweig der mittlerweile professionellen YouTuber entstanden.
Das Kino kann streng genommen natürlich nicht als ein Format von Film gelten, da es in diesem Fall eher um das Erleben von Film im Rahmen eines Kinobesuches geht. Doch gerade das Kino wirft heutzutage die große Frage der Existenzberechtigung von solchen Einrichtungen auf, wo doch inzwischen viele Menschen riesig große Fernseher im Wohnzimmer stehen haben. Dass manche Filme allerdings im Kino noch ganz anders wirken können, hat bestimmt jeder schon einmal erlebt. Und was ein Kinobesuch obendrein noch bewirkt ist die Pflege von sozialen Kontakten. Man geht selten alleine ins Kino, sondern trifft sich mit Freunden, um den neuesten Blockbuster auf der großen Leinwand zu sehen.
Krimis sind ein Format, das unterschiedliche Bedürfnisse bedient. Spannung und Nervenkitzel sind ein Beispiel. Viele Menschen genießen Spannung, aber sie ist dennoch angenehmer auf der Couch mitzuerleben, wenn man selber in Sicherheit ist, als im wahren Leben. Außerdem definieren Krimis immer wieder aufs Neue was gut und was böse ist. Sie bedienen unser Verlangen nach Gerechtigkeit, wenn am Ende der Sendung das Gute über das Böse siegt.
Die vielen Fernsehshows, die das deutsche Fernsehen heutzutage bietet, richten sich nach den unterschiedlichsten Neigungen. Reality-Formate zum Beispiel wecken die Neugierde und den versteckten Voyeurismus im Zuschauer. Quiz- und Game-Shows lassen die Zuschauer mitfiebern und ihr eigenes Wissen testen, was wiederum Spannung erzeugt. Die meisten Shows unterhalten auch schlicht und einfach und tragen zur Entspannung, Ablenkung und Zerstreuung bei. Sie können aber auch der sozialen Orientierung dienen. Wenn ich sehe, was Menschen wie du und ich im Fernsehen machen, wie sie sich geben oder was sie leisten, dann kann ich mich selber ebenfalls positionieren.
Zu guter Letzt sind informative oder bildende Formate eher schnell einzuordnen, da sie von vornherein klarmachen, welches Bedürfnis sie befriedigen wollen: Das nach kognitivem Input. Der Mensch will dazulernen, er will sich weiterbilden und informiert sein. Dazu kann er die Nachrichten anschalten, um auf dem aktuellen Stand zu bleiben oder er kann spezielle Dokumentationen oder Reportagen zu Themen sehen, die ihn interessieren oder in denen er sein Wissen vertiefen will. Die Nachrichten erfüllen außerdem den eingangs genannten Zweck der Strukturierung des Alltags. Das Abendprogramm vieler Deutschen richtet sich nach der „Tagesschau“ um 20 Uhr.
Was alle verschiedenen Formate gemeinsam haben ist, dass sie das Verlangen nach sozialer Akzeptanz und Integration bedienen können. Da sich unser Leben inzwischen zum großen Teil um das bewegte Bild dreht, findet man in diesem Themenbereich häufig Berührungspunkte und somit Gesprächsthemen. Denn so entspannend es auch sein kann, abends gemütlich einen Grey’s Anatomy-Marathon zu machen, es macht mindestens genauso viel Spaß, am nächsten Tag mit der Freundin über die neueste Folge zu quatschen.
Fotos: flickr.com/popturf.com (CC BY 2.0); flickr.com/Ted Eytan (CC BY-SA 2.0)