Der Schmetterlingseffekt – Handlung und Agency in Until Dawn

Von Ann-Christine

Im Horror-Adventure-Spiel Until Dawn führen wir die Figuren wie in einer Art interaktivem Film durch eine Geschichte mit vielen verschiedenen Abzweigungen. Je nachdem, wie wir uns als Spieler entscheiden, verläuft die Story anders und eröffnet uns diverse Enden. Der „Schmetterlingseffekt“ gibt uns ein Gefühl von Handlungsfreiheit. Doch haben wir die wirklich? Das habe ich in meiner Hausarbeit erörtert, die ich hier für euch zusammenfasse…

Besser als andere Medien scheinen Videospiele es dem Rezipienten zu ermöglichen, vollkommen in Geschichten einzutauchen und sie interaktiv mitzugestalten. Auch das Spiel Until Dawn, das im Jahr 2015 für die PlayStation 4 erschienen ist, weist immer wieder darauf hin, dass die eigenen, noch so kleinen Entscheidungen große Auswirkungen haben können. Auf diesem sogenannten Schmetterlingseffekt  baut quasi das gesamte Spiel auf. Die Frage ist jedoch: Wie groß ist unsere Handlungsfreiheit in dem Spiel tatsächlich?

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Until Dawn – Wer überlebt bis zum nächsten Tag?

Am Anfang des Spiels wirkt die Berghütte noch recht gemütlich. Foto: Gamestar (YouTube-Test)

Auf den ersten Blick beginnt die Story des Spiels wie ein klischeehafter Trash-Horrorfilm: Eine Gruppe von zehn Jugendlichen reist zu einer Berghütte, auf dem sich außerdem ein verlassenes Sanatorium befindet. Während des Urlaubs verschwinden plötzlich die Schwestern Hannah und Beth, deren Eltern das Anwesen gehört. Trotz aller Trauer beschließt die Gruppe, ein Jahr später erneut herzukommen. Bald gehen auf der Hütte merkwürdige Dinge vor sich, alles deutet auf einen typischen Horrorfilm-Killer hin. Doch bald stellt sich heraus, dass noch mehr dahinter steckt.

Der Spieler steuert seine Figur aus der Third-Person-Perspektive, dabei schlüpft er abwechselnd in die Rollen aller Charaktere. Das Spiel basiert hauptsächlich auf dem Erkunden der Gegend und darauf, Entscheidungen zu treffen. Man ist also dafür verantwortlich, wer „bis zur Morgendämmerung“ stirbt oder überlebt. So entstehen zahlreiche verschiedene Möglichkeiten, wie sich die Geschichte abspielen kann.

Interaktivität und Agency im virtuellen Raum

Die Frage, was Handlungsfreiheit in Computerspielen überhaupt bedeutet, ist gar nicht so einfach zu beantworten, sondern gar philosophischer Art. Ich beziehe mich in meinen Überlegungen unter anderem auf Andreas Korn, der erklärt, dass Technologieentwicklungen neue Impulse wie Interaktion und Simulation ausgelöst und damit die Wahrnehmung und Erscheinung von Bildern geändert haben. Der Spieler bewegt seine repräsentative Figur interaktiv durch den virtuellen Raum und wird dadurch in die Bildwelt des Videospiels hereingezogen. Wie groß der Einfluss durch den Spieler ist, hängt natürlich stark von dem einzelnen Spiel ab.

Die konstante Interaktivität, die Technik und die auf mehrere Ziele gerichtete Struktur kreieren laut Souvik Mukherjee die Möglichkeit zur freien Wahl –  alle durch den Spieler getroffenen Entscheidungen sind von großer Wichtigkeit für die Art und Weise, wie das Spiel die Erzählung konstruiert. Seiner Meinung nach ist der Spieler allerdings kein absoluter Akteur, der grenzenlosen freien Willen ausübt. Ein Spiel bietet alternative Möglichkeiten, zwischen denen der Spieler wählen kann, erzählt also nicht nur linear, sondern auch seitwärts. Es entsteht ein „Space of possibility“.

Nicht nur der Spieler selbst hat eine spielende Funktion, auch das Spiel spielt sich selbst und ebenso den Spieler. Und vergessen wir nicht den Spieldesigner! Die autonom handelnden Elemente schränken die Handlungsfreiheit des menschlichen Spielers ein und bedingen sich gegenseitig. Kann man da überhaupt noch von „Agency“ sprechen? Wer ist denn überhaupt der Autor der Geschichte? Ist der Spieler eine Art Doppelwesen aus Leser und Autor, weil er die Story liest und gleichzeitig auch schreibt?

Handlungsfreiheit in Until Dawn

Wie soll Matt sich entscheiden? Foto: GameStar (Test auf YouTube)

Videospiele spielen sich innerhalb vorgegebener Grenzen von Raum und Zeit ab. Until Dawn ist hier keine Ausnahme: Im Gegenteil – ganz anders als beispielsweise in einem Open-World-Game kann die gerade gespielte Figur nur entlang eines einzigen Weges laufen.

Die maximale Freiheit, die das Spiel uns gewährt, ist, ab und zu zwischen zwei Abzweigungen auszuwählen, oder uns in ein paar Räumen umzuschauen. Des Öfteren sind Räume, von denen das Spiel noch nicht „will“, dass wir sie schon entdecken, einfach zugesperrt.

Nachdem wir uns für eine bestimmte Richtung entschieden haben, kann es auch schon einmal vorkommen, dass wir in einer Sackgasse landen. Ein bestimmter Raum hatte also nur den Sinn, uns gewisse Hinweise entdecken zu lassen (oder uns einen Schrecken einzujagen), anschließend werden wir aber sofort wieder zurück auf den „richtigen“ Weg gelotst. Die Spielwelt lässt kaum Raum für verschiedene Wege.

Hinweise und Totems

Until Dawn lebt von der Suche nach Gegenständen, die dem Spieler Hinweise über die Gegebenheiten liefern, die sich auf dem Berg abgespielt haben. Zum Teil haben diese große Auswirkungen auf den Verlauf des Spiels. Findet man etwa einen bestimmten Gegenstand nicht, kann er einem im späteren Verlauf des Spiels nicht helfen. Hinweise können etwa Fotos, Akten, Nachrichten auf Anrufbeantwortern oder andere Gegenstände sein.

Zunächst entsteht der Eindruck, als habe der Spieler eine große Handlungsfreiheit. Da jedoch ausnahmslos alle Gegenstände, die der Spieler untersuchen kann, bei Annäherung der Spielfigur anfangen zu leuchten, ist es kaum möglich, diese nicht zu entdecken. Somit erhält der Spieler zwar ein Gefühl des Entdeckens, wird aber von den begrenzten Möglichkeiten des Untersuchens stark beeinflusst.

An verschiedenen Stellen des Spiels findet man Todes-, Gefahr-, Verlust-, Führung- oder Glück-Totems. Hebt eine Spielfigur eines dieser Totems auf, sieht sie eine kurze Szene, die sich so möglicherweise in der Zukunft abspielen wird. Auch sie schränken die scheinbare Handlungsfreiheit des Spielers sichtlich ein, geht dieser doch nach Sichtung einer Totems-Vision achtsamer und anders durch die Spielwelt, als er es eigentlich getan hätte. Auch, was unser Charakter sagt oder in bestimmten Situationen tut, können wir nicht frei entscheiden. Meist können wir nur zwischen drei bis vier Optionen wählen, wie es in den meisten Videospielen der Fall ist.

 

Immersion – Wenn jegliche Distanz verloren geht

Nicht nur Ashley bekommt es mit der Angst zu tun. Foto: GameStar (Screenshot von YouTube)

Ein weiterer wichtiger Punkt für das Treffen von Entscheidungen ist die Immersion, zu der die Bildgrafik des Spiels und die Verknüpfung der Spieler mit dem Medium entscheidend beitragen. Der Spieler verliert gewisser Weise die Distanz zu Raum, Zeit und Emotionen einer fiktionalen Welt, sodass er automatisch auf die Parameter des fiktiven Raumes reagiert. Die These ist, dass die intensive Immersion den Spieler gewissermaßen in seiner Handlungsfreiheit einschränken kann. Einleitende Videosequenzen, Hintergrundgeräusche und spannende Musik steigern neben den visuellen Bilderscheinungen das Gefühl der Immersion. Auffällig ist im Gegensatz zu anderen Computerspielen, dass keinerlei Angaben wie Lebensenergie- Anzeigen oder Karten das Bild der virtuellen Welt überlagern und so die Immersion stören. Auch die Tatsache, dass der Spieler keine komplizierten Knöpfe- oder Tastenkombinationen betätigen muss, intensiviert das zur Passivität verleitende „Kino-Feeling“.

Das Gefühl der Angst, das die Immersion beim Spieler manchmal hervorruft, führt nicht selten dazu, dass er in der eigenen Handlungsfähigkeit eingeschränkt ist. Zum Beispiel ist er gehemmt, sich weiterzubewegen (vor allem auf Grund der häufig eintretenden Jump Scares). Das Spiel bezieht zudem unsere eigenen Ängste ein, die wir in den Zwischensequenzen beim Psychologen Dr. Hill preisgeben. Besonders in den „Don´t move“-Momenten, in denen der Spieler den Controller vollkommen stillhalten muss, da auch die Figur im Spiel sich nicht bewegen darf, steigt die Anspannung.  Das bedrohliche Gefühl, sowie die sonst eher simplen Interaktionen bewirken, dass der Spieler gerade während der Quick-Time-Events angespannt und überfordert ist.

Fazit – Mehr Film als Spiel

Zusammenfassend kann man also sagen, dass Until Dawn ein Spiel ist, das die eigene Interaktions- und Handlungsfreiheit immer wieder unterstreicht, aber letztendlich nicht wirklich bieten kann. Sowohl die stark beschränkte Spielwelt, verschiedene Bestandteile innerhalb des Spiels, als auch gewisse psychische Aspekte, die der Spieler mit an das Spiel heranträgt, grenzen die „Agency“ enorm ein. So ändert sich durch die verschiedenen Entscheidungen, die durch den Spieler getroffen werden können, kaum die wesentliche Story des Spiels. Wichtige Etappen der erzählten Geschichte werden, unabhängig von den Handlungen des Spielers, erreicht.

Damit soll keineswegs die Qualität des Spiels angezweifelt werden. Until Dawn überzeugt durch und durch mit seinem interessanten Plot und der schaurigen Atmosphäre. Hier soll lediglich der Standpunkt vertreten werden, dass das Spiel immer wieder eine Einflussnahme auf den Verlauf der Geschichte verspricht, den es in dem Maße nicht einhalten kann. Vielmehr erinnert das Spiel an eine Art „interaktiven Film“. Until Dawn scheint ein guter Beweis dafür zu sein, dass sich die beiden Medien bei der momentanen Entwicklung kaum noch klar trennen lassen.

Doch wie immer gilt: am besten selbst eine Meinung bilden! Um ein bisschen in die Stimmung des Spiels zu kommen, haben wir hier das Intro für euch:

Quellen:

Curtis, Robin: Immersion und Einfühlung, in: montage AV 17/2/2008

Franziska, Heller: Erfahrungsraum <> im Zeitalter der digitalen Reproduzierbarkeit, in: Ursula,      von Keitz (Hrsg., u.a.): Erfahrungsraum Kino, Marburg 2013 (Augen-Blick, Bd. 56/57)

Klein, Thomas: Das Secret Cinema als hybride Kino-Erfahrung, in: Ursula, von Keitz (Hrsg., u.a.): Erfahrungsraum Kino, Marburg 2013 (Augen-Blick, Bd. 56/57)

Korn, Andreas: Zur Entwicklungsgeschichte und Ästhetik des digitalen Bildes. Von traditionellen Immersionsmedien zum Computerspiel, Aachen 2005

Mukherjee, Souvik: Video Games and Storytelling. Reading Games and Playing Books, Basingstoke, Hampshire; New York 2015

Mundhenke, Florian: Von den Grenzen der Kinoerfahrung. Anmerkungen zum Kino als Erfahrungsraum im Zeitalter von Nutzungs- und Wahrnehmungsumbrüchen, in: Ursula, von Keitz (Hrsg., u.a.): Erfahrungsraum Kino, Marburg 2013 (Augen-Blick, Bd. 56/57)

Rugel, Matthias: Handlung und Freiheit. Analysen zur Akteurverursachung, München 2006

Spannagel, Christoph David: Navigation virtueller Welten. Raum und Orientierung im Computerspiel, Konstanz 2010

GameCheck. „UNTIL DAWN Trailer German Deutsch (HD+) 2015“ Youtube.com 17.02.2015. Abgerufen am 23.09.2016 https://www.youtube.com/watch?v=8vfyC-yyXNY, YouTube-Video

Kai, Schmidt: www.gamepro.de, http://www.gamepro.de/playstation/spiele/ps4/untildawn/artikel/until_dawn,48722,3236173.html (10.09.2016 16:51 Uhr)

Kuhls, Ann-Kathrin: www.gamepro.de, http://www.gamepro.de/playstation/spiele/ps4/untildawn/test/until_dawn,48722,3235446.html (27.09.2016, 13:13 Uhr)

o.V.: www.wikipedia.de, https://de.wikipedia.org/wiki/Until_Dawn (17.9.2016; 18:39 Uhr)

Until Dawn, USA: Supermassive Games, 2015. Videospiel.

 

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