Die Penis-Affäre – Eine sich erfüllende Prophezeiung

von Pascal Thiel

Das Internet ist voll von ihnen, aber keiner will sie zeigen. Keiner? Nein! Eine kleine, unbeugsame Zeitschrift stemmt sich gegen den Trend: Ein Penis, unverhüllt, umhüllt von krausem Schamhaar, zierte das ZEITmagazin voriger Woche. Wie immer veröffentlichte die Zeitschrift auch letzte Woche am Mittwochnachmittag ihr Cover auf ihrem Facebook-Account. Doch es hatte die Rechnung ohne Facebook gemacht. Ohne weitere Erklärungen löschte das soziale Netzwerk das Abbild von der Chronik des ZEITmagazins.

Eine sich erfüllende Prophezeiung

Dort war man einigermaßen empört über diesen „Skandal“: „Es ist, als hätte unser Eintrag nie existiert“, so Christoph Amend, Chefredakteur des ZEITmagazins letzten Donnerstag. „Ich bin verblüfft, dass sich die These unserer Autorin Elisabeth Raether so schnell bewahrheitet hat.“ Diese kritisiert in ihrem Essay die Inexistenz von Penissen in der öffentlichen Sphäre.

Blickt man in die Vergangenheit zurück, erkennt man schnell, dass dies nicht die erste kontroverse Facebook-Zensur war. Bereits im letzten Jahr löschte Facebook – versehentlich, wie es später zugab – das Bild eines sich küssenden schwulen Paares. 2010 erregte Facebook Aufmerksamkeit mit der Verweigerung der Vergabe von Accounts an Menschen mit dem Nachnamen „Arab„.

Und nun löscht Facebook einen Penis – und geht, entgegen dem ZEITmagazin, mit dem Trend. Willkür? Schutz vor Pornographie? Oder logische Konsequenz?

Willkür?

Den Vorwurf der Willkür muss sich Facebook seit langem gefallen lassen. Unbegründete Einschränkungen, Sperrungen und sogar Kontolöschungen sind an der Tagesordnung, schenkt man dem Feedback der User Glauben. Dabei räumt Facebook dem User sogar die Möglichkeit zur Gegendarstellung ein (Rechte und Pflichten, Nr. 5, Abs. 4). Doch führt dies zumeist zu keinem Ergebnis, wie selbst der Autor dieses Artikels einmal feststellen musste.

Konsequenzen hat dies für Facebook nicht, da das Netzwerk als registrierte Gesellschaft rechtlich abgesichert ist. Es kann Nutzungsbedingungen eigenmächtig festlegen und durchsetzen. Mit diesen eigenen Regeln ist Facebook sozusagen ein „Staat im Staat“: Die Betreibergesellschaft muss sich zwar an rechtliche Normen halten (hier: derer von Delaware, USA), kann für seine User aber darüber hinaus neue Verhaltensnormen festlegen. Diese dürfen den (bundes-)staatlichen Gesetzesrahmen dennoch nicht verletzen.

Pornografie?

Zwischenfazit: Rechtlich gesehen kann man Facebook, abgesehen von einer fehlenden Transparenz, nichts vorwerfen. Die Löschung war konform der Nutzungsbestimmungen. Doch: Handelte es sich wirklich um Pornographie?

In Bezug auf die menschliche Nacktheit und „gegen das Teilen pornographischer Inhalte“ verfolgt Facebook nach eigener Aussage „strikte Richtlinien“. Man habe in den Gemeinschaftsstandards feste Grenzen „für die Darstellung von Nacktheit“ definiert. Nimmt man sich diesen Hinweis zu Herzen, stößt man dort jedoch lediglich auf einen mageren, sechszeiligen Absatz. Dem zufolge sind „Familienfotos einer stillenden Mutter“ ebenso erlaubt wie Bilder von nackten Skulpturen wie etwa Michelangelos David. Was aber genau verboten ist, bleibt ebenso schleierhaft wie das, was erlaubt ist. Auf Anfrage von media-bubble.de verweist Facebook lediglich auf den Pressebereich. Neue Erkenntnisse sind auch hier nicht zu finden.

Doch seit Frühjahr diesen Jahres bietet sich tatsächlich ein Blick auf einige Richtlinien – allerdings sind die nicht von Facebook, sondern von einer Firma, die die Durchsetzung der Geschäftsbedingungen von Facebook kontrolliert. Ein Insider, ein ehemaliger Mitarbeiter übermittelte dem US-Blog Gawker seine Arbeitsgrundlage  – media-bubble.de berichtete.

Aus Ermangelung einer exakten – offiziellen – Definition durch Facebook, kann das deutsche Recht zu Rate gezogen werden. Folgt man der gebräuchlichsten Richtlinie in Deutschland, so kann die These der Pornographie nicht aufrechterhalten werden. Demnach ist ein Medium nämlich nur dann pornographisch, wenn es

„unter Ausklammerung sonstiger menschlicher Bezüge sexuelle Vorgänge in grob aufdringlicher, anreißerischer Weise in den Vordergrund rückt und ihre objektive Gesamttendenz ausschließlich oder überwiegend auf die Aufreizung des sexuellen Triebs beim Betrachter abzielt, sowie die dabei im Einklang mit allgemeinen gesellschaftlichen Wertvorstellungen gezogenen Grenzen des sexuellen Anstands eindeutig überschreitet.“

Betrachtet man das Titelbild, so stellt man fest: All dies ist nicht gegeben.

Logische Konsequenz!

Die Verblüffung des ZEITmagazins ist jedoch nur zum Teil nachvollziehbar. Auf der einen Seite fällt das Titelbild nicht in die Kategorie „Pornografie“, auf der anderen Seite hat sich Facebook mit der Löschung der Bilder nicht strafbar gemacht. Die Empörung des ZEITmagazins ist wohl nicht mehr als die trotzige Reaktion auf eine vorhersehbare Aktion.

 

Bilder: flickr/AJC1 (CC BY-NC 2.0); flickr/Stadtkatze (CC BY-NC-SA 2.0)

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