Selbstdarstellung

Vom Ölgemälde bis zum Selfie – Selbstdarstellung im Laufe der Zeit

Von Barbara Frick

Was haben der französische Sonnenkönig, sich präsentierende Camgirls und Teenie-Stars wie BibisBeautyPalace gemeinsam? Sie alle beherrschen die Kunst der Selbstdarstellung perfekt, die entgegen allgemeiner Auffassung eine lange Tradition hat.

Überall ist die Rede davon, dass unsere Gesellschaft so egozentrisch und selbstsüchtig wäre wie noch nie. Dass eine Generation von Posern und um sich selbst kreisenden Selbstdarstellern herangewachsen ist. Was man allerdings nicht vergessen sollte: Die Selbstinszenierung hat die Generation der Digital Natives nicht erfunden, sondern weiterentwickelt, auf neue Medien übertragen und der ein oder andere von uns zugegebenermaßen auch auf die Spitze getrieben.

Selbstdarstellung in Zeiten von Louis XIV  

Das Selfie von heute war einst das Ölgemälde. Statt am Strand mit einer Hand zufällig in den Haaren und möglichst wenig Stoff, wurde damals mit möglichst viel Stoff, sprich in üppigen Gewändern posiert. Vorzugsweis auf einem Pferd oder im königlichen Gemach. Aber der Drang, sich ideal in Szene zu setzen, ist wahrscheinlich so alt wie die Menschheit selbst. Mit dem Unterschied, dass die Selbstdarstellung nicht mehr das Privileg Adliger, Könige oder Künstler ist.

Selbstdarstellung

Selbstdarstellung früher vs. heute
Grafik: Barbara Frick; Fotos: Wikipedia/Unsplash

Im Zuge der Digitalisierung, der Erfindung von Smartphones und der Selbstdarstellungsbühnen wie Instagram und Facebook ist die Inszenierung des eigenen Selbst für jedermann zugänglich geworden und zieht sich durch alle Gesellschaftsschichten. Allerdings wird nicht mehr mit dem Sieg in der Schlacht oder dem barock anmutendem Schloss geprahlt. Wobei die Darstellung von Reichtum und einer schönen Wohnung auch heute noch eine große Rolle in den sozialen Medien spielt.

Auf den folgenden Bildern zu sehen ist links Louis XIV, der französische Sonnenkönig, gezeichnet im Jahre 1701. Im Vergleich dazu ist eine junge Frau abgebildet, die sich und ihren Körper an einem Strand in typischer Pose präsentiert. Solche oder so ähnliche Aufnahmen sind in den sozialen Medien in tausendfacher Ausführung zu finden. Obwohl mehrere Jahrhunderte zwischen den Bildern liegen, lassen sich dennoch Ähnlichkeiten feststellen. In beiden Fällen handelt es sich nicht um einen „Schnappschuss“ – ganz im Gegenteil. Die Inszenierung der eigenen Person ist sorgsam vorbereitet. Die Körperhaltung, Kleidung, Accessoires und die Kulisse sind mit Bedacht gewählt und erfüllen einen bestimmten Zweck.

Virtual human zoo

Seitdem Louis XIV sich in seinen prunkvollen Gewändern hat malen lassen ist viel passiert. Die Selbstdarstellung hat im Laufe der Zeit die unterschiedlichsten Formen angenommen. Seit etwas mehr als 20 Jahren hat sie nun auch ihren Weg ins World Wide Web gefunden.

camgirl

Einige Beispielbilder aus der „Guest Gallery“ auf Ringleys Webseite. Die Fotos wurden 2002 aufgenommen und zeigen Ringely in den banalsten Alltagssituationen. Foto: archive.org

Das „Camgirl“ Jennifer Ringley ist eine der ersten Privatpersonen, die durch Selbstdarstellung im Internet große Popularität erlangte. Fast acht Jahre lang, von 1996 bis 2003, übertrug sie alle paar Minuten aufgenommene live Bilder aus ihrer Wohnung auf die von ihr programmierte Website JenniCam.org. Auf Ringleys Seite konnten Zuschauer ihr alltägliches Leben via Webcam verfolgen, die junge Frau ließ kein noch so persönliches Detail aus. Zu sehen war alles, über Lernen für die Uni, Lesen, Schlafen, Zähneputzen, Umziehen und Sex. Bis auf ihr WC hatte sie irgendwann in jedem Winkel ihrer Wohnung Webcams installiert.

Ringley bezeichnete ihr Experiment der ständigen Beobachtung auch als „virtual human zoo“. Obwohl die Qualität ihrer Bilder anfangs zu wünschen übrigließ, erreichte Ringley schnell hohe Zuschauerzahlen. Mit immer besser werdender Technik führte sie einige Jahre nach Beginn des Experiments auch einem gefilmten Livestream ein. Eigenen Angaben zufolge erzielte ihre Website phasenweise bis zu hundert Millionen Aufrufe pro Woche.

Das „Camgirl“ als Vorbote

Welche Bedeutung der „Fall Jennifer Ringley“ hat, darauf geht die Medienwissenschaftlerin Hanne Detel in ihrer Dissertation Netzprominenz ein:

„Jennifer Ringley war einer der ersten Menschen, die auf die Idee kamen, das Internet zum Zwecke der Selbstdarstellung in einem bis dahin nie dagewesenen Ausmaß zu nutzen. (…) Ringley (…) setzte das Internet als Bühne ein, mithilfe derer sie für ein großes Publikum sichtbar und in der Folge bekannt werden konnte. Damit kann JenniCam.org als Vorbote der heutigen Selbstdarstellungsbühnen im Internet verstanden werden – und Ringley selbst als eine der ersten Netzprominenten, eine Vorreiterin der erfolgreichen Blogger, YouTube-, Facebook- oder Instagram-Stars der heutigen Zeit.“ (S.106-107)

Das „Camgirl“ Ringley hat so den Auftakt gegeben für das Zeitalter der konstanten Selbstinszenierung im Netz. Sie hat die Selbstdarstellung als eine der ersten auf ein neues Medium übertragen und viele Nachahmer*innen hervorgerufen.

Bleibt gespannt

Falls ihr mehr über die negativen Auswirkungen des digitalen Selbstdarstellungswahns lesen wollt, bleibt dran für den nächsten Beitrag dieser Reihe! Dieser beschäftigt sich mit der Frage, ob Social Media uns krank macht.

Wie steht ihr zur Selbstdarstellung in den Medien? Schreibt es gerne in die Kommentare!

Quellen