Wie kann man fragwürdigen Praktiken im Radio begegnen? – Ein Gespräch mit Fair Radio

Von Maida Ganevic

Dass einige Radiosender tricksen und dabei teilweise auch ihre Hörer*innen durch Mogelgewinnspiele oder Ähnliches hinters Licht führen, ist leider kein Einzelfall. Wir thematisierten das Thema bereits in der Vergangenheit und merkten dabei schnell: Anonyme Erfahrungsberichte von Betroffenen sind zwar wichtig, aber nicht ganz unproblematisch. Wieso das so ist und wie man als Mitarbeiter*in oder Praktikant*in fragwürdigen Praktiken im Radio den Kampf ansagen kann, haben wir mit den Kolleg*innen von Fair Radio besprochen.

Im letzten Sommer berichteten wir über Lisa – eine ehemalige Praktikantin eines privaten Hörfunksenders. Lisa sprach mit uns über ihre dortige Zeit. Diese beinhaltete zum Beispiel gefakte Umfragen, ausgedachte Blitzermeldungen und zwielichtige Gewinnspiele. Sie zeigte auf, wie sehr wir uns als Hörer*innen eigentlich von der Radiowelt blenden lassen. Die eigentlich interessante Diskussion fand jedoch nach dem Interview mit Lisa statt: Nachrichten von Einzelpersonen erreichten uns, die in der Vergangenheit ähnliche Erfahrungen wie sie machten. So heißt es beispielsweise in einer Nachricht an uns: „Ich habe vieles davon auch erlebt und wundere mich, dass das alles so lange geheim bleiben konnte“. Die Tatsache, dass es sich bei unserem Interview mit Lisa, um einen anonymen Erfahrungsbericht handelte, war auch ein großes Thema – und auch ein Kritikpunkt, zum Beispiel bei diesem Kommentar: „Leider nicht neu. Leider oft immer noch so. Und in diesem Fall: Leider anonym“.

Ich habe mich aus diesem Grund mit Constantin Pläcking von Fair Radio und der Mitbegründerin der Initiative Sandra Müller getroffen, um ihre Expertenmeinung zu diesem Thema einzuholen. Wir haben mit den beiden darüber gesprochen, worauf man als Journalist*in achten muss, wenn man anonyme Leute wie Lisa zu Wort kommen lassen will und: wie man als betroffene Person Wege finden kann, um mit dieser Problematik umzugehen.

Was ist Fair Radio?

Bei Fair Radio handelt es sich um eine Initiative von und mit kritischen Hörfunkjournalist*innen, die sich seit 2007 für glaubwürdiges Radio einsetzen. Im Zuge der Tagung „Radio Zukunft 2010“ – organisiert von der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) und der Akademie für Politische Bildung – formulierten die teilnehmenden Radiomacher*innen den sogenannten „Tutzinger Appell“ und machen seither auf Missstände und Betrug im Radio aufmerksam.

In unserem Fall hat uns Lisa ihre Geschichte nur anonym erzählen wollen. Wie gehen wir als medienkritische Redaktion mit einem solchen anonymen Erfahrungsbericht am besten um bzw. wie handhabt ihr das bei Fair Radio?

Sandra Müller: Das ist immer eine schwierige Entscheidung. Natürlich gibt es Fälle, bei denen man solche Vorwürfe veröffentlicht, auch wenn sie anonym sind. Manchmal bekommt man die Leute auch gar nicht anders dazu, über ihre Erfahrungen zu reden. Nichtsdestotrotz: Eigentlich versucht man immer so weit wie möglich die Vorwürfe zu rekonstruieren. Handelt es sich um einen großen bzw. kleinen Sender? Darf man wenigstens sagen, dass er sich in Baden-Württemberg befindet? Je konkreter, desto besser. Ich kann zwar sehr gut nachvollziehen, dass die Informanten natürlich oft darauf bedacht sind, ihre Anonymität so gut wie möglich zu wahren. Vor allem im Hinblick darauf, wenn sie später beim Radio wieder arbeiten wollen und die Sorge haben, dass ihnen das eventuell negativ angelastet werden könnte.

Sandra Müller - Die Radiomacherin

Die Hörfunkerin Sandra Müller gilt als eine der Mitbegründer*innen der Initiative. Nach 12 Jahren bei Fair Radio, ist sie inzwischen nicht mehr als aktives Teammitglied tätig, unterstützt die Initiative jedoch nach wie vor. Als freischaffende Hörfunkerin arbeitet sie als Redakteurin, Moderatorin und Reporterin unter anderem für den Südwestrundfunk. Des Weiteren berät sie Radioredaktionen, hält Tagungen und gibt Workshops zu jener Thematik. Im Jahr 2014 erschien ihr Lehrbuch „Radio Machen“ in 2. Auflage.

Sandra Müller: Das Problem bei jener doppelten Anonymität ist jedoch, dass die Geschichte Gefahr läuft undurchsichtig zu werden. Haben sich die Vorwürfe bereits vor fünf Jahren ereignet? Vor zehn Jahren? Wir sind bei Fair Radio mittlerweile eigentlich davon abgekommen, diese ganz anonymen Fälle zu erzählen – obwohl uns das prinzipiell natürlich sehr interessiert.

Sandra Müller ist Mitbegründerin von Fair Radio. Quelle: SWR

Es ist uns wichtig, ein Feedback von Betroffenen zu bekommen und dass jene sich mit solchen Geschichten an uns wenden. Klar: den Informanten zu schützen, sollte immer eine Priorität sein. Wenn die Anonymität jedoch so weit geht, dass man die Vorwürfe nicht mit konkreten Fakten füttern kann – sprich: nicht mehr nachvollziehen kann, um welchen Sender bzw. Zeitraum es sich handelt – wird das zu einem Problem. Dann schreiben Leute etwas wie ‚ja toll ist doch nur erfunden‘ und ‚das stimmt doch sicher gar nicht‘. In der Anonymität zu publizieren, hilft deshalb leider oft nicht weiter. Im Endeffekt kommt man mit der Geschichte und den erhobenen Vorwürfen dann nicht weiter.

Wie löst man denn das Problem dieser doppelten Anonymität am Geschicktesten?

Sandra Müller: In erster Linie muss man natürlich sicherstellen, dass man mit einem/einer seriösen Informant*in spricht. Also kann er/sie dir ein Praktikumszeugnis vorlegen oder irgendwelche Emails, in der ihm/ihr konkrete Anweisungen gegeben wurden. Hat die Person irgendwelche Mitschnitte von Dingen, die er/sie gemacht haben soll. Vorrangig ist das für dich als Journalist*in wichtig, damit du auf der sicheren Seite bist: Wir hatten bei Fair Radio in der Vergangenheit bereits Fälle, bei denen Schreiben von Rechtsanwält*innen kamen – in den letzten Jahre zwar nicht mehr so häufig, weil man uns als Initiative mittlerweile kennt. In den Anfangsjahren von Fair Radio ist es jedoch vorgekommen, dass wir von Anwält*innen einiger Sender kontaktiert worden sind, die Beweise für die erhobenen Vorwürfe einforderten.

Apropos andere Radio-Sender – Wie reagieren diese denn im Allgemeinen auf eure Arbeit? Und: Gibt es denn Konsequenzen, wenn so etwas rauskommt?

Sandra Müller: Keine Redaktion findet es witzig, wenn man sie eines Fehlers überführt. Manche sind sehr abwehrend und sagen so etwas wie ‚So macht man das halt beim Radio‘. Solche Aussagen sind natürlich geläufige Ausreden. Nur weil etwas gängige Praxis ist, heißt es noch lange nicht, dass jene Praxis gut und richtig ist. Es gibt jedoch auch konstruktivere Reaktionen: Der SWR zum Beispiel, für den auch ich selbst als freie Mitarbeiterin arbeite, ist mal mit einer sehr peinlichen Situation aufgefallen: Kollegen hatten eine Sendung komplett voraufgezeichnet und an einem Samstag ins Netz gestellt. Das Ereignis, über das sie berichtet haben, war jedoch zu dem Zeitpunkt noch gar nicht passiert. Das hat zu Recht öffentlich Wellen geschlagen und Empörung ausgelöst. Dennoch erfreulich: Der Sender hat nach dieser Geschichte, Konsequenzen gezogen. Im SWR gibt es seither verbindliche Regeln für aufgezeichnete Interviews, Gespräche und Sendungen, die auch als strenge Leitfäden veröffentlicht worden sind.

Des Weiteren ist es tatsächlich so, dass die eigentlichen Konsequenzen nicht von uns kommen. Als Berichterstatter reichen wir Beschwerde bei den Landesmedienanstalten oder Rundfunkräten ein – die einen sind für die Aufsicht über private Sender zuständig, die anderen überwachen öffentlich-rechtliche Sender. Die Medienanstalten zum Beispiel können Rügen aussprechen. Dann müssen Hörfunksender auf Sendung gegebenenfalls eine Richtigstellung senden. Mittunter sind dann auch Zusammenarbeiten aufgekündigt worden. Uns freut das. Das ist eigentlich das, was wir uns wünschen. Wir wollen, dass die Redaktionen und die Sender, die sich daneben benehmen, die Konsequenzen auch zu spüren bekommen.“

Ihr Kollege Constantin Pläcking meinte dazu:

Hinzu kommt, dass wir mit unserer Arbeit versuchen eine gewisse Öffentlichkeit herzustellen. Das heißt auch, dass jene Sender durch unsere Berichterstattung oft keine andere Wahl haben, als sich zu den Vorwürfen zu äußern. In gewisser Weise ist das schon mal ein Anfang, um überhaupt ein Bewusstsein dafür zu schaffen, wie es richtig laufen kann.

Die Informantin aus unserem Artikel arbeitet nicht mehr aktiv bei dem Radiosender und das war auch einer der Gründe, warum sie überhaupt bereit war mit uns zu sprechen, daher die Frage: Gehen auch Mitarbeiter*innen auf euch zu, die in den jeweiligen Redaktionen noch aktiv arbeiten? Und welche Ratschläge habt ihr für diese Leute?

Constantin Pläcking ist freischaffender Journalist aus Tübingen und als aktives Mitglied bei Fair Radio tätig. Er arbeitet unter anderem als freier Reporter für den Südwestrundfunk. Quelle: Fair Radio

Constantin Pläcking: Bei mir waren es tatsächlich immer Praktikant*innen. Das ist aber auch der Grund, warum es auf der Fair Radio-Internetseite die FAQ-Seiten gibt. Dort findet man Antworten auf die Frage wie man als Mitarbeiter*in bestimmte Dinge ansprechen kann. Ein Teil des Engagements von Fair Radio ist nämlich auch dazu da, um Verbesserungen innerhalb von Redaktionen zu bewirken. Dort haben wir ganz praktisch immer zusammengeschrieben: ‚wie kann man besser mit Aufzeichnungen umgehen?‘ oder ‚wie gehe ich damit um, wenn jemand mich zu einem Fake verleiten will?

Sandra Müller: Ich habe gelegentlich Anfragen von Leuten, die normal im Hörfunk arbeiten und die Mühe haben in ihrer Redaktion derartige Problematiken anzusprechen. Diese Mitarbeiter*innen wenden sich an mich, um sich einen Rat einzuholen. Ich sage dann ganz oft zu den Betroffenen: ‚wenn du in der großen Runde nicht weiterkommt, such dir einen Verbündeten‘. Meistens gibt es nämlich zwei oder drei Leute in der Redaktion, die ähnlich ticken und ebenfalls mit der Arbeitsweise der Redaktion unzufrieden sind. Auf diese Weise kann man als Team zusammenkommen und gemeinsam Wege finden, um es besser zu machen. Genau das ist auch das Schöne an der Fair Radio-Initiative: über die Jahre ist eine Art Netzwerk von Leuten entstanden mit denen wir aktiv diskutieren und beispielsweise auch Workshops zu der Thematik anbieten. Wir simulieren in diesen Seminaren radioalltägliche Entscheidungen und Produktionsabläufe und klären, was und warum etwas heikel wird.

Mein persönliches Fazit

Tatsächlich ist mir persönlich durch das Interview vor allem ein Punkt noch klarer geworden: Es reicht bei Weitem nicht aus, jene Missstände nur aufzudecken. Es ist genauso wichtig -wenn nicht sogar wichtiger- jene Geschichten so transparent wie möglich zu recherchieren und aufzuarbeiten. Nur auf dieser Weise können sie glaubhaft nachvollzogen werden. Ich denke, das ist genau der Punkt, den Fair Radio mit der Initiative machen will: Radiomacher*innen sollen sich authentisch und aufrichtig verhalten und ihre Zuschauer*innen nicht hinters Licht führen. Genauso muss es sich deshalb auch mit der Berichterstattung verhalten. Kann das Team rund um Fair Radio die gesamte Radiolandschaft von Grund auf verändern? Das ist natürlich fraglich – das ist jedoch auch nicht der Anspruch: Es geht vielmehr darum, einen Rückzugsort für Hörfunker*innen/Interessierte zu schaffen, in dem offene Gespräche über derartiges möglich sind und man auch Hilfestellung bekommt, falls nötig.