Schriftsteller für Zahnpasta
von Nicolai Busch
Scholz&Friends gehört zu den größten und erfolgreichsten Werbeagenturen Europas. Unser Redakteur Nicolai Busch ist zur Zeit Praktikant im Bereich „Werbetext“ und berichtet über kreatives Ausrasten, die Regeln im Job und Phrasen, die Konsum auslösen.
Die Botschaft muss ins Hirn. Sie muss sich wie ein Ohrwurm in den Köpfen der Menschen einnisten. Sie muss sofort begriffen werden und sprachlich wie inhaltlich vollkommen überzeugen. Natürlich muss sie auch Spaß machen. Doch vor allem muss sie eins: Sie muss neu sein.
Das Texten, wie es sein sollte
So neu, dass die Botschaft über die vermeintliche Innovation des Produkts hinaus einen Neuigkeitswert für den Alltag der Menschen besitzt. So neu, dass sie altbekannte Kontexte und Klischees möglichst laut sprengt und aus den umherfliegenden Trümmern neue, nie gesehene Konsumphantasien erbaut. Werbung, die diese Sprengkraft hat und Slogans, die uns derart überraschen, geben uns ein schönes Gefühl. Sie beweisen uns, dass die Dinge selbst in der Krise nur noch besser werden. Und lassen uns die Zweifel darüber vergessen, ob denn in unserer westlichen Welt heute überhaupt irgendetwas wirklich “neu“ oder “originär“ sein kann.
Jede gute Headline auf einem Plakat, im Fernsehen oder im Netz nimmt uns mit auf eine unterhaltsame Reise. Sie erzählt uns in drei bis sieben Worten eine kleine Geschichte. Eine Story, die uns so viel eher überzeugt als das gewöhnliche „Jetzt neu und noch besser!“ Ein Ausspruch, der zwar alles sagt, was Werbung sagen möchte, aber heute längst nicht mehr als Alleinstellungsmerkmal guter Werbung gilt.
Das Texten, wie es wirklich ist
Es ist Neun Uhr morgens in Berlin und mein erster Arbeitstag als Werbetexterpraktikant bei Scholz&Friends beginnt. Die Kollegen sind cool drauf, das Büro ist schick, ich bin gespannt und freue mich auf die nächsten sechs Monate!
Meine erste Aufgabe: Headlines für eine Plakatanzeige schreiben. Der Kunde ist deutschlandweit bekannt und wird seit Jahren von Scholz&Friends betreut. Sofort fallen mir viele, wie ich finde, lustige, knackige, bestimmt nie gesehene Überschriften ein. Ich schreibe ganz ausgelassen vor mich hin und freue mich heimlich über meine ach so grandiosen Geistesblitze, als man mir plötzlich einen dicken Stapel Papiere reicht. Es handelt sich um die Briefings der Aufträge und das Kommunikationsmuster, also die Vorgaben des Kunden. Schnell begreife ich beim Lesen, was viele Kreative manchmal gerne vergessen würden: Werbung bedeutet nur in den seltensten Fällen kreatives Ausrasten.
Die Marke wird zur Marke, weil sie immer wieder gleich auftritt. Durch Kontinuität in Vokabular, Satzstruktur und Wortwitz konstruiert sich die Marke und wird erst dadurch für den Leser unverwechselbar. Werbetexten heißt deshalb zuallererst, die bereits etablierte Corporate Language des Kunden sprechen zu lernen. Die Explosion der Konventionen haben viele große Unternehmen erstens gar nicht nötig und sie entspricht auch häufig nicht dem Lebensgefühl ihrer Verbraucher.
Gut Ding will Weile haben
Nach langem Drücken der Entf-Taste fange ich erneut an zu schreiben. Diesmal eben ganz nach den Vorstellungen des Kunden. Ich schreibe 20 Headlines an meinem Ersten und 30 am nächsten Tag. Von diesen 50 Lines gefallen Sebastian 10. Sebastian ist seit etwa einem Jahr Junior-Texter bei Scholz&Friends und weiß, was dem Kunden gefällt und was nicht. Er weiß, welcher Witz zieht, was bereits geschrieben wurde und auch, was man lieber nicht schreiben sollte. Die zehn ausgewählten Lines zeigt er einem unserer Senior-Texter, der daraus wiederum die besten drei erwählt. Die werden später von Artdirectoren gelayoutet, von Creative Directoren abgesegnet und dem Kunden dann vorgestellt. Von meinen ursprünglich 50 Ideen wird somit im besten Falle eine Idee umgesetzt. Sollten dem Kunden alle drei Headlines nicht zusprechen, geht der Kreislauf von vorne los, und ich fange wieder von vorne an.
Kreativsein auf Knopfdruck
Ich denke also weiter nach. Und jetzt auch etwas schneller. Vielleicht liegt die größte Herausforderung des Werbetexters überhaupt darin, möglichst viele Ideen nicht innerhalb von zwei Tagen, sondern innerhalb von zwei Stunden zu erdenken. Das Geschäft mit Wort und Bild erlaubt es nicht, allzu lange zu sinnieren oder darauf zu warten, dass einem ein Licht aufgeht.
Ich denke an Wortspiele, Redensarten, Floskeln, Alltagsphrasen und Reime. Ich denke an die Sehnsüchte des Verbrauchers, an die Wünsche und Träume der Menschen, an Mythen, kulturelle Vorurteile und Codes, an das Emotional- Unbewusste in uns, das sagt: “Kauf DAS und NICHT DAS“. Ich versuche, das Produkt, den Verbaucher oder den Prozess des Konsums in meinen Texten zu personifizieren oder zu abstahieren. Fast alles was mir einfällt kritzele ich verbildlicht auf ein Blatt Papier. Kritzeln ist wichtig. Eine Idee, die nicht gekritzelt werden kann, ist es häufig nicht wert, weitergedacht zu werden. Leute, die Werbung für Zigaretten machen, kritzeln vielleicht Cowboys und Pferde. Jene dagegen, die einen Deodorant bewerben, sicher gut aussehende Bikini-Mädchen im Sex-Rausch. Es geht eben nicht nur um das Mehr-oder-Weniger. Es geht nicht um Mit-oder-Ohne-Filter und nicht einmal um Neuer-und-Besser. Es geht vor allem um Freiheit, Spaß und Abenteuer, um Begehren und das Gefühl, begehrt zu werden.
Und bestimmt noch um vielmehr – nach gerade mal 4 Wochen Praktikum.
Bilder: Scholz&Friends Logo, Copyright Scholz&Friends; Eingangsfassade, Copyright Nicolai Busch; Creativity, von flickr.com/Mediocre2010 (CC BY 2.0)
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