Paranormal Activity: Die Kamera als Zeuge
Von Ann-Christine Strupp
Eine Kamera zeichnet nachts auf, wie Töpfe einfach herunterfallen oder wie eine Frau reglos stundenlang ihren Mann beim Schlafen beobachten. Das kann nur ein Film sein: Paranormal Activity. Mit welchen Mitteln der Film arbeitet, um uns Angst zu machen und dabei möglichst authentisch zu wirken, damit habe ich mich in einer Seminararbeit im Fach Medienwissenschaft beschäftigt. Was dabei herauskam, habe ich hier für euch zusammengeschrieben.
Neben Beispielen wie The Blair Witch Project oder REC gehört die Paranormal Activity-Reihe wahrscheinlich zu den bekanntesten „Found Footage“- Horrorfilmen überhaupt. Mittlerweile wurde der Stil dieser Filme schon haufenweise kopiert – doch 2007, als der erste Teil erschien, war das Phänomen noch relativ neu und stellte eine neue Art des Horrors da. Diese Filme erscheinen aus verschiedenen Gründen ziemlich authentisch und haben daher eine große Wirkung auf uns. Doch wie kommt diese Wirkung zustande?
Die Authentizität des Dokumentarfilms
Der wahrscheinlich wichtigste Faktor für die besondere Wirkung der „Found Footage“-Filme ist deren besonderer Stil, der sich an den Prinzipien des Dokumentarfilms orientiert – und zwar in erzählerischer, stilistischer und visueller Art. Dieser ist darauf ausgelegt, uns Fakten zu präsentieren und reale Begebenheiten möglichst so darzustellen, wie sie wirklich sind. Im Gegensatz zu fiktionalen Filmen, bei denen wir uns oft bewusst sind, dass die erzählten Geschichten erfunden sind, bilden Dokumentationen scheinbar nur ab, was bereits existiert.
Die Authentizität, die wir Dokumentarfilmen häufig zuschreiben, wird durch bestimmte Konventionen begünstigt, etwa durch eine sehr rohe Camcorder-Ästhetik. Diese soll den Zuschauer*innen das Gefühl vermitteln, die reale Welt entfalte sich vor ihnen. Diese Wirkung wird noch durch einen sparsamen Einsatz von Schnitten, eine natürliche Beleuchtung und alltagsnahe Akustik unterstützt. Außerdem wird den Zuschauer*innen immer wieder deutlich gemacht, dass der*die Filmemacher*in sich direkt vor Ort befindet. Mit diesen „Tricks“ wird dem Publikum das Gefühl vermittelt, es sei direkt am Geschehen beteiligt und könne die „Realität“ unvermittelt beobachten.
Die Tatsache, dass eine Kamera das Ganze dann auch noch filmt, dient uns letztendlich als eine Art Beweis, dass das, was wir gezeigt bekommen, wirklich passiert ist – denn wir schreiben ihr eine gewisse Beweiskraft zu. Dass jedoch auch die scheinbar so authentischen Dokumentationen nie vollständig die Realität abbilden, da die Filmschaffenden sie mit einer bestimmten Intention inszenieren, bedenken wir dabei meistens nicht.
Strategien der Dokumentation in „Found Footage“-Filmen
Letztendlich nutzen auch fiktionale Filme gerne diese Konventionen und Klischees des Dokumentarfilms, um ihre Geschichten zu erzählen und uns so ein Gefühl von Authentizität zu vermitteln. Interessanterweise spielen sie dabei mit einem Paradox: Denn meist befassen sich Horrorfilme wie Paranormal Activity mit fiktionalen Geschichten über paranormale, okkulte Geschehnisse – beharren aber sehr darauf, dass sie wahre Ereignisse zeigen. Das wird oftmals sogar noch durch eine entsprechende Ankündigung am Anfang des Films hervorgehoben.
Genauer ist Paranormal Activity eine Mischung aus dem „Ich-Kamera-Film“, bei dem die Kamera im Prinzip unsichtbar ist und quasi zum Auge des*r Protagonist*in wird, und einem Handkamerafilm, bei dem wir explizit auf die Existenz der Kamera hingewiesen werden. Der Point of View, also die Sichtweise, aus der wir das ganze Geschehen wahrnehmen, ist dabei sehr wichtig – denn er beeinflusst, wie sehr wir in die Story hereingezogen werden. Durch die Bewegungen der Kamera werden quasi die emotionalen und physischen Zustände der Figuren deutlich gemacht und auf uns übertragen.
„Found Footage“-Filme verwenden diese Darstellungsform, um sich das Gefühl von Authentizität, das uns Dokumentarfilme vermitteln, anzueignen und für die Erzeugung von Angst zu nutzen. Die Kamera spielt dabei eine wichtige Rolle, denn wie bereits erwähnt schreiben wir ihr eine bestimmte Beweiskraft zu, durch die wir die Bedrohung im Film (zum Beispiel einen Dämon) als realer wahrnehmen. Anstatt irgendwelche besonderen oder gar unmöglichen Kameraeinstellungen zu verwenden, simuliert die Handkamera unsere menschliche Wahrnehmung – etwa durch eine wackelige Kameraführung, Unschärfe oder einen instabilen Ton. Jegliche Bezüge von außerhalb der filmischen Realität werden soweit es geht verbannt: Beleuchtung, Musik und zusätzliche Kameraeinstellungen.
Der Name verweist darauf, dass das Filmmaterial, das uns gezeigt wird, angeblich nach dem Verschwinden der ursprünglichen Urheber*innen wieder aufgetaucht ist und wir nun die Möglichkeit haben, es zu sehen. Es wird dabei als authentische Aufnahme einer Handkamera und daher aus der Perspektive der Filmschaffenden präsentiert. Der oder die Kameramann*frau ist gewissermaßen auch gleichzeitig der/die Protagonist*in.
Der Horror in Paranormal Activity
Das oben beschriebene Prinzip nutzt auch Paranormal Activity für sich. Kurze Zusammenfassung der Handlung: Micah und Katie wollen mit mehreren Kameras die paranormalen Phänomene, die sich nachts in ihrem Haus abspielen, aufzeichnen. Dr. Fredericks, ein sogenanntes Medium, vermutet derweil, dass ein dunkles Wesen nichtmenschlichen Ursprungs Katie heimsuchen könnte. Nach und nach werden die Phänomene, die im Schlafzimmer des Paars aufgenommen werden, beunruhigender und häufiger. Als sich irgendwann sogar Katie nachts merkwürdig verhält und sie sich immer mehr vor dem übernatürlichen Wesen fürchtet, kontaktieren sie einen Dämonologen, Dr. Averies. Wie es weiter geht, möchte ich natürlich nicht spoilern.
Doch wie genau kommt der Horror im Film zustande? Essenziell scheint dabei unter anderem, dass Paranormal Activity nicht wie etwa The Blair Witch Project irgendwo im Wald spielt, sondern der Regisseur Oren Peli den Horror in die eigenen vier Wände verlagert – was ihn umso bedrohlicher macht, denn dort haben wir eigentlich ein Gefühl von Sicherheit. Dieses Gefühl wird zunächst auch in Bezug auf die Kamera geweckt: Der unbeholfene Umgang der Protagonist*innen mit der Kamera und die Familienfilm-Ästhetik geben dem Film eine gewisse Normalität. Im Gegensatz zu anderen Filmen haben Micah und Katie sich nicht absichtlich in eine mögliche Gefahr gestürzt, sondern werden zu Opfern eines Horrors, der ihnen in ihr eigenes Schlafzimmer gefolgt ist.
Der Schrecken des Unsichtbaren
Auffällig ist dabei, dass in Paranormal Activity der Ursprung des Schreckens selbst nie als körperliches Wesen zu sehen ist. Im Gegensatz zum Genre des Splatterfilms, in dem es größtenteils um die Versehrung des Körpers geht, wird meistens in „Found Footage“- Filmen auf den Einsatz von Blut verzichtet. Vielmehr leben diese Filme vom Spannungsaufbau durch übernatürliche Phänomene, etwa Gegenstände, die sich grundlos bewegen, Menschen, die sich sonderbar verhalten, oder unheimliche Gestalten, die nur für den Bruchteil einer Sekunde im Schatten zu sehen sind. Gerade die Unsichtbarkeit und die Gesichtslosigkeit schaffen diese beklemmende Wirkung auf uns.
Durch die Dominanz von Stille und Dunkelheit verbleibt das Bild unübersichtlich und damit das Monster in der Düsterkeit. So wird in den Köpfen der Zuschauer*innen Platz für die Phantasie gelassen. Hier kommt auch wieder die dokumentarische Kraft der Kamera ins Spiel: Da sie mit ihrer technischen Präzision das Geschehen im Haus aufzeichnet und dabei starr in ihrer Perspektive verharrt, scheint sie die Wahrheit des Dargestellten schonungslos ehrlich zu zeigen.
Zusätzlich dazu spielt auch die Akustik eine wichtige Rolle. Oftmals kann Katie das Wesen ihren Namen flüstern hören, doch ihr Freund Micah hört dies zum Beispiel nicht. Anders jedoch die Kamera, die ebenso Geräusche und Stimmen aufzeichnet, die weder von Katie, noch von Micah stammen. Solche unbestimmbaren Geräusche und Stimmen aus dem Jenseits haben eine von Natur aus dämonische Qualität.
Die Kamera als Beweis
Um es noch einmal zusammenzufassen: Die Konventionen, die der Dokumentarfilm nutzt, können auch zweckentfremdet werden. Auch fiktionale Filme nutzen den sogenannten „dokumentarischen Modus“ immer wieder, um die Beweiskraft, die dem Dokumentarfilm beiliegt, auf das jeweilige Werk zu übertragen. Im Gegensatz zu Filmen, in denen die Zuschauer*innen daran zweifeln, ob doch alles nur Einbildung ist, wollen „Found Footage“-Horrorfilme wie Paranormal Activity jeglichem Zweifel an der Realität der (paranormalen) Ereignisse entgegenwirken. Letztlich dient der dokumentarische Modus dazu, den Zuschauer*innen Authentizität und Realismus vorzutäuschen, und weckt in uns die Angst, der im Film dargestellte Schrecken könne auch uns treffen.
Habt auch ihr noch ein paar Seminararbeiten über interessante Themen aus dem Bereich Medien, die ihr gerne mit der Welt teilen möchtet? Dann bringt sie gerne in eine etwas kürzere und verständlichere Form und schickt sie uns. Wir freuen uns auf eure Beiträge!
Quellen
Film
Paranormal Activity. R.: Oren Peli. USA 2007. Drehbuch: Oren Peli. USA: Blumhouse Productions 2007.
Literatur
Ellis, John: Documentary. Witness and Self-revelation, London 2012
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Heinze, Rüdiger: Ist die Kamera schon an? Selbstreflexion, Wirklichkeit und Authentizität im Handkamerafilm, in: Thomas, Metten/Michael Meyer (Hrsg.): Film. Bild. Wirklichkeit. Reflexion von Film-Reflexion im Film, Köln 2016
Hills, Matt: The Pleasures of Horror, London (u.a.) 2005
Lindinger, Steffen: Die Kamera als Monster. Der dokumentarische Modus im neueren Horrorfilm, Baden-Baden 2014
Meteling, Arno: Monster. Zu Körperlichkeit und Medialität im modernen Horrorfilm, Bielefeld 2006
Seeßlen, Georg: Kino der Angst. Geschichte und Mythologie des Film-Thrillers, Reinbek 1980
Weil, Claudius/Seeßlen, Georg: Kino des Phantastischen. Geschichte und Mythologie des Horror-Films, München 1976