Oldies auf TikTok, Instagram & Co – woher kommt der Hype um alte Songs wie Bella Ciao oder Running up that Hill?

Von Veronika Gruschwitz

Gerade eben noch auf den Fernsehbildschirmen, jetzt millionenfach in den Sozialen Medien – so ergeht es immer mehr Songs, die Schlüsselszenen in Produktionen von Netflix, Amazon Prime und Disney+ begleiten. Das Besondere an ihnen: Sie hatten ihre große Stunde eigentlich bereits in der Vergangenheit und feiern nun, zwanzig, dreißig oder sogar hundert Jahre später, ein unglaubliches Comeback.

Wieso ist dieser uralte Radio-Hit überall auf TikTok?

Vielleicht ist es dem/der ein oder anderen von euch ergangen wie mir: Ich habe meine For-You-Page geöffnet und irgendwann bemerkt, dass ständig der gleiche Song benutzt wurde. “It`s a murder on the dancefloor but you better not kill the groove” – den ganzen Tag ging mir diese Zeile nicht mehr aus dem Kopf, obwohl ich zu dem Zeitpunkt noch keine Ahnung hatte, wieso plötzlich alle so begeistert von diesem uralten Radio-Hit waren. Als ich dann die Amazon-Produktion “Saltburn” geschaut habe, ist mir alles klar geworden. In der letzten Szene tanzt die Hauptperson zu genau diesem Lied nackt durch das Bild. So könnte ich noch etliche weitere Beispiele aufzählen, aber die wichtige Frage ist: Wieso werden diese Oldies so gut von der “Gen Z” angenommen und dann millionenfach reproduziert?

Eine Fernbedienung ist auf einen Fernseher gerichtet. Zu lesen ist “Netflix”. Bild: Unsplash

Zusammenschnitt von Szenen aus “Saltburn”. Anfangs sieht man den Beginn der letzten Szene, in der der Hauptprotagonist zu “Murder on the Dancefloor” tanzt. Quelle: YouTube

@hheidismith

murder on the dancefloor 🔥🔥

♬ Murda on the dancefloor sped up – Stan 🙂

Auf einer Party rennen verschiedene Mädchen durch das Haus und präsentieren die Feiernden. Dabei erinnert die Kameraführung an die letzte Szene in “Saltburn” und dem Video wurde “Murder on the Dancefloor” hinterlegt. Quelle: TikTok

Unverhoffter zweiter Ruhm für die Musiker*innen des letzten Jahrhunderts

Zunächst könnte man sich einfach für Sophie Ellis-Bextor, Kate Bush oder “The Cramps” freuen. Immerhin haben diese inzwischen pensionierten Musiker*innen sicherlich nicht erwartet, Jahrzehnte nach ihrem ersten Erfolg mit den Songs, noch ein weiteres Mal dadurch ins Gespräch zu kommen. Zudem handelt es sich bei diesem aktuellen “Hype” um eine ganz andere Art von Begeisterung. In den 80er oder 90er Jahren gab es keine Sozialen Medien, mithilfe derer die Lieder binnen einer Woche an die Spitze der Charts wandern konnten. So passiert es allerdings heutzutage. “Murder on the Dancefloor” beispielsweise erreichte im Januar 2024, zwanzig Jahre nach der Veröffentlichung, gleich mehrere hochrangige Platzierungen in verschiedenen Charts. Auch in den großen Streaming-Diensten kletterten die Lieder jedes Mal kurz nach der Veröffentlichung der Filme oder Serien auf die obersten Ränge .

TikTok-Trend statt Partisanen-Kampflied

Eine linke Hand hält ein Smartphone auf dem die App TikTok geöffnet wird. Bild: Unsplash

Ein Problem, das die Urheber*innen der Songs stören dürfte, ist die Tatsache, dass der Kontext der Musik völlig verändert wird. Das geschieht im Laufe des beschriebenen Prozederes zuerst in den Serien oder Filmen. Indem die Lieder in einer beliebigen Szene verwendet werden, dürften viele Zuschauende die Musik später automatisch mit der jeweiligen Handlung verknüpfen. Die eigentlichen Liedtexte oder ursprünglichen Beweggründe für die Lieder rücken gnadenlos in den Hintergrund. Besonders problematisch wird das dann, wenn der eigentliche Hintergrund der Musik so wichtig ist, wie bei dem italienischen Partisanenlied “Bella Ciao”. Den meisten von euch dürfte dieses durch die Serie “Haus des Geldes” bekannt vorkommen. Darin wird es zur Hymne der Bankräuber*innen. Ursprünglich galt es als Freiheitslied der italienischen Resistenza.

Resistenza

Unter der “Resistenza” (ital. Widerstand) versteht man den Zusammenschluss verschiedener Parteien und Personen zwischen 1943 und 1945 gegen die deutsche Besetzung und den italienischen Faschismus.

Heute ist es weltweit ein Symbol des Widerstands geworden . Zugutehalten muss man den Produzent*innen der Serie, dass sie sich offensichtlich Mühe gegeben haben, die Bedeutung des Liedes deutlich zu machen. Allerdings heißt das noch lange nicht, dass die tausenden User*innen in den Sozialen Medien das Gleiche tun – eher im Gegenteil. Außerdem gibt es von “Bella Ciao” mittlerweile etliche Remixes, Übersetzungen und neue Versionen, die nicht nur privat, sondern vor allem zum Tanzen und Feiern verwendet werden. Es ist nicht anzunehmen, dass viele der Tanzenden in diesen Momenten wissen, um was für ein Lied es sich dabei eigentlich handelt.

@niamhbreeen

POV: you’re in your 20s singing Bella Ciao in with strangers in Milan beside the Duomo 🥹🫶🏻 #milan #bellaciao #italy #fyp #viral #gotravel

♬ original sound – Niamh 🌞

Ein Straßenmusiker singt “Bella Ciao” vor dem Mailänder Dom und eine Menschenmenge klatscht und tanzt dazu. Quelle: TikTok

Wieso funktionieren die Oldies so gut in den Sozialen Medien?

Aber wieso ist die neue Generation von den alten Liedern so angetan? Die Antwort auf diese Frage setzt sich aus mehreren Theorien zusammen. Der offensichtlichste Grund ist wohl die aktuelle Nostalgie und Retro-Begeisterung . Die aktuelle Faszination für Digitalkameras, Plattenspieler und Mode aus den 90ern beweist die Sehnsucht nach einer Zeit, in der scheinbar alles gut und einfach war. Allerdings werden die Songs dieser glorifizierten Zeit im Rahmen der Medienkonvergenz fast immer an die aktuelle Schnelllebigkeit TikToks angepasst – das beweisen die unzähligen Speed-Up-Versionen. 

@techno_community

@Nico Moreno play Jayron x Gewoonraves – Bella ciao (hard techno edit)💣🔥 #hardtechno #hardtechnodj #hardtechnomusic #hardtechnolover #_techno_community_ #techno #technomood #technovibe #technofestival #technolove #technomusic #technolover #technolovers #techno👽 #technopeople #technodj #technolife #foryou #foryoupage

♬ original sound – Techno_Community

Ein DJ performed eine neue Version von “Bella Ciao” in der Techno-Version. Quelle: TikTok

Mit einer Medienkonvergenz geht fast immer eine Transformation einher . Durch eine Rekombination entsteht etwas Neues, so wie in diesem Fall mit den Oldies. Auch die Theorie der Intertextualität kann auf das hier betrachtete Phänomen übertragen werden. Demnach beeinflussen sich Texte gegenseitig durch ihre Verknüpfung und sorgen somit für neue Bedeutungen . Das Gleiche geschieht mit den Sozialen Medien auf der einen und den alten Liedern auf der anderen Seite. Die Lieder werden verändert und neu kontextualisiert und in den Sozialen Medien entstehen Trends, deren Grundlage die Songs bilden. In diesem Fall haben die Handlungen der filmischen Produktionen ebenfalls einen Einfluss. Sie bilden sozusagen das Äquivalent zum dritten “Text”, der im Rahmen der Intertextualität mit den Liedern und den Social-Media-Trends wechselwirkt. Durch die Emotionalität der jeweiligen Szenen bleibt die Musik den Konsumierenden noch eindrucksvoller im Kopf, was dazu führt, dass diese später als Hintergrundmusik des Reels gewählt wird.

Schluss

Eigentlich ist dieser Prozess sehr gut nachvollziehbar. Die Menschen auf TikTok sehnen sich nach “der guten alten Zeit” und die Musik der Vergangenheit bedient diesen Wunsch. Die Serien und Filme bilden dabei eine Art “Brücke”, durch die die junge Generation auf die Musik aufmerksam wird und sie begeistert annimmt und weiterverarbeitet. So machen die großen Streaming-Plattformen großen Gewinn, die Musiker*innen der Songs bekommen einen unverhofften zweiten Geldregen und die User*innen auf TikTok, Instagram & Co fühlen sich analog und retro.

Quellen:

Smith, C. (2024, 9. Januar). Sophie Ellis-Bextor’s Murder on the Dancefloor enters US Billboard Hot 100 due to Saltburn effect. Official Charts. URL: https://www.officialcharts.com/chart-news/sophie-ellis-bextor-murder-on-dancefloor-billboard-saltburn/ [Aufgerufen am 16. August 2024].

Autor unbekannt. (2023, 30. September). Die erfundene Tradition. Taz. URL: https://taz.de/Die-Geschichte-von-Bella-Ciao/!5960854/ [Aufgerufen am 16. August 2024].

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Westermann, B. (2017). Dominik Schrey. Analoge Nostalgie in der digitalen Medienkultur. Media/rep Repositorium für die Medienwissenschaft. URL: https://mediarep.org/server/api/core/bitstreams/6b8d39de-7712-4df1-a0c8-5fad9785f801/content [Aufgerufen am 16. August 2024].

Neuberger, C. (2008). Medienkonvergenz: Technische Grundlagen und ihre Konsequenzen für den Journalismus (Dissertation). Universität München. URL: https://link.springer.com/content/pdf/10.1007/978-3-531-92560-8_2.pdf [Aufgerufen am 16. August 2024].

Ternès, A. (2016). Intertextualität. Der Text als Collage. Institut für Nachhaltiges Management. URL: https://link.springer.com/content/pdf/10.1007/978-3-658-12792-3.pdf [Aufgerufen am 16. August 2024].