Microtargeting – Eine Kommunikationsstrategie mit Wirkung

Von Verena Schmid

Unternehmen, Politiker*innen oder Parteien sprechen gezielt eng ausgewählte Zielgruppen an und stimmen ihre Nachricht passgenau auf sie ab – mit Microtargeting, einer datengestützten Marketingstrategie. Und weil das mit Produkten super klappt, setzt auch die Politik vermehrt auf die Taktik, um die Zielgruppe politisch zu beeinflussen. Die Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten im Jahr 2016 oder das Brexit Referendum sorgten für Diskussionen über die Demokratie in den digitalen Medien.

In diesem Artikel meiner Beitragsreihe zum Online Marketing soll es um eine Unterform der personalisierten Werbung gehen. Wie funktioniert Microtargeting – und welche Rolle spielt bezahlte politische Werbung in sozialen Netzwerken bei Wahlkämpfen? Dazu habe ich mit Julian Jaursch von der Berliner „Stiftung Neue Verantwortung“ gesprochen, der sich unter anderem mit Microtargeting in politischen Wahlkämpfen beschäftigt.

Was ist Microtargeting?

Julian Jaursch, Projektleiter Stärkung digitaler Öffentlichkeit | Policy“, erklärt, was Microtargeting ist:

„Microtargeting meint die zielgenaue Ansprache von Gruppen in sozialen Netzwerken und mit bezahlten Botschaften wie Werbung. Microtargeting heißt nicht unbedingt, dass eine sehr kleine Gruppe von Leuten angesprochen wird, sondern eine recht homogene. Das besondere online ist, dass weit mehr und weit intimere persönlichen Daten zur Verfügung stehen, die für Microtargeting genutzt werden können. Es werden persönliche Daten von sehr vielen Menschen ausgewertet, um Gruppen mit bestimmten Eigenschaften, Vorlieben und Ängsten zu finden. Und an die werden dann gezielt Botschaften geschickt, auf die diese Leute wahrscheinlich reagieren werden. “

Julian Jaursch

Julian Jaursch arbeitet in Berlin beim Think Tank „Stiftung Neue Verantwortung“. Dort werden Themen an der Schnittstelle zwischen Technologie und Gesellschaft behandelt. Er beschäftigt sich beispielsweise mit digitalen Plattformen und ihrer Rolle in politischen Debatten.

Treffsicherheit beim Microtargeting. Bildquelle: Pixabay

Auch wenn das Verfahren schon seit einiger Zeit genutzt wird, bieten höher entwickelte Technologien zur Datenerhebung immer mehr Möglichkeiten. Das Internet stellt eine extrem hohe Menge an Daten bereit – das sogenannte Big Data ist also Voraussetzung für funktionierendes Microtargeting. Die Auswertung der Datenmengen erlaubt eine präzise Ansprache der Zielgruppe.

Microtargeting in der Politik

Der Unterschied zwischen Microtargeting im Marketing und in der Politik ist, dass im kommerziellen Marketing Produkte oder Dienstleistungen verkauft werden sollen. Im Wahlkampf gehe es darum, Kandidierende, Parteien oder Ideen zu präsentieren, die Auswirkungen auf die Gesellschaft haben können, erklärt Julian Jaursch. Gezielte politische Werbung auf sozialen Netzwerken ist ein immer mächtigeres Mittel, um Wahlkämpfe zu unterstützen. Politiker*innen und Parteien wollen potenziellen Wähler*innen in eine oder die andere Richtung zu lenken und sie über ihre Ziele zu informieren.

Cambridge Analytica arbeitete im Trump Wahlkampf mit Microtargeting und forcierte so seinen Wahlsieg.
Bildquelle: Pixabay

Beim Präsidentschaftswahlkampf von Barack Obama im Jahr 2008 wurden Millionen Wählerverzeichnisse der Bevölkerung analysiert und in Interessensgruppen geordnet. Die Wahlkämpfer*innen konnten darauf die Menschen gezielt durch Telefonanrufe, E-Mails oder Werbung in Social Media oder Fernsehen ansprechen. Auch in Europa ist dies mittlerweile ein gängiges Verfahren. Jedoch sind hier die Datenschutzrichtlinien strenger als in den USA. Das Datenanalyse-Unternehmen Cambridge Analytica identifizierte im Wahljahr 2016 im Auftrag der Trump-Kampagne bestimmte Wählergruppen durch illegal zweckentfremdete Big-Data-Analysen, um mögliche Wähler*innen mit passenden politischen Inhalten auf Facebook zu konfrontieren. Der digitale Wahlkampf der Republikaner und der Erfolg Trumps wurden dadurch unterstützt.

Mangelnde Transparenz politischer Werbung in den sozialen Medien

Bei der Studie „Microtargeting in Deutschland bei der Europawahl 2019“ wurde mithilfe der Werbearchive von Facebook und Google ausgewertet, wieviel bezahlte politische Werbung von welcher Partei und in welcher Form ausgespielt wurde. Es wurde festgestellt, dass Microtargeting bisher nur einen kleinen Teil der politischen Aktivitäten in Wahlkämpfen ausmacht. Gleichzeitig werden hohe Reichweiten – zum Beispiel die der AfD – durch nicht gekennzeichnete Werbeposts erreicht. Der Leiter der Studie spricht von einer „bedenklichen Verzerrung im politischen Onlinediskurs“. Die Studie zeige eine mangelnde Transparenz von politischer Werbung in den sozialen Netzwerken, da es im Unterschied zum Rundfunk keine Regelung gebe, so der Präsident der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM) in einer Pressemitteilung zur Studie.

Microtargeting birgt Gefahren

Julian Jaursch schreibt in seinem Policy Brief „Regeln für faire digitale Wahlkämpfe“ von einer zunehmenden Verlagerung der Wahlkämpfe von der Straße ins Netz/in die digitale Welt. Auch wenn digitaler Wahlkampf und die digitale Ansprache von Wahlberechtigten den Parteien die Möglichkeit eröffnet, mit Menschen direkt in Kontakt zu treten, sieht Jaursch einige Risiken und Probleme:

„Finanzstarke Interessen können zum Beispiel vor einer Wahl die Online-Feeds der Menschen mit ihren bezahlten Botschaften überfluten, andere Positionen so ertränken und damit die politische Debatte verzerren. Außerdem ist es beim Microtargeting auch undurchsichtig, wer welche Anzeigen sieht und wer nicht. Das ist ganz anders als beim TV-Spot oder beim Wahlplakat auf der Straße, wo ich davon ausgehen kann, dass eine Nachbarschaft dieselben Botschaften sieht, obwohl die Menschen dort ganz unterschiedliche Interessen haben mögen. Es ist auch relativ leicht, mögliche Diskriminierungen in der Werbung aufzudecken, weil sie für größere, heterogenere Gruppen sichtbar ist. Mit Online-Microtargeting ist das kaum möglich.“

Wahlkämpfe und politische Bewegungen werden immer häufiger digital geführt und haben Einfluss auf den politischen Diskurs. Parteien und politische Werbetreibende geben immer mehr Geld für politische Anzeigen in den sozialen Medien oder Suchmaschinen aus. Generell ist es keine schlechte Entwicklung, Wähler*innen online zu erreichen. Politisches Microtargeting kann aber – wie bei Filter Bubbles – die Gesellschaft in kleine Teile aufspalten. Julian Jaursch ist der Meinung, dass erweiterte Transparenz- und Rechenschaftspflichten für soziale Plattformen und für Parteien nötig seien, um digitale Wahlkämpfe in Zukunft fairer zu machen. Bei der kommenden Präsidentschaftswahl in den USA im November können wir hoffen, dass Donald Trump nicht mithilfe Microtargeting-Strategien erneut gewählt wird.