Me, my Echo Chamber and I: Radikalisierung in Selbstbestätigungsgruppen

Von Elias Raatz

Sogenannte Selbstbestätigungsgruppen radikalisieren sich gegenseitig, was vor allem bei rechtsextremen Gruppen gefährlich sein kann, wie aktuelle Debatten in den Nachrichten zeigen. Doch vom Phänomen der Echokammer – wie man gerne sagt – ist so ziemlich jeder von uns betroffen. Dr. Jürgen Buder hat im Interview mit uns über die Auswirkungen und Herausforderungen dieses Prinzips gesprochen.

Anfang Juni wurde der CDU-Politiker Walter Lübcke auf der Terrasse seines Hauses durch eine Schusswaffe tödlich verwundet. Der aktuelle Ermittlungsstand legt nahe, dass der mutmaßliche Täter aus rechtsextremen Motiven heraus handelte. Derzeit wird unter anderem darüber diskutiert, inwieweit soziale Medien und sich in politisch rechten Echokammern hochgeschaukelte Hetze dazu beigetragen haben, dass es zu körperlicher Gewalt kam (Mehr zum Fall Lübcke erfahrt ihr unter anderem bei Spiegel Online).

Dr. Jürgen Buder vom Tübinger Leibniz-Institut für Wissensmedien beschäftigt sich schon länger mit psychologischen Effekten der Radikalisierung in sogenannten Echokammern.

Elias Raatz: Herr Dr. Buder, können Sie in wenigen Sätzen umreißen, um was es bei der Metapher der Echokammer geht?

Dr. Jürgen Buder vom Tübinger Leibniz-Institut für Wissensmedien. Foto: Jürgen Buder

Dr. Jürgen Buder: Der Begriff ist vom amerikanischen Verfassungsrechtler Cass Sunstein geprägt, der argumentiert, dass es für eine Demokratie wichtig ist, dass Menschen auch mit Meinungen in Kontakt kommen, die nicht ihre eigenen sind. Eigentlich sollte das Internet dafür einen guten Nährboden bieten, allerdings ist eine Art Konsumhaltung erkennbar, bei der Menschen eher die Informationen konsumieren, die ihnen schmecken, also das eigene Weltbild bestätigen. Wenn mich beispielsweise bei Netflix keine Komödien interessieren, dann schaue ich sie einfach nicht.

Permanent die eigene Meinung bestätigt zu sehen und Beifall für die eigenen politischen Äußerungen zu erhalten, könnte laut Sunstein zur Herausbildung von extremeren politischen Einstellungen führen.

Wieso ist diese Thematik für Sie als Psychologe so interessant?

Im Grunde genommen argumentiert Sunstein nicht wirklich empirisch, baut aber auf empirisch prüfbare Annahmen aus der Psychologie auf. Die erste Annahme ist, dass Menschen eine Tendenz haben, sich mit Gleichgesinnten zusammen zu tun. Dazu kommt die zweite etwas umstrittene Annahme, dass Menschen Gegenmeinungen vermeiden und dann die wahrscheinlich entscheidende dritte Annahme, dass wenn sich Menschen mit Gleichgesinnten austauschen, die Meinungen extremer werden. Das nennt man dann Polarisierung (Übrigens: Infos zum aktuellen Forschungsprojekt von Dr. Jürgen Buder und Prof. Dr. Guido Zurstiege vom Institut für Medienwissenschaft der Uni Tübingen zum Thema „Gestaltung kognitiver Schnittstelle und ausgewogene Nutzung von sozialen Medien“ findet ihr hier).

Diese Annahmen lassen darauf schließen, dass es Echokammern nicht nur im Internet gibt. Gruppen wie beispielsweise die „Flat Earth Society“ oder Impfgegner treten heutzutage vermehrt auch außerhalb des Internets bei Tagungen oder Demonstrationen auf.

Das ist genau der Punkt. Echokammern sind keineswegs ein Internet-Phänomen, sondern sie beschreiben eine ganz normale und natürliche Verhaltenstendenz von Menschen, die sicherlich schon seit Jahrtausenden existiert. Diese Tendenz wird aber durch das Internet verstärkt. Wer vor 25 Jahren der Meinung war, dass die Welt von Echsenmenschen regiert wird, dürfte Schwierigkeiten gehabt haben, permanente Bestätigung für diese Sichtweise zu erhalten. Heutzutage wäre das deutlich einfacher.

Also ist beispielsweise eine Facebook-Gruppe zum Abnehmen genauso eine Echokammer, wie es vor 40 Jahren die sich wöchentlich treffende Abnehmrunde war. Ab wann wird diese Selbstbestätigung denn problematisch?

Die völlig normale und harmlose Tendenz, sich in Bestätigungsmilieus zu begeben, zeigt sich in der Facebook-Gruppe zum Abnehmen hervorragend. Problematisch wird es, wenn eine bestimmte Sichtweise propagiert wird, zu der es viele Gegenpositionen gibt. Beim Beispiel Abnehmen gibt es auch die Pro-Ana-Bewegung, in der meist junge Mädchen sich gegenseitig darin bestärken, dass Magersucht erstrebenswert sei (Mehr dazu könnt ihr bei Zeit Campus nachlesen). Sobald Gegenmeinungen gar nicht oder nur verfälscht dargestellt werden, wird es gefährlich, beispielsweise auch bei radikalen politischen Gruppen.

Das IWM

Das 2001 gegründete Leibniz-Institut für Wissensmedien (IWM) ist eine außeruniversitäre Forschungseinrichtung in Tübingen. Das IWM konzentriert die eigene Forschung auf alle Arten von Wissensprozessen und die Beeinflussung dieser durch digitale Medien.

Ist dieses Bedürfnis der Meinungsbestätigung auch der Grund dafür, warum Echokammern so anfällig für Fake News sind?

Richtig. Fake News oder jegliche andere Formen der Propaganda sind meistens hochemotional und arbeiten vor allem mit negativen Emotionen, die der Mensch als bedrohlich einstuft und deshalb besser aufnehmen kann. Richten sich Fake News gegen die Gegenmeinung, diskreditieren sie den politischen Gegner und bestärken die eigene Wahrnehmung, und dann werden sie auch leichter geglaubt. In der eigenen Echokammer herrscht darum auch wenig Widerspruch. Das Ganze zeigt das Beispiel „Pizzagate“ gut.

Denken Sie, dass Echokammern eine Gefahr für die Demokratie sein können?

Allerdings. Zunächst muss aber gesagt werden, dass eine Informationsdiät in Echokammern nur selten zum Konsum von 100% einstellungskonformen Informationen und 0% konträren Informationen führt. Verhältnisse wie 90-10, 80-20 oder 70-30 sind deutlich häufiger anzutreffen. Die Gesellschaft wird aber auch hier durch die Entstehung homogener Meinungsblöcke immer stärker fragmentiert.

Die gesellschaftlichen Auswirkungen sind zwar insgesamt ein wenig komplexer, aber wenn sich Einstellungen verschärfen, kann das zu mehr Extremität führen und Nährboden für Hate Speech sein. Das könnte durch den Verlust eines gesamtgesellschaftlichen Konsenses und einer Radikalisierung zur Gefahr für die Demokratie werden.

Sie forschen derzeit daran, ob Bewertungssysteme wie „gefällt mir“-Angaben unter Postings zu einer nochmals verstärkten Radikalisierung führen.

In unserem Projekt haben wir in einer groß angelegten Twitter-Studie den Zusammenhang zwischen Netzwerkhomogenität und Polarisierung nachweisen können. Wer beispielsweise über den Brexit negativ schreibt und vielen Twitter-Accounts folgt, die ebenfalls negativ über den Brexit schreiben, ist in der Wortwahl noch negativer. Es zeigt sich genau das von Sunstein postulierte Polarisierungsprinzip.

Wir versuchen in Laborstudien solche Polarisierungseffekte nachzuweisen und haben die Vermutung, dass Likes die Entstehung von Echokammern begünstigen können. Sie zeigen, was man schreiben muss, um Ansehen in der Community zu erlangen. Wer in ein Forum geht, in dem bestimmte Beiträge beispielsweise durch Dislikes abgestraft werden, wird sich dreimal überlegen, dort etwas zu schreiben. Das konnte man bis vor einigen Monaten auf den Webseiten von Focus Online sehen, wo Nutzerkommentare sowohl gelikt als auch gedislikt werden konnten. Die Foren waren dort massiv mit rechtspopulistischen Aussagen überschwemmt.

Zur Person

Dr. Jürgen Buder promovierte im Jahr 2002 mit summa cum laude über Wissensaustauschprozesse am Psychologischen Institut der Eberhard Karls Universität. Hier war er von 2000-2008 am Lehrstuhl für Angewandte Kognitions- und Medienpsychologie tätig. Seit 2008 arbeitet er in der Arbeitsgruppe Wissensaustausch am Tübinger Leibniz-Institut für Wissensmedien.
Herr Buder erforscht den menschlichen Umgang mit Informationen aus dem World Wide Web. Mittels digitaler Technologien möchte er es möglich machen, Informationen im Internet differenzierter betrachten zu können und Verzerrungen entgegenzuwirken.

Derzeit versuchen Sie, Schnittstellen zwischen Mensch und Computer so zu gestalten, dass Informationen ausgewogener konsumiert und neutraler individuell bewertet werden.

Genau. Wir wollen mit verschiedenen Dingen experimentieren. Likes und Dislikes könnten miteinander verrechnet und Beiträge besonders gut sichtbar gemacht werden, die ausgewogen sind. Also weil sie beispielsweise in gleichem Maße Likes oder Dislikes erhalten oder weil Leuten liken, die ansonsten eher zu anderen Meinungen stehen. Das wären dann eher ausgewogene Postings.

Ein ganz anderer Ansatz könnte darin bestehen, auf psychologische Erkenntnisse zum toleranten Umgang miteinander zurückzugreifen. Wenn man nichts über sein Gegenüber weiß außer dem, was die Person geschrieben hat, dann wird auf das Geschriebene reduziert. Die Identität eines Menschen ist aber deutlich komplexer und vielfältiger. Wenn sowas im digitalen Diskurs sichtbar wird, könnten wir toleranter werden, da Menschen nicht mehr sofort in Schubladen gesteckt werden.

Wie kann die eigene Meinung immer wieder auf den Prüfstand gestellt werden, ohne durch Bestätigungseffekte einer homogenen Gruppe beeinflusst zu werden?

Ich glaube, man sollte immer wieder seine eigene Informationsdiät reflektieren. Sobald man zu einem Themenbereich keine oder sehr wenig Gegenmeinungen hört, ist das ein Alarmzeichen. Wir sollten uns aktiv mit Gegenmeinungen konfrontieren. Ein ganz grundsätzliches Verständnis davon, warum eine bestimmte Person so tickt, wie sie tickt, heißt ja nicht, dass man die Position billigt oder gar übernimmt. Ganz im Gegenteil, wer ein Verständnis von einer Gegenmeinung hat, ist meist besser darin, Stärken der eigenen Sichtweise zu verstehen. Und man sollte sich selbst fragen: Warum bin ich eigentlich für oder gegen eine bestimmte Position? Das ist sehr interessant, da man es oft selbst gar nicht richtig begründen kann.

Haben Sie abschließend noch eine Art Appell an die Leserinnen und Leser, wie mit Meinungen und Beiträgen im Internet umgegangen werden sollte?

Ein Nebeneffekt von Echokammern und Filterblasen ist, dass man durch Bestätigung der eigenen Meinung schnell den Eindruck gewinnen kann, Lösungen für gesellschaftliche Probleme seien ganz einfach. Achten Sie mal drauf, in wie vielen Beiträgen im Netz Menschen „ist doch ganz einfach“ schreiben. Das halte ich für eine gefährliche Fehleinschätzung, „ganz einfach“ ist in Politik und Gesellschaft nie etwas.

Und was ich bereits gesagt habe: lesen Sie konträre Meinungen. Das bringt nicht nur Sie weiter, sondern hilft der Gesellschaft, wieder einen gemeinsamen Konsens zu finden.