Kultur im Netz – Ein Spannungsfeld: Von Hobbytänzern, WoW und indischem Pop
von Stefan Reuter
Was haben zwei euphorisch tanzende junge Männer, das Online-Rollenspiel „World of Warcraft“ und ein indischer Popstar miteinander zu tun? Nicht viel könnte man auf den ersten Blick meinen. Doch der zweite Blick entführt in das Spannungsfeld der Kultur im Netz.
„Tunak Tunak Tun“
Zwei tanzende Männer mit freiem Oberkörper und bunten Badeshorts sind derzeit ein großer Hit auf YouTube. Sie tanzen – wenn man das so nennen möchte – zu dem Song „Tunak Tunak Tun“ des indischen Popsänger Daler Menhdi aus dem Jahr 1998. Den Song, den die beiden Männer in ihrem Video betanzen, ist auf verschiedenen Portalen im Netz zu finden und erfreut sich nicht nur in Indien großer Beliebtheit, denn der Song hat – trotz Sprachbarriere – definitiv Hitpotential.
Für die meisten Aufrufer aus dem westlichen Kulturkreis dürften aber auch der trashige Charme des Orginalvideos (es war das erste indische Musikvideo, das vor einem Bluescreen gedreht wurde) und vor allem die Choreografie die größten Spaßfaktoren ausmachen. Konsequenterweise verraten die Statistiken des Videos der beiden Jungs, dass viele Aufrufe aus Indien stammen, was vermuten lässt, dass die Menschen dort besonders daran interessiert sind, wie andere Kulturen auf ihre Popmusik reagieren.
Henry Jenkins und die „Convergence Culture“
Indische Musik mit westlichem Tanzstil – ein kultureller Zusammenstoß. Der amerikanische Medienwissenschaftler Henry Jenkins beschreibt in seinem Buch „Convergence Culture: Where Old and New Media Collide“ aus dem Jahr 2006 eine Vielzahl von Veränderungen, die die moderne Medienlandschaft maßgeblich prägen. Konvergenz bedeutet für ihn dabei vor allem, dass Inhalte heutzutage durch die unterschiedlichsten Medien wandern und dabei von verschiedenen Publika unterschiedlich aufgenommen werden – auch über Kulturkreise hinweg.
Die modernen Mediennutzer sind dabei für Jenkins nicht mehr rein passive Konsumenten, sondern machen sich Inhalte zu eigen und lassen ihrer eigenen Kreativität und Begeisterung freien Lauf, was sich natürlich sehr deutlich in Fan-Communities zeigt. Aber Konvergenz ist keine Einbahnstraße, auch die Produzenten von kommerziellen Kulturgütern bedienen sich fleißig am kulturenübergreifenden Buffet im Internet – so schnappten sich die Entwickler von World of Warcraft das Häppchen „Tunak Tunak Tun“.
Everybody Dance Now!
World of Warcraft (kurz: WoW) ist wohl das populärste aller Online-Rollenspiele, die gerne auch MMORPG für Massively Multiplayer Online Roleplaying Game genannt werden. WoW, dass 2005 in Europa startete und weltweit Millionen von Fans hat, erfuhr 2007 mit „The Burning Crusade“ seine erste große Erweiterung. Diese führte mit den Draenei eine neue Rasse ein, die von nun an den Spielern, neben den altbekannten Menschen, Zwergen, Orks und Co. als mögliche Alter Egos für die Abenteuer in der fiktiven Welt Azeroth zur Verfügung standen.
In nahezu allen MMORPGs können die Spieler neben der Kommunikation über Chats oder Headset auch per Tastendruck ihren Avatar eingebaute Animationen (sogenannte „Emotes“) ausführen lassen, um so nonverbal mit ihren Mitstreitern zu interagieren. Neben Gesten wie Verbeugungen, Drohgebärden oder Winken stehen meist auch Tänze zur Verfügung – beispielsweise um einen triumphalen Sieg über einen schweren Gegner gebührend zu feiern. Für WoW ließ sich der Entwickler Blizzard Entertainment dabei unter anderem von Michael Jackson, den Bee Gees oder MC Hammer inspirieren. Im Gegensatz zu diesen aus dem westlichen Kulturkreis übernommenen Tänzen wurde für die Draenei die Choreografie von Daler Mehndi ausgewählt. Damit sollte vielleicht die Exotik dieses Volkes inmitten von klassischen westlichen Fantasy-Figuren betont werden, vermutlich in Verbindung mit einem Gruß an die indischen Spieler.
In einer zunehmend konvergenten Medienumgebung ist es daher auch nicht verwunderlich, dass Mehndis Video wiederum mehrfach mit Hilfe von WoW-Aufnahmen nachgestellt wurde.
Kultur im Netz – Ein Spannungsfeld
Das Internet verbindet – auch die Kulturen. Die neue Artikelreihe „Kultur im Netz – Ein Spannungsfeld“ auf media-bubble.de wird sich mit weiteren kulturellen Phänomenen im Internet beschäftigen. Neben den neuen Interaktionsformen mit Medieninhaltenwird es auch darum gehen, wie schon länger gängige Kulturpraktiken online ausgeübt werden, wie sich Machtverhältnisse verlagern und welche Auswirkungen das Web 2.0 auf die Produktion von Kulturgütern hat. Wie hängen diese Entwicklungen zusammen? Und wo entstehen dabei Konflikte?
Nächste Woche geht es zunächst um einen Mann, der gerne Bikinis trägt. Und Barrack Obama.
Kultur im Netz – Ein Spannungsfeld: Ab jetzt jeden Freitag auf www.media-bubble.de
Foto: flickr/bravesheng (CC BY-NC-ND 2.0)
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