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Gemeinsam einsam – dank Social Media

Wie sich eine gesamte Generation in den Tiefen der sozialen Netzwerke verliert

Von Annika Kiess

Skurrile Memes, tanzende TikToker, glänzende Spiegelselfies und perfekt inszenierte Urlaubsbilder – das ist Instagram. Eine App, die es geschafft hat, eine neue digitale Welt zu errichten. Eine Welt, in der wir nur Schönem begegnen, in die wir uns flüchten, während wir verzweifelt versuchen, uns selbst zu finden – und uns dabei immer mehr selbst verlieren. Warum ist das so? Und noch viel wichtiger: Was können wir dagegen unternehmen? Ein Kommentar darüber, warum Social Media nicht wirklich ‘social’ ist.

Der Tag beginnt mit einem unschönen Geräusch: Der Handywecker klingelt. Im Dunkeln wird nach dem Display getastet, in der Hoffnung, den Schlummer-Button zu erwischen. Das Handy wird entsperrt, grell leuchtet uns der Bildschirm entgegen. Die Augen sind eigentlich noch viel zu müde und fordern flehentlich, lieber weiterschlafen zu dürfen. Doch unsere flinken Finger huschen unbeirrt über das Display. Nach einem provisorischen Klick auf die aktuellsten Nachrichten werden diese schnell überflogen. Erscheint der Artikel zu lang und zu komplex, wird er wieder geschlossen. Wir drücken uns weiter wahllos durch die App-Icons. Noch schnell eine notdürftige Guten-Morgen-Nachricht an den Freundeskreis senden. Das Tippen der Tastatur verursacht dabei kontinuierlich dumpfe Geräusche auf dem Display. Digitale Pulsschläge füllen das Zimmer mit Leben. Dann endlich folgen unsere Finger dem eigentlichen Ziel unseres digitalen Ausflugs: Instagram. Das pinke Logo strahlt uns schon voller Vorfreude entgegen. Mit einem hohen Klick-Geräusch öffnet sich die App und gibt bereitwillig ihr Innerstes frei: Videos, Bilder und Stories – das sind die digitalen Basenpaare der DNA dieser App. Aus dem Zusammenspiel unterschiedlichster Posts und Profile setzt sich Instagrams Charakteristik zusammen – ein riesiges, zusammengeführtes Fotoalbum, das sich durch die endlosen Sphären der App erstreckt und dabei die verschiedensten Erlebnisse von vielerlei Unbekannten dieser Welt für jedermann zugänglich macht: Selfies von Freunden, die in die Kamera grinsend am anderen Ende der Welt am weißen Sandstrand von Thailand liegen, Influencer, die sich in den Tiefen des balinesischen Dschungels auf einer Yoga-Auszeit befinden oder mit ihren umgebauten Campern auf großer Reise durch ganz Europa sind. Ein Gefühl der Euphorie und der Freiheit überkommt uns, wächst mit jedem Post, der vor unseren Augen erscheint – und das, obwohl wir gar nicht teilnehmen, obwohl wir gar nicht diejenigen sind, die das gerade erleben. Dank unseren Smartphones, unserer ständigen Vernetzungsquelle, wird es uns ermöglicht, in andere Welten einzutauchen. Dabei kommt es uns so vor, als würden wir das Gepostete schon fast selbst miterleben. Wir fühlen uns glücklich, wenn wir Beiträge von schöneren, spannenderen und zufriedeneren Lebensstilen sehen. Aber warum?

Die Droge der Social Media Networks

Auch wenn wir selbst dafür verantwortlich sind, dass wir Instagram, Facebook und Co. immer wieder aufs Neue öffnen, so ist unser Streben nach jenen sozialen Plattformen jedoch auf ein grundlegendes Prinzip der Evolution zurückzuführen. Denn während wir auf diversen Social-Networks umherscrollen, wird in unserem Gehirn das Glückshormon Dopamin freigesetzt. Eine Studie der University of Chicago [1] belegt, dass unser tägliches Browsen auf diversen Social-Media-Plattformen mit dem Effekt eines Drogenrauschs gleichgesetzt werden kann. Die Abhängigkeit, in die uns die sozialen Netzwerke verstrickt, ist dabei um einiges stärker als gedacht. Denn laut der Studie ist das Verlangen nach Apps sozialer Plattformen höher als der Wunsch nach Alkohol oder gar Nikotin. Diese berauschende Wirkung hält jedoch nur begrenzt an. Schließen wir jene Social-Media-Apps und legen das Handy beiseite, trifft uns die Realität wie ein Schlag ins Gesicht: kein balinesischer Dschungel, keine thailändische Tropensonne oder Cocktails am Strand, sondern kalter deutscher Winter und morgendliche Müdigkeit. Der starke Kontrast zwischen unserer realen und der digitalen Welt hinterlässt einen bitteren Nachgeschmack. Dem einstigen Glücksgefühl weicht ein Gefühl der Traurigkeit, der Passivität. Und vor allem nagt das schlechte Gewissen an uns. Getarnt als unser innerer Griesgram, fragt es uns nun mit vorwurfsvoller Stimme, warum denn unser Leben nicht so aussehe, warum wir nicht einfach alles stehen und liegen lassen und selbst auf Reisen gehen. Und eben auch, warum wir nicht so glücklich sind wie alle anderen auf Instagram.

Generation ‘Möchtegern-Hippies’ + Smartphone

Unsere Generation, die Generation Z (Jahrgang 1995 bis 2010) ist von den Auswirkungen der Social-Media-Networks besonders betroffen. Wir unternehmen Reisen an mystische und spirituelle Ort wie Bali, Thailand oder Südamerika. Hat man genug Geld auf dem Konto, baut man vielleicht sogar einen eigenen Camper um, stopft diesen mit einer Vielzahl an Zimmerpflanzen, süßen Kissen mit Azteken-Muster und Paulo-Coelho-Büchern voll und fährt durch die Weltgeschichte. All das erscheint als „die“ Lösung, um sich selbst und seine Rolle in der Welt zu erkennen – zumindest reden wir uns das ein, denn so wird uns das nun einmal auf Instagram vorgelebt. Krampfhaft versuchen wir aus Bestseller-Weisheitsbüchern schlau zu werden, während urplötzlich das Yoga-Phänomen aus den Achtzigern erneut erweckt wird oder alte chinesische Gua-Sha-Praktiken das erste Mal Bekanntheit erlangen. Meditationen, vielversprechende ayurvedische Diäten und spirituelle Podcasts – alles lockt uns und prasselt auf uns ein, während wir versuchen, unseren eigenen Weg zu finden. Wir sind die neuen Möchtegern-Hippies – nur mit Smartphone. Und in Letzterem liegt womöglich das Paradoxon vergraben: Denn wir versuchen unseren Weg zu erkennen, indem wir unseren Blick auf andere richten und ihnen nachlaufen. Wir suchen uns selbst, suchen Bestätigung und Glück in den Tiefen der sozialen Medien, vergleichen aber parallel andere Leben mit dem unseren, konzentrieren uns dabei folglich nicht auf das, was wir wirklich brauchen – und verlieren uns dabei letztendlich selbst immer mehr.

Die Instagram-Welt kennt keine Realitätsgesetze

Die Möglichkeit des ständigen Verknüpfens und Austauschens, für die Social Media so gepriesen wird, ist uns zum Verhängnis geworden. Wie fremdgesteuert laufen wir den neuesten Trends hinterher, liken witzige GIFs, während wir gleichzeitig von einer Vielzahl an schockierenden Nachrichten über Anschläge und Umweltkatastrophen überflutet werden. Die Welt der Medien ist eine Welt von unglaublicher Größe, Relevanz und Macht, die als riesiges digitales Konstrukt über unseren Köpfen schwebt. Und ebenjene Welt kennt keine Gesetze der Zeit und des Raumes, welchen der Mensch unterworfen ist. In einer digitalen Welt passiert alles parallel, alles prasselt gleichzeitig auf uns ein, fordert uns kontinuierlich dazu auf, uns zu Geschehnissen zu positionieren und diese zu bewerten. Daher überrascht es nicht, dass wir uns verloren fühlen – hin- und hergerissen zwischen beiden Welten und nicht wissen, wer wir sind und sein wollen, denn wir sind den Größenverhältnissen der mobilen Digitalwelt nicht gewachsen. Wir müssen lernen, das Smartphone, die Smartwatch oder das Tablet wegzulegen und abzuschalten, um für einen Moment nicht in der digitalen Welt präsent zu sein.

Denn: Wir sind nun einmal keine multitasking-fähigen Roboter, die als Hybride in zwei Welten gleichzeitig leben können. Unser Zuhause ist diese eine reale Welt. Jene, in der man den Regen auf seinem Gesicht spüren, den Sommerwind um die Nase wehen und auch Unvollkommenheit und Traurigkeit fühlen kann. Aber genau das ist es doch, was uns Menschen ausmacht. Imperfektionismus. Echtheit. Und das sollten wir uns nicht von unechten, inszenierten oder bearbeiteten Beiträgen auf Social-Media-Plattformen nehmen lassen!