Bild: Christoph Jäckle (grasshopper kreativ)

Nennt sie Femizide

Geschlechtsspezifische Morde an Frauen in der Medienberichterstattung

Von Annkatrin Voos

Euphemismen, also die beschönigende, verharmlosende Umschreibung für etwas Unangenehmes oder Negatives, sind sinnvoll für die nächste Gedichtanalyse oder vielleicht beim Schreiben eines literarischen Texts. Aber, wenn in der Medienberichterstattung aus einer Vergewaltigung eine „Sex-Tat“ oder aus einem Mord ein „Verbrechen aus Leidenschaft“ wird, dann müssen wir einen Schritt zurück gehen und uns fragen, was eigentlich gemeint ist. Denn manchmal ist es einfach besser, auch die schwierigen Dinge beim Namen zu nennen – ein Plädoyer.

*Triggerwarnung: Erwähnung expliziter körperlicher und sexualisierter Gewalt

„Berlin. Sie ist eine erfolgreiche Hotelmanagerin, sie lernen sich beim Spazierengehen mit den Hunden im Park kennen. Als sie sich trennt, stellt er ihr nach, hämmert gegen ihre Tür. Sie kommt bei ihrer Schwester unter, erwirkt ein Kontaktverbot. Er kauft ein Steakmesser und googelt, in welchem Gefängnis die Pritschen am bequemsten sind. Als sie morgens zur Arbeit will, sticht er sie auf offener Straße nieder. Sie wurde 32 Jahre alt.“

Aus einer Dokumentation von Zeit Online über Partnerschaftsgewalt in 2018 [1]

Der Internationale Tag gegen Gewalt an Frauen, der jährlich am 25. November stattfindet, ist ein Gedenk- und Aktionstag zur Bekämpfung von Diskriminierung und geschlechtsspezifischer Gewalt gegen Frauen. Die World Health Organization (WHO) identifiziert Gewalt an Frauen, vor allem sexuelle Gewalt und Gewalt in Partnerschaften, als ein öffentliches Gesundheitsproblem und eine Verletzung der Menschenrechte von Frauen [2]. Ulrike Lembke, Professorin für Öffentliches Recht und Geschlechterstudien und Vorstandsmitglied im Deutschen Juristinnenbund, führt dies weiter aus und sagt: „Tötungsdelikte sind nicht geschlechtsneutral. Sie werden dreimal häufiger […] von Männern als von Frauen begangen, obwohl fast die Hälfte aller Opfer von vollendeten Tötungsdelikten weiblich ist“ [3]. Die Dunkelziffer, die auch nicht angezeigte Straftaten miteinschließt, wird schätzungsweise noch höher ausfallen. Die auf dem Titelbild zu sehende „Rote-Schuhe-Aktion“ in Tübingen soll die Tragweite des Problems visuell veranschaulichen: Die 139 auf dem Rathausplatz verteilten Paar Schuhe stehen jeweils für einen Femizid in Deutschland im Jahr 2020.

Definition Femizid

1976 wurde der Begriff „Femizid“ das erste Mal von Diana Russell öffentlich verwendet [4]. Sie meint damit: „My definition of femicide is the killing of females by males because they are females[5]. Die Bezeichnung Femizid hat sich im Laufe der Zeit sowohl als theoretischer Begriff in der wissenschaftlichen Forschung, als auch als politisches Konzept etabliert. Der Begriff steht bewusst im Kontrast zu dem geschlechtsneutralen Begriff „Mord“ – auf Englisch „homicide“ – und soll so auf die geschlechtsspezifische Realität von Femiziden aufmerksam machen, die von Politik und Gesellschaft kaum berücksichtigt wird [6]. Mithilfe des Begriffs wird die Notwendigkeit klar, Frauenmorde im Kontext einer patriarchischen Gesellschaft zu untersuchen, die männliche Dominanz und weibliche Unterordnung sozial und politisch konstruiert. Der Begriff Femizid gibt der gewalttätigen Ermordung von Frauen einen Namen und schafft so Aufmerksamkeit für geschlechtsspezifische Motive von Mord, um durchsetzungsfähige Strategien dagegen entwickeln zu können.

Die Medienberichterstattung über Femizide in Deutschland

Tübingen am 25.11.2021, dem Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen. Bild: Christoph Jäckle (grasshopper kreativ)

Das politische und gesellschaftliche Bewusstsein für Femizide hat Aufholbedarf. Dabei ist die mediale Berichterstattung besonders in die Verantwortung zu nehmen, denn den Medien kommt die Aufgabe zu, Bürger*innen effektiv aufzuklären. Sie tragen zur öffentlichen Meinungsbildung bei und regen politisches Handeln an. Allerdings wird geschlechtsspezifische Gewalt von den Medien in Deutschland oft verharmlost und aus dem Kontext gerissen: Die Opfer- bzw. Täterbeschreibung beschränkt sich in vielen Fällen auf Alter, Geschlecht und/oder Staatsangehörigkeit. Falls weitere Hintergrundinformationen vorliegen, wird eventuell noch die Beziehung zwischen Opfer und Täter angesprochen. Die Beschreibung des Tathergangs und der Todesursache ist meist stark emotionalisierend und durch eine Täterperspektive gekennzeichnet. Das kann auch an den verwendeten Quellen liegen, da sich die meisten Zeitungen auf die zuständige Mordkommission oder die Staatsanwaltschaft beziehen. Die Hintergrund- und Ursachendiskussion ist meist kurzgehalten, auch, weil oft noch nicht alle Einzelheiten zum Zeitpunkt der Berichterstattung bekannt sind. Generell wird die Ermordung von Frauen unter dem Stichwort „Femizid“ selten medial thematisiert. Für Tötungsdelikte mit weiblichen Opfern werden stattdessen in großer Mehrheit Wörter wie „Bluttat“, „Beziehungstat“, „Verbrechen aus Leidenschaft“, „Mord im Affekt“ oder „Ehe-/Familien-/Eifersuchtsdrama“ verwendet [7]. Durch diese Beschreibung wird strukturelle Gewalt an Frauen verharmlost: Durch Begriffe wie Beziehungstat wird (partnerschaftliche) Gewalt ins Private gerückt und die Verantwortung wird vom Täter auf die Beziehung oder das Opfer verlagert. Ausdrücke wie Ehedrama, Familientragödie oder Bluttat simplifizieren die Vorfälle und erklären sie zu Einzeltaten oder Schicksalsschlägen. Wörter wie Eifersuchtsdrama, Verbrechen aus Leidenschaft und Mord im Affekt liefern bequemerweise schon Motive wie Eifersucht oder Aggressionsbewältigungsprobleme, ohne auf die strukturellen Machtverhältnisse dahinter einzugehen und Strukturen zu beleuchten, die diese Tötungen mit Besitzdenken oder geschlechtsspezifischen Erwartungen an das Verhalten von Frauen verbinden. Was nach der Tat die Folgen für den/die Täter sind, kommt meist nicht zur Sprache und es wird wenig über den Verlauf oder das Ergebnis des Strafprozesses informiert.

Bild: Christoph Jäckle (grasshopper kreativ)

Zur Homepage von Elina Chauvet geht es hier

Elina Chauvet und die „Zapatos Rojos“

Die „Rote-Schuhe-Aktion“ geht zurück auf die mexikanische Künstlerin Elina Chauvet, die mithilfe (blut)roter Schuhe als Mahnmal zum öffentlichen Gedenken an vermisste, misshandelte, vergewaltigte und ermordete Frauen aufruft.

Was hat das für Folgen?

Die oben angesprochene Wortwahl in der deutschen Medienberichterstattung hat nicht nur Folgen für das gesellschaftliche Bewusstsein von Femiziden und Auswirkungen auf den politischen Handlungsdruck, sondern auch für die Rechtsprechung in der Strafverfolgung. Deshalb wurde die Wortwahl in der Medienberichterstattung in den letzten Jahren mehr und mehr zur Diskussion. Denn durch Benennungen, wie Beziehungstat, werden Femizide nicht als Teil struktureller Gewalt, nicht als Teil eines größeren sozialen Problems formuliert, sondern als Teil der privaten Sphäre, als Einzeltat, die es zu verurteilen gilt. Das hat zur Folge, dass Gewalt an Frauen nicht als gesellschaftliches Problem angesehen, geschlechtsspezifische Gewalt nicht hinterfragt und rechtliche wie auch soziale Konsequenzen vernachlässigt werden. Die Medien sind gesellschaftlich so positioniert, dass sie eine wichtige Rolle bei der gesellschaftlichen Meinungs- und Problemartikulation spielen, nicht umsonst werden sie stellenweise als die 4. Gewalt bezeichnet. Sie könnten der Öffentlichkeit durch eine kritischere Berichterstattung die strukturelle Dimension von Gewalt an Frauen näherbringen und das öffentliche Wissen und die öffentliche Meinung in einer Weise formen, die zu politischen Veränderungen führen könnte. Ein erster Schritt wäre dabei die Verwendung des Begriffs Femizid, wenn es um die Ermordung von Frauen aufgrund ihres Geschlechts geht. Froben Homburger, der Nachrichtenchef der Deutschen Presse-Agentur, erklärte schon 2019 auf Twitter: „In der Berichterstattung über Gewaltverbrechen in Familien und partnerschaftlichen Beziehungen wird @dpa künftig Begriffe wie ‚Familientragödie‘ oder ‚Beziehungsdrama‘ nicht mehr als eigene Formulierungen verwenden“ [8].

Was nun?

In den meisten Fällen relativiert die Begriffsauswahl der deutschen Medien bei Mordfällen mit weiblichen Opfern die Tat, banalisiert Femizide als Einzeltaten oder Schicksalsschläge und verschleiert so die strukturellen Machtverhältnisse von Gewalt an Frauen. Dabei fällt gerade den Medien eine besondere Aufgabe zu, denn, wie die Medien mit dem Thema Gewalt an Frauen umgehen, hat einen Einfluss darauf, wie die Gesellschaft diese Problematik versteht und damit umgeht. Die Medien sind deshalb in der Pflicht, den Problemlösungsprozess und die öffentliche Verantwortungsübernahme mitzugestalten.

Quellen:

[4] Consuelo Corradi et al., „Theories of Femicide and Their Significance for Social Research,“ Current Sociology 64, nr. 7 (2016): 976, https://doi.org/10.1177/0011392115622256.

[5] Roberta A. Harmes und Diana E. H. Russell, Femicide in Global Perspective (New York: Teachers College, 2005), S. 13.

[6] Consuelo Corradi et al., „Theories of Femicide and Their Significance for Social Research“, Current Sociology 64, nr. 7 (2016): 976, 977, https://doi.org/10.1177/0011392115622256.