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Kindervermarktung im Netz

Wie Eltern die Rechte ihrer Kinder verletzen

Von Bella Avergon

Wer sich oft auf Instagram und YouTube aufhält, kennt sie: zahlreiche Familien, die ihr Leben auf Instagram und YouTube vor einem Millionenpublikum zeigen. Im Fokus stehen meistens die Kinder. Ob der Besuch beim Kinderarzt, ein Ausflug ins Schwimmbad oder ein Wutanfall – alles wird gefilmt und die Privatsphäre der Kinder verschwindet. Doch welche Rechte haben Minderjährige in solchen Fällen und dürfen die Eltern als Erziehungsberechtigte über alles entscheiden? 

Persönlichkeitsrechte, Intimsphäre und Datenschutz 

Seid ihr der Meinung, dass beim Thema Kinderschutz im Netz härter durchgegriffen werden sollte? Bild: Pexels

Grundsätzlich dürfen Eltern darüber entscheiden, ob sie Bilder von ihren Kindern ins Netz stellen. Sofern beide Elternteile damit einverstanden sind und das Kind noch keine Einsichtsfähigkeit besitzt, brauchen sie nicht die Einwilligung ihres Kindes. Laut Gerichten haben Kinder diese Einsichtsfähigkeit ab einem Alter von 13 oder 14 Jahren erreicht, jedoch gibt es hierbei keine klare Regelung [1]. Auch wenn die Minderjährigen unter 13 Jahre alt sind, dürfen Eltern nicht alle Bilder und Videos von ihren Kindern im Netz veröffentlichen, da auch Kinder Persönlichkeitsrechte haben. Dazu gehört Bildmaterial, das besonders in die Intimsphäre der Kinder eindringt. Beispielweise Aufnahmen in der Badewanne, am Strand, Nacktbilder oder peinliche Situationen. Kinder können deshalb auch Jahre später ihre Eltern auf Unterlassung und Löschung des Bildmaterials verklagen [1]. Vor allen in Videos auf YouTube oder Storys auf Instagram geben Familien-Vlogger viele Daten ihrer Kinder preis. Die Minderjährigen werden zu öffentlichen Personen, meistens ohne sich selbst bewusst dafür zu entscheiden. Aufmerksame Zuschauer*innen kennen oft den Vor- und Nachnamen des Kindes, das Alter, was es mag oder nicht mag, wie das Zimmer aussieht oder welche Hobbys das Kind hat. Häufig ist es dann auch nicht mehr schwer herauszufinden, wo die Familie wohnt oder wo das Kind zur Schule geht. Diese Daten können sich zum Beispiel auch Triebtäter*innen zunutze machen und somit eine ernsthafte Gefahr für die Kinder darstellen. 

Kinderarbeit

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist, dass Kinder, die regelmäßig vor der Kamera stehen, eine Arbeitsbescheinigung brauchen. Dafür ist eine ärztliche Bescheinigung, die Absprache mit dem Jugendamt und ggf. der Austausch mit der Schule notwendig. Grundsätzlich dürfen Kinder zwischen 3 und 15 Jahren entweder 30 Tage oder 60 halbe Tage im Jahr arbeiten. Ein Arbeitstag entspricht dabei maximal 5 Stunden, wovon das Kind nur 3 Stunden vor der Kamera stehen darf. Auch der Zeitraum 8 bis 17 Uhr ist vorgegeben. Kinder unter 3 Jahren dürfen gar nicht arbeiten [2]. 

Aber wenn Eltern ihr Kind im täglichen Leben filmen oder Fotos machen, dann ist das doch keine Arbeit, oder? Luise Meergans, Bereichsleiterin für Kinderrechte und Bildung beim Deutschen Kinderhilfswerk sieht das anders: Die Länge und Häufigkeit mancher Auftritte ist schon eine Form von Kinderarbeit“ [3]. Vor allem, wenn die Kinder Hauptbestandteil jedes Videos sind, auf jedem Thumbnail zu sehen sind oder einen eigenen Instagram- und YouTube-Kanal besitzen. 

Minderjährige sind oft in Filmen, Serien oder Werbungen beteiligt. Warum ist das Zeigen der Kinder im Netz dann ein Problem? Kinder nehmen zum Beispiel in Filmen eine Rolle ein. Sie spielen eine andere Person, haben einen anderen Namen und man weiß selten etwas über den oder die Kinderschauspieler*in selbst. In den sozialen Netzwerken sind die Kinder sie selbst. Sie spielen keine Rolle, sondern zeigen ihr privates Leben. Bei Kinderschauspieler*innen wird außerdem strikt darauf geachtet, dass die oben genannten Arbeitsregelungen eingehalten werden. Eltern nehmen dabei eine Schutzfunktion ein und stellen dies sicher. Familien-Vlogger hingegen nehmen für die Kinder sowohl die Rolle der Schützer als auch die des Betreibers oder der Produzenten ein. Diese Kombination kann vor allem den Kindern schaden und so spricht Medienpädagoge Roland Rosenstock hierbei von „emotionalem Missbrauch“ [4]. Er erklärt, dass die Beziehung zwischen Eltern und Kind in solchen Fällen im kommerziellen Interesse liegt. Die Kinder stehen zwar meistens freiwillig vor der Kamera, jedoch kann von Seiten der Eltern auch (un)bewusst Druck ausgeübt werden, vor allem wenn Eltern ihre Jobs an den Nagel hängen, „um mit Internet-Angeboten rund um den Nachwuchs den Lebensunterhalt zu verdienen“ [3]. 

Richtlinien der Plattform YouTube 

Einige Eltern machen das Gesicht ihrer Kinder im Netz unkenntlich. Aber reicht dieser Schutz aus? Bild: Pexels

Besonders auf YouTube findet man zahlreiche Familien, die ihren Alltag mitfilmen und damit auch Geld durch Werbung verdienen. YouTube hat deshalb zahlreiche Richtlinien zum Schutz von Kindern aufgestellt. Beispielsweise dürfen Inhalte mit Minderjährigen nicht veröffentlicht werden, wenn „Aufnahmen in privater Umgebung, in den eigenen vier Wänden wie Schlafzimmer oder Badezimmer“ erfolgt sind, „Videos, in denen persönliche Details über Minderjährige preisgegeben werden“ oder auch „Aufnahmen von Aktivitäten, die unerwünschte Aufmerksamkeit auf Minderjährige lenken könnten, zum Beispiel Akrobatikvorführungen mit Kontorsion oder ASMR-Videos“ [5]. Diese Regelungen werden in zahlreichen Videos von Familien-Vloggern gebrochen. Laut YouTube werden die Inhalte, die gegen die Richtlinien verstoßen, entfernt. Wie kann es sein, dass die meisten dieser Videos trotzdem online bleiben und ein Millionenpublikum erreichen? Die Antwort bleibt ungeklärt. Vermuten lässt sich, dass YouTube daran mitverdient, und deshalb diese millionenfach geklickten Videos nicht sperrt. 

Besonders erschreckend ist, dass vor allem Videos mit leicht bekleideten Kindern in der Badewanne oder im Schwimmbad sehr hohe Klickzahlen haben und vermehrt Time-Stamps in den Kommentaren auftauchten, die genau diese Szenen hervorheben. YouTube reagiert zumindest darauf und deaktiviert meistens Funktionen wie Kommentare, Live-Chat, Livestreaming, Videoempfehlungen und Communitybeiträge in Videos, die Kinder beinhalten. Aber auch augenscheinlich unschuldige Fotos und Videos können missbraucht und in die Datenbanken Pädophiler Netzwerke gelangen [6]. Aus diesem Grund müssen soziale Netzwerke wie YouTube entweder strengere Richtlinien einführen oder sich an die eigenen Richtlinien ohne Ausnahme halten.

Wie können Eltern und Co. Kinder besser schützen? 

Der Schutz der Kinder liegt nicht nur in der Verantwortung der Plattformen, sondern natürlich auch bei den Erziehungsberechtigten. Man kann Eltern nicht verbieten Fotos und Videos ihrer Kinder öffentlich zu zeigen, sofern sie keine der genannten Richtlinien verletzen. Jedoch ist es wichtig Aufklärung zu betreiben und immer wieder auf den verantwortungsbewussten Umgang hinzuweisen. So weisen zum Beispiel Kinderärzt*innen in einem Artikel [7] darauf hin, dass man zwar immer auf die Privatsphäre- und Datenschutzeinstellungen der jeweiligen Plattformen achten sollte, aber auch andere Gefahren im Blick haben muss. In ihrem Artikel empfehlen die Ärzt*innen nicht den Namen oder Aufenthaltsort des Kindes preis zu geben, sowie vorsichtig bei der Kundgabe von Problemen oder Schwierigkeiten des Kindes zu sein. Außerdem sollten Kinder sowie Babys immer nur komplett bekleidet gezeigt werden und ältere Kinder immer in die Entscheidung der Veröffentlichung miteinbezogen werden. Zudem sollten Eltern immer daran denken, wie sich das Kind in der Zukunft damit fühlen könnte und welche Videos oder Bilder später unangenehm sein könnten. Auch wenn die Kinder bei der Veröffentlichung zustimmen, ist ihnen wahrscheinlich nicht bewusst, von wie vielen fremden Menschen sie beobachtet werden. Auch die Landesmedienanstalten haben Richtlinien für einen sicheren Raum für Kinder entwickelt und empfehlen ebenfalls persönliche Daten wie Name, Wohnort und Schule geheim zu halten [4]. Der Zeiteinsatz vor der Kamera sollte auch bei größerem Erfolg nicht steigen und vor allem das Schlafzimmer sollte nicht gleichzeitig Rückzugsort und Drehort sein. Das Jugendamt scheint ebenfalls Auflagen zum Schutz der Kinder zu machen. So erzählen die Eltern von Miley, von dem Kinderkanal Mileys Welt, dass sie nicht im Kinderzimmer, in der Schule, beim Arzt, im Krankenhaus oder beim Schwimmen filmen dürfen. Trotzdem sieht man zahlreiche Videos auf YouTube mit genau solchen Inhalten, die sowohl gegen die Richtlinien von YouTube als auch gegen die Vorlagen des Jugendamtes verstoßen. Damit wird insgesamt deutlich, dass sich bereits viele Institutionen, Plattformen und Wissenschaftler*innen mit dieser Thematik beschäftigen, die dringende Umsetzung jedoch auf allen Seiten deutliches Verbesserungspotenzial besitzt.