Titelbild Rome

Blut und Dreck statt Brot und Spielen – Die Welt von HBOs Rome Part II

Im zweiten Teil unserer Romreise gehen wir der Authentizität dieser gelobten Serie weiter auf den Grund. Dabei werdet ihr unter anderem erfahren, warum demokratische Werte in Rome fehl am Platz sind und wie bedeutend der Abschaum der Stadt für die Glaubwürdigkeit der Serie ist.

von Marvin Gedigk

Der Held der Republik

Zuletzt habe ich im ersten Teil unserer Rome-Analyse offengelegt, wie anhand blutrünstiger Rituale eine für den Zuschauer fremde Welt geschaffen wird. Diese darf sich allerdings nicht allzu weit von den Vorstellungen des Publikums entfernen, da es andernfalls keine Verbindung zu den Protagonisten aufbauen kann und das Produkt in der Folge nicht länger konsumieren würde – ein finanzielles Desaster.

Der Protagonist Lucius Vorenus setzt mit seinen äußerst idealistischen, teils naiven Werten genau diese Überlegung um: In einer vom Wandel begriffenen Welt, die immer mehr auf die Diktatur Caesars beziehungsweise letztendlich auf das Kaisertum von dessen Adoptivsohn Octavian zusteuert, vertritt Vorenus äußerst konservative Werte. Er klammert sich an das politische Konstrukt der Republik. Gleichzeitig bildet er eine Brücke ins Geschehen für den westlich – und entsprechend demokratisch – geprägten Zuschauer, der womöglich wenig mit der sich entwickelnden Alleinherrschaft Caesars anfangen kann. Vorenus ist in seinem Wertesystem und Handeln für den Zuschauer nachvollziehbar, jedoch nicht historisch authentisch.

Unabhängig davon, ob man einem vergleichsweise einfachen Mann wie Vorenus eine so differenzierte Meinung zum politischen System zutraut, war die römische Demokratie doch stark geprägt von Klientelverhältnissen. Für wen die einzelnen Bürger stimmten war meist lange vorab aufgrund komplexer Gesellschafts- und daraus resultierender Abhängigkeitsverhältnisse klar. Und auch bei Vorenus ist fraglich, ob er den Absichten Caesars gegenüber so kritisch gegenüberstand: Soldaten des römischen Heeres hatten nur bedingt etwas mit dem Senat  – dem maßgeblichen politischen Gremium der Zeit – zu tun; ihr Hauptansprechpartner war ihr Feldherr.

Julius Caesar schwört seine Legionäre auf den bevorstehenden Marsch gegen Rom ein. Durch den vermeintlichen Betrug des Senats an seiner Person legitimiert der Feldherr seine Pläne gegenüber seinen Männern. Diese stehen voll hinter Caesar – bereit für ihn in den Tod zu gehen.

Er führte sie durch das feindliche Gebiet und in die Schlacht, er zahlte ihren Sold, er versorgte sie mit Proviant. Wie gewinnbringend ein Feldzug für die Soldaten in Form von Beute war, hing vom Geschick ihres Feldherrn ab. Ob ein Soldat überlebte oder starb, hing ebenfalls sehr stark vom Feldherrn ab – in diesem Fall von Julius Caesar. Die Soldaten wussten das. Lucius Vorenus diente zum Zeitpunkt der Serienereignisse bereits acht Jahre unter dem Kommando Caesars; es hätte sich bei Vorenus um einen wahrlich einzigartigen Charakter gehandelt, wenn er dies alles ignorierte und gar die Aussicht auf mehr Erfolge und Wohlstand in den sich ankündigenden Bürgerkriegen ausschlug – allein aufgrund von Prinzipientreue.

Dramaturgie auf den Punkt gebracht

Die Zentrierung auf Vorenus und Pullo haben wir letztes Mal schon angesprochen. Entgegen der Seriendarstellung kümmerte sich das antike Rom wenig um Übersichtlichkeit. Jeder wollte in den politischen Machenschaften der Stadt mitspielen und seinen persönlichen Vorteil daraus ziehen – ein wahrlich verwirrendes Gebilde von Beziehungen. Zu verwirrend für eine Serie, entschieden die Produzenten und reduzierten die dramatis personae auf ein absolutes Minimum. Habt ihr euch je gefragt, warum Octavian  in einem Frauenhaushalt aufwächst und wo sein Vater abgeblieben ist? Er wurde gestrichen. Stattdessen muss der sowieso schon eingeführte und etablierte Charakter Titus Pullo seine männliche Erziehung – also die militärische Ausbildung und den Besuch eines Bordells – übernehmen.

Titus Pullo trainiert mit Octavian.

Auch der Co-Konsul – der Mitvorsitzende im Senat –Julius Caesars wurde gestrichen  und durch seinen Rivalen Pompeius ersetzt, der im Laufe der ersten Staffel von größerer Bedeutung ist. Dadurch wurden in vielen Teilen Personen aus dem Skript der Serie getilgt, die sowieso nur eine kleine Rolle gespielt hätten und deren Einführung oft länger gedauert hätte als ihre eigentliche Handlung innerhalb des Plots. Nichtsdestotrotz haben die Produzenten so entscheidende Fehlstellen provoziert, die letztlich in falschen Fakten resultieren.

Der YouTube-Channel History Buffs erklärt umfassend das Problem rund um den falschen Konsul Julius Caesar.

Auf der anderen Seite muss die Serie natürlich auch historische Fehlstellen auffüllen. Rome tut dies allein aus dramaturgischen Gründen und nicht aus einem Zwang zur Visualisierung heraus, wie dies in TV-Dokumentationen der Fall ist (– auf die wir im Rahmen dieser Beitragsreihe noch zu sprechen kommen werden). Wir haben bereits an Lucius Vorenus und Titus Pullo gesehen, wie die Produzenten aus wenigen Zeilen in Caesars De Bello Gallico die Protagonisten ihrer Serie geschaffen haben. Ähnlich verhält es sich bei allen Nicht-Aristokraten, römischen Plebejern und den aristokratischen Frauen, die für die zeitgenössischen Autoren nicht von Interesse waren und entsprechend nicht erwähnt wurden. Ergänzend muss man hinzufügen, dass man schon von den aristokratischen Frauen das ein oder andere Detail aus Quellen weiß, aber daraus lange nicht so umfangreiche Handlungsstränge geschaffen werden könnten, wie sie in Rome zu finden sind. Die äußerst prominent auftretende Atia beispielsweise ist in den Quellen nicht viel mehr als eine Randnotiz.

Rom in seiner Gesamtheit – belebt und dreckig

Warum fühlt sich Rome trotz einiger teils zu verkraftender, teils folgenreicher Fehler dennoch so authentisch an? Die Antwort mag simpel erscheinen, doch die Serie erziel ihre Wirkung vor allem, weil die geschaffene Serienwelt belebt und dreckig ist .

Titus Pullo zieht betrunken durch die ärmeren, dreckigeren Viertel der Stadt Rom.

Man hat nicht das Gefühl, die Charaktere würden sich nur in einer Kulisse bewegen; anders als bei vielen anderen Produktionen widmen sich die Macher ausführlich dem Geschehen in den ärmeren und mittelständischen Vierteln der Stadt – unter anderem der Familie von Lucius Vorenus. Rome bildet damit eine Abkehr von den Monumentalfilmen der Vergangenheit, wie beispielsweise noch   oder Cleopatra , in denen meist nur die politisch bedeutenden Charaktere in einem Setting aus weißem Marmor abgebildet werden.

Honest Trailers vom YouTube-Channel Screen Junkies zeigt auf, wie Gladiator das Genre des Monumental- und Sandalenfilms in den 2000er nochmal aufleben lässt – trotz einer Zuwendung der Geschichtswissenschaft zu den politisch weniger bedeutenden Gesellsschaftsschichten.

Im Trailer zu Cleopatra wird das von Monumentalfilmen gezeichnete Bild Roms besonders deutlich – klinisch weißer Marmor und aufregende Kostüme.

Zugegebenermaßen musste gerade im Bereich der Plebejerdarstellung – der Darstellung des einfachen Volkes – kreativ-fiktiv vieles erdacht werden, da die Überlieferungslage, wie schon angeschnitten, spärlicher ist (das normale Leben ist für die Geschichtsschreibung noch nie so interessant gewesen wie das Leben der Reichen und Mächtigen). Das Gesamtbild der römischen Welt gewinnt dadurch aber an ungeheurer Tiefe.

Damit wird auch das Level der historischen Authentizität gesteigert, wenngleich der Fokus mehr auf der vom Zuschauer empfundenen Realität lag: Wirkt das Gezeigte auf diesen kohärent, einheitlich und stimmig, stellt sich bei diesem ein Authentizitätsgefühl ein, das über den ein oder anderen Ausrutscher auch mal schnell hinwegsehen lässt. Hier glänzt Rome, denn durch die äußerst belebte Darstellung der Stadt und die Wiedergabe von Lärm und Schmutz wirkt die Serie so, als wolle sie nichts glorifizieren, als bilde sie die gesamte römische Welt so ab, wie sie war und wäre entsprechend auf dem aktuellen Stand der Forschung, die nicht länger nur die großen Kriegsherren und Politiker beleuchtet. Wie wichtig diese Anknüpfung an moderne Ansichten ist, werden wir noch in den nächsten Beiträgen dieser Blog-Serie sehen.

Die Ausstattung – nahezu perfekt

Wie gesagt, Romes Authentizität hat ihre Macken. Rome hat aber auch seine guten Seiten. Eine, die noch gar nicht erwähnt wurde, ist die nahezu vollends historisch korrekte Darstellung der militärischen Ausrüstungsgegenstände.

Lucius Vorenus kommandiert seine Einheit im Kampf gegen die Gallier. In authentischer Formation! In authentischer Ausrüstung!

Die 2008 erschienene Dokumentation Rome: Rise and Fall of an Empire begeht denselben Fehler wie viele TV-Dokumentationen und steckt ihre Legionäre in die falschen Rüstungen. Obwohl es unsere Rome-Serie wenige Jahre vorher korrekt vorgemacht!

In den meisten Produktionen zu Rom werden ohne Rücksicht auf Verluste die aus Asterix bekannten Schienenpanzer verwendet. Rome greift hier, historisch korrekt, auf die Kettenhemden mit Schulterdoppelung zurück. Auch wird hier zum ersten Mal in einer handlungsbasierten Produktion gezeigt, wie die Römer tatsächlich kämpften: nämlich in Formation ! Und nicht in heroischen Einzelkämpfen, die sich natürlich besser auf der Leinwand machen. Warum im Gegenzug metallische Schilde an die Soldatenkomparsen ausgegeben wurden, bleibt ein Rätsel – die Schilde bestanden eigentlich aus verleimten Holzschichten. In vielen weiteren Bereichen der Kleidung und militärischen Ausstattung kann Rome ebenfalls vorwiegend überzeugen und oft würde es wahrlich einer Haarspalterei gleichkommen, einzelne Details als Fehler auszuweisen.

Authentisch oder kreatives Hirngespinst – abschließende Gedanken

Der grundlegende Eindruck stimmt, Rome wirkt authentisch. Ein Ersatz für den Geschichtsunterricht ist die Serie jedoch nicht – will und muss sie aber auch gar nicht sein: Denn Rome ist keine Dokumentation; sie vermittelt ein Grundverständnis der Ereignisse, doch die einzelnen Fakten sollten stets hinterfragt werden, ob sie aus einem der hier dargestellten oder einem anderen Grund heraus verändert worden sind. Obwohl unter wissenschaftlicher Perspektive sicher etliche Fehler zu Tage zu fördern wären, können wir als Fazit ziehen, dass Rome in vielen Dingen nahe genug an der historischen Realität zu bleiben versucht. Verlassen die Macher der Serie diese Pfade, dann nur, um insgesamt ein breiteres Publikum anzusprechen beziehungsweise für dieses verständlich zu bleiben. Denn machen wir uns bei aller Authentizitätsliebe nichts vor, nur mit Blick auf das Publikum, seinen Geschmack und sein Verständnis kann eine historische Serie ausreichend Profit erwirtschaften. So hat Rome den Weg für ähnliche Produktionen geebnet (Die Borgias, Outlander, Black Sails, Die Tudors usw.)  und die Begeisterung für die Vergangenheit für eine breite Masse geweckt.

Was hat euch an der Serie Rome fasziniert? Sind euch die dargestellten Fehler und Probleme aufgefallen? Schreibt es in die Facebook-Kommentare und bleibt historisch.

Valete!