Die Schattenseiten des Vinyl-Hype

Von Felix Groß, Nico Henkel

Vinyl ist wieder voll im Trend. Umsatzzahlen explodieren und Social Media ist voller Schallplatten. Wer die neuen Vinyl-Enthusiasten sind und warum der Hype für kleine Künstler*innen und Labels zum Problem wird.

in den letzten 10 Jahren hat sich die Zahl der verkauften Schallplatten in Deutschland versechsfacht[1]. 2020 erzielte die US-amerikanische Musikindustrie erstmals wieder einen höheren Umsatz aus dem Verkauf von Schallplatten als von CDs[2]. Auch in andere Ländern lassen sich ähnliche Entwicklungen verzeichnen. Immer mehr Menschen kaufen sich Musik auf Vinyl. Seit einigen Jahren herrscht ein regelrechter Boom. Zwar bildet der Verkauf von Schallplatten immer noch ein Nischenphänomen im Musikgeschäft, das nur für einen Bruchteil des Umsatzes verantwortlich ist, den die Labels über die Streamingdienste erwirtschaften. Dennoch ist es sehr beeindruckend, das ausgerechnet ein scheinbar derart angestaubtes Speichermedium wie die Schallplatte nun so eine bemerkenswerte Renaissance erfährt.

Doch wer sind diese neuen Schallplatten Enthusiasten? Eine Umfrage der BBC gibt Antworten[3]. Auffällig ist, dass über ein Drittel von Ihnen zwischen 25 und 34 Jahre alt ist. Der Plattenmarkt scheint also nicht einigen alten Nostalgikern überlassen worden zu sein sondern hat Eingang in die Generationen X und Y gefunden. Auch interessant: Gerade mal die Hälfte der Plattenkäufer benutzt zum Hören überhaupt einen Plattenspieler. Von der anderen Hälfte, die keinen nutzen, kommt immerhin nur ein kleiner Teil komplett ohne Spieler aus. Viel spannender ist, das die Mehrheit von ihnen zwar einen besitzt, allerdings offensichtlich nur zur Dekoration, denn er wird nicht genutzt.

Inszenierung auf Social Media

Doch was tun diese Leute dann mit ihren PVC Scheiben? Ein Blick auf Social Media gibt erste Antworten. Über 32 Millionen Beiträge verzeichnet Instagram alleine unter dem Hashtag #Vinyl. Darunter finden sich Bilder von riesigen privaten Schallplattensammlungen in umgenutzten Kellerräumen, zahlreiche aufwendig in Szene gesetzte Platten, aufgereiht in großen Regalen, einzeln an hohen Wänden von Altbauwohnung aufhängt und sogar auf Katzen drapiert, oder tatsächlich auch auf Plattenspielern. Bei vielen dieser Menschen wird das tatsächliche Hören einer Platte dann regelrecht zelebriert und scheint für sie besonderer Moment zu sein. Andere wiederum nutzen sie lediglich als Wanddekoration. Die Bubble und Ihre Nutzungsarten und Motivationen scheint sehr heterogen.

Klar ist aber, der Vinyl Hype ist real – und er bedroht die Plattenindustrie akut. Auch wenn Produktions- und Umsatzzahlen kontinuierlich steigen, zeigen sich zuletzt immer eindrücklicher die Schattenseiten des Booms. Die wenigen Platten-Presswerke, die auch Jahrzehnte nach der goldenen Zeit der Schallplatte noch in Betrieb sind, haben lange Wartelisten und kommen mit der aufwendigen Produktion nicht mehr hinterher. Gleichzeitig werden die zur Herstellung benötigten Rohstoffe knapp[4].

 

Schallplatten Herstellung

Die Herstellung einer Vinylschallplatte ist ein sehr aufwendiger Prozess mit vielen Arbeitsschritten:

Noch im Studio wird eine sogenannte Masterdisk bzw Lackfolie hergestellt, die als Vorlage für die Schallplatten dient. Die Audioinformation werden in eine mit einem speziellem Lack beschichtete Aluminiumscheibe geschnitten.

In einem elektrischen Bad das unter Strom steht, lagert sich Nickel auf der Lackfolie ab. Diese neue Schicht wird Stamper genannt ist quasi das Negativ, ähnlich wie bei der Fotoentwicklung.

Nun wird die Schallplatte gepresst. Das Vinyl wird von eine große hydraulische Presse zwischen den zwei Stampern für Vorder- und Rückseite bei ca 180 Grad mit über 100 Tonnen Kraft zusammengepresst.

Zwischen den Arbeitsschritten werden die Platten immer wieder mit speziellen Chemikalien  gereinigt, damit sich keine Rückstände ablagern können, die die Platte am Ende knistern lassen könnten.

Vinyl bringt die kleinen in die Bredouille

Ergebnis dieser Vinyl-Krise sind enorm gestiegene Preise und lange Wartelisten bei den Presswerken. Dies wird inzwischen vor allem für kleine Labels und Künstler*innen zu einem echten Existenzproblem. Denn die großen Fische im Musikteich haben den Hype für sich entdeckt. Die Major-Labels um Universal, Sony und Warner vermarkten inzwischen ihre großen Künstler*innen umfassend als Vinyl-Releases. Da sie meistens in der Lage sind, besser zu zahlen, also viele der ohnehin schon auf Kante genähten kleinen Labels, schnappen sie so die begehrten aber begrenzten Produktionskapazitäten weg und blockieren durch ihre schiere Mengen an Aufträgen die Presswerke für die kleinen Labels. Der Schallplattenmarkt ist auf die hohen Produktionszahlen der letzten Jahre schlicht nicht mehr ausgelegt. Und auch eine zeitnahe Besserung ist kaum in Sicht. Denn für die Presswerke ist es enorm schwierig ihre Produktionskapazitäten aufzurüsten. Sie arbeiten immer noch mit sehr alten Maschinen, für die es schon schwer genug ist, neue Ersatzteile zu bekommen, geschweige denn neue Maschinen anzuschaffen. Und auch die Zahl an qualifiziertem Personal, das die komplexen Maschinen bedienen könnte, ist knapp[5][6].

Diese Entwicklung müsste eigentlich auch den Kunden sauer aufstoßen. Und tatsächlich äußert sich auch innerhalb der Community immer öfter Ärger über steigende Preise, die Flut an großen Mainstream Künstlern und überteuerte Neuauflagen alter Klassiker. Alles Entwicklungen, für die sie aber nicht ganz unverantwortlich sind.

Slow Living auf dem Plattenspieler

Aber mindestens eine Lanze muss man für die neuen Vinyl-Enthusiasten tatsächlich brechen. Für viele von ihnen steht tatsächlich nicht das Sammeln zu Deko-Zwecken, oder das Bedürfnis, Teil des Hypes zu sein im Vordergrund. Man kann davon ausgehen, dass unter den 51%, die ihre Platten tatsächlich anhören ein großer Teil ist, für die ihre Sammlung ein inspirierendes Hobby darstellt. Das bewusste Sammeln von Musik, die einem etwas bedeutet, sich an ihrem Anblick in der eigenen Wohnung immer wieder zu erfreuen; und vor allem, sie dann ganz bewusst und in Ruhe zu hören. Sich nicht nebenher durch den Spotify-Algorithmus beschallen lassen, sondern den eigenen Musikkonsum wieder zu zelebrieren, indem man sich selber bewusst eine Schallplatte aussucht sie auflegt und in Originalreihenfolge genießt, so wie es der Künstler intendiert hat. Das klingt nach einer wahnsinnig schönen und entschleunigenden Art, sich seinem Hobby Musik zu widmen.

Quellen:

[1] https://de.m.wikipedia.org/wiki/Schallplatte#Marktentwicklung_seit_den_1980er_Jahren

[2] https://www.freitag.de/autoren/konstantin-nowotny/vinyl-hype-die-kehrseite-der-renaissance-der-schallplatte

[3] https://www.bbc.com/news/entertainment-arts-36027867

[4] https://www.br.de/radio/bayern2/sendungen/zuendfunk/vinyl-engpass-kleine-labels-in-der-krise-102.html

[5] https://www.20min.ch/story/die-kehrseite-des-record-store-day-636903951349

[6] https://www.br.de/radio/bayern2/sendungen/zuendfunk/vinyl-engpass-kleine-labels-in-der-krise-102.html