Musik Krise

Krise oder Kreativpause? – Die Lage der Musikbranche (in Zeiten von Corona)

Von Anne Schneider

Schon seit mehreren Monaten, besonders zu Beginn der Corona-Krise in Deutschland, bestimmt das Motto ‚Social Distancing‘ das Leben eines jeden von uns. Doch nicht nur unser soziales Miteinander wurde zeitweise sogar zum Stillstand gebracht, sondern auch das kulturelle Leben. Wie die Kulturszene – insbesondere die Musik- und Veranstaltungsbranche – mit den Auswirkungen der Krise umgeht, erfahrt ihr in diesem Beitrag.

In den vergangenen Monaten war unser soziales Leben durch den weltweiten Ausbruch des Coronavirus (stark) eingeschränkt. In Deutschland erfolgten die Ausgangsbeschränkungen und der Aufruf zum „Social Distancing“ im März, um weitere Infektionen mit dem Virus zu verhindern. Die neuen, bundesweiten Regelungen führten dazu, dass Museen geschlossen, der Theater- sowie Kinobetrieb eingestellt und Touren wie auch Festivals reihenweise abgesagt oder – noch optimistisch – in den Herbst oder gar ins nächste Jahr verschoben wurden.

Zwar scheint mittlerweile wieder eine Art Alltag eingekehrt zu sein bzw. haben wir uns mit der Situation einigermaßen arrangiert, doch die Musik- bzw. Veranstaltungsbranche ist immer noch am Kämpfen. Dazu zählen nicht nur die Künstler*innen, Veranstaltungsstätten, Promo- und Konzertagenturen, sondern auch viele Solo-Selbstständige wie beispielsweise Licht- und Tontechniker*innen, Bühnenbauer*innen oder Caterer, welche in der Regel vom Saisongeschäft leben. Sie alle wurden durch die Pandemie in eine Situation gebracht, der man schwerlich etwas Gutes abgewinnen kann.

Denn: Die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf den Kulturbereich sind sehr stark zu spüren und zum Teil verheerend: Kultureinrichtungen, vor allem kleine Institutionen, stehen am finanziellen Abgrund und sind von Insolvenz bedroht. Für Künstler*innen geht es um die Existenz.

Konzert

Konzert der Giant Rooks im Rahmen des Reeperbahnfestivals 2019 – damals noch mit Publikum. Foto: Anne Schneider

Ich möchte mich im Folgenden auf die Situation der Musikbranche als einen Sektor der Kulturindustrie fokussieren und habe mich gefragt: Wie schaffen es Veranstaltungsstätten wie Clubs und Kulturzentren, die auf das Einkommen aus Konzerten, Partys und generell aus Veranstaltungen angewiesen sind und kaum Rücklagen haben, diese Krise heil zu überstehen? Wie sieht die Lage der Musikschaffenden aus, deren Haupteinnahmequelle heute mehr denn je das Livebusiness ist, wenn diese wichtige Einnahme-Quelle plötzlich wegbricht? Ein Konzert oder Festival ohne ein Publikum ergibt schließlich wenig Sinn …  oder?

Der Beginn der Krise – „Ein Lied für Jetzt“

Es war Mitte März, als in Deutschland Großveranstaltungen mit mehr als 1000 Personen bis Ende August verboten wurden (mittlerweile gilt das Verbot laut einer Vereinbarung von Bund und Ländern bis mindestens Ende Oktober). Nicht nur die Veranstalter von Konzerten und Festivals waren von dieser Bestimmung hart getroffen. In den sozialen Medien zeigten sich auch die Künstler*innen emotional und um ihre Zukunft besorgt. So baten viele ihre Fans, bereits gekaufte Konzertkarten nicht zurückzugeben, sondern erst einmal zu behalten und sie zusätzlich mit dem Kauf von Merchandise zu unterstützen.

Nach einigen Wochen gewöhnten sich die Musiker*innen scheinbar jedoch an diese neuartige Situation und nahmen sie hin: Was bleibt einem auch anderes übrig, als abzuwarten? Ihnen stand nun – ganz plötzlich und ungewollt – jede Menge Freizeit zur Verfügung. Was sollte man mit der neu gewonnenen Zeit anfangen?

Eine Möglichkeit wäre es, eine Kreativpause einzulegen, um an neuen Songs zu feilen oder um neue Projekte, für die man sonst nicht die Zeit hatte, endlich einmal anzugehen: So entstanden während des Lockdowns erste Songs, in denen Musiker*innen ihre persönliche Situation, ihre Gedanken und Ängste verarbeiteten. Songs, welche die Stimmung dieser Zeit einzufangen versuchten wie „Ein Lied für Jetzt“ von den Ärzten oder „Zusammenhalten“ des Berliner Singer-Songwriters Max Prosa:

„Es kommen wieder Zeiten, da werden wir tanzen, da werden wir fliegen.
Es kommen wieder Zeiten, da werden wir uns für nichts auf der Welt verbiegen.
Doch für diese Zeiten, in denen wir uns, wie wir sind, entfalten, müssen wir jetzt zusammenhalten. Müssen wir jetzt still sein und zusammenhalten“ (Refrain)

Neben neuen Songs sind außerdem unzählige Cover veröffentlicht wurden, welche von allen Bandmitgliedern gemeinsam trotz Social Distancing und Selbstisolation in Form von Quarantäne- oder Isolation-Sessions aufgenommen wurden (am Ende des Beitrags findet ihr eine Playlist mit weiteren Songs, die während der letzten Monate entstanden sind):

Das Netz der Möglichkeiten

Da es nicht mehr möglich war, live vor einem Publikum zu spielen und auf diese Weise mit den Fans in Kontakt zu treten, verlagerten sich diese Aspekte der Kommunikation und Interaktion zunehmend ins Netz – der Digitalisierung sei Dank! Überraschend schnell wurden die sozialen Medien zur virtuellen Bühne umfunktioniert und Künstler gaben Hauskonzerte aus ihren eigenen vier Wänden. An vielen Abenden der Woche konnten Fans nun von Zuhause aus via YouTube, Instagram oder neu entwickelter Streaming-Plattformen wie dringeblieben.de digital an Konzerten und Live-Sessions teilnehmen, Kultur erleben und einen kleinen Beitrag an die Künstler*innen spenden.

Warum die Menschen jetzt Musik brauchen

Musik

Igor Levit am Flügel. Foto: RMF / Ansgar Klostermann

Einer der Ersten, der via Twitter jeden Abend ein Hauskonzert gab, war der klassische Pianist Igor Levit. Der in Berlin lebende Pianist sprach in einer Folge des ZEIT-Podcasts „Alles gesagt?“, welche Ende März aufgezeichnet wurde, ausführlich über sein Leben als Musiker, die Idee zu den Online-Konzerten und von seiner Angst um die Kulturbranche, die seiner Ansicht nach nur durch staatliche Hilfen und der Arbeit an einer Exit-Strategie aufgefangen werden könne:

„Wir planen alle und wir strampeln alle an der Wasseroberfläche gerade bis uns die Kraft ausgeht und niemand weiß wie lange […] Gebt sprachliche Perspektiven! Das fehlt mir gerade komplett und es macht benommen, es macht eng, und ich glaube das macht Angst“ [Warum brauchen Menschen jetzt Musik, Igor Levit? 86:30 min].

„Help! I need somebody. Help! Not just anybody“

Neben den Konzerten und Livestreams, welche Künstler*innen selbst auf die Beine stellten und über ihre Social-Media-Kanäle gaben, sind sogar komplette Festivals über die Bühne der sozialen Medien gegangen, meist für einen guten Zweck. Ein Beispiel wäre das von Viva con Agua organisierte Festival „Stream4Water“, das bereits mehrere Male auf Instagram stattfand. Da die NGO Viva con Agua in den vergangenen Jahren vor allem auf Festivals und Konzerten präsent war und Aufmerksamkeit für ihre Wasserprojekte erregt hatten, kamen sie nun mit dieser Aktion um die Ecke, um weiterhin Spenden für sauberes Trinkwasser, bessere Sanitärversorgungen und Hygiene zu sammeln.

Auch das Social Sofa Festival war eine Benefiz-Veranstaltung, selbstorganisiert von Künstler*innen wie Bruckner und Antje Schomaker. Anfang April startete die erste Ausgabe des Festivals mit einem bunten Online-Programm aus Konzerten, Lesungen und Gesprächen. Die Spendeneinnahmen gingen hier an NGOs wie Seebrücke oder Ärzte ohne Grenzen, um „ein Zeichen gegen Rassismus an Europas Außengrenzen und vor der eigenen Haustür“ zu setzen und Geflüchteten, die dem Virus schutzlos ausgeliefert sind, zu helfen und Solidarität zu zeigen #leavenoonebehind.

Alternativen zum klassischen Konzert und die Geburt der Auto-Konzerte

Festival

Abendsonne über dem Southside Festival 2019. Foto: Anne Schneider

Diese Online-Festivals, welche durch die Digitalisierung und neuen Medien erst möglich wurden, setzten ein Zeichen der Solidarität und gegenseitigen Unterstützung und sorgten für eine Art Gemeinschaftsgefühl und Verbundenheit in dieser ungewöhnlich isolierten und distanzierten Zeit. Ein echtes ‚Festivalfeeling‘ kam jedoch nicht auf, da der direkte, interaktive Kontakt zwischen Musiker*in und Fan nur bedingt, über Kommentare, möglich war. Dass etwas gefehlt hat, spürten die Künstler*innen auch an der irritierenden Stille nach den einzelnen Songs, an deren Stelle normalerweise Applaus und Rufe aus dem Publikum einsetzen würden. Dennoch boten diese Art von Konzerten eine gute Option, um weiterhin Livemusik erleben zu können.

Doch es war nicht so, dass wirklich alles nur noch über Online-Plattformen lief. Eine weitere Idee, die aus der Situation bzw. der Not heraus geboren wurde, waren Auto-Konzerte – ähnlich wie Auto-Kinos. Hier stehen die Musiker*innen auf der Bühne, mit ausreichend Sicherheitsabstand und einem Meer an Autos als Publikum. Statt Applaus gehörte nun lautes Hupen ins Repertoire der Beifallsbekundungen.

 

Finanzielle Unterstützung zur Rettung der Branche

Die Bundesregierung versuchte bereits seit Beginn der Krise die Kultur- und Kreativwirtschaft, die einen der größten Wirtschaftszweige in Deutschland darstellt, finanziell zu unterstützen. So äußerte sich die Kulturstaatsministerin Monika Grütters in einer Pressemitteilung vom 13. März zur Kulturbranche:

„Diese Branche ist durch Veranstaltungsabsagen, Auftragsstornierungen oder wegbrechende Einnahmen aus Ticketverkäufen und den ersatzlosen Wegfall von Gagen besonders hart und zum Teil existenziell getroffen. Sie braucht deshalb dringend Hilfe, um die großen Belastungen auszugleichen.“

Verschiedene Rettungspakete und Finanzhilfen wurden beschlossen, wie die Soforthilfe für Freie und kleine Unternehmen, ein Hilfsprogramm für Orchester und Ensembles und – erst kürzlich – das Programm Neustart Kultur mit dem Ziel, das kulturelle Leben in Deutschland in Zeiten von Corona und danach wieder anzukurbeln. Das eine Milliarde schwere Programm  solle ein  vielfältiges Kulturangebot wieder möglich machen sowie eine Beschäftigungs- und Erwerbsperspektive für Künstler*innen und Kreative schaffen.

Alarmstufe Rot!

Doch die Veranstaltungsbranche wurde auch selbst aktiv und wies auf sich und ihre prekäre Lage hin, indem verschiedene Initiativen ins Leben gerufen wurden. Mit der Night of Light, einer bundesweit angelegten Aktion am 22. Juni versuchte die Branche die breite Öffentlichkeit auf sich und ihre dramatische Situation aufmerksam zu machen und sich mit einem Hilferuf an die Politik zu wenden. Auf der Seite der Initiative heißt es:

„Die Veranstaltungswirtschaft war der erste Wirtschaftszweig, der von der COVID-19-Krise getroffen wurde und er wird auch mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit am längsten und tiefgreifendsten von den Auswirkungen betroffen sein.“

Kulturbranche Krise

Night of Light 2020. Foto: Rocketchris Photography

Am Abend des 22. Juni erstrahlten daher alle teilnehmenden Kulturstätten und Event-Locations sowie ausgewählte Bauwerke illuminiert in Rot als leuchtendes Mahnmal, um zu verdeutlichen, dass Alarmstufe Rot herrscht, sofern der Branche nicht finanziell geholfen wird. Mit Bildern und Videos unter dem Hastag #nightoflight2020 erreichte die Aktion große mediale Reichweite und Aufmerksamkeit.

Eine weitere Initiative ist „Festivals für Festivals“, initiiert von Höme. Sie unterstützt speziell die Festivallandschaft, der dieses Jahr aufgrund der Absage von Festivals ganze Umsätze wegbrechen und somit die Existenzgrundlage der Veranstalter bedroht. Über 100 deutsche Festivals haben sich zusammengesetzt, um ein Festivalprogramm zusammenzustellen, das vom 21.- 23. August online stattfinden soll und das man durch den Kauf einer Festivalbox oder einem Bändchen unterstützen und ansehen kann.

Das Ende der Krise – in Sicht?

In den letzten Wochen hat sich die Situation und unser Alltagsleben mit der sinkenden Zahl an Infektionen und den daraus resultierenden Lockerungen wieder etwas normalisiert: Menschen durften sich wieder in Gruppen treffen (immer mit Abstand natürlich), Geschäfte und die Gastronomie öffneten wieder, Schulen gaben teilweise wieder Präsenzunterricht. Ab Ende Juni gab es auch in Bezug auf (Musik-)Veranstaltungen Lockerungen. So sind jetzt bereits kleinere Konzerte erlaubt, wenn sich streng an die Hygiene-Maßnahmen und Abstandsregelungen gehalten wird.

Alles in allem kann man sagen, dass die Musikbranche in den letzten, harten Monaten mehr zusammengewachsen zu sein scheint und untereinander große Solidarität zeigt: Künstler*innen setzen sich in Form von Benefizkonzerten für Kulturinstitutionen ein, die ihnen am Herzen liegen, Veranstaltungsstätten helfen sich gegenseitig und bekommen (finanzielle) Unterstützung von vielen, denen Kultur wichtig ist. Wir wollen hoffen, dass die Musikkultur auch nach der Krise so sein wird, wie zuvor und dass sich viele der Kleinstunternehmen und Selbstständigen über diese Zeit hinwegretten können. Durch die Krise wurde erst deutlich, was für ein wichtiger Bestandteil die Kultur in unserem Leben hat und dass ohne sie eine Leerstelle zurückbleibt. Denn was wäre unsere Welt ohne Kultur? Dem stimmt auch Monika Rütters zu:

„Was im Kultur- und Medienbereich an gewachsenen Strukturen einmal wegbricht, lässt sich so schnell nicht wiederaufbauen. Das kann mittelfristig kaum vorstellbare Auswirkungen auf die Vielfalt unserer Kultur- und Medienlandschaft haben. Deshalb gilt jetzt mehr denn jemals zuvor: Kultur ist kein dekorativer Luxus, den man sich nur in guten Zeiten gönnt. Wie sehr wir sie brauchen – insbesondere was den gesellschaftlichen Zusammenhalt betrifft – sehen wir jetzt, da wir in großen Teilen auf sie verzichten müssen.“

Zum Reinhören…

Mehr Songs aus dem Lockdown und der Isolation der vergangenen Monate gibt es noch zum Nachhören in unserer *** YouTube-Playlist ***. Auch die bereits im Beitrag genannte Folge „Warum brauchen Menschen jetzt Musik, Igor Levit?“ des Podcasts „Alles gesagt?“ ist sehr hörenswert.

Wie habt ihr die vergangenen Monate erlebt? Habt ihr ebenfalls die digitalen Angebote der sozialen Medien genutzt, um weiterhin Musik und Kultur erleben zu können?