Zwischen Nähe & Distanz – Zusammenhalt in den sozialen Medien während der Corona Krise

Von Simona Langlouis

Noch vor einigen Wochen galt es als unhöflich im Beisein seiner Mitmenschen ständig das Smartphone in der Hand zu halten. Doch in Zeiten von Social Distancing sind wir auf Facebook & Co. angewiesen. Familie und Freunde sind jetzt froh, wenn wir auf diese Weise versuchen, den Kontakt aufrechtzuerhalten. Welche Chancen bringt dieses Kommunikationsverhalten für den gesellschaftlichen Zusammenhalt mit sich und was können wir davon vielleicht für die Zeit nach Corona übernehmen?

Normalerweise wird dem Smartphone nachgesagt, dafür verantwortlich zu sein, dass direkte Kommunikation in unserem Alltag regelmäßig scheitert. Statt mit unserem Gegenüber ein Gespräch anzufangen, greifen wir zu unserem mobilen Endgerät und tauchen in unsere eigenen, digitalen Welten ab.

Zusammenhalt in Krisenzeiten kann auch virtuell funktionieren. Foto: bhuvanesh gupta, Unsplash

Im Moment ist aber ganz und gar nichts mehr normal. Aufgrund des Corona Virus werden wir dazu aufgerufen, uns von unseren Mitmenschen zu distanzieren, um uns gegenseitig zu schützen. Und genau dann, wenn er etwas nicht haben kann, fällt dem Menschen auf, dass ihm etwas fehlt. In diesem Fall sind das soziale Kontakte. Und gerade deshalb sind die verschiedenen sozialen Netzwerke auf unseren Smartphones auf einmal noch unersetzlicher als sonst. Sie erzeugen für uns eine Art künstliche Nähe und überbrücken so die physische Distanz zu unseren Mitmenschen.

Solidarität in der Krise

In einem Interview mit der Zeitschrift GEO gibt der Soziologe Prof. Dr. Sighard Neckel an, dass Solidarität zwischen Menschen sich verändert, je nachdem, welcher Art von Katastrophe wir gegenüber stehen. Am Beispiel einer Pandemie wird ihm zufolge deutlich, dass Solidarität schwieriger umzusetzen ist, da wir uns durch den Kontakt mit anderen selbst schaden könnten.

Und genau hier können soziale Medien greifen: Statt uns persönlich zu treffen, weichen wir in den digitalen Raum aus und verringern so die Gefahr für uns selbst und andere. In diesem Fall kann Solidarität also sogar doppelt bestehen, einmal durch das bewusste Fernbleiben von anderen und durch die Kontaktaufnahme über die sozialen Medien.

Stimmungswandel in den sozialen Netzwerken?

Klar, wenn sich so viele Menschen im Netz aufhalten, sind wilde Verschwörungstheorien und Hass nichts Neues. Aber gerade zu Beginn der Krise ist hier auch viel Positives geschehen, das nicht einfach so vernachlässigt werden sollte. Die „sozialen“ Netzwerke schienen ihrem Namen gerecht zu werden und entwickelten sich in einigen Bereichen verstärkt zu einem Raum des konstruktiven Beisammenseins. Besonders an dieser Situation war, dass der neugewonnene Zusammenhalt offen kommuniziert wurde. So schreibt die Frankfurter Allgemeine Zeitung am 15. März:

„Ob es um Vernetzung für zwangsarbeitslose Selbstständige, Wissensaustausch fürs Home Office oder Ratschläge für  Quarantäne-Beschäftigungen geht: Nutzer tauschen sich über Länder hinweg aus und solidarisieren sich mit denen, die es schwer haben.“

Solidarität ist hierbei erneut ein wichtiges Stichwort, das sich hinter verschiedenen Hashtags, wie zum Beispiel #stayathome oder #supportyourlocals verbirgt. Die Menschen ermuntern sich so gegenseitig, füreinander einzustehen und einen kleinen Beitrag für eine funktionierende Gemeinschaft zu leisten.

Soziale Netzwerke scheinen in der Krise deutlich an Relevanz zu gewinnen. Foto: Rodion Kutsaev, Unsplash

Interessant ist ebenfalls, dass die Nutzer*innen der sozialen Netzwerke versuchen, die Bemühungen um ein positives Klima im Netz aufrechtzuerhalten. So gibt es in dieser Zeit verstärkt verschiedene Challenges und lustige Videos, die eine Ablenkung vom Alltag bieten können. Ein Beispiel ist die „Blinding Lights-Challenge“, bei der auf Tik Tok zum dem gleichnamigen Lied von „The Weeknd“ getanzt wird. So wird eine Art Gemeinschaftsgefühl erzeugt, da man sich online die Videos von Menschen in der ganzen Welt anschauen kann. Da wir durch das Ausbleiben realer Kontakte keine direkte Rückmeldung auf unser Handeln bekommen können, bieten die sozialen Medien dieses Potential durch Kommentar- und Like-Funktionen. 

Wenn Worte in die Tat umgesetzt werden

Der Wille etwas Positives zu leisten, geht bei manchen aber auch über ein einfaches Posting und kleine Beiträge hinaus und so wird auch aktiv Hilfe angeboten. Einige wollen ihre freie Zeit und Arbeitskraft zur Verfügung stellen und nutzen die sozialen Netzwerke, um dies kund zu tun. So schreibt beispielsweise die Welt über die „NachbarschaftsChallenge“, bei der für Mitmenschen in der Umgebung zum Beispiel Einkäufe getätigt werden sollen. Eine gemeinnützige Aktion, doch unter dem Artikel äußern sich auch einige kritisch, dass dies doch eigentlich selbstverständlich sein sollte, nicht nur während der Corona Krise. Auch in Tübingen ist die #NachbarschaftsChallenge bei Facebook auf Interesse gestoßen. Mehrere hundert Nutzer*innen schlossen sich seit Beginn der Krise online zu einer Gruppe zusammen.

Die Hilfsbereitschaft in den sozialen Netzwerken kann somit Online-Plattformen zur Koordinierung der vielen Helfenden in die Wege leiten und somit effektiv Menschen vereinen, die ein gemeinsames Ziel erreichen wollen.

Und nach der Krise?

Was nach der Krise mit dem neugewonnenen Zusammenhalt geschieht ist fraglich. Da es zumindest im kleinen Kreis wieder erlaubt ist, sich real mit anderen zu treffen, ist anzunehmen, dass sich die enorme Aufmerksamkeit der Menschen auf den digitalen Raum nach und nach vermindern wird. Im Moment scheint die Solidarität sogar eher wieder in den Hintergrund zu treten. Viele Menschen haben genug vom Krisenmodus und wollen zunehmend in ein alltägliches Leben zurückkehren. Anstelle von Optimismus rücken mancherorts Verschwörungstheorien und Unzufriedenheit über die zahlreichen Schutzmaßnahmen. Auch der abendliche Applaus für Pflegekräfte und Ärzte scheint verstummt zu sein. Doch die Momentaufnahme zu Beginn der Krise hat uns zumindest eines ganz deutlich aufgezeigt: Unser alltägliches Leben ist eng mit sozialen Medien verwoben und wenn es darauf ankommt, kann Kommunikation auch zu großen Teilen digital gelingen und einen echten Mehrwert für die Gesellschaft bringen.

So schreibt der Trend- und Zukunftsforscher Matthias Horx:

„Paradoxerweise erzeugte die körperliche Distanz, die der Virus erzwang, gleichzeitig neue Nähe. Wir haben Menschen kennengelernt, die wir sonst nie kennengelernt hätten. Wir haben alte Freunde wieder häufiger kontaktiert, Bindungen verstärkt, die lose und locker geworden waren.“

Damit dies aber nicht so schnell wieder in Vergessenheit gerät, wäre es sicherlich sinnvoll, entstandene Hilfsportale und Facebook-Gruppen auch nach der Pandemie nicht einfach aufzugeben. So können die Nutzer*innen weiterhin unkompliziert ihre Hilfe anbieten und Hilfesuchende können von diesem Angebot profitieren.

Wie habt ihr den Zusammenhalt zu Beginn der Krise in den sozialen Netzwerken erlebt?

Gerne in die Kommentare schreiben!☺

Quellen: