Der Kampf um die Kohle – Kreative im Internet

von Sandra Fuhrmann

Ein Blick in die Zukunft – was würden SOPA und Co. für Kreative wirklich bedeuten?

„Pervers. Antiliberal. Antiinnovativ.“ Die Kommentare, die man im Internet zu den neuesten Gesetzesplänen der Regierungen findet, sind meist wenig schmeichelhaft. Die verschiedenen Protestaktionen der letzten Wochen haben sie erst auf den Bildschirm des öffentlichen Interesses geholt:  ACTA, SOPA und PIPA. Ob schwarze Seiten bei Wikipedia oder bei Straßendemonstrationen in Polen. Bei Internetnutzern, Anbietern von Internetseiten und sogar verschiedenen Parteien regt sich heftiger Wiederstand gegen die geplanten Abkommen die der Internetpiraterie weltweit zu Leibe rücken sollen.

Wer bereits von den Gesetzen gehört hat, kennt auch die wesentlichen Kritikpunkte: Behinderung von Innovationen und Meinungsfreiheit, Überwachung der Nutzer, keine Transparenz beim Entstehungsprozess der Abkommen und eine Behinderung des Kulturaustauschs. „Gesetze, die die Reichen reich halten sollen und die Armen arm“, heißt es im selben Kommentar, der unter einem Online-Artikel der Zeit zu finden ist. Gerechter Zorn gegen eine ungerechte Sache?

Zumindest in Internetnutzerkreisen scheint es darüber wenig Zweifel zu geben. Doch bei aller Empörung: Ist der Grundgedanke, der hinter ACTA und Co. steht tatsächlich so schlecht? Schließlich haben die Gesetze letztendlich nichts anderes zum Ziel, als die Überwachungskamera im Supermarkt um die Ecke: Das Eigentum derer zu schützen, denen es rechtmäßig zusteht.

Im Kreuzfeuer

Der deutsche Journalist Christoph Keese bezieht in seinem Blog „der Presseschauder“ kritisch zu den Protesten Stellung:

Bei der Durchsetzung des Urheberrechts geht es eben nicht um Zensur, sondern um den Schutz von Kreativen vor Ausbeutung. Urheberrechts-Aktivisten wollen, dass nicht Kim Schmitz sich eine neue Villa und fünf neue Coupés zulegt, sondern dass Wolfgang Blau genug Redakteure hat, um vernünftig arbeiten zu können.

Damit setzt er sich prompt einem Kreuzfeuer aus Gegenargumenten und Kritik aus.  Zum Großteil beruhen Keeses Argumente auf Überlegungen, die für alle schwer nachvollziehbar sein dürften, die sich nicht von Studien- oder Berufswegen aus mit Umwandlungsraten, Grenz- und Vollkosten oder Deckungsbeiträge auskennen. Kurz zusammengefasst lautet Keeses Fazit, dass mehr Piraterie zwangsläufig zu einem Rückgang der Produktion und damit zum Aussterben der professionellen Künstler führen muss.

Wie hoch der Schaden ist, beziffert die Welt: 1,2 Milliarden Euro für Deutschland, 1,7 Mrd. für Frankreich, 9,9 Mrd. für alle EU-Länder zusammen. In den USA sind die Zahlen sogar noch verheerender: Zwischen 200 und 250 Milliarden US-Dollar Verlust jährlich und der Abbau von 750.000 Arbeitsplätzen. Es liegt also nahe, Keese recht zu geben. Doch es bleibt ein aber…

Ja, aber..

Ja, aber wie kommen diese Zahlen überhaupt zustande? Hätte jeder, der Musik illegal herunterlädt, die CD tatsächlich gekauft, wenn ihm diese kostenlose Möglichkeit nicht zur Verfügung stünde? Die Zahl an illegalen Kopien mit der Verlustmenge zu korrelieren scheint unangemessen.

And there’s another problem: even in the instances where Internet piracy results in a lost sale, how does that lost sale affect the job market? While jobs may be lost in the movie or music industry, they might be created in another. Money that a pirate doesn’t spend on movies and songs is almost certain to be spent elsewhere.

Diese These ist sicher ein interessanter Gedanke. Allerdings ist fraglich, ob man so weit gehen möchte zu behaupten, dass Online-Piraterie Arbeitsplätze in anderen Branchen schafft. Die Annahme, dass nicht für Musik oder andere Inhalte ausgegebenes Geld automatisch in andere Produkte investiert wird, scheint ein wenig wage. Den betroffenen Künstlern würde das, ganz nebenbei, wenig nützen. Der Vorschlag ihren Beruf an den Nagel zu hängen und stattdessen in eine lukrativere Branche zu wechseln, dürfte bei ihnen auf wenig Euphorie treffen.

Der Mythos

Eine Studie der Harvard Business School aus dem Jahr 2009, in der festgestellt wird, dass sich die Zahl der Musikproduktionen seit dem Jahr 2000 jährlich mehr als verdoppelt hat jedoch, stützt die Anti-ACTA-Argumente. Die Musikindustrie versucht demnach lediglich den Mythos von den Schäden durch Internet-Piraterie aufrecht zu erhalten. Ganz ähnliche Aussagen kommen interessanterweise von manchen Produktionsfirmen und Künstlern selbst. So ist Mikael Hed, Chef der Firma Rovio Mobile, die durch das Social Game „Angry Birds“ bekannt wurde, der Meinung, dass die Popularität von Produkten durch die Verbreitung über Piraterie sogar gesteigert werden könnte. Rovio Mobile wolle aus den Fehlern der Musikindustrie lernen, so Hed und behandle seine Kunden aus diesem Grund als Fans.

Eine „teure und teilweise auch überflüssige Verwertungskette“ nennt Sänger und Labelinhaber Bruno Kramm viele Berufe in der Musikindustrie. Seine Band „Das Ich“ habe für ihre Tournee im Jahr 2000 gerade einmal 97 Mark von der GEMA erhalten. Der Verteilungsschlüssel bevorzuge automatisch große Rechteinhaber wie beispielsweise Dieter Bohlen. Da durch das Internet jedoch jeder zu seinem eigenen Produzenten werden kann, bieten sich dadurch ganz neue Möglichkeiten. Kramm bezeichnet es als ein „demokratisches und unermessliches Promotionsinstrument“.

Müssen es also tatsächlich gleich die ganz harten Geschütze sein? Nicht einmal Keese bestreitet, dass einige Formulierungen bei ACTA zu wünschen übrig lassen. Genau gesagt, würde das Abkommen das Promotion-Instrument Internet in seiner Unermesslichkeit massiv beschneiden. Dass es auch andere Mittel und Wege gibt, dafür ist die Band „The Indelicates“ der Beweis. Die Briten bieten ihre Songs kostenlos zum Download an und schlagen ihren Fans vor, einfach so viel dafür zu zahlen, wie ihnen der Song wert ist – und das offenbar mit Erfolg.

„Das Gesetz ist der Freund des Schwachen.“ Vielleicht trifft dieses Zitat auf ACTA nicht unbedingt zu. Aber schließlich gab es zu Zeiten Schillers auch noch kein Internet. Also halten wir uns doch lieber an Montesquieu, der sagte „Etwas ist nicht recht, weil es Gesetz ist, sondern es muss Gesetz sein, weil es recht ist.“ und vergessen dabei nicht, dass die Zahlen, die über die Verluste kursieren, sich teilweise um Milliardenbeträge voneinander unterscheiden.

Fotos: flickr/See-ming Lee (CC BY-SA 2.0) , flickr/AK_74 (CC BY-NC-SA 2.0)

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