Der mediale „rosa Winkel“

von Alexander Karl

Alice Schwarzer und Stefan Niggemeier diskutieren: Dürfen Politiker und Prominente öffentlich geoutet werden? Diese Frage ploppt immer wieder in den Medien auf, meistens aber erst dann, wenn es bereits zu spät ist und Homosexuelle aus ihren Schränken gezerrt wurden – im Namen der Gleichstellung, wohlgemerkt. Was aber vergessen wird: Dieses unfreiwillige Outing kommt einem Stigma, eben einem medialen „rosa Winkel“, gleich und zeigt, was im Argen liegt.

Die Causa Altmaier

Am 15. Juli 2012 erschien in der BILD am Sonntag ein Interview mit dem deutschen Bundesumweltminister Peter Altmaier. Darin spricht er auch über sein Single-Dasein:

Ich bin ein sehr geselliger und kommunikativer Mensch. Doch der liebe Gott hat es so gefügt, dass ich unverheiratet und allein durchs Leben gehe. Deshalb kann in den Archiven auch nichts über eine Beziehung stehen. Ich hadere nicht mit meinem Schicksal. Wenn es anders wäre, wäre ich längst verheiratet oder in einer festen Beziehung.

Daraufhin veröffentlichte taz-Redakteur Jan Feddersen einen Text, in dem er die Frage aufwirft, ob Altmaier nun schwul sei: „Auch Bild am Sonntag hat sich nicht getraut, die direkte Frage zu formulieren: »Herr Minister, bei aller Liebe zu Gorleben und zur Endlagerfrage, aber: Sind Sie sch …?«“ Kaum waren Feddersens Worten in Umlauf, war Altmaier aus dem Schrank – herausgezogen von der taz, mit dem Stempel „schwul, aber er steht nicht dazu“ versehen. Ein medialer „rosa Winkel“ eben, ein Stigma und eine Kategorie, die Altmaier nur schwerlich loswerden wird. Es folgte von taz-Chefredakteurin Ines Pohl so etwas wie ein Rückzieher: Sie löschte den Artikel online und schrieb eine Entschuldigung:

… politisch wie moralisch ist die sexuelle Orientierung eines Menschen irrelevant. Sie ist Privatsache. Entsprechend sollte sich die taz weder an Zwangsoutings noch an Gerüchten über die sexuelle Orientierung beteiligen.

Eigentlich war es klar, dass solch eine Stellungnahme die Debatte um Altmaiers Sexualität noch zusätzlich befeuern und mit weitere (Pseudo-) Fragen hervorrufen würde. Dazu gehört eine (rechtlich wie ethisch) wichtige Frage: Dürfen die Medien Menschen outen? Dass sie es können, ist bekannt (media-bubble.de berichtete). Und so formieren sich im Netz derzeit zwei Lager: Jene, die eine Diskussion um Altmaiers Sexualität OK bis wichtig und richtig finden und solche, die für ein privates Privatleben eintreten.

Niggemeier vs. Schwarzer

Auf der einen Seite steht etwa Stefan Niggemeier, der sagt: „Ich weiß nicht, ob Peter Altmaier schwul ist. Aber ich finde es — anders als die Chefredakteurin der »taz« — legitim, darüber zu spekulieren.“ Wohlgemerkt ist Stefan Niggemeier nicht Redakteur bei taz oder BILD, sondern Deutschlands bekanntester Blogger, Mitbegründer des BILDblogs und Spiegel-Redakteur. Seine Argumentation zielt vor allem auf Altmaiers politisches Handeln ab: „Natürlich ist es politisch relevant, ob Peter Altmaier schwul ist, wenn Peter Altmaier im Parlament gegen die Gleichstellung von Schwulen stimmt. […] Es ist selbstverständlich eminent politisch, ob und wie schwule Politiker und Prominente zu ihrem Schwulsein stehen.“ Niggemeier schließt seinen Artikel mit folgender Überlegung:

Peter Altmaier ist entweder jemand, der glaubt, dass seine Homosexualität etwas ist, das er verschweigen muss. Oder er wird für schwul gehalten, obwohl er es gar nicht ist. Wenn er selbst nicht bereit ist, für Aufklärung zu sorgen, muss man wenigstens darüber diskutieren dürfen.

Ja, Niggemeier hat recht – und doch wieder nicht. Natürlich ist es ein schreckliches Zeichen, wenn homosexuelle Politiker gegen Rechte von Homosexuellen stimmen – wie erst Ende Juni, als die Eheöffnung für gleichgeschlechtliche Paare zur Abstimmung stand und kein Abgeordneter von Union und FDP sich zu einem „Ja“ durchringen konnte. Übrigens nicht einmal Guido Westerwelle, der bei der namentlichen Abstimmung keine Stimme abgab. Natürlich wäre es wünschenswert, wenn wenigestens die offen homosexuell Lebenden für ihre Rechte einstünden. Aber gibt es der Presse deshalb das Recht, über die sexuelle Orientierung von Politikern zu spekulieren?

Alice Schwarzer findet dies nicht. Sie sagt: „Jemand, der aufruft zum Zwangsouten, ignoriert nicht nur diese Realitäten, sondern pfeift auch auf die Menschlichkeit.“ Und dazu zählt sie auch Niggemeier, dessen Sexualität sie einerseits nicht interessiere, sie sich aber andererseits den Satz „Es heißt, er sei schwul“ nicht sparen kann. Für Schwarzer aber geht in der Altmaier-Diskussion vor allem um die Fragen, warum man Politiker zu einem Zwangsouting zwingen muss:

Wir sind also Lichtjahre entfernt von einer gelassenen und gesicherten Gleichstellung von Homo- und Heterosexualität. Wer hat da das Recht, Betroffene aufs Eis zu schicken! Es ist ausschließlich an den homosexuellen Frauen bzw. Männern selber, zu bestimmen, ob und wenn ja, wie sie ihre Homosexualität öffentlich machen. Alles andere kommt einer seelischen Vergewaltigung gleich.

Die gleiche Sache – andersrum

Liest man zwischen den Zeilen, wird eines klar: Stefan Niggemeier und Alice Schwarzer kämpfen an der gleichen Front. Sie fordern, das Homosexualität in der Gesellschaft nicht mehr als randständig, sondern als natürliche Realität betrachtet wird. Während Niggemeier eventuelle Zwangsoutings für die Sache in Kauf nimmt, wehrt Schwarzer diese ab, verteufelt sie. Was dadurch aber in der Debatte untergeht, sind die zentralen Fragen: In welcher Gesellschaft leben wir, in der Politiker und andere Prominente noch immer aufgrund ihrer Sexualität diffamiert werden? Warum sind es nicht viel öfter die Medien selbst, die für diese Gleichstellung eintreten und eben nicht nur Menschen aus den Schränken zerren? Diese Probleme sind letztlich hausgemacht: Meines Wissens hat sich Angela Merkel noch nie öffentlich für homosexuelle Rechte ausgesprochen, wie es etwa Obama getan hat. Meines Wissens gab es keinen Aufschrei in den Medien, als die Eheöffnung im Bundestag abgelehnt wurde. Meines Wissens hat noch keine Zeitung eine große Kampagne zum Thema homosexueller Akzeptanz gestartet, wie es einst der Stern bei den Abtreibungen tat.

Solange die Medien selbst Homosexualität nicht als gesellschaftlich relevantes Thema betrachten, werden sie weiterhin „rosa Winkel“ verteilen, die sie Prominenten – zu recht oder zu unrecht – anheftet. Die Medien selbst haben es in der Hand, wie Homosexuelle wahrgenommen werden. Wenn das Thema weiterhin marktschreierisch behandelt, Klischees bedient und Offenheit nur geheuchelt wird, werden weiterhin Einzelfälle unter dem Vorwand ihrer Bekanntheit an die Oberfläche gezerrt und mit einem medialen „rosa Winkel“ dekoriert.

 

Foto: flickr/unclefuz (CC BY-NC 2.0) , CDU/CSU-Bundestagsfraktion/Christian Doppelgatz

Teurer Datentransport

von Pascal Thiel

Es war ein Aufschrei der Computerfachwelt, der Presse, der Öffentlichkeit: Die Gema macht USB-Sticks und Speicherkarten teurer! Die Süddeutsche Zeitung skandierte sogar „Gema erhöht Speicher-Gebühren um 1850 Prozent“. Auch von den Branchenverbänden kam scharfe Kritik. Was war passiert?

Größere Datenträger und das liebe Geld

Mai 2012: In einer Erklärung gibt die Zentralstelle für private Überspielungsrechte (ZPÜ) bekannt, die Abgaben für urheberrechtlich geschützte Dateien bei USB-Sticks und Speicherkarten aller Art massiv zu erhöhen. Gab es zuletzt noch eine Pauschalabgabe pro Gerät von 0,10 €, zahlt man nun seit Beginn Juli diesen Jahres für USB-Sticks zwischen 0,91 € und 1,56 €, für Speicherkarten 0,91 € bis 1,95 € auf den Warenpreis obenauf. Somit steigt die Abgabe bei Speicherkarten mit einem Speichervolumen von über 4 GB um fast 2000 Prozent.

Doch wie kam es dazu? Die ursprüngliche Abgabe von 10 Cent habe nach Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs in den Jahren 2010 und 2011 nicht aufrechterhalten werden können, so die Gema. Somit habe man den 2010 geschlossenen Vertrag zwischen der ZPÜ und den Verbänden der Branche aufkündigen müssen. Da diese sich jedoch nicht an die neuen rechtlichen Gegebenheiten anpassen haben wollen, wurden sie im Prozess der Neuregelung ausgeschlossen. Den enormen Anstieg der ZPÜ-Abgaben rechtfertigt die Gema, eine der Gesellschafter der ZPÜ, mit immer gewaltigeren Speichervolumina und einer größeren Lebensdauer von Datenträgern: Während der Gesamtlebensdauer eines USB-Sticks würden „677 Musiktitel, 541 professionelle Fotografien, Bilder oder Kunstwerke, 93 Graphiken und 66 Teile aus Büchern“ vervielfältigt werden können. Die „betroffenen Rechteinhaber“ – Urheber, Künstler und Produzenten – müsse man angemessen vergüten und dabei stets die wirtschaftliche Angemessenheit im Blick haben, so die Gema in einer offiziellen Erklärung.

Widerstand

Erstmals wurde der Tarif ohne eine Absprache mit den Branchenverbänden festgelegt. Diese laufen nun Sturm. Der Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e.V. (Bitkom) kritisiert die neue Regelung als ungerechtfertigt und unverhältnismäßig: „Das Nutzungsverhalten kann sich nicht einfach über Nacht ändern“, so Judith Steinbrecher, Bereichsleiterin Urheberrecht. In einer Pressemitteilung erklärt der Bitkom weiter, solche „Mondtarife“ seinen kein „fairer Interessenausgleich zwischen Verbrauchern, Rechteinhabern und Wirtschaft“. Man nehme in Kauf, dass viele Produkte bis zu einem Drittel teurer würden. Steinbrecher sieht hier das Gesetz zum Urheberrecht verletzt: „Paragraf 54a Absatz 4 schreibt ein angemessenes Verhältnis der Gebühr zum Preisniveau des Speichermediums vor.“ Dies sei jedoch mit den neuen Gebühren nicht mehr der Fall. Der Bitkom hat bereits angekündigt, rechtlich gegen den neuen ZPÜ-Tarif vorgehen zu wollen, der Informationskreis AufnahmeMedien (IM) befindet sich in einem laufenden Gerichtsverfahren.

Folgen

Tatsächlich hat die Anhebung der Tarifbeträge umfassende Konsequenzen. USB-Sticks und Speicherkarten aller Art werden allein rechnerisch um etwa 25 Prozent teurer. Offen bleibt, wie die Hersteller auf die Tarife reagieren. Am Ende muss wohl der Konsument, der Steuerzahler selbst, tiefer in die Tasche greifen. Zudem kann die Gebühr den Wirtschaftsstandort Deutschland potentiell beeinträchtigen, da es in vielen EU-Staaten keine bzw. keine solch hohe Gebühren gibt.

Offen ist auch, ob und wie gewährleistet werden soll, dass die Urheber die Abgabe auch wirklich erhalten. Ist dies nicht sichergestellt, so sind Zweifel an der Rechtmäßigkeit, der Sinnhaftigkeit, der Legitimation der Abgabe durchaus gerechtfertigt. Sicher ist: Von der ZPÜ-Gebühr profitieren im Endeffekt nur die Mitglieder der Gema. Besteht diese Mitgliedschaft nicht – was nicht selten der Fall ist – profitiert der Urheber nicht von der Gebühr. Dass der kleine Fotograf, dessen Bild ich mir via Google auf meinen USB-Stick gezogen habe, seinen Anteil der neuen Abgabe erhält, kann ich mir also nicht sicher sein.

Doch ein Speichermedium speichert nicht nur, wie von der ZPÜ intendiert, Kopien urheberrechtlich geschützter Dateien, sondern auch persönliche, private, eigens erstellte Dateien. Diese Art der Nutzung befreit nicht von der neuen Gebühr. Unabhängig davon, ob man nun veröffentlichte oder private Dateien auf seinen Datenträger lädt, zahlt man die Gebühr. Eine normativ bedenkliche Situation: Man muss für den privaten Transfer seiner eigenen Dateien bezahlen.

Doch die Kritik des Bitkom betrifft diese Problematik nicht. Im 2010 geschlossenen Vertrag genossen der Verband und seine Mitglieder das Privileg einer zusätzlich vergünstigten Gebühr von acht Cent. Dies ist nun nicht mehr der Fall. Verkörpert die Kritik an der neuen ZPÜ-Gebühr also eher den Groll des Verbands der GEMA gegenüber aufgrund des Verlusts der privilegierten Position? Die Antwort fällt schwer, jedoch konstituiert sich die Motivlage wohl eher aus einer Mischung von konsumentorientierten, selbstbezogenen und wirtschaftlichen Aspekten.

Nebenbei sei betont, dass nicht nur USB-Sticks und Speicherkarten von einer Gebührenerhöhung betroffen sind. Auch für externe Festplatten werde eine neue Gebühr gefordert, so Bitkom und IM, die bis zu neun Euro pro Stück betragen könnte. Für Handys betrugen die Gebühren bis 2011 mit Touchscreen 11, ohne Touchscreen 4 Euro. Im Juli 2011 wurden sie rückwirkend für Handys mit Touchscreen auf 36 Euro (mit einer Speicherkapazität ab acht GB) und 16 Euro (mit einer Speicherkapazität unter acht GB) bzw. für herkömmliche Handys auf 12 Euro erhöht.

Somit müssen sich die Konsumenten auf lange Sicht wohl auf steigende Preise im Elektroniksektor einstellen.

Fotos: flickr/joshlowensohn (CC BY-NC-ND 2.0), flickr/willispaetzel (CC BY-NC-SA 2.0)

 

Bei Märchen gibt es kein Copy-Paste

von Alexander Karl

Professor Dr. Susanne Marschall ist nicht nur Expertin für Filme und Serien, sondern auch für Mythen und Märchen. Sie selbst ist ein großer Fan von Jean Cocteaus Die Schöne und das Biest. Mit media-bubble.de sprach sie über den Subtext in Märchen, die Rückbesinnung auf die Düsternis und das Frauenbild in Twilight.

media-bubble.de: Frau Marschall, sind Märchen Kinderkram?

Susanne Marschall: Nein, ganz im Gegenteil. Zwar wurden die bekannten Märchen der Gebrüder Grimm überwiegend als Kinderliteratur rezipiert, doch wenn man genauer hinsieht, entdeckt man viele „erwachsene“ Themen und zwar gerade in den bekannten Märchenstoffen. Tod, Einsamkeit, Ausgrenzung und schließlich Sexualität sind wichtige Themen des Märchens.

Wo denn zum Beispiel?

Etwa in Rotkäppchen: Die Begegnung mit dem Wolf wurde häufig als sexuelle Initiation interpretiert. Aber auch das Abschneiden der Ferse bei Aschenputtel kann als pervertierte Form der Sexualität verstanden werden. Viele Märchen sind durch solche Subtexte geprägt. Zum Beispiel das Leitmotiv der Verwandlung – etwa vom Mensch zum Wolf – lässt sich als Metapher für die wilde Seite der menschlichen Existenz verstehen. Symbolisch werden Tiere mit unkontrollierten Trieben in Verbindung gebracht, wobei dies natürlich nur die menschliche Sicht der Dinge ist.

Die Gebrüder Grimm sind in Deutschland die bekanntesten Märchenerzähler, obwohl ihre Werke vom Anfang des 19. Jahrhunderts stammen. Woher kommt das?

Die Sammlung und Bearbeitung von oral tradierten Märchen durch die Gebrüder Grimm im frühen 19. Jahrhundert begründete die wissenschaftliche Märchenkunde. Das war ein immenses Projekt und hat dazu geführt, dass in der Folge ein riesiger Fundus an Stoffen gedruckt zur Verfügung stand. Dazu kamen dann zum Beispiel noch die orientalischen Märchen usw. Es warteten plötzlich so viele Plots auf weitere künstlerische Auseinandersetzungen, dass es wahrscheinlich sehr schwer war und ist, etwas grundsätzlich Neues zu erfinden.

Auch die Gebrüder Grimm haben bekannte Erzählungen adaptiert und teilweise verändert. Begann die Copy-Paste-Kultur dann nicht schon vor dem Internetzeitalter?

Nein, bei Märchen würde ich das nicht Copy-Paste nennen, sondern eine „Arbeit am Märchen“ in Anlehnung an Hans Blumenbergs großartiges Buch „Arbeit am Mythos“. Blumenberg stellt die These auf, dass Menschen Mythen brauchen, um ihre Erfahrungen mit der oft unverständlichen Umwelt zu verarbeiten. Mythen sind für Blumenberg Geschichten mit einem starken narrativen Kern und vielfältigen Variationsmöglichkeiten. Sie sind dazu da, weiter erzählt, verändert und neu gelesen zu werden. Ob man das nun im Buch, auf der Theaterbühne, im Film oder sogar im Comic tut, ist in diesem Kontext erst einmal zweitrangig. Wichtig ist die Offenheit des mythischen bzw. des märchenhaften Textes für das Neue, also auch für die neuen Themen der Gegenwart. Exemplarisch kann man dies am Mythos des Prometheus sehen, der den Menschen erschaffen hat, und an Pygmalion, der sich eine künstliche Frau gebastelt hat. Aus diesen griechischen Sagen gingen romantische Schauergeschichten wie Mary Shelleys Frankenstein und E.T.A. Hoffmanns Der Sandmann hervor. Das Kino machte den Cyborg, den Maschinenmenschen, zur populären Denkfigur, die sich mit jeder technischen Innovation verbinden lässt.

Gilt das dann auch für Märchen?

Ja, auch Märchen haben einen narrativen Kern. Der Mensch arbeitet an seinen Märchen, um mit den Fragen, die er für sich nicht beantworten kann, fertig zu werden. Er entmachtet sozusagen die Alltagserfahrung, indem er sie in Erzählungen verpackt – und er personalisiert tradierte Stoffe durch Abwandlungen. Auch bei Märchen findet sich diese Dynamik zwischen symbolischen Kern und Variation. Darum sind sie wie die Mythen unsterblich.

Das Düstere gehört zum Märchen

In diesem Jahr erschien der Film Snow White and the Huntsman mit Charlize Theron und Kirsten Stewart, der eine düsterte Version der Geschichte von Schneewittchen erzählt. Ist das ein Beispiel für die Rückbesinnung auf die Ursprünge der Märchen?

Das Düstere gehört zum Märchen und insofern ist das wirklich eine Rückbesinnung. Schneewittchen ist dafür ein gutes Beispiel: Aus Eifersucht auf Schneewittchens Schönheit trachtet die Stiefmutter schon dem kleinen Mädchen nach dem Leben. Das ist eine sehr brutale Geschichte. In der Pädagogik wurde und wird diskutiert, ob Märchen überhaupt für Kinder tauglich sind, weil sie oft so abgründig sind.

Gibt es auch bei Märchen einen idealen Aufbau?

Ja, ein Märchen fängt mit einer Formel an und endet auch so. „Es war einmal … und wenn sie nicht gestorben sind…“ Märchen und Mythen folgen festen Mustern, die vor allem für die mündliche Tradierung wichtig sind: Dramaturgie hilft der Erinnerung. Die Geschichten brauchten den festen Rahmen, damit man sie sich merken konnte. Zum Märchen gehören aber auch Motive wie Verwandlungen oder die Reise der Figuren ins Ungewisse. Überhaupt sind Landschaften wichtig. „Das kalte Herz“ des schwäbischen Romantikers Wilhelm Hauff – er hat übrigens in Tübingen studiert – ist ohne seinen Ort, den Schwarzwald, nicht denkbar. In diesem dunklen, geheimnisvollen Wald können ein Glasmännlein und ein Holländer-Michel ihr Unwesen treiben – das kann man sich gut vorstellen.

Wichtig für Märchen sind auch die Antagonisten. Bei Schneewittchen, aber auch bei Hänsel und Gretel, ist es die böse Stiefmutter. Ist es Zufall, dass es oft Frauen sind?

Es sind ja nicht immer Frauen. Aber die Thematisierung der bösen Stiefmutter spielt mit Sicherheit auch auf früher existierende familiäre Problemfelder an, zu Zeiten, als der Blutsverwandtschaft ein großes Gewicht gegeben wurde. Heute leben wir zum Glück in diesem Sinne freier, unsere Vorstellung von Familie hat sich stark gewandelt. Märchen wurden und werden durch den gesellschaftlichen und kulturellen Wandel geprägt. Darum ist ein Märchenfilm wie der aktuelle Blockbuster Spieglein, Spieglein, bei dem der Inder Tarsem Singh Regie geführt hat, besonders interessant. Das Märchen wird global und stilistisch hybrid.

Das Wiki „TV Tropes“ nennt die Rückbesinnung auf die düsteren Wurzeln „Grimmification“. Wie sieht die Wissenschaft das? Gibt es einen Trend?

Es gibt sicher diesen Trend, aber auch Vorreiter der „Grimmification“. Etwa die Rotkäppchen-Adaption Die Zeit der Wölfe von Neil Jordan aus dem Jahr 1984, der das Märchen als böses Pubertätsdrama inszeniert und fast wie ein Horrorfilm daherkommt. Generell aber lässt sich ein zunehmendes Interesse der Filmemacher an Märchenstoffen beobachten.

Woran liegt das?

Das liegt vielleicht an dem Fantasy-Boom der letzten Jahre, dem keine wirklich großen Würfe in den Dimensionen von Herr der Ringe und Harry Potter mehr gelingen. Von Fantasy zum Märchen ist es dann filmisch oft nur ein Katzensprung, weil viele Filme das in beiden Genres beliebte Spektakel in den Mittelpunkt stellen. Eigentlich unterscheiden sich Fantasy und Märchen nämlich deutlich. Aber Tricks, groteske Masken und opulente Kostüme passen zu beiden. Twilight als hybride romantische Vampirsoap steigert diesen Attraktivitätsgrad des Plots sogar noch durch ein zweites Monster, die Werwölfe. Das ist eine klare Tendenz unseres globalen Mainstream-Films: Aus der vollen Schatztruhe der Märchen und Mythen werden narrative Elemente und Bausteine kunterbunt gemischt und zu einem Mega-Fantasy-Märchen-Event verschmolzen.

Der Reiz an Vampiren: Angst vorm Tod und Sehnsucht vor Unsterblichkeit

Auch im TV wird derzeit gerne mit Übersinnlichem gearbeitet: Vampire Diaries, True Blood oder auch Grimm sind Beispiele dafür. Kommt es bald zu einer Überdosis am Übersinnlichen?

Gefährlich und langweilig wird es dann, wenn die Neubelebung eines Stoffs nicht auf einer originellen Idee beruht. Wenn es nur noch um die Schauwerte fantastischer Welten und nicht mehr um Inhalte geht, sind die Ergebnisse traurig. Ein positives Beispiel ist die Serie True Blood: Die Welt wird von Vampiren bevölkert, die sich zum großen Teil in die menschliche Gemeinschaft integrieren wollen, sie trinken sogar nur noch künstliches Blut. Dennoch werden die Vampire ausgegrenzt und verachtet. True Blood handelt von Rassismus und zieht damit einen Subtext des Vampirmythos ans Licht, der zwar immer schon da war, aber selten so stark betont wurde.

Aber warum interessiert sich der Mensch für Werwölfe oder Vampire? Neigt er dazu, an das Übersinnliche zu glauben?

Eine allgemein gültige Antwort gibt es da wohl nicht. Doch eines sticht hervor. Der Vampirmythos bringt die menschliche Angst vor dem Tod und zugleich die Sehnsucht nach Unsterblichkeit zum Ausdruck. Vor der Unsterblichkeit haben wir aber eigentlich auch alle Angst. Und darum ist die unsterbliche Figur des Vampirs so ambivalent. Einerseits faszinierend, andererseits abschreckend. Seltsam ist, dass diese mythische Horrorgestalt heutzutage ein echter Trendsetter ist.

In Twilight erhalten Vampire ein neues Gewand: Sie glitzern in der Sonne und können Vegetarier werden. Ein gutes Beispiel für die Vielzahl von Interpretationsmöglichkeiten?

Absolut! Die Frage muss aber immer sein: Was wird damit erzählt? Welcher Funktion dient es? Und dort sticht Twilight heraus: Twilight träumt von einer elitären Welt der vampirischen Übermenschen, die schön und makellos sind. Ewige Gewinner, die in die Schule gehen und in jeder Klassenarbeit triumphieren, immer sexy sind und natürlich super cool. Die Filme sind ideologisch äußerst fragwürdig, aber sehr populär.

Twilight zeigt ja auch ein interessantes Frauenbild.

Interessant? Nein, anachronistisch! Aber das ist nichts Neues bei Vampirgeschichten, in denen Frauen meist als passives Opfer inszeniert werden, die von einem männlichen Blutsauger in Besitz genommen werden. Und doch gab es sogar schon im 19. Jahrhundert Gegenentwürfe, zum Beispiel in der Vampirgeschichte Camilla von Sheridan Le Fanu, die ziemlich deutlich von lesbischer Vampirliebe handelt. Um zum Schluss auf das Märchen zurückzukommen: Dessen Heldinnen sind oft wehrhafter als die weiblichen Figuren in den Horrorfilmen. Schneewittchen, Aschenputtel, Rotkäppchen und auch Schneeweißchen und Rosenrot rebellieren – und sind erfolgreich damit.

Foto: Pascal Thiel; flickr/Patty Maher (CC BY-ND 2.0), flickr/drurydrama (Len Radin) (CC BY-NC-SA 2.0)

Ein Jahr media-bubble.de – Was kommt jetzt?

von der Redaktion

Ein spannendes und erfolgreiches Jahr liegt hinter uns. Innerhalb kürzester Zeit wuchs eine siebenköpfige Redaktion heran, die den medienkritischen Blog media-bubble.de mittlerweile betreut und mit Leben füllt. Doch was wünschen sich die Redakteure für das zweite Jahr? Im Folgenden haben wir unsere Gedanken formuliert.

 

Nicolai Busch

„Ich wünsche mir, dass media-bubble.de noch größer, bekannter und professioneller wird. Ich wünsche mir einen Blog, der sich noch deutlicher abhebt von altbekannten Formaten, um hierdurch deutliche Zeichen zu setzen.“

Sanja Döttling

„Ich wünsche mir, dass media-bubble.de in Zukunft zu einem integrierten Teil der Universität Tübingen wird, ein Sprachrohr für das medienwissenschaftliche Institut. Zukünftige und eingeschriebene Studenten sollen durch media-bubble.de noch besser über Inhalte des Studiums informiert werden. Diese sollten nicht allein, sondern auch in Bezug zu aktuellen Medienereignissen stehen. Aber auch als Teil des Studiums soll media-bubble.de noch mehr verankert werden: Wer will, soll hier die Möglichkeit haben, Ergebnisse seiner Projektarbeit, seiner Hausarbeiten oder der Seminare vorzustellen.“

Sandra Fuhrmann

„Für die Zukunft wünsche ich mir, dass wir es schaffen, die Vielseitigkeit innerhalb unseres Redaktionsteams, kombiniert mit den vielen Möglichkeiten, die uns unser Online-Blog bietet, zu nutzen, um auch im kommenden Jahr viele neue kreative Ideen und Projekte umzusetzen.“

Alexander Karl

„Ich wünsche mir, dass die Filmindustrie endlich versteht, wie man in Zeiten des Internets Filme vermarktet – und sie zum Kinostart legal online anbietet. Und für media-bubble.de? Natürlich nur das Beste – und eine weiterhin gute und harmonische Redaktion.“

Sebastian Luther

„Ich wünsche mir für’s nächste Jahr media-bubble.de einen nahtlosen Anschluss an unsere Erfolgsgeschichte.“

Sebastian Seefeldt

„Ich erhoffe mir ein Ende der Akronymflut. Langsam sollten die Regierungen verstanden haben, dass SOPA, PIPA, ACTA und CETA nicht auf Zustimmung stoßen werden. Nicht solange sie die Freiheit im Netz gefährden. Ich erwarte von der Regierung ein Einlenken: Dieses „Internet“ muss endlich den Rang im politischen Diskurs einnehmen, den es verdient hat. Netzneutralität und Freiheit im Internet auf die Agenda – ACTA und Co. ad acta.“

Pascal Thiel

„Für das zweite Jahr media-bubble.de erhoffe ich mir eine Erweiterung unserer Redaktion zum kommenden Semester. Neue, frische Autoren, die das hohe Niveau des Blogs weiterhin halten können. Außerdem neue, interessante Themen, sodass die Erfolgsgeschichte media-bubble.de noch lange fortgeschrieben werden kann.“

Foto: flickr/Stefan Baudy (CC BY 2.0)

Making Of – Bis die Blase platzt!

von der Redaktion

Erinnert ihr euch noch an unsere Spots zum Thema „Bis die Blase platzt“? Dazu gibt es natürlich auch ein Making Of, welches wir euch nicht vorenthalten wollen:

Die nicht so ganz ernst gemeinten Interviews mit den Redakteuren von media-bubble.de, die sich als Schauspieler versucht haben:

Und hier noch einmal einer der drei fertigen Spots:

Alles Gute zum Geburtstag – media-bubble.de wird ein Jahr alt!

von Prof. Susanne Marschall

Wer hätte das gedacht? Vor einem Jahr ging der Blog media-bubble.de als Abschlussprojekt des Masterstudiengangs „Medienwissenschaft – Medienpraxis“ online und erfreut sich seither einer aktiven Autoren- und Leserschaft. Angesichts einer Flut von Blogs im Netz (mit bei weitem nicht immer unbegrenztem Lesevergnügen) mag sich mancher Nutzer fragen, wozu und warum noch mehr davon?  Die Antwort liegt im Konzept des Blogs, dessen Macherinnen und Macher sich der journalistischen Qualität verschrieben haben. Thema des Blogs sind die vielfältigen Medienentwicklungen und Medienereignisse der Gegenwart, die von den Studierenden in einer unabhängigen Redaktion diskutiert und beurteilt werden. Die Ergebnisse – Kritiken, Interviews, Essays, Filme und vieles mehr – finden sich auf dem medienkritischen Blog www.media-bubble.de, der mit fast 180 Artikeln den Finger am Medienpuls der Zeit hat. Medienjournalismus im Internet muss nicht auf Zeile geschrieben werden und die Themen suchen sich die Autorinnen und Autoren nach Relevanz und Interesse. Diese Freiheit ist Teil des Experiments, das nun in sein zweites Onlinejahr startet. Übrigens: Im ersten Halbjahr wurden 44 Artikel auf Media Bubble gepostet, seit Januar 2012 sind es nun schon 130. Die Tendenz ist also steigend – und die Medienthemen gehen den Studierenden der Medienwissenschaft Tübingen sicher so bald nicht aus. Prosit und viel Glück für die Zukunft!

 

Ein Jahr im Netz

Jedes Jahr gibt es 365 Milliarden Google-Suchanfragen, 73 Milliarden Tweets und etwa 71 Millarden Bilduploads bei Facebook. Hinzu kommen Millionen von Nachrichten und Meldungen, die über Onlineportale recherchiert, verbreitet und kommentiert werden. Was bedeutet das für die Rezipienten, die Medienmacher und für die Akteure, über die berichtet wird? Ein Jahr online im Blickpunkt.

50 Shades of Sex

von Alexander Karl

Es ist DAS (Pseudo-)Skandalbuch des Jahres: Der Erotik-Roman Shades of Grey. Von Boulevard bis Feuilleton wird es besprochen, mal mit mehr, mal mit weniger positiven Kritiken. Fakt aber ist: Es sorgt für Gesprächsstoff. Und ist doch nicht neu.

Fanfiction goes Independent

Was kaum einer weiß: Der Ursprung der Triologie Shades of Grey liegt in einer aufgepeppten – oder aufgesexten – Version von Twilight. Sex in Fanfiction ist nichts Neues. Dass daraus dann aber plötzlich ein Bestseller wird schon. Erika Leonard, die das Buch unter dem Pseudonym E. L. James auf den Buchmarkt brachte, veröffentlichte die formalige Fanfiction auf der Seite 50shades.com – damals noch unter dem Namen Master of the Universe. Jetzt, nachdem das Buch ein riesiger und weltweiter Erfolg ist, schauen sich Fans der Bücher die veröffentlichte und die frühere online Variante an – und stoßen auf einige Ähnlichkeiten, wie Galleycat berichtet:

Blogger Jane Litte used the Turnitin plagiarism detection program to measure similarities between the two books. She reported: “According to Turnitin, the similarity index was 89%.  There are whole swaths of text wherein just the names were changed from MoTU to 50 Shades.”

Mittlerweile sind die Spuren zu den Wurzeln des Buches aber aus den Weiten des Webs verschwunden – nur noch wenige Screenshots existieren. Doch die Zeiten, in der das Buch ein Insidertipp in Fanforen war, sind vorbei. Shades of Grey, wie das Buch in Deutschland heißt, wurde hierzulande mit einer Auflage von 500.000 Stück geradezu auf den Markt geworfen – und das mit viel Wirbel. So wurden etwa auf bild.de vorab Auszüge aus dem Buch veröffentlicht. Die Überschrift zum Artikel: „Shades of Grey“: Dieses Buch ist schärfer als Porno„. Wie scharf das Buch ist, das ist Geschmackssache. Es dauert einige Seiten, bis der Multi-Milliardär die 21-jährige und jungfräuliche Ana rumbekommt – und ihr zunächst zeigt, was er unter Blümchensex versteht. Denn Christian Grey, nachdem das Buch benannt ist, steht auf harten Sex. SM um genau zu sein – und so findet Ana in seiner Wohnung ein Spielzimmer mit Andreaskreuz und bekommt schnell eine Verschwiegenheitsklausel plus Vertrag vorgelegt – letzteres, um sich als Sub (die vornehme Bezeichnung für Sklave) zu verpflichten.

Sex sells

Und so kommt es, dass viele Stellen äußerst sexuell sind (Stichwort Mommy Porn), wie es aus der Vorab-Veröffentlichung von bild.de vorgeht:

Verdammte Scheiße, tut das weh! Ich gebe keinen Laut von mir, doch mein Gesicht ist schmerzverzerrt. Ich versuche, mich ihm zu entwinden – angetrieben vom Adrenalin, das durch meine Venen pumpt. „Halt still“, knurrt er, „sonst muss ich noch länger weitermachen.“ Inzwischen reibt er meine Pobacke, dann kommt der nächste Schlag. Er verfällt in einen steten Rhythmus: streicheln, tätscheln, schließlich ein kräftiger Schlag. Ich muss meine volle Konzentration aufbieten, um die Schmerzen zu ertragen. Mein Kopf ist wie leer gefegt, während ich versuche, die Schläge wegzustecken. Mir fällt auf, dass er nie zweimal hintereinander auf dieselbe Stelle schlägt, sondern den Schmerz gleichmäßig verteilt.

An dieser Stelle lässt sich natürlich ein zweifelhaftes Frauenbild vermuten: Die völlig unerfahrene Ana unterwirft sich körperlich wie emotional einem deutlich erfahreneren Mann. Bisher hat man aber noch keinen Aufschrei von Alice Schwarzer gehört – nur in der Presse rumort es schon. Beispiel Hamburger Abendblatt. Da heißt es:

Nur die Emanzipierten dürften mit dem Kopf schütteln: Was ist das denn für ein Rollenbild, bitte? Frau mit guter Ausbildung und gesellschaftlichem Selbstvertrauen lässt sich heimlich auspeitschen und sexuell demütigen. Was ist das: Postfeminismus?

Und auch das Wort „Schocker“ oder „Skandal“ ist für Shades of Grey zu viel des Guten: Geschockt wird ein wenig, da ist sich die Presse einig: Sowohl in American Psycho als auch in Geschichte der O geht es härter zur Sache. Trotzdem eignet es sich – da muss man der Schwäbischen Zeitung zustimmen – als Urlaubslektüre. Aber nicht nur Zwecks Eskapismus, sondern, weil der menschliche Voyeurismus par excellence bedient wird – und das nicht zu knapp. Auch deshalb stellen die Verkaufszahlen selbst Harry Potter in den Schatten. Deshalb steht nun halb Hollywood für die Filmrollen Schlange – aber nicht die Stars aus Twilight, die ja immerhin indirekt als Imspiration dienten. Übrigens: Auch Stephenie Meyer, Autorin der Twilight-Saga, äußert sich zu dem Buch: „I haven’t read it. I mean, that’s really not my genre, not my thing,“ she said with a laugh. „I’ve heard about it; I haven’t really gotten into it that much. Good on her — she’s doing well. That’s great!“

Foto: Presse

Das infizierte Netz. Wenn Werbung ansteckend wird

von Sebastian Seefeldt

Trends und Gerüchte sind schon lange keine Zufälle mehr. Die Werbeindustrie hat verstanden, wie sie gezielt ausgelöst werden können. Virales Marketing ist effektiv, weil wir Werbebotschaften selbst verbreiten und aktiv nach ihnen suchen – und wir tun es freiwillig.

Aus meinem Mund in deinen

Mit der Entstehung des Web 2.0  lebte auch die Mundpropaganda wieder auf. Das Internet ist keine Plattform mehr, in der der Benutzer den Inhalt vorgesetzt bekommt. Er kann ihn selbst erzeugen. Solche „erzeugten Inhalte“ können auch Weiterleitung von bereits bestehendem Seiten, Videos oder ähnlichem sein. Hier setzt das virale Marketing an: Es will das Weitergeben von Empfehlungen – in Form von Links – gezielt auslösen und steuern.

Im Gegensatz zu traditioneller Werbung, die in den Massenmedien ausgestrahlt wird, beruht virales Marketing auf den etablierten sozialen Kommunikationsnetzwerken der Gesellschaft. Also dem Gespräch mit Bekannten und Verwandten, Nachbarn und Freunden, aber auch den digitalen „Gesprächen“, zum Beispiel auf Facebook.  Die Menge an Bekannten, denen man am Tag begegnet, ist nichts im Vergleich zu der Masse an Facebook-Freunden. Und die sind immer nur einen Post entfernt. Diese Netzwerke werden infiziert – wie bei einer Viruserkrankung. Und mehr mögliche Adressanten bedeuten auch eine höhere Chance auf Weiterverbreitung.

Da die virale Werbung nicht in dem typischen werblichen Gewand kommt, sondern aus dem „Mund“ – von der Pinnwand – eines Facebook-Freundes, wird ihr auch anders begegnet. Man ist empfänglicher und tritt der Werbebotschaft nicht mit Abneigung gegenüber. Schließlich kommt die Empfehlung aus dem Mund eines Freundes – und dessen Glaubwürdigkeit wird immer höher eingestuft als die der (werbenden) Medien. Was früher vom Person zu Person weitererzählt wurde, ist heute virales Marketing – quasi Mundpropaganda 2.0.

Um einen Menschen dazu zu bringen, als Sprachrohr der Werbung zu fungieren, müssen einige Bedingungen erfüllt sein. Grundvoraussetzung ist eine Win-win-Situation. Die Rezipienten müssen von der Werbung unterhalten werden. Sie muss Emotionen in ihnen auslösen oder durch ganz neue Ideen glänzen. Um das zu erreichen, steht meistens nicht mehr das Produkt im Vordergrund, sondern sogenannte Kampagnengüter. Sie sind Köder, hinter denen die Werbebrache das eigentliche Produkt versteckt. Sie stellen den Anreiz dar, etwas weiterzuempfehlen. Ein solches Gut soll Aufmerksamkeit wecken und den Kunden mit dem Produkt vertraut machen – und das alles, ohne nach Werbung auszusehen. Wie können also solche Kampagnengüter aussehen?

Entertain me!

Was uns unterhält, stimmt uns freudig. Was uns unterhält, wird auch gerne an unsere Freunde weitergeleitet. Diese positiven Erfahrungen können auch noch an eine Marke gekoppelt werden. Deshalb ist die Unterhaltung ein wichtiges Kampagnengut. Die Werbeindustrie bedient sich dabei jeglichen Genres. Vom kurzweiligen Sketch bis hin zu Kinofilmtrailern ist alles möglich. Virale Werbevideos greifen alles auf, was auch sonst gerne im Netz gesehen wird.

So gibt es zum Beispiel einen Flashmob vom belgischen Sender TNT,

Der an einen Kinotrailer erinnernden Werbespot von The Guardian,

Aber aber auch die Kurzfilmserie mit Starbesetzung, bei der die Spots länger sind als die typische Werbung – „The Hire“ von BMW.

Neu und einzigartig

Wenn ein Clip nicht unterhält, muss er sich neue Wege der Verbreitung suchen. Die Mundpropaganda lebt nicht nur vom Erzählen toller Erlebnisse, sondern auch von Neuheiten oder Dingen, die uns begeistern. Bedingung für eine solche Weiterempfehlung ist, dass dieses „Ding“ noch niemand außer uns kennt.  Es geht darum, der Erste zu sein, der eine Neuheit entdeckt. Man möchte Trends setzen. Allerdings muss hierzu ein noch nie dagewesenes Produkt her – und gerade in Zeiten des globalen Internets stellt dies eine Herausforderung dar. Typisch für diese Art des Kampagnenguts sind Neuheiten aus der Technik, wie Googles „Projekt Glas“.

Allerdings muss nicht immer das Produkt neu sein – auch die Art des Werbedesigns kann einzigartig sein. Tipp-Ex lässt uns beispielsweise an einer interaktiven Zeitreise teilhaben, um die Geburtstagsparty eines Bären zu retten oder setzt sich (inter)aktiv für den Tierschutz ein.

Globale Emotionen

Damit eine virale Kampagne wirklich weltweit funktioniert kann, müssen allgemein verständliche Codes verwendet werden. Ideal sind daher Videos, die entweder ganz ohne Sprache auskommen oder in denen diese nicht benötigt wird, um ein Gefühl auf der Rezipientenseite auszulösen. Es gibt nichts Globaleres als Emotionen und ihre eindeutigen Codes: Lachen, Grinsen, Tränen, Küssen … Werbung, die mit diesen Mitteln arbeitet, kann es schaffen weltweit gesehen und weiterempfohlen zu werden. Dabei muss es allerdings nicht immer nur fröhlich zugehen, wie in dieser Coca-Cola Werbung,

sondern auch besinnlich, wie es P&G vormachen.

Kein anderes Instrument der Werbeindustrie hat das Potenzial einer viralen Werbekampagne – wenn sie denn funktioniert. Ein gutes virales Video erzählt uns eine Geschichte, ist nicht an einen Ort gebunden, ist überall verständlich und löst Gefühle in uns aus. Sei es nun ein Lachen oder  ein Staunen über die Technik. Vielleicht ist es diese romantische Idee einer Bildergeschichte, die auf der ganzen Welt verstanden wird, was virale Werbung so einzigartig macht.

Foto: flickr/Aquila (CC BY-NC 2.0)

Hunde und Reis – Warum Journalismus im Kleinen beginnt.

„When a dog bites a man, that is not news, because it happens so often. But if a man bites a dog, that is news“, sagte John Bogart einmal und gab somit die Grundregel des Journalismus vor. In der Lokalzeitung tummeln sich keine beißenden Männer. Dort gibt es abgebrannte Restaurants, Baustellen und verschmutze Parkanlagen.