von Alexander Karl

Google verarbeitet jeden Tag etwa eine Milliarde Suchanfragen. 200 Millionen Tweets werden täglich über Twitter gejagt. Und bei Facebook 135.000 Bilder hochgeladen – pro Minute! Unvorstellbare Massen an Informationen werden sekündlich, minütlich, stündlich, täglich und monatlich online verarbeitet. Auf ein Jahr hochgerechnet heißt das: 365 Milliarden Google-Suchanfragen, 73 Milliarden Tweets und etwa 71 Millarden Bilduploads bei Facebook. Hinzu kommen Millionen von Nachrichten und Meldungen, die über jene Onlineportale recherchiert, verbreitet und kommentiert werden. Was bedeutet dies zum einen für die Rezipienten, zum anderen für die Medienmacher und schlussendlich für die Akteure, über die berichtet wird? Ein Jahr online im Blickpunkt.

Ein Jahr online = Ein Hundejahr?

Ein Hundejahr, so heißt es, entspricht sieben Menschenjahren. Und ein Onlinejahr? Ein Onlinejahr ist vor allem eines: Sehr schnell vorbei. Informationen und Daten werden in sekundenschnelle ins Web geschleudert, werden für den Rezipienten schmackhaft garniert und sind bereit zum Teilen mit anderen Usern. Für Digital Natives ist das völlig normal. Doch was früher an Informationen an die Rezipienten durchdrang, war bereits von den Gatekeepern – also Journalisten – gefiltert worden. Diese erhielten ihre Informationen auch schon damals von den Medienakteuren wie Politikern, Unternehmen oder Sportlern, doch das Rad der Zeit drehte sich noch langsam: Das Internet war ferne Zukunft. Mails hießen Briefe und die Zustellung dauerte Tage und nicht Sekunden. Die Rezipienten konnten zu Journalisten durch Leserbriefe Kontakt aufnehmen – aber erreichten mit ihrer Meinung nur selten ein großes Publikum. Die Macht lag bei den klassischen Medienmachern, der Rezipient war nur niederes Fußvolk. Doch diese one-to-many Kommunikation (eine Zeitung, die viele erreicht) ist Geschichte: Wir leben in einer Zeit der many-to-many Kommunikation: Jeder hat die Möglichkeit, seine Meinung an ein Publikum zu richten, etwa über Blogs. Beschließt die Bundesregierung ein Gesetz, sind es nicht mehr nur die Tageszeitung, die am nächsten Tag darüber berichten. Es sind die Online-Ableger der Tageszeitungen, die wenige Minuten später die Meldung bringen. Es sind Blogs, die Einschätzungen vornehmen und bewerten. Und schlussendlich sind es Twitter- und Facebook-Nachrichten, die kommentieren und teilen. In einer Welt, in der sekündlich neue Informationen verbreitet und geteilt werden, ist ein Jahr also eine ziemlich lange Zeit – die schnell vergeht.

Um nur einmal ein paar bunt ausgewählte Themen des letzten Jahres zu nennen: The Voice of Germany erfindet die Castingshow neu, Russland rebelliert gegen die Unterdrückung und Zensur, Bundespräsidenten kommen und gehen, ACTA kommt – und dann doch nicht und BILD feiert 60. Geburtstag. Viele dieser damals breit disktuierten Themen sind innerhalb kürzester Zeit aus den Medien verschwunden. Es ist nicht neu, dass – um im Medienjargon zu bleiben – irgendwann die nächste Sau durchs Dorf getrieben wird. Doch längst ist es kein Dorf mehr, sondern die Welt. Und in der lassen sich schnell sehr viele Säue durch die Gegend treiben.

Beschleunigung auf allen Ebenen

Das Karusell, auch Welt genannt, dreht sich gefühlt immer schneller. Ein Grund sind tatsächlich die neuen Medien. Twitter, Facebook und Co. sorgen in kürzester Zeit für die Verbreitung von Nachrichten, Skandalen und schlichtem Gossip. Gefühlt prasseln immer mehr Informationen – und solche, die welche sein wollen – auf den Rezipienten ein. Doch nicht nur er steht unter dem Dauerbeschuss der Meldungen: Medienmacher und Akteure in den Medien ächzen unter der Informationsflut, die über sie hereinprasselt.

Der Rezipient kann, soll und muss aus einer großen Masse an Medien auswählen. So ergibt alleine die äußerst eingrenzende Suche nach „Christian Wulff Bild“ etwa 43.500 Ergebnisse bei Google. Gut möglich, dass sich viele Artikel ähneln. Trotzdem ist die Masse da und der Rezipient muss wählen, welche Meldung er liest, welcher Meldung er vertraut – und somit vielleicht andere Standpunkte ignoriert. Diese Wahlfreiheit, die die Generationen vor den Digital Natives noch nicht kannten, ist einerseits purer Luxus und zeugt von Meinungsfreiheit. Andererseits wird der Rezipient aber immer mehr in die Pflicht genommen, selbst zu entscheiden, was er lesen will oder nicht. Frei nach dem Motto: Du hast die unbegrenzte Möglichkeit dich zu informieren – dann tu es auch!

Der Medienmacher – und hier sind nicht nur Redakteure bei Zeitungen und Online-Magazinen, sondern auch Blogger gemeint – müssen immer wieder die Entscheidung treffen, worüber sie berichten und worüber nicht. Zwar bietet das Internet im Gegensatz zu Zeitungen oder Fernsehen ein nahezu grenzenloses Platzangebot, doch ein Faktor wird immer begrenzter: Die Zeit. Einerseits will man so viel wie möglich mitnehmen. Andererseits bedarf die Berichterstattung einer sorgfältigen Recherche. Zumindest im Idealfall. Denn schnell geraten Falschmeldungen in  Umlauf. Ein Grund: Man will der Erste sein, der etwas verkündet – und manchmal liegt manprompt daneben.

Die Akteure – allen voran die Politiker – versuchen sich seit geraumer Zeit daran, sich dem Druck des Internets anzupassen. Kanzlerin Angela Merkel lässt sich pro Tag 70 SMS auf ihr Handy schicken, um immer und überall auf dem aktuellen Stand über alle Entwicklungen zu sein. Hinzu kommen Pressespiegel, die sie liest sowie Pressekonferenzen, in denen sie ihren Standpunkt deutlich macht und Fragen beantworten muss. Die Politik wird beschleunigt und beschleunigt sich gleichzeitig selbst. Wer global denken und agieren will, muss global vernetzt sein.

Beschleunigung – auch wir sind schuld!

Auch media-bubble.de trägt seit einem Jahr zu dieser Beschleunigung bei. Auch wir versorgen die Rezipienten mit Informationen, fordern von den medialen Akteuren schnelle Antworten, spannende Geschichten und steile Thesen. Eins ist klar: Keiner, weder Rezipient, noch Medienmacher oder Akteur, kann sich dieser Beschleunigung wirklich völlig entziehen. Selbst ein Leben ohne Internet bringt immer noch eine tägliche Informationsflut durch andere Medien. Denn die Welt dreht sich schnell.

Ein Jahr schrumpft deshalb im Rückblick schnell auf seine Höhen und Tiefen – die großen Ausschläge – zusammen. Vergessen werden die Zwischentöne, die aber zum großen Ganzen beitragen. Das gilt für alle: Rezipienten, Medienmacher und Akteure. Die nächste Meldung oder der nächste Skandal kommen bestimmt – aber muss ich man sich deshalb auch darauf stürzen? Vielleicht kann das in Zukunft die Stärke von Blogs werden: Nicht gleich auf den nächsten Hype zu springen, sondern abzuwarten und zu reflektieren.Und vielleicht sogar zu entschleunigen. Denn sonst ballt sich tatsächlich ein Onlinejahr irgendwann zu einem Hundejahr.

Fotos: flickr/ Chris JL (CC BY-NC-ND 2.0); flickr/Theresa Thompson (CC BY 2.0); flickr/an untrained eye (CC BY-NC 2.0)