Frankfurter Buchmesse – Verärgerte Vögel erreichen Kultstatus

von Sandra Fuhrmann

Ein Haufen bösartiger grüner Schweine, gestohlene Eier und wütende Vögel, die durch die Luft katapultiert werden – viel mehr braucht es nicht, um ein Spiel mit Suchtfaktor zu kreieren. Längst schon hat Angry Birds einen weltweiten Siegeszug angetreten und ist zu weit mehr geworden als nur einem Casual Game.

Wenn Schweine kochen..

Selbst im Gedränge der Frankfurter Buchmesse fiel es schwer, den Stand von Rovio Entertainment zu übersehen. Direkt am Ausgang des Messegeländes türmten sich überdimensionale Plüschvögel. Menschen in Pullovern mit Vogelmotiv tummelten sich am Stand – in den Händen Tragetaschen, verziert mit wütend dreinblickendem Federvieh. Das finnische Medienunternehmen Rovio brachte Ende 2009 mit Angry Birds das erfolgreichste Handyspiel aller Zeiten auf den Markt. Auf der Messe präsentierte das Unternehmen nun die Nachfolgerversion des Kochbuchs „Bad Piggies‘ Best Egg Recipes“. Das Buch, das den selben Titel trägt, wie sein Vorgänger, enthält 41 Kochrezepte, illustriert mit Fotos von den Gerichten und gewürzt mit den bekannten Figuren aus dem Spiel, die in einer Kochbuch-App zum Leben erwachen. Nicht fehlen darf hier selbstverständlich die integrierte Eieruhr. Wer es gerne etwas handfester mag, der kann sich das Kochbuch auch als Printversion zulegen.

Der Stolz des großen Adlers

Tatsächlich hat Rovio längst die Grenzen des Handy- und App-Markts überschritten. Als der erste Teil der Serie vor drei Jahren erschien, hatte Rovio zwölf Angestellte. Heute sind es allein in Finnland über 400. Die Zahl der Angry-Birds-Fans beträgt inzwischen etwa eine Milliarde. „Wir sind die erste Firma, die das geschafft hat“, verkündet Peter Vesterbacka, Chief Marketing Officer – oder, wie es auf seiner Visitenkarte steht, „Mighty Eagle“ bei Rovio Entertainment. In seinem roten Pullover, auf der Brustseite einen groß aufgedruckten Angry Bird, präsentiert er das Unternehmen auf der Buchmesse. Er bezeichnet Rovio nicht als ein Medienunternehmen, sondern als „Lifestyle- und Entertainment Company“. In der Tat machen sogenannte Consumer Products, also alle möglichen Arten von Fanartikel zum Spiel, mittlerweile 40 Prozent des Unternehmensumsatzes aus. Vesterbacka prophezeit, dass es in einem halben Jahr bereits 50 Prozent sein werden.

Alle haben einen Vogel

Auf der Frankfurter Buchmesse gibt es eine eigene Abteilung voller Kochbücher. Warum also gewinnt ausgerechnet dieses Kochbuch den „Best First Cookbook of the Year“ der Gourmet World Cookbook Awards 2012?  Eine Kochanleitung voller, geht man nach den Bildern im Buch, absichtlich schlecht angerichteter Eierrezepte, die von grünen Schweinen zubereitet wurden.

Bei den Angry Birds-Kochbüchern muss bedacht werden, dass es weniger darum geht, den Leuten eine Vorlage für das perfekte French-Omelette zu liefern. „Es geht vor allem um die Marke“, sagt Vesterbacka. Das gilt für die Kochbücher und überhaupt. Kaum ein Produkt, das man inzwischen nicht mehr mit eingesticktem Angry Bird oder aufgemaltem Bad Piggy ergattern kann. Bereits beim Spielen des Spiels im Internet wird man auf die Consumer Products aufmerksam gemacht. Ende April dieses Jahres hat in Finnland der erste Angry Birds-Themenpark eröffnet. Das erste Büro in Japan wurde gerade eingerichtet und die Produktion von Angry Birds-Mangas ist dementsprechend schon angelaufen. Die Rückseite der Visitenkarten der Mitarbeiter ist ohnehin bereits auf Chinesisch und die Firmensprache von Rovio Englisch. Das nächste Projekt? In Zusammenarbeit mit Lukas Films soll schon sehr bald eine Star Wars-Variante von Angry Birds entstehen.

Was im Jahr 2003 in den Köpfen dreier Studenten in Helsinki entstand, hat inzwischen Kultstatus erreicht. Oder, um es mit den Worten des Mighty Eagle auszudrücken: „Angry Birds soll zur permanenten Popkultur werden.“ Coca-Cola und Micky Mouse haben es vorgemacht – Angry Birds ist bereits auf dem besten Weg dorthin. An den Wänden von Rovios Firmengebäuden finden sich Bilder aus Spielszenen. Die Anzeige der unternehmenseigenen Kaffeeautomaten zeigt statt Wiener Melange herumtollende Vögel. Rovio ist ein Unternehmen, das sein Produkt lebt. Und genau diese Einstellung will es auch an seine Fans weitergeben. Ein Plan, der bis zu diesem Punkt hervorragend aufzugehen scheint.

 

Fotos: Logo, Copyright Frankfurter Buchmesse; Peter Vesterbacka, Copyright Sanja Döttling; Angry Birds, Copyright flickr/methodshop (CC BY-SA 2.0)

Kultur im Netz – Ein Spannungsfeld: Wer hat Angst vorm Slender Man?

von Stefan Reuter

Immer mehr Quellen im Netz berichten von einem Furcht einflößenden, gesichtslosen Anzugträger, dessen Opfer spurlos verschwinden – oder auf grausame Weise ums Leben kommen. Der sogenannte „Slender Man“ ist eine urbane Legende, entstanden im Internet. Er ist auf dem besten Weg, eine moderne Mythenfigur zu werden. Teil I – Geburt und Aufstieg des Slender Man.

Die Geburt einer urbanen Legende

1986, photographer: Mary Thomas, missing since June 13th, 1986.

Am 10. Juni 2009 veröffentlichte der User Victor Surge zwei Bilder in einem Thread im Forum von somethingaweful.com. Sie sind schwarz-weiß und zeigen Kinder bei einer Wanderung und auf einem Spielplatz. Erst auf den zweiten Blick entdeckt man die seltsame Gestalt, die sich bei beiden im Hintergrund aufhält. Ein Schemen, dem scheinbar Tentakel aus dem Rücken ragen. Über die Herkunft des nebenstehenden Bildes sagt Victor Surge:

One of two recovered photographs from the Stirling City Library blaze. Notable for being taken the day which fourteen children vanished and for what is referred to as „The Slender Man“. Deformities cited as film defects by officials. Fire at library occurred one week later. Actual photograph confiscated as evidence.

Ob ihm klar war, was diese Bilder auslösen würden? Sicher ist: Der ganze Thread war als Gag gedacht, die User sollten von ihnen selbst bearbeitete Fotos hochladen, auf denen gruselige Erscheinungen zu sehen sind. Dennoch entwickelte der Slender Man schnell ein Eigenleben, vielleicht weil Surge durch Bezug auf ein scheinbar wahres Ereignis ein Stück weit Authentizität suggerieren konnte. Gleichzeitig lieferte er mit dem Brand in der Bücherei – auch wenn dieses Ereignis in der Realität nie stattgefunden hat – ein erstes kanonisches Element des Slender Man-Mythos.

Besonders im Bereich der Fanfiction hat der sogenannte „Canon“ einer fiktiven Welt eine wichtige Funktion:

Canon: Bezeichnung für Figuren, Ereignisse, Umstände etc., die „offiziell“ zur jeweiligen fiktiven Welt gehören. Beispiel: Alles, was jemals in einer Star Trek-Episode etabliert wurde, ist „Canon“ und darf von späteren Episoden nicht umgestoßen werden.

Im Fall des Slender Man gibt es keine Serie, oder andere „originale Quelle“, nach denen sich die Arbeiten der Anhänger richten können. Dennoch haben sich einige der „Sichtungen“ als feste Grundlagen des Mythos etabliert und so einen Canon gebildet.

Weitere Geschichten mit Bezug auf ihn wurden nach und nach auf diversen Plattformen veröffentlicht. Sucht man im Netz nach Bildern des Slender-Mans, stößt man früher oder später auf einen Holzstich namens „Der Ritter“. Das Bild zeigt eine skelettartige Gestalt, die einen Ritter mit einem an eine Lanze erinnernden Arm aufspießt. Angeblich stammt es von dem deutschen Künstler Hans Freckenberg aus dem 16. Jahrhundert. Ein früher Beleg für die Existenz des Slender Man?

Nein. Dieses Bild ist eine digitale Bearbeitung eines anderen Holzschnitts – und es hat vermutlich niemals einen Hans Freckenberg gegeben. Dennoch gehört dieses Bild zum kanonischen Material des Mythos. Je mehr sich seine Anhänger kreativ mit der Thematik auseinandersetzten, desto mehr wurde das Wesen in der Menschheitsgeschichte verankert. Beispielsweise wurde dem Slender Man eine Verbindung zu Hitler zugeschrieben oder angebliche Anspielungen auf ihn im Struwwelpeter entdeckt. Der ursprüngliche Original-Mythos erfuhr so einige Veränderungen.

Die Figur des Slender Man hat jetzt schon kulturellen Wert: Sie ist ein Produkt des Internets, eine urbane Legende. Sie wurde geboren und ausgeformt durch unzählige Beiträge von Fans und Amateuren, (bisher) ohne wirklichen Einfluss großer Medienunternehmen. Dabei wird bewusst die Grenze zwischen Realität und Fiktion aufgebrochen.

Die Videobänder des Alex K.

Bereits acht Tage nachdem Victor Surge die Fotos auf somethingaweful.com veröffentlichte, postet ein gewisser „ce gars“, mit Klarnamen Jay, im selben Thread. Sein Freund Alex, ein Filmstudent, gab vor einigen Jahren den Spielfilm Marble Hornets aus heiterem Himmel auf und ist seitdem verschwunden. Zuvor überließ Alex Jay sein bereits gefilmtes Material:

There were tons of them. He grabbed a couple of plastic shopping bags and piled the tapes in and gave them to me, then shooed me out of the attic. Right as I was walking out the door, he said, in the most serious tone I’ve ever heard from someone, „I’m not kidding, don’t ever bring this up around me again.“ Alex’s comment was so sudden that I didn’t have time to react before he had closed the door on me. He transferred to an out of state school soon after that and I haven’t seen him since. I filed the tapes separately from my others, and was honestly too freaked out to look at them at the time, and eventually forgot about them. But reading about the slender man has peaked my interest again. Maybe it’s what Alex was talking about that day.

Jay beginnt die Aufzeichnungen zu sichten und veröffentlicht sie auf einem YouTube-Kanal namens Marble Hornets. Schnell zeigt sich, dass Alex tatsächlich von einem großen Mann im schwarzen Anzug verfolgt wurde, dessen Gesicht nicht zu sehen ist. Je mehr Jay sich mit dem Material auseinandersetzt, desto mehr schlägt es ihm auf die Psyche. Er leidet unter Paranoia und Gedächtnislücken und dokumentiert das ebenfalls auf YouTube und seinem Twitter-Account. Ab Jays neuntem Video veröffentlicht ein weiterer User namens totheark kryptische Antworten auf seine Beiträge. Diese bestehen aus scheinbaren Tonstörungen, seltsamen Symbolen und einzelnen Nachrichten, ein Sinn dahinter ist nicht zu erkennen. Später wird Jay von einer maskierten Gestalt angegriffen, vermutlich handelt es sich um totheark.

Die Geschichte wirkt real: Sie ist im Internet kommuniziert, wie Millionen von Internetnutzern täglich mit der Welt in Kontakt treten. Allerdings zeigt sich bald, dass sie der Beginn einer fiktiven Erzählung ist – getarnt als wahre Begebenheit.

Marble Hornets ist ein Alternate Reality Game (ARG), ein Spiel mit Realität und Fiktion, ausgetragen im das Internet. Die Macher, Troy und Joseph, zwei Jungs aus den USA, griffen die damals vollkommen neue Figur des Slender Man auf und nutzten sie als Grundlage für ein mutiges Projekt. Es veredeutlicht, wie Amateure im digitalen Zeitalter selber zu Produzenten werden können. Sie machen sich die Möglichkeiten des Internets zu Nutzen, um eine Geschichte zu erzählen, deren Machart bewusst auf Authentizität abzielt. Doch das ist erst der Anfang: Der Slender Man und Marble Hornets sind interessante Beispiele für die Produktion von Kultur im Netz.

Im zweiten Teil von „Wer hat Angst vorm Slender Man?“ geht es um die Vorbilder von Marble Hornets und darum, wie weit der Slender Man seine Tentakel noch ausgestreckt hat.

Fotos: Victor Surge im Foum von somethingaweful.com (Thread: Create Paranormal Images, S. 3), flickr/bearstache (CC BY-SA 2.0)

Frankfurter Buchmesse – Spielen ist das neue Lesen

von Sanja Döttling und Henry Ledig

Die Buchmesse hatte mehr zu bieten als Bücher. Für die Play Station 3 erscheint demnächst das Spiel „Wonderbook: Buch der Zaubersprüche“, eine augmented Reality-Software voller Zaubersprüche und -duelle, die in Kooperation mit J.K. Rowling entstand. Außerdem wurde die neue Nintendo Konsole Wii U vorgestellt.

Sony und Rowling – ein Traumpaar

Die Oma mit dem Märchenbuch auf dem Schoß – das war gestern. Heutzutage werden Bücher nicht mehr gelesen, sondern erlebt. Das zumindest lässt das neue Produkt von Sony für die Play Station 3 vermuten. „Wonderbook“ verbindet Geschichtenerzählen mit interaktivem Spiel. Der erste Titel, der für die Wonderbook-Technologie erschienen ist, trägt den Titel „Buch der Zaubersprüche“. Der Move-Motion-Controller der Konsole wird auf dem Bildschirm zum Zauberstab, das futuristisch anmutende blau-graue Buch zum Zauberbuch. Realität und Spiel verschwimmen auf den Bildschirm. Die angewandte Technik nennt sich passenderweise „Augmented Reality“, erweiterte Realität.

„Das Buch der Zaubersprüche“ ist ein Spiel, das sich um das Zauberbuch herum entfaltet. Die reale Umgebung wird dabei von der Kamera erfasst und so mit ins Spiel eingebunden. Die „Lektüre“ des Buches wird grafisch unterstützt, am Anfang mit vielen vorgelesenen Texten und Filmchen in Faltbuchoptik, die man durch die Wahl bestimmter Wörter – wie beim Lückentext – beeinflussen kann. Später kann sich der Spieler selbst darin üben, Zauber auszuführen.

Autorin und Mitentwickelerin ist J. K. Rowling. Kein Wunder also, dass das Wonderbook ein Spin-off des Harry-Potter-Universums ist. Rowling ist bekannt für ihre innovative Weiterentwicklung des Buchinhalts. Sie startete, wieder in Kooperation mit Sony, im April 2012 die Webseite Pottermore, auf der Harry-Potter-Fans selbst nach Hogwarts gehen und dabei die Bücher noch einmal grafisch umgesetzt und mit Zusatzinformationen erleben können. „Wonderbook“ ist ein weiteres Spin-Off der berühmten Harry-Potter-Serie, die aus dieser Kooperation entstand. Rowling selbst sagt über das Projekt:

Wonderbook: Book of Spells is the closest a Muggle can come to a real spellbook.  I’ve loved working with Sony’s creative team to bring my spells, and some of the history behind them, to life.  This is an extraordinary device that offers a reading experience like no other.

Das Wonderbook ist eine interessante neue Entwicklung, allerdings ist die Zielgruppe eher beschränkt. Das Spiel ist auf die jüngeren Harry-Potter-Fans ausgelegt und ist für Kinder bis zum Alter für 12 Jahre sicher spannend. Es ist aber mehr ein interaktives Bilderbuch als ein Konsolenspiel. Die etwas älteren Hogwarts-Anhänger können sich natürlich weiterhin kostenlos auf Pottermore tummeln. So spart man sich auch die 40 Euro für das Spiel und die zusätzlichen technischen Voraussetzungen (wie den Move-Controller und die Play Station 3 Kamera.)

Wir für Dich. Die neue Wii U

Nicht nur Sony war auf der Buchmesse vertreten. Nintendo stellte für die Nintendo Wii nicht ein einziges neues Spiel, sondern eine ganz neue Konsole vor. Die Wii U tritt die Nachfolge der bestverkauften Konsole Nintendo Wii an. Neben technischen Neuerungen bietet das neue Wii U GamePad, eine neuartige Steuerungseinheit,  die Möglichkeit des asymmetrischen Gameplay. Ein Beispiel ist das Casual Game Nintendo Land, dessen Level Ghost Mansion man auf der Frankfurter Buchmesse anspielen konnte.

Während ein bis vier Spieler mit dem normalen Wii-Controller auf dem Fernsehbildschirm die Geisterjäger spielen, spielt ein anderer Spieler den Geist auf dem GamePad-Bildschirm. Der Geisterführer ist der Einzige, der den Geist selbst sehen kann – auf dem großen Bildschirm erscheint er nur, wenn das Taschenlampenlicht der Geisterjäger auf ihn trifft.

Mit dem GamePad will die Wii U weiterhin die Casual Gamer bei der Stange halten. Dafür sorgt das neue Spielgefühl des asymmetrischen Spielens, das vor allen für die Wii-typischen Mini- und Casual-Games ausgelegt ist. Diese Spiele sind vor allem auf das Spielen in der Gruppe ausgelegt. Doch die neue Konsole soll auch den Markt der Core Gamer zurückerobern. Für die etwas älteren Gamer wurden in den Sparten Spiele ab 16 und ab 18 wurden auf der Buchmesse  Assassin‘s Creed 3, Batman: Arkham City: Armoured Edition sowie ZombiU vorgestellt. Ab 30. November ist die Wii U im Handel erhältlich, die weiße Variante kommt mit 8 GB Speicher für 299€ in den Handel, die schwarze mit 32 GB schlägt mit 349€ zu Buche.

 

Foto: Logo, Copyright Frankfurter Buchmesse; Wonderbook, Copyright Sony Entertainment; Wii U, Copyright Sanja Döttling

Trends der Buchmesse – Die Zukunft ist Digital

von Sandra Fuhrmann


Kunstvoll aufgeschichtete Bücherstapel, bunt beleuchtete Regale und Bücher, die sich wie Marionetten an Fäden zu einem baumelnden Kunstwerk formieren: Allein optisch ist die Frankfurter Buchmesse ein einzigartiges Erlebnis, das für alle Kunst-, Kultur- und Geschichtenliebhaber keine Wünsche offen lässt. Doch bei allem Flanieren und Staunen durch das Märchenwunderland bleibt dem aufmerksamen Beobachter eines nicht verborgen: Ein deutlicher Trend zeichnet sich ab, der stark in Richtung digitaler Medien führt.

Die Zukunft ist jetzt

Aus einem Heft, das über Zahlen und Fakten der Frankfurter Buchmesse 2011 informiert, geht hervor, dass sich bereits im vergangenen Jahr bei 47 Prozent der Aussteller auch digitale Angebote im Portfolio befanden und sogar sieben Prozent ganz auf digitale Angebote setzten.„Die Digitalisierung verändert die Branche und prägt die Messe“, heißt es im Bericht. Bei 42 Prozent der Fachbesucher des Vorjahres wirkt sich die Digitalisierung merklich auf das Geschäft aus.

Die Zahlen für die diesjährige Messe werden die des Vorjahres mit großer Wahrscheinlichkeit noch toppen. Kaum ein Verlagsstand, an dem man nicht auf die zusätzliche digitale Verfügbarkeit der gedruckten Werke hingewiesen wird. Mit der Verfügbarkeit von E-Books wächst gleichzeitig der Markt rund um die digitalen Texte. media-bubble.de berichtete bereits darüber, wie die soziale Komponente beim Lesen durch die Möglichkeiten des Internets zunehmend an Bedeutung zu gewinnen scheint. Auf der Buchmesse wurde nun die neue Plattform BookShout! Vorgestellt. Die Seite ermöglicht es, E-Book-Nutzern ihre gekauften Titel hochzuladen und abzuspeichern. Anstatt nur auf einem Tool verfügbar zu sein, kann der entsprechende Text damit zum ersten Mal immer und von überall abgerufen werden. Während die Seite zu Anfang nur vom iPhone oder dem iPad aus genutzt werden konnte, ist sie nun auch mit dem Apple Standardbetriebssystem für mobile Geräte iOS mit Android und über das Web verfügbar. Die Seite nimmt weiterhin das Angebot vieler bereits vorhandener Leseforen auf: Leser können sich in Gruppen austauschen, Autoren mit ihren Lesern in Kontakt treten und für Verlage bietet sich die Chance, einen guten Überblick über Trends auf dem Lesemarkt zu bekommen.

Kuhfantofrosch und Co.

Nicht nur die Besucherdrängten sich in den Gängen der Frankfurter Messehallen, sondern auch zahlreiche weitere Anbieter mit Angeboten rund ums E-Book. So beispielsweise eBook.de, diesen Monat hervorgegangen aus der Seite Libri.de. Interessant ist, dass sich auch bei den Angeboten für Kinder ein wachsender e-Markt herauszubilden scheint. So ist zum Beispiel die bekannte Sachbuchreihe „Was Ist Was“ nun auch als App für iPhone und iPad erhältlich. Die Angebote in diesem Bereich jedoch gehen weit über die bloße Digitalisierung von Büchern hinaus. Interaktivität wird hier ganz groß geschrieben. Das zeigt beispielsweise die Firma Manuvo, die interaktive Bücher und Erlebniswelten für Tablets und als Apps produziert. Mit It Is So ergibt sich beispielsweise für manche Eltern eine Antwort auf die Frage, wie dem Kind am besten der Zyklus von Leben und Tod zu erklären ist. Mit dem Universal Animalarium können neuartige Tiere, etwa ein Kuhfantofrosch, kreiert, mit bunten Farben ausgemalt und anschließend in sozialen Netzwerken mit Freunden geteilt werden. Über den pädagogischen Wert solcher Angebote wird es wie üblich wohl viele Meinungen geben, eine Entlastung des elterlichen Nervenkostüms bei manch langer Autofahrt dürfte allerdings garantiert sein.

Neue Türen öffnen sich

Wo ein neuer Markt entsteht, da gibt es gleich zahlreiche Nischen, die zuerst gefunden werden müssen und dann besetzt werden können. Nicht anders ist es im Falle E-Books. Schaut man in den Veranstaltungskalender der Messe 2012, finden sich dort Diskussionsrunden, Vorträge und nicht zuletzt Workshops von Verlagen zu digitalen Medien. Auch für Autoren und die, die es noch werden wollen, öffnen sich mit diesem Trend ganz neue Tore. Dahinter mag vielleicht nicht unmittelbare Berühmtheit liegen, zumindest jedoch die Chance, ein Buch selbst zu veröffentlichen, das von anderen Verlagen abgelehnt wurde. Bei einem gewöhnlichen Werk liegt die Autorenbeteiligung je nach Art (Roman oder Sachbuch) und Ausführung (Hardcover oder Taschenbuch) bei fünf bis zwölf Prozent des Nettoladenpreises. Beim Self-Publishing sind es laut dem Unternehmen ebubli 60 bis 80 Prozent. Dabei steht es dem Autor frei, ob er das Buch nun als gebundene Version, als E-Book oder auch beides veröffentlichen möchte. Auf der Seite des Unternehmens finden sich jedoch Angebote zur Hilfe bei Konvertierung und Design. Je nach Anzahl, Format oder Seitenzahl, kann schon vorab im Internet berechnen lassen, wie viel einen dieser Weg zur Veröffentlichung kosten wird.

Auf einer Bühne in einer der Messehallen läuft ein Mann auf und ab und übt immer wieder denselben Text vor der Kamera. Der Inhalt ist in etwa folgender: „Hätte es zuerst das E-Book gegeben, keiner hätte am Anfang gedruckte Bücher lesen wollen.“ Der digitale Markt ist nicht erst im Kommen. Nimmt man die Eindrücke der Frankfurter Buchmesse 2012, ist er bereits da. Ob einem das gefällt oder nicht, bleibt letztendlich jedem selbst überlassen.

 

Fotos: Logo, Copyright Frankfurter Buchmesse; Bücherstapel, Copyright Sandra Fuhrmann; Kindle, Copyright Sanja Döttling.

Kultur im Netz – Ein Spannungsfeld: Verkaufe gebrauchtes E-Book, wie neu

von Stefan Reuter

E-Books und mp3s dürfen im Gegensatz zu ihren analogen Vorläufern nicht weiterverkauft, verliehen oder vererbt werden. Zumindest nach der aktuellen Gesetzeslage. Auch für Hollywood-Stars werden keine Ausnahmen gemacht, weswegen Bruce Willis angeblich Apple verklagen wollte. Doch die Gesetzeslage ändert sich. Es könnte also bald wirklich Flohmärkte für digitale Kulturgüter geben.

Stirb langsam, Apple

Auch ein Action-Held vom Format eines Bruce Willis muss sich mit zunehmendem Alter Gedanken darüber machen, wie er seinen Besitz unter seinen Liebsten verteilen will. Der Star der „Stirb langsam“-Reihe will angeblich seine beachtliche Musiksammlung seinen drei Töchtern vererben – und darf das nicht, wie die Sun berichtete. Das Problem liegt darin, dass die besagte Sammlung auf iTunes erworben wurde.

Was vielen nicht bewusst ist: Mit dem „Kauf“ eines digitalen Musikstücks erwirbt der Kunde lediglich Nutzungsrechte, die mit dem Tod aufgehoben sind. Auch wenn die Nachricht, Willis wolle Apple deswegen verklagen, eine Ente war, hat sie einige Fragen über den Umgang mit digitalen Gütern aufgeworfen: Wem gehören meine mp3s? Kann ich digital erworbene Filme weiterverkaufen? Und warum darf ich meine E-Books nicht verleihen?

Warum es keinen digitalen Flohmarkt gibt

Noch mal auf Anfang. Wer alte Schallplatten,CDs, VHS-Kassetten oder Bücher auf Flohmärkten, über eBay oder sonstige Plattformen verkaufen will, darf das, da hier der sogenannte Erschöpfungsgrundsatz gilt. Unter §17, Abs. 2 des Urheberrechtsgesetzes heißt es:

Sind das Original oder Vervielfältigungsstücke des Werkes mit Zustimmung des zur Verbreitung Berechtigten im Gebiet der Europäischen Union oder eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum im Wege der Veräußerung in Verkehr gebracht worden, so ist ihre Weiterverbreitung mit Ausnahme der Vermietung zulässig.

Mit dem Kauf eines gedruckten Buches wird also gleichzeitig auch das Recht erworben, diese Kopie weiterzuverkaufen. Und auch unentgeltlich an Familie und Freunde zu verleihen. Dasselbe gilt für Musik oder Filme, solange sie auf einem physischen Datenträger gespeichert sind. Ein E-Book oder ein mp3-Album aber ist an den jeweiligen User-Account gebunden, um so eine unrechtmäßige Weiterverbreitung zu verhindern. Immer mehr Menschen erwerben Musik, Literatur oder Filme ausschließlich digital. So stellt sich die Frage, warum diese Medien nicht wie ihre analogen Vorgänger gehandelt werden dürfen. In der Wirtschaftswoche (Nr. 40 vom 1.10.2012, Artikel Digitaler Flohmarkt) heißt es dazu:

So drängt sich der Verdacht auf, dass bei Amazon & Co. weniger technische Hürden dahinterstecken als vielmehr der Versuch, einen Zweitmarkt zu verhindern. Denn während benutzte CDs meist Kratzer haben und Bücher mit der Zeit regelrecht zerlesen werden, nutzen sich digitale Güter nicht ab. Eine Zweitverwertungsmöglichkeit von Produkten in identischer Qualität würde deren Preise deutlich drücken.

Dabei könnte die Branche selber durch mehr Kundenfreundlichkeit in diesem Bereich profitieren. Zum einen entfiele damit einer der Gründe, statt der digitalen Version lieber die gedruckte Form zu kaufen. Zum anderen ist gut vorstellbar, dass das durch den Zweitverkauf erworbene Geld in neue digitale Produkte investiert wird.

Ein wegweisendes Urteil

Am 3. Juli diesen Jahres urteilte der Gerichtshof der Europäischen Union, dass der Erschöpfungsrundsatz auch für gebrauchte Software-Lizenzen gilt, sie dürfen also wie gedruckte Bücher zum Verkauf angeboten werden. Der Software-Anbieter Oracle hatte die Firma Used Soft verklagt, die sich genau auf diese Art der Zweitverwertung von Software spezialisiert hat. Programme werden oft lediglich über Lizenzen, also den Erwerb von Nutzungsrechten veräußert. Somit kommen keine Kopien auf Datenträgern in Umlauf. Oracle sah sich durch die Zweitverwertung von Used Soft in seinem Verwertungsmonopol verletzt. Das Gericht befand aber, dass der Erwerb unbegrenzter Nutzungsrechte über eine Lizenz einer Kopie gleichkommt, egal ob sie in physischer Form vorliegt oder nicht.

Mit einem jeweils einzigartigen Lizenzschlüssel zur Aktivierung der Software ist schließlich sichergestellt, dass der Erstkäufer seine weiterverkauften Nutzungsrechte nicht mehr selbst in Anspruch nimmt. Aus juristischer Sicht ist eine Übertragung dieses Urteils auf digitale Kulturgüter durchaus möglich. Auch, wenn es um die Frage des Vererbens geht. Der Rechtsanwalt Christian Solmecke, der in der auf Medienrecht spezialisierten Kanzlei Wilde Beuger Solmecke arbeitet, sagt dazu:

Ob diese Entscheidung auf heruntergeladene Musik übertragbar ist, ist unter Juristen umstritten. Ich meine, dass eine solche Übertragbarkeit möglich ist. Gewissheit werden erst künftige Gerichtsentscheidungen bringen.“ Geht man also davon aus, dass Musik auf diese Weise übertragen werden kann, dann kann auch das Vererben nicht durch Allgemeine Geschäftsbedingungen untersagt werden. „Aus den deutschen iTunes Nutzungsbedingungen ist ein solcher Wegfall der Lizenz im Todesfall ohnehin nicht ohne Weiteres ersichtlich.“

Vorbild USA

Wie ein entspannterer Umgang der Handelsriesen mit den Nutzungsrechten digitaler Medien aussehen könnte, zeigen zwei Beispiele aus den vereinigten Staaten.

Die Website ReDigi erlaubt ihren Usern, auf iTunes erworbene Titel weiterzuverkaufen. Bei Verkauf erhalten sie Gutschriften für ReDigi oder iTunes als Erlös. Die „gebrauchten“ Songs sind günstiger als Neuerwerbungen im iTunes-Store. Sie kosten nur 69 statt 99 Cent oder 1,29$, allerdings sind natürlich nur die Titel zu erstehen, die andere loswerden wollen. Eine spezielle Software sorgt dafür, dass der Verkäufer nach einer abgeschlossenen Transaktion keinen Zugriff mehr auf die entsprechende Datei hat, das gilt auch für etwaige Sicherheitskopien, zum Beispiel auf einem USB-Stick. Außerdem ist die Software dafür verantwortlich, dass nur legal erworbene Titel in Umlauf kommen. Den Befürchtungen um einen digitalen Schwarzmarkt wird damit der Wind aus den Segeln genommen.

Das zweite Beispiel liefert sogar Amazon selbst: In den USA ist es Kindle-Usern gestattet, ihre E-Books untereinander zu verleihen. Dazu müssen sie lediglich die E-Mail-Adresse des Ausleihers angeben, dieser darf dann bis zu zwei Wochen lang auf das Buch zugreifen. Der eigentliche Besitzer kann das für diesen Zeitraum nicht – ganz wie im echten Leben. Laut Wirtschaftswoche sollen beide Angebote im kommenden Jahr auch in Deutschland starten.

Fotos: flickr/roboppy (CC BY-NC-ND 2.0), flickr/warein.holgado (CC BY-NC-SA 2.0)

That’s so gay!

von Pascal Thiel

Cybermobbing hat Konjunktur – besonders aus den USA erreichen uns ständig Schlagzeilen über neue Vorfälle. Immer wieder ist Homophobie Auslöser von jugendlichen Tragödien – und das Internet spielt dabei eine zunehmend bedeutsamere Rolle. Betroffen sind dabei, glaubt man der medialen Berichterstattung, vorrangig junge Homosexuelle. Doch diese These wird nicht nur von den unzähligen „Einzelfällen“ gespeist, sondern auch von der Existenz einer anderen, in den Augen mancher „harmloseren“ Form der Homophobie: einer homophoben Alltagssprache.

Den Beweis der Existenz liefert Twitter. Das soziale Netzwerk ist bis zum Bersten gefüllt mit homophoben Postings. Im Sekundentakt kommen neue hinzu. Einschlägige Ausdrücke wie „That was so gay“, „Faggot is in my college course“ oder „Fuck off with you gay fucking annoying laugh u faggot“ sind nur drei Beispiele homophober Sprache bei Twitter unter vielen.

Seit einigen Jahren haben sich Forscher der Universität von Alberta, Canada, dem Kampf gegen diese Tweets verschrieben: Vor drei Monaten riefen sie eine Internetseite ins Leben, die jedem Besucher in Echtzeit vor Augen führt, wie es sich bei Twitter mit homophoben Tweets verhält.

Homophobie in Daten

Die besagte Internetseite, nohomophobes.com, ist ein Projekt des „Institute for Sexual Minority Studies and Services“ der Faculty of Education der Universität von Alberta in Edmonton, Canada. Anfang Juli 2012 als „social mirror“ (Quelle: Pressemitteilung 26.09.12) ins Leben gerufen, zählt es seitdem „faggot“-, „so gay“-, „no homo“- und „dyke“-Tweets – in der Übersetzung: „Schwuchtel“-, „so schwul“-, „kein homo“- und „Lesbe“-Tweets. Die Macher sehen das Projekt als „soziales Gewissen“:

Perhaps, what this website does best, and why it has received so much international attention, is how the site serves as a form of collective social conscience, which reminds us about the powerof our words and how we have to take responsibility for our actions. (Quelle: Pressemitteilung 26.09.12)

Über 5 Millionen homophobe Tweets hat nohomophobes.com in den letzten drei Monaten gezählt. Von dieser gewaltigen Zahl zeigte sich selbst Institutsdirektor Kristopher Wells überrascht. Mit einem solchen Ausmaß habe man nicht im Geringsten gerechnet: „We never imagined the scale of casual homophobia that actually exists on social media“ (Quelle: Pressemitteilung 26.09.12).

Tatsächlich ist die Bilanz erschreckend: Im Schnitt werden auf Twitter täglich etwa 30.000 „faggot“-Tweets, 10.000 „so gay“-Tweets, 8.000 „no homo“-Tweets und etwa 3000 „dyke“-Tweets gepostet.

Homophob oder nicht?

Die Frage, ob die Verfasser tatsächlich alle homophob sind, lässt sich zwar nicht beantworten, doch es ist relativ unwahrscheinlich, dass hinter jedem besagten Tweet Hass gegenüber beziehungsweise Angst vor Homosexuellen steht.

Plausibler erscheint eine These, die von der Entstehung einer neuen Modesprache ausgeht. Während vor ein paar Jahren erste Fragmente vor allem auf Schulhöfen lediglich aus den Kehlen naiver Vorpubertierender schallten, hat sie sich bis heute zu einem hippen „Slang“ entwickelt, der jenseits von jeglich empathischen Empfinden sein Unwesen treibt. Längst haben sich Ausrufe wie „Das ist doch schwul!“ oder „So ein Homo!“ in der Sprache der Jugend festgesetzt.

Selbige Begriffe bezeichnen nach dem Verständnis vieler nicht mehr vorrangig eine andere sexuelle Identität, sondern stehen als Synonym etwa für „langweilig“ oder gar „scheiße“.

Seit dem Beginn des digitalen Zeitalters erhält diese Verschiebung der linguistischen Bedeutung besagter Begriffe nun Einzug in diversen sozialen Netzwerken. So unbewusst sich dort viele Internetnutzer dieser vermeintlichen Alltagssprache bedienen, so gefährlich ist die Konsolidierung derselben in der digitalen Gesellschaft. Denn es muss bedacht werden: Der mediale Ausdruck über Twitter geschieht hier immer auf Kosten einer gesellschaftlichen Gruppierung.

Menschen sind „desensibilisiert“

Kristopher Wells, Leiter des „Institute for Sexual Minority Studies and Services“ sieht das ähnlich. Gegenüber media-bubble.de sagt er:

While not all people tweeting are homophobic, their use of derogatory language hurts, stereotypes, and further isolates sexual and gender minorities, their friends, and families. We believe that many people have simply become desensitized to these words and the devastating impact they have in our society.  These words quite simply serve to reinforce stereotypes and are often used as powerful weapons to defile and further marginalize gay, lesbians, bisexual, and transgender people.

Gerade im Hinblick auf die geistige Entwicklung (homosexueller) Jugendlicher sei diese Desensibilisierung äußerst problematisch:

We are particularly concerned about the negative environment or climate these words have on youth who may be coming to terms with or questioning their sexual orientation or gender identity.

Die, durch die These der Modesprache, dargelegte Assoziation negativer Eigenschaften birgt zudem die Gefahr einer gesellschaftlich anerkannten Verachtung von Homosexuellen, die schließlich über soziale Netzwerke „globalisiert“ werden kann. Daher muss man sich gegen eine homophobe Sprache stellen – das will auch nohomophobes.com:

Ultimately, we hope that the website […]will encourage people to think critically before they speak or tweet! After all, words have the power to hurt, or to help. If casual homophobia is to end, we all must help to break the silence that surrounds the power of these words. If we don’t speak up, who will?

Um Wells Argumentation aufzugreifen: Internetnutzer müssen resensibilisiert werden für die Sprache, die sie verwenden – im wirklichen Leben wie in sozialen Netzwerken. Nur wenn sie sich bewusst die wahre Bedeutung ihrer Worte vor Augen führen, kann Einsicht erreicht werden.

Bilder: Pressebilder (erhalten via E-Mail)

Kultur im Netz – Ein Spannungsfeld: Gesellschaftskritik um Gangnam-Style

von Stefan Reuter

Ballermann war gestern, die Sommerhits von heute werden im Netz geboren. Der Preis für den unwahrscheinlichsten Chartbreaker 2012 geht an den südkoreanischen Rapper PSY. „Gangnam Style“ ist ein Lehrstück in Sachen globalem Pop. Die eigentliche Bedeutung des Songs wird dabei oft vernachlässigt.

Von Gangnam ins Guiness Buch

„Words cannot even describe how amazing this video is…“ Das twitterte der amerikanische Sänger T-Pain Ende Juli über das knapp zwei Wochen zuvor veröffentlichte Video des Südkoreaners PSY. Tatsächlich bietet „Gangnam Style“ einiges an Schauwert: Abgefahrene Outfits, Explosionen, umherwirbelnder Schnee und – natürlich – hübsche Frauen. Mittendrin sitzt PSY mit heruntergelassener Hose auf der Toilette und plantscht in einem Pool. Selbstverständlich wird auch getanzt, egal ob in einem Bus, in einem Pferdestall oder auf dem Zebrastreifen. Die Choreografie erinnert an eine dadaistische Kreuzung aus Saturday Night Fever und Westernreiten, ist also schräg und einprägsam. Ganz, wie es sich für den Tanz eines Sommerhits gehört. Dass Menschen außerhalb Südkoreas neben „Eh sexy Lady!“ wohl kein Stück des Textes verstehen, stört nicht. Skurrilität, Eingängigkeit und ein markanter Beat – so schaffte PSY es mit über 300 Millionen Likes zum beliebtesten Video auf YouTube. Und damit in das Guiness Buch der Rekorde. Dieser enorme Erfolg brachte PSY und seinem Tanzstil neben prominenten Fans und Nachahmern, wie Katy PerryBritney Spears oder Googles ehemaligem CEO Eric Schmidt, auch Parodien ein. Egal ob Han Solo, Gandalf oder Obama – niemand ist sicher vor dem Gangnam-Style.

Ein Hit und seine Bedeutung

Hinter der lustigen Fassade steckt allerdings ein kritischer Kommentar zur südkoreanischen Gesellschaft. Gangnam ist ein Viertel in Südkoreas Hauptstadt Seoul, das besonders für sein Nachtleben bekannt ist. Durch stadtplanerische Eingriffe in den 80ern – wie der Verlegung einiger wichtiger Bildungseinrichtungen dorthin – wurde aus dem ursprünglich landwirtschaftlich genutzten Gebiet ein schillerndes Lifestylezentrum. Hier liegt die Wurzel der Kritik, die an diesem Viertel und seinen Bewohnern geäußert wird. Bloggerin Jea Kim erklärt:

For most Koreans are fed up with all those „nouveaux riches“ in Gangnam who became rich because of their real estate values skyrocketed „overnight“. The haves in Gangnam are so materialistic and philistine that they hardly have a real organic relationship with the world outside Gangnam, let alone a sense of noblesse oblige. Just as much people outside Gangnam admire their wealth, status, and lifestyle, they misunderestimate and look down on the outsiders.

Hier setzt auch PSYs satirischer Kommentar zum Leben in Gangnam an. Er stammt selbst aus diesem Viertel und weiß, wovon er singt. In den Lyrics des Liedes geht es um ein stilvolles Mädchen, dass die Freiheit, die eine Tasse Kaffee bedeutet, genießt. Jea Kim verdeutlicht, was es damit auf sich hat:

In Korea, there’s a joke poking fun at women who eat 2,000-won (about $2) ramyeon (Korean style ramen) for lunch and then unstintingly spend over 6,000 won (about $5,30) on Starbucks coffee. […] Such crazes were believed to be inspired by HBO’s „Sex and the City“ in which the designer stuff-obsessed women frequently meet together to talk over brunch or coffee. But clearly, that you can afford a relaxing cup of „Starbucks“ coffee doesn’t make you classy.

Unter der Hochglanzoberfläche von „Gangnam Style“ versteckt sich also eine bissige Analyse von Seouls oberen Zehntausend. PSY hält ihnen einen Spiegel vor und entlarvt ihren Lebensstil als lächerliche und oberflächliche Selbstinszenierung.

PSY featuring Justin Bieber?

Diese Doppeldeutigkeit offenbart sich bereits in der ersten Szene des Videos: Scheint es zunächst so als läge PSY am Strand, zeigt sich bald, dass er sich lediglich auf einem Spielplatz befindet. Damit verdeutlicht er den Geltungsdrang der Einwohner Gangnams. Im Making-Of des Videos äußert der Künstler, der in Boston Musik studierte, seine Kritik recht explizit. Der südkoreanische Menschenrechtler Adrian Hong erklärt in einem Artikel in The Atlantic:

‚Human society is so hollow, and even while filming I felt pathetic. Each frame by frame was hollow,‘ he [PSY] sighs, apparently deadly serious. It’s a jarring moment to see the musician drop his clownish demeanor and reveal the darker feelings behind this lighthearted-seeming song. Although, Hong noted, ‚hollow‘ doesn’t capture it: ‚It’s a word that’s a mixture or shallow or hollow or vain,‘ he explained.

Angesichts solcher Aussagen wirkt es geradezu ironisch, dass PSY Top-Platzierungen in den Charts weltweit einfahren konnte. In seiner Heimat, den USA und dem Vereinigten Königreich steht er schon ganz oben, und auch in Deutschland könnte er die Poleposition erobern. Inzwischen hat er einen Vertrag mit Island Records unterschrieben, der Plattenfirma, die auch ein gewisses kanadisches Internetphänomen betreut. Es ist fraglich, ob PSY seine Subversivität behalten wird, sollte demnächst  „Hollywood Style featuring Justin Bieber“ die Charts stürmen.

Fotos: flickr/KOREA.NET – Official page of the Republic of Korea (CC BY-NC-ND 2.0), ders. (CC BY-NC-ND 2.0)

Das ist nicht persönlich gemeint! Oder doch?

von Sanja Döttling

Der Papst wird mit einem gelben Fleck im Schritt abgebildet (Titanic), ein Fußballprofi mit Erektion gezeigt (BLICK) und ein Sarazin fühlt sich beleidigt (taz). Wie frei sind die Medien? Heißt Freiheit auch Narrenfreiheit?  Was ist Spottkritik, was ist Beleidigung?

Grundgesetz Artikel 5

(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.

(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.

 

Die Schranken der Freiheit

JustiziaIm deutschen Grundgesetz ist die Meinungs- und Pressefreiheit eindeutig gewährleistet. Doch das heißt nicht, dass öffentliche Meinungsäußerungen völlig narrenfrei sind. In Absatz zwei werden zwei Beschränkungen genannt.

a) Die allgemeinen Gesetze, müssen auch von Pressevertretern geachtet werden. Die Gesetze stehen dann in Wechselwirkung zueinander und müssen einzeln ausgehandelt werden.

b) Schutz der Jugend. Diese Fälle sind äußerst klar umrissen. Nach dem Jugendschutz sind pornografische und/oder gewaltverherrlichende Inhalte sowie „jugendgefährdende Schriften“ von Jugendlichen fern zu halten.

c) Recht der persönlichen Ehre. Diese Bestimmung ist schwieriger zu interpretieren. Mit der Zeit haben sich aber einige Interpretationen von „Ehre“ herausgearbeitet, die im heutigen Recht Anwendung finden.

 

Was bedeutet Ehre heute?

Das „Persönlichkeitsrecht“ ist vielseitig und oft schwammig. Wo hört Berichterstattung auf, wo fängt persönliche Beleidigung an? Die Grenzen sind oft fließend und müssen in jedem individuellen Fall neu bestimmt und justiert werden. Es gibt aber einige Kategorien, die festgelgt wurden: „Recht der persönlichen Ehre“ bedeutet konkret:

– Schutz vor Beleidigungen (auch Schmähkritik genannt). Gründet der Artikel auf ein Sachbestand oder dient er nur der Beleidigung?

– Schutz vor „unwahren Tatsachenbehauptungen“. Ist der „journalistische Sorgfaltspflicht“ nachgekommen worden?

– Recht am eigenen Bild. Die Ausnahme bilden „Personen des Zeitgeschehens“ (wer da alles dazugehört, ist Interpretationssache).

– Schutz der „Tabuzone“, die die Intimsphäre (Sex, Gesundheit), Privatsphäre (Beziehungsstatus), Sozialsphäre und Öffentlichkeitssphäre umfasst.

 

Zurück zum Penis

Wie genau sieht die Verhandlung dieser Gesetze nun im echten Leben aus? Als das Satire-Magazin Titanic den Papst mit einem gelben Fleck auf der Vorderseite und mit Braunem am Gesäß zeigte und titelte „Halleluja im Vatikan – Die undichte Stelle ist gefunden!“, konnte sich der Papst auf seine Persönlichkeitsrechte berufen. Eine einstweilige Verfügung wurde ausgesprochen – daraufhin musste der Verkauf des Magazins eingestellt werden – die Bilder waren selbst im Internet kaum mehr auffindbar. Titanic legte Widerspruch ein – und der Papst zog die Klage zurück. Die Fleckenbilder dürfen wieder gezeigt werden.

Auch ohne Urteil 1:0 für die Freiheit.

Der Fußballer Mario Götze ist ebenfalls mit dem in Kontakt gekommen, was sich Pressefreiheit „schimpft“. Er wurde im Urlaub auf Ibiza mit einer sichtbaren Erektion fotografiert. Diese Bilder zeigte das schweizerische Blatt Blick gerne der gesamten Öffentlichkeit. Noch heute sind die Bilder im Internet zu finden. Rechtliche Schritte wurden, trotz Überlegung, keine unternommen. Vielleicht die besten Lösung, denn: Die Bilder werden im Internet bleiben, und je weniger Trara um den Fall gemacht wird, desto schneller ist er wieder vergessen.

Ganz ohne rechtliche Schritte steht es 2:0 für die Freiheit (oder die Freiheit, Sache zu vergessen).

Sarazin hat geklagt. Nicht gegen sich selbst, sondern gegen die taz. Die schrieb nämlich, Sarazin werde „inzwischen von Journalisten benutzt wie eine alte Hure, die billig ist, aber für ihre Zwecke immer noch ganz brauchbar, wenn man sie auch etwas aufhübschen muss…“. Sarazin sah darin eine Schmäkritik – das Oberlandesgericht Frankfurt nicht. Das Abendblatt zitiert das Urteil wiefolgt: „Personen des öffentlichen Lebens müssten sich zudem weitergehende Einschränkungen ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts gefallen lassen als Privatleute. Außerdem sei auch polemische oder überspitzte Kritik von der Meinungs- und Pressefreiheit gedeckt.“

Mit Prozess steht es 3:0 für die Pressefreiheit.

 

Bücher ohne Zensur

Nicht nur die Presse wagt sich manchmal mit beiden Beinen an den Abgrund, der sich zwischen rechtmäßiger Meinung und unrechtmäßigem Verletzen des Persönlichkeitsrechts auftut. Bei Kunsterzeugnissen wie Büchern gelten prinzipiell gleiche Rechte wie bei der Presse – und doch wird hier das Gesetz etwas anders interpretiert. So haben nicht-öffentliche Personen  tendenziell mehr Schutz verdient als „Pominente“.

„Das Da-Da-Da Sein“, ein Buch von Maik Brüggemeyer hätte ein Erfolg werden können. Doch die Ex-Freundin klagte: Sie sah ihre Persönlichkeitsrechte verletzt. Das gleiche passierte Maxim Billers 2003 mit seinem Roman „Esra“, sein Buch wurde verboten. Brüggemeyers Verlag zog das Buch ohne Prozess zurück.  Das sind nicht die einzigen Fälle, in denen das Recht auf Schutz der Person über das auf freie Kunst gestellt wird.

Uwe Wittstock hat sich in seinem Buch „Der Fall Ersa“ diesem Phänomen gewidmet. Er glaubt, dass diese Urteilsführung zur Einschränkung der Kunstfreiheit führt. Brüggemeyer nennt den Grund: „Als Schriftsteller, der über die Gegenwart schreibt, kommt man in Deutschland ohne Anwalt nicht mehr aus.“ Da den Verlagen das Risiko eines Prozesses zu groß ist, werden jetzt auch weitere Bücher in eine Überarbeitung gezwungen – um der Verletzung des Persönlichkeitsrechtes vorzubeugen. In einem Interview mit dem „Focus“ sagte Wittstock, dadurch entstehe „Literatur ohne Biss“. Brüggemeyer wird sein Buch jetzt umschreiben, um es nicht zu einem Prozess kommen zu lassen. Aber seien wir mal ehrlich: Zeichnet es nicht einen guten Schriftsteller aus, die Wirklichkeit unkenntlich als Geschichte zu tarnen? Ist es nicht ihre Aufgabe, Realität zur Fiktionalität zu konvertieren? Wie dem auch sei: Damit steht es im Endstand 3:2. Die Lage zwischen Recht und Freiheit ist also relativ ausgeglichen – und die Entscheidung von jedem Fall einzeln abhängig.

Doch die Pressefreiheit hat einen straken Verbündeten: Das Internet. Selbst als die Papst-Bilder zeitweise verboten waren – und auch im Internet nicht mehr auffindbar sein sollten, haben gewitzte Leute sie zugänglich gemacht. So wurde das abfotografierte Foto auf youtube.com als Video gezeigt, so dass es nicht zensiert werden konnte. Letztendlich ist es – zumindest bei Bildern oder bereits veröffentlichten Presseerzeugnissen – nicht mehr möglich, eine Verletzung des Persönlichkeitsrechtes ungeschehen zu machen. Und der Prozess selbst bringt nur noch mehr negative Presse für den Betroffenen. Vielleicht ist nichts tun und ausharren – wie im Falle Mario Götze – doch die beste Wahl.

 

Foto: yourdoku / flickr.com  (CC BY-NC-NC 2.0), John Linwood / flickr.com (CC BY-NC-SA 2.0)

Alexander der Große – Worte zum Abschied

von der Redaktion

Alexander Karl hat im letzten Jahr viel getan. Neben seinen Verpflichtungen als Student an der Universität Tübingen verbrachte er seine „freie“ Zeit damit, media-bubble.de zu einem respektablen Medienblog zu machen.

Nun zieht er gen Norden, um dort sein Masterstudium zu absolvieren. Seinen Posten als Chefredakteur muss er deshalb weitergeben. In unserem Redaktionsteam wird eine große Lücke zurückbleiben.

Alex machte aus einem Haufen eigenbrödlerischer Medienwissenschaftsstudenten mit komischen Hobbies eine Fachredaktion, deren Artikel immer mehr Leser fanden. Innerhalb dieses Jahres hatten wir durchschnittlich 250 Besucher täglich – eine Zahl, die wir vor allem Alex zu verdanken haben.

Seine Redaktionstreffen oder -partys haben inzwischen einen geradezu legendären Status im Redaktionsteam. Zwischen Grill, Bier und Fotoshootings fand an bis zu vier Laptops ein kreativer Austausch statt, der neue Projektstudien und Serien entstehen ließ.

Er hatte es nicht immer leicht. Tücken im Redaktionssystem und -team raubten ihm den letzten Nerv. Doch Alex schaffte es auch in schweren Situationen, eine gute Figur zu bewahren und das Team anzuschieben und auf den richtigen Weg zu leiten.

Immer wieder bestärkte er die Mitglieder der Redaktion darin eigenständig zu arbeiten, ließ neue Perspektiven auf Themen zu und war offen für Außergewöhnliches. So bekam der Themenmix auf media-bubble.de seine Einzigartigkeit.

Alex ist in diesem Jahr über sich selbst und die alltägliche Redaktionsarbeit hinausgewachsen. Seiner Organisation ist es zu verdanken, dass der Blog herausragende Artikel schreiben konnte, zum Beispiel ein Interview mit Vincent Schmidlin von Scholz&Friends sowie live aus Köln von der „Queer as Folk“-Convention.

Nicht nur im realen Leben, sondern auch online hat sich viel getan. Alex etablierte unsere facebook-Seite und unseren twitter-Account, so dass wir jetzt auch am Leben in den Sozialen Netzwerken teilnehmen können.

Alex hat in diesem Jahr immer wieder bewiesen, dass er ein Auge für die richtigen Themen und Artikel hat, so dass das gesamte Medienspektrum abgebildet werden konnte.

Schweren Herzens verabschieden uns von Alex, unserem ersten Chefredakteur, Querdenker und Visionär.

Ein Jahr voll intensiver, lustiger und produktiver Arbeit liegt hinter uns. Nun hoffen wir, dass uns Alex als Autor auf unserem Weg in die Zukunft weiterhin erhalten bleibt. Ein großes Dankeschön von deiner Redaktion: Nicolai Busch, Sanja Döttling, Sandra Fuhrmann, Sebastian Luther, Sebastian Seefeld und Pascal Thiel. Wir wünschen dir alles Gute!

Fotos: Sanja Döttling, Sandra Fuhrmann

 

Gender, Butler und die Medien

von Alexander Karl

Sie ist die Wissenschaftlerin, die man als Erste mit der Gender-Debatte in Verbindung bringt: Judith Butler. Längst behandelt sie nicht mehr nur dieses Feld, sondern wendet sich auch anderen, ethischen Themen – etwa der Trauer – zu. Diese Transdisziplinarität macht sie auch für die Medienwissenschaft interessant.

Wiederholung über Wiederholung

Zunächst sei gesagt: Judith Butlers Texte sind komplex und oftmals sehr abstrakt – weshalb Einführungen in ihre Gedankenwelt nützlich sind (etwa Paula-Irene Villas „Judith Butler – Eine Einführung“, dazu eine Rezension weiter unten). Schafft man es aber, sich in Butlers Theorien einzuarbeiten, eröffnet sich dem Leser eine spannende und komplexe Welt aus Theorien, die sicherlich streitbar ist – aber wahrscheinlich macht sie das nur interessanter.

Greift man beispielhaft die Theorie der Performativen Akte und Geschlechterkonstruktion heraus, lassen sich schnell interessante Medienbezüge feststellen. Butler sagt, dass Geschlechter nicht nur konstruiert sind, sondern die Geschlechtsidentität durch „die stilisierte Wiederholung von Akten zustande kommt“ (Butler, 2002, S. 302). Vereinfacht ausgedrückt: Wir sehen täglich, welches Verhalten männlich und welches Verhalten weiblich ist. Dadurch wird die Geschlechtsidentität – so Butler – geformt. Solche Wiederholungen finden aber nicht mehr nur im privaten, sondern auch im öffentlichen Leben statt – also auch in den Medien. Auf dieser zusätzlichen Ebene zeigen uns fiktive Charaktere, dass man für männliche Babys blaue und für weibliche Babys rosafarbene Strampler kauft. Dass die Männer hart arbeiten und die Frauen wahlweise Hausfrauen sind und/oder shoppen. Kurzum: Die Medien sorgen für noch mehr Wiederholungen von Akten, gerade dann, wenn stereotype Figuren zugrunde liegen. Diese „Gender Performance“ ist damit nie orginal oder gar orginell, sondern nur „eine Imitation einer Imitation einer Imitation“ (Villa, 2012, S.77) – eben aufgrund der Wiederholungen, die wir uns tagtäglich ansehen und sie selbst performen.

Die Frau, der Nicht-Mann

Butler befasst sich sehr stark mit theoretischen Überlegungen zur Subjektwerdung und der Identität, wobei letztere nicht immer nur auf das Geschlecht abzielen muss. Menschen werden, so Butler, bestimmte Identitäten zugeschrieben, die sie je nach Kontext erfüllen: Ein Mensch ist Frau (oder Mann), heterosexuell (oder homosexuell), Schriftsteller (oder Wirtschaftsexperte) und vieles mehr. Doch oftmals findet eine Reduktion auf ein Merkmal – oder eine Identität – statt. Dann ist man nur ein Mann, nur heterosexuell, nur Schriftsteller. Gerade in den Medien findet man diese Reduktion auf den Euro-Rebellen, den Wirtschaftsexperten oder den PR-Berater. Hinter diese eine Identität treten dann all seine anderen Identitäten zurück – etwa liebender Familienvater oder Schrebergarten-Besitzer. Zudem bedeutet nach Butler die Zuschreibung einer Identität, dass man eine andere nicht ist: Wer Mann ist, ist Nicht-Frau. Wer schwul ist, ist nicht-hetero (vgl. hierzu: Villa, 2012, S. 45ff.).

Diese beiden Beispiele – mögen sie an dieser Stelle die Theorien Butlers auch nur knapp und in Aspekten ausführen – machen deutlich, dass gerade die Geschlechterfrage in den Medien eine große Rolle spielt: Wie werden Mann und Frau dargestellt? Gibt es ausschließlich Darstellungen von Mann und Frau oder auch von intersexuellen Menschen? Wenn sie sich in ihren neueren Texten mit ethischen Fragen – etwa der Trauer – auseinander setzt, gilt es zu fragen: Welche Leben werden öffentlich und medial betrauert? Paula-Irene Villa nennt hier als Beispiel den Begriff der „Döner-Morde“ (2012, S. 139).

Judith Butler regt zu interessanten Gedanken an, wenn man sie denn versteht. Deshalb ist gerade für den Einstieg in Butlers Theorien eine erklärende Hilflektüre empfehlenswert, etwa die Folgende:

Judith Butler – Eine Einführung (2. aktualisierte Auflage), 2012.

„Judith Butler – Eine Einführung“ von Paula-Irene Villa, Professorin für Soziologie und Gender Studies an der LMU München, hält, was sie verspricht: Villa gelingt eine gute und systematische Gliederung des Buches, die den Leser in die Gedankengänge Butlers einführt. So geht es zunächst um den Diskurs und die Sprache, die für Butlers gesamte Argumentation wichtig sind. Gleichzeitig handelt es sich bei diesen Themen um sehr abstrakte Überlegungen Butlers, die ein harter Einstieg in die Materie sind. Über das gesamte Buch hinweg werden aber immer wieder Querverweise in Butlers Argumentation herausgestellt, die für eine gute Verständlichkeit der Theorien und Aha-Effekte sorgen. Neben der Abhandlung der wichtigsten Theorien geht Villa auch auf die Rezeption und Wirkung Butlers ein. Sicherlich gibt es Autoren, deren Ausführungen einfacher zu erläutern sind als Butlers, doch eine Komplexitätsreduktion hätte an mancher Stelle das Lesen erleichtert. Insgesamt eignet sich das Buch aber sehr gut für einen Überblick über Butlers Werke und ihre Theorien.

„Judith Butler – Eine Einführung“ (2. aktualisierte Auflage) von Paula-Irene Villa ist am 16.08.2012 in der Reihe Campus Studium erschienen. Kartoniert, 179 Seiten, € 16,90.

Ebenfalls erwähnt: Butler, J. (2002). Performative Akte und Geschlechterkonstruktion. Phänomenologie und feministische Theorie. In: Wirth, U. (Hg.). Performanz: Zwischen Sprachphilosophie und Kulturwissenschaften. (S. 301-320). Frankfurt am Main: Suhrkamp.

flickr/Andrew Rusk (CC BY 2.0); Buchcover: Campus Verlag