Die Zukunft des Buches

von Alexander Karl

Es ist wieder soweit: Vom 14.-17. März präsentiert sich die Buchbranche auf der Leipziger Buchmesse – und mit dabei ist auch die Münchnerin Karla Paul. Seit 2006 bloggt sie auf buchkolumne.de über Bücher, außerdem arbeitet sie seit 2009 bei der Literaturcommunity LovelyBooks.de im Bereich der Redaktionsleitung und des Social Media Managements. Wenn dann auch noch Anfang 2014 ihr Buch „Das Alphabet der Bücher: Bekenntnisse einer hemmungslosen Leserin“ im Heyne Verlag erscheint, wird wohl allen klar werden – diese Frau liebt Bücher!

Mit media-bubble.de sprach Karla Paul über die Bedeutung der Buchmesse im Internetzeitalter, die Trends des Buchmarkts und Social Media bei Büchern.

Karla, die Buchmessen haben in Deutschland eine lange Tradition. Welche Bedeutung haben sie noch im Zeitalter des Internets?

Die Kommunikation findet meistens das ganze Jahr über auf digitalem Weg bzw. telefonisch statt – umso schöner ist es dann, wenn man sich in Leipzig und Frankfurt auch einmal persönlich trifft, wenn man das Zwischenmenschliche pflegen und die Kontakte auch mal bei einem Kaffee vertiefen kann. Hier kann man in kurzer Zeit viele Menschen aus der Branche treffen, sich miteinander vernetzen, Insiderwissen austauschen und was tatsächlich für mich eine große Rolle spielt: Verlage, Autoren und auch die LovelyBooks.de Mitglieder haben ein besseres Gefühl, wenn sie den Menschen, mit dem sie tagtäglich zu tun haben, auch einmal im echten Leben gesehen und kurz mit ihm geredet haben. Man macht sich eben, trotz all der Möglichkeiten via sozialer Netzwerke und Email miteinander in Kontakt zu bleiben, gern auch von Mensch zu Mensch ein richtiges Bild voneinander. Also bleibt die Bedeutung weiterhin sehr wichtig.

Welche Trends gibt es aktuell auf dem Buchmarkt?

Social Reading, Book Discoverability, E-Reader, Epub 3, Selfpublishing – all diese Schlagworte geistern schon seit einigen Jahren bzw. Monaten durch den Raum und es ist ganz klar: alles wird sich verändern. Der Buchmarkt ist im Aufbruch und die Teilnehmer suchen stets nach neuen Möglichkeiten um Literatur an Leser zu vermitteln und sich den Veränderungen anzupassen, sie wenn möglich voranzutreiben. Wir haben uns bei unserem Relaunch auf LovelyBooks.de dem Problem angenommen, wie der Leser in Zukunft online durch Stöbermöglichkeiten neue Bücher für sich entdecken kann, anstatt den Vorgaben und Empfehlungen der Shops zu folgen. Leser wollen wieder mehr entdecken, Geheimtipps (egal ob nun als gebundene Ausgabe oder als E-Book) weitergeben und den Empfehlungen ihrer Freunde folgen – dies wird auf der umgewandelten Plattform alles neu umgesetzt und wir sind sehr gespannt auf die ersten Reaktionen der Branche. Ansonsten wird sicher der neue E-Reader „Tolino“ eine Menge Presse bekommen – ob verdient, das muss sich erst noch zeigen und auch weitere Entwicklungen werden sicherlich erst auf der Messe präsentiert.

Welche Rolle wird Amazon in Zukunft auf dem Buchmarkt – gerade auch im Bereich des E-Books – spielen?

Amazon ist bereits der größte Player auf dem Markt und sorgt für steigende Umsätze im Online-Versandbuchhandel. Trotz der scharfen Kritik aufgrund der Arbeitssituationen bei Amazon wird sich gerade hier wahrscheinlich in den kommenden Monaten noch viel in Richtung des amerikanischen Riesen tun, sollten nicht gerade die Leser hier wieder mehr in Richtung „buy local“ denken. Es gibt zwar mit der Kampagne des Deutschen Buchhandels bzw. des Börsenvereins sowie den Gegengrößen Thalia und Weltbild mit ihrem Tolino Bestrebungen hier wieder mehr Raum einzunehmen, aber ob dies gelingt, dies bleibt abzuwarten. Eins ist sicher – die ersten Leidtragenden sind die kleinen Buchhandlungen vor Ort, denen Amazon Stück für Stück auch aufgrund des wachsenden Ebook-Markts die Existenzgrundlage entzieht.

Wie wichtig sind Internet und Social Media für Bücher? Gibt es da aktuelle Beispiele?

Inzwischen finden die meisten Einkäufe online aufgrund von Empfehlungen statt – d.h. zum Beispiel meine Freunde auf Facebook oder Twitter reden dort über ein Buch und schreiben eine Rezension und da ich diesen vertraue, kaufe ich das Buch eher als wenn es mir über eine Werbung sozusagen aufgedrängt wurde. Wir sehen dies über unsere Facebook-Integration, d.h. wenn ein Mitglied eine Rezension schreibt, dann wird diese automatisch auf Facebook geteilt und so gelangen wiederum dessen Freunde auf unsere Plattform. Aktuell sind auch circa 80-90 Prozent aller Verlage auf den größten sozialen Netzwerken zu finden und auch die Autoren ziehen mehr und mehr nach und suchen dort den Kontakt zum Leser und damit zum Endkunden.

Für wen ist Social Media insgesamt wichtiger: Für Autoren oder Verleger?

Da beide am gleichen Produkt verdienen, ist es auch für beide Gruppen wichtig. Inzwischen wird oft behauptet, dass die Verlage gar dank Selfpublishing ihre Existenzgrundlage verlieren würden, dem muss ich widersprechen. Das was Verlage leisten, d.h. vom Tragen des Risikos, dem Druck, der Verbreitung im flächendeckenden Buchhandel, Presse und Marketing, Qualitätskontrolle und vieles mehr, das ist nur schwer allein zu meistern und ich weiß auch so gut wie kein Beispiel, wo dies nachweislich so geklappt hat, wie es oft und gern in den Medien gehyped wird. Also sollten sich beide online und offline ergänzen und unterstützen und an einem Strang ziehen, damit man mit vereinten Möglichkeiten dem jeweiligen Buch zu einem noch besseren Start bzw. Verkauf verhelfen kann. Inzwischen sind nur Autoren mehr eingebunden und nutzen den direkten Kontakt zum Leser ja auch nicht nur aus Marketinggründen, sondern auch um sich direktes Feedback zum Buch zu holen – was vorher ja nur bei Lesungen vor Ort möglich war. Viele genießen den Austausch sehr und bleiben deswegen auch in veröffentlichungsarmen Zeiten jederzeit gern mit dem Leser in Kontakt.

Welche Tipps hast du für die Nutzung von Social Media bei Büchern?

Das kann man schwer verallgemeinern, oft erarbeiten wir mit den Verlagen zu den jeweiligen Büchern und deren Grundthemen passende Konzepte. Grundsätzlich sollte man als Autor oder Verlag alle Möglichkeiten anbieten, damit die Inhalte möglichst breit und einfach geteilt werden können – z.B. Einbau der Sharing-Buttons auf allen Autoren- und Buchseiten, Integrierung des Social-Reading-Streams im Ebook, die Social Media Accounts des Verlags und Autors überall einbinden und so für den Leser auf allen Netzwerken erreichbar sein. Und dann noch stets authentisch bleiben – auch online entwickelt man ein recht feines Gespür für den Menschen hinter dem Account und trotz aller Bemühungen von Firmen und Marken sich möglichst neutral und glatt zu geben, damit man unangreifbar ist – Kommunikation, d.h. der Dialog funktioniert nur zwischen Menschen und dies sollte man stets bedenken. Wer dann noch die gleichen Regeln für die Offline-Kommunikation d.h. eine sogenannte Netiquette verwendet, der kann eigentlich wenig falsch machen. Und falls es doch noch Fragen gibt – einfach her damit, da ich auch Autoren und Verlage im Auftrag von LovelyBooks.de in Workshops und Seminaren berate und dafür auch jederzeit online zur Verfügung stehe.

 

Foto: Privat

Bild: flickr/photomequickbooth (CC BY-ND 2.0)

Willkommen im „Tatort“

von Sebastian Luther

Unterschiedliche Erwartungen sind mit das Schlimmste, das es gibt. Paula geht mit Erik auf ein Date, einer will mehr, einer nicht. In Berlin wird ein milliardenschwerer Großflughafen errichtet, die Bauherren wollen eröffnen, der Flughafen will nicht. Nur, was hat man zu erwarten, wenn Feuilleton-Schreck Til Schweiger auf einmal das scheinbar größte Heiligtum des deutschen Unterhaltungsfernsehens antastet?

Die einen sehen ‚Scheiße’…

 … und das von Anfang an. Der unter der Regie von Christian Alvart geführte Tatort beginnt nämlich mit einem Filmzitat des bekanntesten Tatortkommissars überhaupt. “Scheiße” war 1981 das erste Wort Götz Georges in seinem neuen Auftritt als Horst Schimanski. Nur, dass Schweigers Charakter Nick Tschiller an dieser Stelle das englische Wort “Fuck” sagt. An den Bedeutungsinhalt beider Wörter dürften viele Kritiker gedacht haben, als sie den neuen Tatort “Willkommen in Hamburg” das erste Mal gesehen haben. Denn die Liste an Fehlern, Mängeln und Ausrutschern, die dem Film ausgestellt wurde, ist relativ einstimmig medienübergreifend. An der einen Stelle werden die mangelnden schauspielerischen Fähigkeiten der Familie Schweiger kritisiert, wenn Tschillers Tochter Lenny, gespielt von Schweigers Tocher Luna, mit leidend-lustlosem Blick in die Linse schaut. An anderer Stelle zieht man über missglückte Versuche her, Actionszenen von amerikanischem Format zu produzieren und darüber, dass der Film in Wahrheit irgendwo in deutscher Mittelmäßigkeit versackt. Spiegel Online liefert gleich ein ganzes Psychogramm des neuen Kommissars, das das Bild eines “sexuell Gekränkten” zeichnet und Tschiller “Penisangst” attestiert, weil er am Pissoir vom Anblick des Geschlechtsteils eines Kollegen, gespielt von Wotan Wilke Möhring, irritiert ist. Eine Diagnose, die laut SPON aber auch auf Schweiger selbst zutrifft, abzulesen an den entsprechenden Witzen in seinen Kinofilmen.

… und die anderen sehen ‚Fuck’. 

Der Anfang des Tatorts ist zwar eine Hommage an Götz George, gleichwohl aber keine sklavische Kopie. Der Fehlschluss besteht genau darin, den Vergleich zu George über die erste Minute hinaus zu ziehen. So bleibt es nicht bei simplen Vorwürfen an Qualität und Regie, sondern es schwingt ein trotziges „Bei-ihm-war-es-nicht-so“ im Subtext mit. Schlecht gedrehte Actioneinlagen? Hätte man wohl lieber bleiben lassen. Frustrierter Charakter? Damals war das noch anders. Löst man sich von einer derartigen Einstellung, so sieht man einen Tatort, der zunächst vieles anders macht.  Alvart weiß sehr wohl den Zuschauer in besagte Schusswechsel und Verfolgungsjagden mitzunehmen, was durch genretypische Kamerafahrten und -einstellungen erreicht wird, die für andere Tatortfolgen ganz und gar untypisch sind. Ebenso präsentiert sich der Rest des Films optisch ansprechend. Auch wenn die Handlung (ein brutaler Mädchenhändlerring soll zur Strecke gebracht werde) teilweise Löcher aufweist, so muss man doch erkennen, dass ein Film mit Til Schweiger auch ein Film von Til Schweiger ist und seine Handschrift entsprechend unverkennbar. Und wer einen Schweiger-Film guckt, der sollte nicht einen Thriller erwarten, der die Intelligenz eines Paul Greengrass, gepaart mit tiefgründigen Figuren eines Michael Haneke, besitzt. In diesem Fall bleibt aber dennoch zu hoffen, dass bei der Besetzung der Rolle von Tschillers Tochter familiäre Bande großen Einfluss hatten. Andernfalls wirft es nämlich ein mehr als fragliches Licht auf das zuständige Casting.

„Tatort“-Jagd als Feuilletonsport 

Da es für Feuilletonisten mancher Zeitungen in Deutschland zum Sport avanciert zu scheint, neue Tatortfolgen abzuschießen, ist es schon fast bemerkenswert, wie die Meinungsführer SZ und FAZ zwar gemischte, aber dennoch tendenziell positive Kritiken ausstellen, während SPON sich mit boulevardesken Unterstellungen und typisch sexualisiertem Aufmacher gänzlich ins Abseits schießt. Es zeigt sich, dass „Tatort“ ähnlich wie „Wetten, dass…?“ immer noch eine Vormachtstellung in der deutschen Fernsehunterhaltungslandschaft besitzt, deren Schicksal allerorts die Gemüter erregt. Und es scheint, dass es um dieses Schicksal, wider aller Erwarten, doch nicht so schlecht bestellt ist.

 

Bilder: flickr/evafreude (CC BY-NC-SA 2.0); flickr/mtlin (CC BY-NC-ND 2.0)

KLARTEXT: Film als Kunstform? Béla Balázs und die frühe Theorie des Films

ein Gastbeitrag von Daniele Martella 

Dass der Film heutzutage als Kunstform etabliert ist, steht außer Frage. Die Pioniere früher Filmtheorien aber mussten um den Status Kunst mit aller Härte kämpfen. Dabei stellen sich noch heute aktuelle Fragen: Was ist das eigentlich Kunsthafte am Film und wie unterscheidet er sich von anderen Disziplinen? Auf den Spuren des frühen Filmtheoretikers Béla Balázs finden sich Antworten…

Cinephilie: Die Liebe zum Kino

Samstagabend, man betritt mit Freunden die altbekannte Eingangshalle und bewegt sich instinktiv an den Ticketschalter, wo eine leger gekleidete Person bereits routiniert auf nur zwei Informationen wartet: „Welcher Film und wie viele Personen?“ Die Tickets in der Hand, geht es dann der Nase nach zum Popcorn-Schalter.  Einen Blick auf die Platzkarte und nur wenige Minuten später sitzt man in einem gemütlichen Sessel inmitten eines abgedunkelten Saales. Die einzige Lichtquelle ist eine angestrahlte Leinwand, der sich nun alle Blicke erwartungsvoll zuwenden. Es sind nämlich die Lichtspiele auf genau diesem Flecken, die die Zuschauer für die nächsten zwei, drei Stunden in ihren Bann ziehen werden. Es geht um das Erzählen einer Geschichte. Zwar wäre diese in Worten meist sehr schnell erzählt, aber es geht hier um etwas anderes:

Das  Wie?

Nämlich genau um das, was den Film und das Kino, so Béla Balázs, letztlich zur eigenständigen Kunstform mache: Es ginge um das Wie?. Genauer: Wie werden der eigentliche Inhalt und das Anliegen der Erzählung rübergebracht? Die Frage zum Verhältnis zwischen Form und Inhalt spielt also auch hier, wie in jeder anderen Kunst auch, eine bedeutende Rolle. Was das  Wie? des Filmes betrifft, so sind es u.a. das fast mystische Zusammenspiel von Licht und Schatten, die charakteristischen Zusammensetzungen und die Bezüge von Gegenständen und Erscheinungsformen innerhalb eines filmischen Raumes, die eine einzigartige Atmosphäre schafften. Mehr aber noch sei es die Physiognomie der Schauspieler, deren Gesichter zu autonomen und variablen Ausdrucksflächen würden, die oft nonverbal Auskunft gäben über mehrere, sich prozesshaft überlappende, innere Zustände. Balázs nennt dies Gefühlakkorde. Das Gesicht in der Großaufnahme wird im Film somit das Haupterzählinstrument; es ist der eigentliche Semaphor, der Zeichengeber, der eine Antwort auf das wie wird der Inhalt erzählt? gibt. Wir können diese Zeichen nicht nur lesen und deuten, sondern, wie die moderne Forschung zeigt, durch sogenannte Spiegelneuronen nachfühlen.

Es werde Ton!

Bezieht sich Balázs in den 20er Jahren noch auf den Stummfilm, so kommen heute noch weitere Faktoren, wie gesprochene Dialoge, genauestens komponierte und inszenierte Filmmusik und atmosphärische Klanggebäude hinzu. Das Kino wird somit zum multimodalen, innerlichen Ereignis und fasziniert uns deshalb immer wieder aufs Neue.

Dass die Kunstartigkeit des Films in Frage stehen könnte, ist für unsere Gesellschaft, in der Film heute Alltag ist und in der wir jährlich unzählige Filmpreise vergeben und fördern, undenkbar. Dass es in der Kunstform Film allerdings auch nach wie vor viel Trash gibt, wiederspricht dem grundsätzlichen Charakter nicht.

Ein ideologischer Kampf

Der 1884 in Ungarn geborene Filmgelehrte Béla Balázs führte 1924 mit dem Erscheinen seines Werkes „Der sichtbare Mensch“ noch einen regelrecht ideologischen Kampf gegen die damals rückwärtsgewandten Hüter der klassischen Kunstformen, wie zum Beispiel Literatur, Theater, Bildhauerei und Malerei. Er wollte den Film als gleichwertige, aber andersartige Kunst neben den Bestehenden definieren. Es verwundert daher nicht, dass Balázs in seinem Werk eine der ersten umfassenden Filmtheorien entwickelt. Der Film galt zu jener Zeit zwar als ein Sozialphänomen, jedoch ordnete man ihn in qualitativer Hinsicht eher den flachen  Unterhaltungsformen zu; er war noch nicht etabliert. Film als Zeitvertreib: ja; aber ein wortgewaltiger Goethe, Schiller oder Hesse war zum Film konkurrenzlos. Dabei, so Balázs, erzählten auch die Klassiker der Literatur für sich genommen ebenso relativ einfache Geschichten. Was diese so einzigartig mache, sei ebenfalls nur die Frage nach dem Wie?. Die  Zusammenführung der Worte und ihren Sinnkonstruktionen in Versen und Reimformen ergäben, wie die Komposition eines Filmes, einen emotional-erzählerischen Gesamteindruck. Prinzipiell hätten Literatur und Kino also ein ähnliches Anliegen: eine Art Poetisierung der Wirklichkeit nur mit jeweils anderen Mitteln. Dies eben mache sie beide zu wertreichen Kunstformen.

Body Talk

Die Literatur versage im Gegensatz zum Film aber an einem entscheidenden Punkt: Sie sei köperfeindlich. Die Reduktion der relevanten Seelenteile auf das Geistige nehme ihren Anfang bei Platon und setze sich sodann mit dem Buchdruck bis in die moderne Welt fort. Das Wort, so zugespitzt, vergewaltigte den Körper, wodurch wir die Sprache des Körpers in der zivilisierten Welt schon längst verlernt hätten, argumentiert Balázs. Der Film gäbe uns im Erlernen dieser Sprache Nachhilfe. Einer Sprache, die wir heute, wenn wir mal wieder einen Kinoabend mit Freunden erleben, wieder kennen dürften.

 

Rahmendaten:

Béla Balázs

1884 (Szegedin) – 1949 (Budapest)

Balázs, Béla (2001): Der sichtbare Mensch oder die Kultur des Films, Suhrkamp Verlag: FFM.

 

Klartextlogo: Copyright Pascal Thiel

Bilder: upload.wikimedia/Sipos_András (CC-BY-SA-3.0); flickr/kjano (CC BY-NC-ND 2.0)

Suhrkamp-Verlag versinkt im Rechtsstreit

von Sabine Appel

Ein Drama ohne Showdown

Im Streit um den Suhrkamp-Verlag ist kein Ende in Sicht – außer das Ende des traditionsreichen Unternehmens. Seit Jahren sind Geschäftsführung und Gesellschafter zerstritten, 2012 spitzte sich der Konflikt zu. Der Minderheitsgesellschafter Hans Barlach verklagt die Geschäftsführung auf Ausschluss – sie tut es ihm mit einer Gegenklage gleich.

Der Verlag, einst Zentrum des deutschen Geisteslebens, steht durch den ewigen Streit kurz vor dem Ruin. Der Medienunternehmer Barlach kündigt an, das Traditionshaus übernehmen und verändern zu wollen. Für Kritiker und Autoren wäre dieses Szenario fast noch schlimmer als ein abruptes Ende des Verlags. Am 13. Februar sollte vor Gericht die Entscheidung über Suhrkamps Zukunft getroffen werden, doch erneut schoben die Richter das Urteil auf.

 

Ein Traditionsverlag im Konflikt

„Das wichtigste Forum des deutschen Geisteslebens“, so bezeichnet die FAZ den Suhrkamp Verlag. Er besitzt nicht nur die Rechte an Texten von Brecht und Hesse, auch namhafte Wissenschaftler wie Jacques Derrida, Claude Lévi-Strauss, Jürgen Habermas und Niklas Luhmann haben Suhrkamp die Veröffentlichung ihres Gedankenguts anvertraut.

Doch der Suhrkamp Verlag ist nicht nur ein Haus mit Geistes- und Erfolgstradition. Eine Tradition findet sich auch im wiederkehrenden Muster von zahlreichen inneren Konflikten. Momentan kommen die Konflikte zu einem Höhepunkt. Der Mitgesellschafter Hans Barlach, dessen Medienholding AG Winterthur momentan mit 39% am Suhrkamp Verlag beteiligt ist, klagt gegen die Unseld-Familienstiftung, die mit 61% den Hauptanteil besitzt.

Die Vorsitzende, Ulla-Unseld Berkewicz, hat ohne Wissen des Mitgesellschafters mit Firmengeldern Räumlichkeiten in ihrer privaten Villa für Lesungen angemietet. „Wir sehen in dem Vorgang eine Untreue“, erklärte Barlach im Dezember die Sicht der Mitgesellschafter gegenüber der FAZ. Er forderte daraufhin die Abberufung der Geschäftsführung und bekam vor dem Berliner Landgericht recht. Unseld-Berkewicz ging jedoch in Berufung und ist somit nach wie vor im Amt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Die Witwe des ehemaligen Geschäftsführers Siegfried Unseld ist der Meinung, dass Barlach sie von Anfang an gezielt diskreditieren und aus dem Verlag drängen wollte, um ihn selbst mit seiner Medienholding AG aufzukaufen und zu leiten. Dafür hat der Medienunternehmer schon konkrete Pläne im Sinn, wie er im Dezember beim Focus anklingen ließ.

Inzwischen haben beide Parteien auf gegenseitigen Ausschluss geklagt. Hans Barlach verlangt eine neue Geschäftsführung – falls Ulla Unseld-Berkewicz nicht zurücktritt, fordert er die Auflösung des Zusammenschlusses der Teilhaber Barlach und der Familienstiftung. Beide würden in diesem Fall ihre Anteile am Verlag verlieren und Suhrkamp stünde frei zum Verkauf. Barlach könnte dann nach eigenen Angaben die Hauptanteile aufkaufen. „Mir würde schon viel einfallen, was man in so einem Verlag anders machen könnte“, tönt er bereits im Dezember gegenüber der FAZ und bestätigt dabei für viele die Befürchtung, dass eine Übernahme seinerseits die alte Suhrkamp-Kultur zerstören könnte.

Über 70 Schriftsteller schlagen sich daher mittels einer Petition auf die Seite der Geschäftsführerin: Einige Suhrkamp-Autoren, unter ihnen Uwe Tellkamp, drohen gar mit einem Verlagswechsel, sollte Barlach die Geschäftsführung übernehmen. Auch die Wissenschaftsautoren von Suhrkamp fordern eine gütliche Lösung.

 

Verhinderter Showdown in Frankfurt

Die Entscheidung darüber, ob einer der beiden Gesellschafter, Barlach oder die Familienstiftung, ausgeschlossen wird, sollte eigentlich am 13. Februar fallen, doch sie wurde erneut vertagt. Das Frankfurter Landgericht berief sich auf die außergerichtlichen Vermittlungsbemühungen, nach denen Hans Barlach schon ein Abfindungsvorschlag von der Familienstiftung vorgelegt wurde. Dieser zeigte sich bisher jedoch nicht kompromissbereit und scheint damit seine Übernahmestrategie weiterzuverfolgen. Keiner der beiden Parteien erschien vor Gericht.

Sollte Suhrkamp nun tatsächlich vor dem Ende stehen, verlieren angesehene Autoren und Wissenschaftler ein renommiertes Verlagshaus für die Publikation ihres Gedankenguts. In ihrem Aufruf sprechen die Wissenschaftsautoren, unter ihnen Jürgen Habermas, vom drohenden Verlust eines „einzigartigen Gebildes“. Suhrkamp sei ein Verlag, der trotz des Nationalsozialismus die Tradition deutscher Geistes- und Sozialwissenschaften aufrecht erhalten und darüber hinaus auch fremdsprachige Theorien und Ansätze gefördert habe. Ein solches Traditionshaus könne nicht ausschließlich der „Logik der Gewinnmaximierung“ folgen. Letzteres ist vermutlich als Seitenhieb auf Hans Barlach zu werten, der den Verlag in Zukunft mit seiner Medienholding leiten will.

Doch wie gefährdet ist Suhrkamp wirklich? Man kann nur Vermutungen anstellen. Würde ein Gericht dem Minderheitsgesellschafter Barlach recht geben, wenn eine Auflösung der Gesellschaft kein Weiterbestehen, sondern unter Umständen gar die Liquidierung des Traditionsunternehmens bedeutet? Die größte finanzielle Basis bilden die Urheberrechte, die der Verlag besitzt und durch die er über die Backlist über die Hälfte des Gesamtumsatzes einnimmt. Es ist zu bezweifeln, dass die Gesellschafter sich die Urheberrechte auf diese Weise ausbezahlen lassen könnten, da in Härtefällen ein Rückzug der Rechte seitens der Autoren möglich ist. Diese passen nicht nur auf ihre Werke auf, sondern stehen auch hinter der Geschäftsführung.

Trotz der breit gefächerten Berichterstattung dreht sich der Konflikt um sich selbst, solange keine alternative Lösung zur Diskussion gestellt wird. Letztendlich bleibt abzuwarten, ob es wirklich so kompliziert ist, wie es klingt. Die Auflösung folgt entweder außergerichtlich im massenmedialen Spektakel oder beim nächsten Gerichtstermin am 25. September – hoffentlich, denn ein derart abwechslungsloses Drama würde im verlegten Buch keiner aushalten.

 

 

Fotos: Thomas Pusch[CC-BY-SA-3.0], via Wikimedia Commons; Shannon [GFDL oder CC-BY-SA-3.0], via Wikimedia Commons

 

The Winner Will Be…. Das Oscar-Horoskop

von Marius Lang und Selina Juliana Sauskojus

Heute abend steigt die große Oscar-Verleihung. Unsere beiden Filmfanatiker Marius und Selina wagen schon jetzt eine Prognose: Wer wird die meisten Goldjungs mit nach Hause nehmen? Wer brilliert in den großen Kategorien? Wer fiel bei der Academy durch?

Und um die Wette noch spannender zu machen: Derjenige, der am Ende mehr Kategorien falsch vorausgesagt hat, muss zur Strafe den mit Abstand schlechtesten Film des Jahres schauen. Twilight: Breaking Dawn, Teil 2. Bei der Verleihung der Goldenen Himbeere hat der Abschluss der Vampir-Liebesschnulze gleich sieben Trophäen abgesahnt und stellt somit die gerechte Strafe für unseren schlechtesten Hobby-Filmwahrsager dar.

Heute abend sind wir von media-bubble.de live vor dem Bildschirm und teilen die neuesten Entwicklungen auf facebook und twitter. Doch bevor es soweit ist, sagen wir:

And the Winner Will Be…..

Favorit

Ben Afflecks bisweilen bissiger Thriller Argo kann getrost als der große Favorit des Abends gewertet werden. Und das zu Recht. Die Geschichte um die Befreiung von sechs US-Amerikanern aus Teheran, indem man sie als Team eines fingierten Hollywoodfilms tarnt, weiß gleichermaßen zu fesseln und eine Hommage an Hollywood selbst darzustellen. Auch Stephen Spielbergs Historienfilm Lincoln kann als Favorit gesehen werden, alleine weil er das Leben von Amerikas Lieblingspräsident sympathisch und glaubwürdig auf die Leinwand bannte. Amerika liebt bekanntlich diese Form des Patriotismus.

Favorit

Die großen Favoriten in diesem Jahr sind definitiv Argo, Life of Pi und Lincoln. Nachdem Hollywood im vergangenen Jahr vor allem den französisch-produzierten Film The Artist mit Preisen überhäufte, ist es in diesem Jahr wieder an der Zeit, sich und seine eigene Filmindustrie zu feiern. Deswegen werden vor allem Argo und Lincoln die Nase vorhaben. Argo wird, der Gewinner des Abends werden. Vier von sieben Preisen müssten für das Werk eigentlich drin sein.

Verlierer

Verlierer des Abends werden Quentin Tarantinos jüngster Film Django Unchained und Kathryn Bigelows „Let’s kill Osama“-Actionfilm Zero Dark Thirty. Vor allem letzterer ist wesentlich schwächer als man es von Bigelow gewöhnt ist und verdient den Sieg in den Königskategorien nicht. So manch einer würde auch Benh Zeitlin Indie-Perle Beasts of the Southern Wild zu den Verlierern zählen, doch der wunderschöne Low-Budget-Film gilt als derartiger Außenseiter, dass allein seine Nominierungen in den großen Kategorien wie „Bester Film“ oder „Beste Hauptdarstellerin“ schon als Sieg zu werten sind.

Verlierer

Obwohl Liebe von Michael Haneke und Silver Linings Playbook von David O. Russell wohl kaum die Abräumer des Abends sein werden, haben sie im Vorfeld schon gewonnen. Diese im Vergleich kleinen Produktionen werden es verschmerzen können, vielleicht nur einen oder zwei Preise mitzunehmen. Enttäuschend wird die Ausbeute von Les Misérables von Tom Hooper und Life of Pi. Für letzteren werden maximal drei Preise in den Nebenkategorien anfallen.

Missachtet

Man kann der Academy dieses Jahr nicht vorwerfen, eine schlechte Auswahl getroffen zu haben. Ja, The Hobbit hätte mehr Nominierungen verdient, ja, Leonardo DiCaprio (der ewig missachtete) hätte nicht weniger als Waltz verdient, für Django Unchained nominiert zu sein und ja, fantastische Filme wie Cloud Atlas, The Best Exotic Marigold Hotel oder Hitchcock sucht man vergeblich, aber das alles kann man verzeihen. Alles in allem hat sich die Academy dieses Jahr viel Mühe gegeben, eine vielfältig Auswahl zu treffen.

Missachtet

Obwohl Filme wie Cloud Atlas und Ziemlich beste Freunde als beste Filme des Jahres 2012 gezählt werden können, bei den Oscars wurden sie nicht berücksichtigt. Aber aufgrund der ansonsten guten Auswahl, wird man dieses Manko verschmerzen können.Warum allerdings Jean-Louis Trintignant keine Nominierung für seine herausragende (!!!) Leistung in Liebe erhalten hat, ist ein Rätsel.

Bester Film

Argo wird in dieser Kategorie verdientermaßen wohl das Rennen machen. Dies sei ihm von Herzen gegönnt. Ben Affleck zeigt sein Talent als Regisseur und schuf einen brillanten, zu keiner Sekunde langweiligen Thriller mit hochkarätiger Besetzung. Er schafft es dabei, Hollywood selbst den Spiegel vorzuhalten. Doch ein anderer Film hätte es noch weit mehr verdient in der wichtigsten Kategorie zu gewinnen. Der Independent-Film Beasts of the Southern Wild schafft es mit traumhaften Bildern von einem märchenhaften Ort in den Sümpfen Louisianas und einer großartigen Darstellerin zu trumpfen. Für mich der wirklich beste Film des Jahres und der schönste Film, den ich seit langem gesehen habe.

Bester Film

Mit neun Nominierungen hat es sich die Academy dieses Jahr nicht einfach gemacht. Gönnen würde man es allen, außer Zero Dark Thirty, der in dieser Kategorie der am wenigsten geglückte Beitrag ist. Aber wie bereits erwähnt: das Motto in diesem Jahr ist Patriotismus, weswegen in dieser Kategorie Argo und Lincoln die Nase vorne haben. Die besten Karten hat allerdings Argo, denn dieser streichelt nicht nur das amerikanische Gemüt, sondern insbesondere auch das von Hollywood. Dass die Macht der Filmindustrie nicht nur unterhalten, sondern auch Leben retten kann – das werden Hollywoods Filmschaffende belohnen wollen.

Beste Regie

Es ist eigentlich eine Frechheit, dass Ben Affleck nicht für seine Mitarbeit in Argo nominiert ist, denn auch hier wäre der Preis eindeutig verdient gewesen. Statt dessen werden die Platzhirsche Ang Lee für Life of Pi und Spielberg für Lincoln den Wettkampf unter sich ausmachen. Mein Favorit ist hierbei Spielberg. Michael Haneke (Amour), Benh Zeitlin (Beasts of the Southern Wild) und David O. Russel sind dagegen eher Aussenseiter.

Beste Regie

In dieser Kategorie haben Michael Haneke (Liebe), Benh Zeitlin (Beasts of the Southern Wild) und David O’Russell (Silver Linings Playbook) bestenfalls Außernseiterchancen. Das Rennen wird am Ende Hollywood-Urgestein Spielberg machen. Mit Lincoln gelang ihm einer der besten Filme seiner gesamten Karriere.

Bester Haupt-/Nebendarsteller

Es wird wohl eine Entscheidung zwischen Daniel Day-Lewis für die Darstellung des Abraham Lincoln und Hugh Jackman für seine brillante Leistung als Jean Valjean in Tom Hoopers Musicalfilm Les Misérables. Ersterer wird dabei wohl das Rennen machen. Day-Lewis‘ Abraham Lincoln wirkt durchweg glaubwürdig, was vor allem dem enormen Talent des Darstellers zu verdanken ist.

Bei dem besten Nebendarsteller trifft man auf viele bekannte Gesichter und mit Ausnahme von Phillip Seymour Hoffman sind sie auch schonmal Preisträger als beste Nebendarsteller gewesen. Für Christoph Waltz ist die Konkurrenz groß und ihm diesmal auch weitgehend überlegen. Als Sieger hervorgehen wird wohl Tommy Lee Jones, der einen radikalen Sklavereigegner in Lincoln verkörpert und dabei auch dank seiner gezielten und energiereichen Darstellung nicht nur die besten Sprüche des Films sondern auch die Sympathien des Publikums für sich beanspruchen kann.

Bester Haupt-/Nebendarsteller

Bei den besten Hauptdarstellern wird es in diesem Jahr ein heißer Tanz zwischen Joaquín Phoenix und Daniel Day-Lewis. Day-Lewisspielt „seinen“ Lincoln mit einer solchen Liebe und einer solchen Kraft, dass man meinen will, der Gewinn des Awards wäre ein Selbstläufer. Aber: Joaquín Phoenix hat in seiner Rolle als Weltkriegsveteran und Sektenanhänger die wohl beste Leistung seiner Karriere abgeliefert. Er bringt seine Figur mit einer unglaublichen Intensität auf die Leinwand, wie man es selten erlebt.

Die härteste Kategorie ist die der Besten männlichen Nebendarsteller. Tommy Lee Jones, Philip Seymour Hoffman, Alan Arkin und Christoph Waltz glänzten wahrlich in ihren Rollen. Alles in allem muss man aber sagen: Christoph Waltz hat in Django Unchained wieder mal die Leinwand beherrscht. Er war präsenter als in Inglorious Basterds, konnte mehr Facetten von sich zeigen und seine Kollegen, keine geringeren als Jamie Foxx, Leonardo DiCaprio und Samuel L. Jackson, regelrecht an die Wand spielen. Es wird eine Zitterpartie, aber letztend Endes wird Waltz die Trophäe mit nach Hause nehmen.

Beste Haupt-/Nebendarstellerin

Quvenzhané Wallis hat den Preis schon mit nur neun Jahren mehr als verdient. Sie wirkt so glaubwürdig und liebenswert und beweist ein Talent, das man einem so jungen Mädchen nicht zugetraut hätte. Mehr muss dazu nicht gesagt werden. Einzig echte Konkurrenz für Wallis stellt Emmanuelle Riva dar, die kraftvolle Hauptdarstellerin in Liebe. Die Französin hätte den Oscar ebenfalls verdient, doch ist, anders als Wallis, eine Darstellerin mit jahrzehnten Erfahrung.

Bereits den Golden Globe konnte Anne Hathaway zurecht für sich beanspruchen. Der Oscar als beste Nebendarstellerin wird mit Sicherheit folgen, was nicht an der Konkurrenz liegt, die erwartungsgemäß hochkarätig ist. Anne Hathaways Screentime in Les Misérables ist allerdings wesentlich kürzer als die ihrer Gegner in ihren jeweiligen Filmen. In den knapp 30 Minuten gibt Anne Hathaway jedoch alles und verzaubert das Publikum mit ihrer Darstellung und ihrem musikalischen Talent. Sie stellt das unglaublich tragische Schicksal der Fantine mitreisend und perfekt dar.

Beste Haupt-/Nebendarstellerin

Auch in der Kategorie der besten Hauptdarstellerin kommt es wohl zu einem Duell. Nominiert und favorisiert sind nämlich Quvenzhané Wallis, die jüngste Nominierte in der Oscargeschichte, und Emmanuelle Riva, mit 85 Jahren die älteste Nominierte. Wallis spielte ihre Rolle als kleine Hushpuppy so zauberhaft, so ehrlich, dass man ihr jeden erdenklichen Erfolg gönnen möchte. Emmanuelle Riva allerdings bezauberte mit ihrer Darstellung einer Sterbenden nicht, im Gegenteil: sie entzauberte, entromantisierte das Sterben einer alten Frau. Am 24. Februar, dem Tag der Oscarverleihung, feiert Emmanuelle Riva ihren 85. Geburtstag. Ein Oscar wäre das verdiente Geschenk.

Die Kategorie der Besten Nebendarstellerin ist ausgemachte Sache. Anne Hathaways Auftritt in Les Misérables muss gewinnen. In kurzer Zeit ist sie präsent, singt sich die Seele aus dem Leib und kämpft als Fantine um den Lebensunterhalt für ihre Tochter Cozette. Für ihre Leistung, vor allem im Vergleich zum restlichen Feld, wird ihre Auszeichnung mehr als verdient sein.

 

Mit Alice ins Wunderland

von Sebastian Seefeldt

Fantasy ist eine Droge, die süchtig macht. Durch sie gelingt die Flucht in eine Scheinwirklichkeit mit strahlenden Helden, Elfen, Drachen und klaren Gesetzen. Die Medienpsychologie kritisiert mithilfe der Eskapismus-These diese Flucht vor dem Alltag als „Verweigerung gesellschaftlicher Zielsetzungen und Handlungsvorstellungen“. Doch welche Auswirkungen hat das Abtauchen in fremde Welten wirklich?

Flucht in andere Welten

Der Eskapismus ist ein Begriff der Medienpsychologie und beschreibt das bewusste oder unbewusste Nutzen eines Mediums, um dem Alltag zu entfliehen. Dies gilt nicht nur für das Fantasygenre, sondern auch für andere fiktive Werke, die den Mediennutzer in eine andere, bessere(?) Welt eintauchen lassen.

Durch dieses Eintauchen versuchen Rezipienten, laut der Eskapismus-Theorie, Bedürfnisse des echten Lebens zu stillen. Ein solches Bedürfnis kann von dem Verlangen nach einer Welt, in der Menschen noch in Einklang mit ihrer Welt leben, bis hin zu sexuellem Verlangen reichen.

Katz und Foulke formulieren ihr „Escape-Konzept“ wie folgt. Menschen bauen in ihrem Alltag Spannungen auf. Beispiele sind Mobbing, ein nerviger Uni-Tag oder einfach die alte Dame an der Kasse, die wieder etwas länger braucht. Sie alle bauen Spannung auf, die wir abbauen müssen. Um dies zu tun, bedienen wir uns an den Medien, die gezielt die jeweilige Spannung abbauen. Typische Motive für Eskapismus sind das Entfliehen und Vergessen von eigenen Problemen und das Ablenken von der harten Wirklichkeit. Die Fantasy erlaubt es dem Rezipienten wie kein anderes Genre, die reale Welt zu vergessen. In einer fiktiven, fantastischen Wirklichkeit gibt es klare Gesetze, in ihr sind  Gut und Böse klar getrennt.

Vormoderne Magie

Eskapismus funktioniert immer, sagt Kulturhistoriker Stefan Zahlmann im Interview mit dem ORF. Betrachtet man die Eskapismus-These, ist auch klar wieso. Menschen versuchen immer, Spannungen abzubauen. Jeder möchte ab und an durch sein eigenes Mittelerde wandern.

Die „klassische“ Fantasy unterscheidet sich bei diesen Eintauchprozessen im Wesentlichen durch das Moment der Magie. Die typische Fantasywelt (mit populären Ausnahmen wie Harry Potter) ist an der mittelalterlichen Zeit angelehnt, die Magie fügt sich hier als etwas „völlig Vormodernes, Unwissenschaftliches und Untechnisches“, so Zahlmann, ein. Der Einzug der Technik hält sich in Grenzen, die Menschen arbeiten für ihr eigenes Glück und Auskommen und statt für eine Firma. Mithilfe der Magie kann erklärt werden, was sonst in der Welt nicht zu erklären ist. Sie spricht die Sehnsucht nach Lösungen allgemeiner Probleme an. Aber kommt es wirklich darauf an, in welcher Welt eine Geschichte erzählt wird und welche Rahmenbedingungen sie hat? Schon Fantasy Autor G.K. Chesterton sagte: „Märchen sind mehr als nur wahr – nicht deshalb, weil sie uns sagen, dass es Drachen gibt, sondern weil sie uns sagen, dass man Drachen besiegen kann.“ Ob Magie im Spiel ist, ist zweitrangig. Wichtig ist, dass Probleme überwunden werden können – mit oder ohne Magie.

Die Moral der Fantastik

Begreift man die Fantasy nicht als Eskapismus-Literatur, sondern sieht sie wie jede andere Erzählung als eine „Auseinandersetzung des Menschen mit der Wirklichkeit“ (Helge Gerndt), rückt der eigentliche Kern der fantastischen Geschichten in den Mittelpunkt. Die Literatur leistet also nach dieser Theorie keine Fluchthilfe aus dem Alltag, sondern hilft sogar, ihn besser zu meistern. Die Erzählungen lehren wesentliche gesellschaftsrelevante Werte wie Treue, Freundschaft und Gnade. Die Drachen der Fantasy sind unsere persönlichen Endgegner: Sie sind die nächste Prüfung, ein wichtiges Projekt oder der anstehende Artikel.

Dass durch Fantasy eine Flucht aus dem Alltag vorgenommen wird, kann und soll nicht bestritten werden. Jeder weiß wie gut es tut, mal vor dem Alltag zu flüchten. So sagte “Herr der Ringe”-Autor J.R.R. Tolkien zum Eskapismus „why should a man be scorned if, finding himself in prison, he tries to get out and go home? Or if, when he cannot do so, he thinks and talks about other topics than jailers and prison-walls?“ Wir sollten definitiv in andere Welten eintauchen und sie genießen, nur sollten wir nicht in ihnen ertrinken.

 

 

Foto: „Lina Mardo“ / www.jugendfotos.de, CC-Lizenz(by-nc); flickr.com/kizette (CC BY-NC-ND 2.0)

Machinima – spielerisches Kino

von Marius Lang

Machinima macht aus Gamern Regisseure. Denn Machinima ist ein kreativer Ausdruck von Videospiel-Fans, die auf Grundlage von Spiel-Szenen Filme drehen. Dazu muss man aber nicht nur einen guten Film schreiben, sondern auch über technisches Wissen verfügen.

 

Philosophieren auf dem Schlachtfeld

Der Name Machinima ist ein Kofferwort, das sich aus „machine“ und „cinema“ zusammensetzt. Es bezeichnet Kino auf Basis von Videospielen. Ein Beispiel: Red vs. Blue, eine der weltweit erfolgreichsten Internetserien. In der ersten Folge unterhalten sich die Spartans, Soldaten innerhalb des Halo-Universums, in der Welt des Games über den Sinn des Lebens, Gott und ihren Auftrag. Die Verschmelzung von Spiel und Film entsteht durch die visuelle Basis von Halo selbst, in der die Charaktere von Rooster Teeth-Mitgliedern synchronisiert werden.

Auffällig ist, dass die Machinima-Szene sich stark von anderen Fan-Szenen unterscheidet, vor allem in der Hinsicht, dass Machinima-Schaffende zum Großteil männlich sind, während andere Fankulturen eher Frauen vorbehalten sind. Der Grund hierfür ist allerdings nicht, dass nur Männer Videospiele spielen. Machinima muss von Videospielen getrennt betrachtet werden, da der Anteil an weiblichen Gamern mittlerweile sehr groß ist und weiter wächst. Machinima dagegen bleibt Großteils Männersache. Hierfür gibt es vor allem zwei Gründe: Zum einen der Ursprung im First-Person-Shooter-Genre, einer Richtung, die bis heute stark von Männern dominiert wird. Zum anderen die Hacker- und Informatikerszene, auf die Machinima zurückzuführen und die ebenfalls durch einen hohen Männeranteil geprägt ist. So überrascht es nicht, dass auch Red vs. Blue von Männern entwickelt wurde.

Kreative Hacker

Die Red vs. Blue-Erfinder waren nicht die Ersten, die das Potential von Videospielen als Grundlage für kurze Clips, Filme und ganze Serien erkannten. Ursprünge der Machinima sind bereits in der Hacker-Szene der 80er Jahre zu erkennen. Begeisterte Fans modifizierten damals die Codierungen von Spielen, um sich und ihre Hacker-Gruppen in denselben zu verewigen, indem sie etwa ihre Namen in das Spiel schrieben.

Die Grundlage einer neuen Szene war geschaffen: Engagierte junge Hacker, denen es nicht genügte, Games nur zu spielen. Sie wollten auf Grundlage der gegebenen Materialien neue Dinge schaffen.

Demos von DOOM

1993 veröffentlichte die amerikanische Firma id Software den First Person Shooter DOOM. Die Entwickler der Software unterstützten den kreativen Eifer ihrer Spieler: „id Software didn’t stop there, the team of innovators also made  DOOM’s source code available to their fan base, encouraging would-be game designers to modify the game and create their own levels, or „mods“.“ (id Software, 2005) Den sogenannten  „Moddern“ war es von Seiten der Hersteller nicht nur gestattet, den Quellcode von DOOM nach ihrem Können und Willen zu verändern. Sie  unterstützten die Veröffentlichung der fangemachten Endprodukte, solange die Mods nicht kommerziell orientiert waren.

Für den Erfolg von Machinima trugen mehr als Mods jedoch die so genannten „Demos“ bei. Spieler von DOOM nahmen ihre Durchläufe auf, um sie mit der Community zu teilen.

Quake und das erste Machinima

1996 veröffentlichte id Software den First-Person-Shooter Quake. The Rangers, eine Gruppe von Gamern, Moddern und Hackern, veröffentlichten auf der Basis von Quake die den ersten Film, den man als Machinima bezeichnen konnte. Zu diesem Zweck veränderten sie den Quellcode des Spieles so, dass die Ego-Perspektive eines Spielers zu der Perspektive einer Kamera, wie im klassischen Film wurde und nicht mehr an einen Charakter gebunden war. Das Ergebnis war das Video Diary of a Camper. Hier gab es noch keine gesprochene Sprache, nur Untertitel stellten das dar, was die Figuren des Videos sagten. Es folgten unzählige Machinima, die sich auf unterschiedlichste Spiele berufen, wie etwa Portal, Mass Effect oder The Sims. Machinima greifen entweder in den Quellcode eines Games ein und verändern diesen oder bedienen sich direkt am gezeigten Bild des Spieles.

Die Szene wuchs unaufhörlich und 2002 wurde erstmals das jährliche Machinima Festival abgehalten.

Red vs. Blue: Eine Erfolgsgeschichte

Als im April 2003 die erste Folge von Red vs. Blue: The Blood Gulch Chronicles online ging, hatten die Macher nicht mit dem extremen Erfolg gerechnet. Die Serie Red vs. Blue, rund um einige Soldaten zweier verfeindeter Armeen in einem Bürgerkrieg, befindet sich mittlerweile in der zehnten Staffel. Die Folgen im Schnitt etwa fünf bis zehn Minuten lang. In den Jahren, die die Serie bereits hinter sich hat, hat sie sich auch gewandelt. Wie die meisten Machinima begann Red vs. Blue als bisweilen schwarze Comedy-Serie, die mit Gamer-Klischees und typischen amerikanischen Stereotypen spielte. Mittlerweile ist die Serie dazu übergegangen, ihren Schwerpunkt auch auf packende Action und Thriller-Elemente zu legen. Gerade der Erfolg von Red vs. Blue ist Ansporn für viele neue Machinima-Produzenten, ihr Hobby auf ein neues Level zu hieven und selbst Filme zu produzieren. Das passiert oft innerhalb der Fan-Community und dementsprechend unkommerziell, aber die Erfinder von Red vs. Blue werden inzwischen von den Machern von Halo unterstützt. All das nur, weil ein paar begeisterte Gamer ihr spielerisches und technisches Können mit der Community teilen wollten.

 

Quellen: Jones, Robert (2006) From Shooting Monsters to Shooting Movies. Machinima and the Transformative Play of Video Game Fan Culture. In Karen Hellekson und Kristina Busse (Hrsg.).Fan Fiction and Fan Communities in the Age of the Internet.

Dokumentation über Rooster Teeth Productions von machinima.com (Teil 1 von 2)

Fotos: flickr.com/State Farm (CC BY 2.0); Screenshot von Rooster Teeth ( © 2004-2013 Rooster Teeth Productions, LLC.)

Breaking Bad: Unglaublich. Und unterhaltsam.

von Alexander Karl

Breaking Bad ist auch bei deutschen Serienliebhabern längst Kult. Seit 2008 kocht der krebskranke Walter White die Droge Crystal Meth und wird – wie der Serientitel sagt – böse. Nun ist mit „Breaking Down BREAKING BAD“ ein Buch veröffentlicht worden, das sich mit der Dramaturgie und Ästhetik der Serie auseinandersetzt.

Unglaublich. Und unterhaltsam.

Mit Breaking Bad schuf Vince Gilligan eine Serie mit einem außergewöhnlichen Plot: Der Chemielehrer Walter White (Bryan Cranston) erkrankt an Krebs. Um seine Familie nach seinem Ableben finanziell abzusichern, steigt er ins Drogengeschäft ein und kocht Crystal Meth. Was in wenigen Worten völlig absurd klingt, entfaltet sich in fünf Staffeln zu einer atemberaubenden Story, die die Zuschauer in ihren Bann zieht. In den USA läuft die Serie seit 2008, der zweite Teil der fünften Staffel soll dort im Sommer 2013 ausgestrahlt werden. In Deutschland lief Breaking Bad zunächst auf AXN, einem Pay-TV-Sender, und im Free-TV auf ARTE. Aktuell zeigt RTL Nitro die Serie.

Rezension: „Breaking Down BREAKING BAD“

Nun ist in Deutschland mit Breaking Down BREAKING BAD. Dramaturgie und Ästhetik einer Fernsehserie“ im Wilhelm Fink Verlag ein Buch erschienen, das die Erfolgsserie aus wissenschaftlicher Perspektive beleuchtet. Wie der Titel des Buches bereits verrät, wird vor allem die Dramaturgie und Ästhetik von Breaking Bad untersucht. Dabei gehen die Autoren Christine Lang und Christoph Dreher auch auf die implizite Dramaturgie in Breaking Bad ein. Im Gegensatz zur expliziten – quasi sichtbaren – Dramaturgie betrachtet die implizierte Dramaturgie das Mitschwingende, das Subtile. Etwa die Bedeutung von Farben und Symbolen, die durch das kulturelle Hintergrundwissen des Zuschauers zu einer zusätzlichen Bedeutungsebene werden. Welche zusätzlichen Lesarten Breaking Bad über die bewusste Nutzung von Codes schafft, wird durch Beispielanalysen einzelner Folgen gezeigt. Sowohl der Pilot als auch die 2. Folge der 1. Staffel werden untersucht, aber auch die Fliegen-Episode aus der dritten Staffel.

Diese Analysen sind äußerst gelungen und enthalten schlaue Hinweise: So wird etwa die metaphorische Bedeutung von Walter Whites Spiel mit dem Feuer am Pool seines Hauses hervorgehoben – auf der audiovisuellen Ebene durch das Entzünden von Streichhölzern dargestellt. Denn Räume, Orte, ja die gesamte Mise-en-scène sind in einem durchkomponierten Werk wie Breaking Bad von Bedeutung. Der Zuschauer wird somit zum Mitdenken angeregt und wenn man als Breaking Bad-Zuschauer „Breaking Down BREAKING BAD“ liest, gibt es einige Aha-Effekte. Das liegt auch an der verständlichen Sprache; die Fachtermini zur Narration und Dramaturgie werden zusätzlich in einem Glossar erklärt. Lesenswert ist auch das Kapitel über ambivalente Figuren, das Breaking Bad in eine Beziehung zu den erfolgreichen (und ebenso anspruchsvollen) Serien The Sopranos und Dexter stellt: Sie alle haben keine moralisch einwandfreien Protagonisten, sondern Helden mit mörderischen Ecken und Kanten.

Ein Wermutstropfen bei „Breaking Down BREAKING BAD“ ist aber sicherlich, dass die letzte Staffel Breaking Bad noch nicht vollständig ausgestrahlt wurde und somit daraus resultierende Entwicklungen in dem vorliegenden Buch noch nicht berücksichtigt werden konnten. Außerdem verwundert es, dass auf Seiten mit Fußnoten die Seitenzahlen fehlen – ungeschickt für das wissenschaftliche Arbeiten.

Insgesamt ist aber ein lesenswertes Buch entstanden, das nicht nur Breaking Bad-Fans viele interessante Aspekte der Serie aufzeigt und sie mit wissenschaftlichem Fundament untermauert.

Christine Lang, Christoph Dreher: Breaking Down BREAKING BAD. Dramaturgie und Ästhetik einer Fernsehserie. 1. Aufl. 2013, 150 Seiten. 19,90 Euro. ISBN: 978-3-7705-5443-0

Buchcover: Copyright Wilhelm Fink Verlag; Bild: flickr/bjhale (CC BY-NC-SA 2.0)

„Medien durchdringen den politischen Alltag“

von Sanja Döttling

Herr Prof. Bernhard Pörksen hat zusammen mit 23 Studenten der Medienwissenschaft das Buch „Die gehetzte Politik“ auf den Markt gebracht. Es stellt in Interviews an Politiker und Journalisten die Frage: Wie funktioniert die Machtverteilung zwischen Politik und Medien?

Ein Interview mit Herr Prof. Pörksen und der Medienwissenschafts-Studentin Ildiko Mannsperger, die im Rahmen dieses Projektes unter anderem Sahra Wagenknecht und Walter Kohl interviewte.

 

media-bubble.de: Das Buch „Die gehetzte Politik“ ist, wie schon einige Bücher davor, in Kooperation mit Studentinnen und Studenten des Studiengangs Medienwissenschaft entstanden. Herr Pörksen, wie beschreiben Sie Ihre Rolle im Entstehungsprozess des Buches?

Pörksen: Ich glaube, dass sich ein solches Projekt nur stemmen lässt, wenn man in ganz verschiedenen Rollen unterwegs ist. Als Organisator, als jemand, der die nötigen Gelder einwirbt und natürlich in der Rolle eines Menschen, der früher einmal als Journalist gearbeitet hat und sich Gedanken darüber macht, wie Journalismus funktioniert. Aber auch in der Rolle eines Menschen, der andere Leute anregt, sie herausfordert, so dass sie in Kontakt kommen mit ihrer eigenen Kraft und ihren Begabungen.

Sie haben das Interviewtraining als „mit bewusster Schärfe inszeniert“ und „gelegentlich sicher sehr hart“ bezeichnet. Ildiko, wie ging es dir dabei?

Ildiko: Es wurde schnell deutlich, dass wir selbst eine gewisse Schärfe entwickeln sollen. Es wurde kein Kuschelkurs gefahren, sondern es wurde von uns erwartet, dass wir uns engagieren. Das war gut: Man lernte seine eigenen Grenzen kennen.

Wo waren deine persönlichen Grenzen?

Ildiko: Es war spannend, aber auch schwierig, sich in ein Feld einzuarbeiten, das man sonst nicht so kennt und das nicht mein Expertengebiet ist. Und es gab ein Interviewmit Walter Kohl in dem das Aufnahmegerät nicht funktioniert hat und ich alles aus dem Gedächtnis rekonstruieren musste. Dann musste ich Walter Kohl anrufen und ihm das gestehen. Das war für mich eine große Überwindung. Aber nun kann ich jedes Telefongespräch führen.

Was hat das Interviewtraining für dich für den Ernstfall gebracht?

Ildiko: Es hat mir geholfen, mich nicht aus dem Konzept bringen zu lassen. Du lernst, dass du das Gespräch als Interviewer in der Hand hast und die Fragen stellst. Wenn dann mal eine Gegenfrage kommt, dann lässt du dich nicht mehr verunsichern und bleibst in der Rolle. Auch die angesprochene Schärfe haben wir gelernt, dass man sich auch traut und nicht zu nett, sondern kritisch hinterfragt.

Wenn jetzt ein Kommilitone morgen Angela Merkel interviewen müsste, welchen Tipp würdest du geben?

Ildiko: Ich würde sie nicht als Angela Merkel, sondern als Mensch sehen. Und Ruhe bewahren, das ist das Wichtigste. Und vielleicht nicht so viel zu planen.So war es bei unserem Interview mit Sahra Wagenknecht, die den Interviewtermin mehrmals verschoben hat und dann nur noch die Hälfte der geplanten Zeit für uns hatte.

Wie lief die Themenwahl? „Die gehetzte Politik“ stellt die Beschleunigung der Berichterstattung durchs Internet, die Verknüpfung von Medien und Politik dar.

Pörksen: Es ist das fünfte Projekt dieser Art. Die letzten Bücher haben vergleichbare Themen behandelt. Schlüsselfragen waren: Wie funktioniert die Selbst- und Fremdinszenierung unter den aktuellen Medienbedingungen? Wie gestaltet sich das Verhältnis von Medien und Prominenz? Wie funktioniert die Logik der Skandalisierung? Bei diesem Projekt lautet die Frage: Wie stellen sich Politiker dar? Wie werden sie von den Medien, getrieben, behandelt, misshandelt? Wenn Sie so wollen, ist das Buch Teil einer Serie, die sich dem Nachdenken über die Macht der Medien widmet.

„Die gehetzte Politik“ ist der Titel des Buches. Gehetzt wird die Politik von den Medien. Sind sie also an allem schuld?

Pörksen: Es wäre schön, wenn es so einfach wäre! Aber in der Tat ist die Frage: Wer regiert eigentlich wen? Wer ist mächtiger, Politik oder Medien? Ich würde sagen: Das ist in der Tendenz entschieden. Medien sind einflussreicher, Medien durchdringen den politischen Alltag in einer derart massiven Weise, dass man sagen kann, die medialen Einflüsse sind an erster Stelle zu setzen.

Können Politiker anders handeln?

Pörksen: Sie sind in jedem Fall aufgerufen, auf ihre eigene Autonomie, Ideen, Konzepte zu bestehen, abseits und jenseits der Medienlogik. Es ist eine Aufgabe von Politik heutzutage, ein Stück Medienverweigerung zu betreiben. Zu registrieren, dass die Zeit, die politische Entscheidungsfindung braucht, eine andere ist als die Zeit der Medien. Die Online-Schlagzeilen online wechseln im Extremfall alle halbe Stunde – das simuliert ein Tempo und eine Hektik von Politik, die es nicht geben kann. Auch der Zwang, dauernd Stellung zu nehmen, verändert Politik massiv.

Ist das ein Teufelskreis?

Pörksen: Man kann es als Teufelskreis und als einen in zweifacher Hinsicht gefährlichen Prozess. Zum einen ist die Beschleunigung zu massiv; sie passt nicht zu der Eigenzeit des Politischen und führt nach meinem Dafürhalten zu einem ständigen inneren Alarmzustand des Politikers. Zum zweiten gibt es auch eine zunehmende Angst vor der Sofort-Skandalisierung in der Politik.

Das führt dann du dem „Politiker-Deutsch“, so dass eigentlich gar nichts mehr gesagt wird.

Pörksen: Dann haben Sie Leute, die eine völlig distanzierte, rundgeschliffene Sprache verwenden, genau.

Gibt es noch eine Heilung für die Politik?

Pörksen: Es gibt da kein Rezept. Sicher ist nötig, dass wir klar machen, wie die aktuelle Mediengesellschaft funktioniert, und nach welchen Inszenierungsmustern gearbeitet wird. Das ist auch das Ziel der Bücher: Sie wollen die Hinterbühne medialer Inszenierung sichtbar machen und deutlich machen, wie ein ein womöglich auch ungesunder Wettlauf um dem nächsten neuen Skandal entsteht. Darüber aufzuklären, ist kein Allheilmittel, aber es ist ein Anfang des Bewusstmachens, wie massiv die Medien in den politischen Prozess eingreifen.

Das ist also das Ziel des Buches?

Pörksen: Ich würde sagen: Es gibt zwei Ziele. Zum einen gilt es, die Selbstaufklärung der Mediengesellschaft voranzutreiben. Zum anderen ist es auch ein Versuch, engagierten Studenten eine journalistische Visitenkarte zu verschaffen, sie vielleicht auch in Situationen zu bringen, die eine Herausforderung darstellen. Sie lernen ein gutes Interview mit jemandem zu führen, den man vielleicht erst wieder interviewt, wenn man Ressortleiter oder Chefredakteur ist. Es ist für mich sehr schön zu sehen, was aus diesen Projekten erwächst. Ich habe inzwischen ein Regal voll mit Büchern, die ehemalige Studierende selbst geschrieben haben – im Anschluss an derartige Seminare.

 

Das Buch „Die gehetzte Politik“ ist seit gestern im Handel erhältlich.

Foto: Copyright, Sanja Döttling

Professorin des Jahres – Eine Einladung zur Feier

von Sanja Döttling und Sandra Fuhrmann

Frau Professor Susanne Marschall wurde von Unicum Beruf zur Professorin des Jahres gekürt. Am Donnerstagabend um 18 Uhr c.t. findet deshalb eine Feier ihr zu Ehren statt. Studenten und Mitarbeiter sind herzlich eingeladen.

Mitte September des vergangenen Jahres wurde an die Studenten und Mitarbeiter der Tübinger Medienwissenschaft eine E-Mail verschickt, die folgende Bitte enthielt:

„Nominieren Sie doch, wenn Sie mögen, unsere Kollegin Susanne Marschall zur Wahl für die Professorin des Jahres. Und wenn es gelingt, wäre das für Susanne Marschall gewiss eine wunderbare Überraschung.“

Einige Zeit später wurde klar, wie viele dieser Aufforderung nachgekommen sein mussten. Die Überraschung war gelungen: Susanne Marschall hatte den ersten Platz in der Kategorie „Geistes-, Gesellschafts- und Kulturwissneschaften“ erhalten.

Über den Wettbewerb

Jedes Jahr können bei Unicum Beruf Nominierungen für die einzelnen Kategorien „Naturwissenschaften/Medizin“, „Geistes- Gesellschafts- und Kulturwissenschaften“, „Ingenieurwissenschaften/Informatik“ und „Wirtschaftswissenschaften/Jura“ eingereicht werden. „Beste Chancen auf den Titel hat, wer seine Studenten vor allem durch die Aktivierung ihrer Eigenverantwortung optimal auf den Berufseinstieg vorbereitet, praxisnahes Studieren organisiert  und jobrelevante Fertigkeiten trainieren hilft, zum Beispiel Teamarbeit oder auch Verhandlungs- und Präsentationsgeschick.“ heißt es auf der Seite von Unicum Beruf. Fast 800 Bewerbungen waren für die Wahl 2012 bei der Redaktion eingegangen.

Zur Person

Seit Susanne Marschall ist seit 2010 Professorin am Tübinger Institut für Medienwissenschaft. Seitdem hat sie zahlreiche Projekte mit ihren Studenten und für sie organisiert. Beispielsweise einen Dokumentarfilm über die Scherenschnittkünstlerin Lotte Reiniger, den sie gemeinsam mit ihren Masterstudenten und weiteren Mitarbeitern des Instituts für Medienwissenschaft produzierte, der bei Filmfestivals für Aufsehen sorgte und bei ARTE ausgestrahlt wird. Susanne Marschall engagiert sich für internationale Projekte, was unter anderem ein sich derzeit in der Beantragungsphase befindendes Graduiertenkolleg zeigt. Gemeinsam mit indischen Partneruniversitäten soll hier Studenten die Möglichkeit zum internationalen Austausch geboten werden. Sie bringt ihre Studenten mit Dozenten aus der Praxis zusammen und hat das Medienkompetenzzentrum, in dem Studenten eigene Audio- und Filmbeiträge produzieren können, neu eingerichtet. Nicht zuletzt ist da media-bubble.de. Susanne Marschall hat den Blog 2011 gemeinsam mit Masterstudenten gegründet. Heute bietet er den Tübinger Studenten noch immer eine Plattform, um ihre Texte und Arbeiten für die Öffentlichkeit sichtbar zu machen und eigene Projekte zu realisieren.

Herzliche Einladung

Am morgigen Donnerstag findet zur Vergabe des Preises „Professorin des Jahres“ im Rahmen der Ringvorlesung „Kulturen im Medienwandel“ eine Feier statt. Beginn ist um 18.15 Uhr im  Raum 027 des Brechtbaus in Tübingen. Die Feier wird mit einem kurzen Vortrag von Frau Marschall beginnen. Als Abschluss ist ein gemeinsamer Umtrunk geplant. Dazu sind alle ganz herzlich eingeladen.