Klartext: Gefangen in der Blase – Eli Parisers „Filter Bubble“

von Sandra Fuhrmann


Sucht man nach dem Wort „Depression“ in einem Internetlexikon, installiert die Seite sofort bis zu 223 Cookies. Und fortan wird man mit Werbeanzeigen für Antidepressiva durch das Internet gejagt. Die Gemeinschaft der Internetnutzer ist gefangen in einer Blase, die sie mit ihren eigenen Interessen umgibt. In seinem 2011 erschienenen Buch The Filter Bubble – What the Internet Is Hiding from You thematisiert Pariser genau das: die gemeinsame Einsamkeit im Netz.

Ein Mann der Tat

Eli Pariser ist ein Mann, der durch die Praxis groß wurde. Seinen Bachelor machte er am Simon’s Rock College in Great Barrington, Massachusetts in den Fächern Recht, Politik und Gesellschaft.

Er ist zwanzig Jahre, als er infolge der Terroranschläge von 9/11 eine eigene Website gründet, die sich kurze Zeit später mit der Seite MoveOn.org verbindet. Unter Parisers Leitung schafft die Seite damals einen Meilenstein in der Geschichte der Online-Mobilisierungen, indem sie viele der heutigen üblichen Praktiken etablierte und zeigte, dass es möglich ist, auf dem Online-Weg eine große Menge an vielen kleinen Spendenbeiträgen zusammenzutragen. Mit Auftritten in den meisten amerikanischen Hauptnachrichtensendern erlangte Pariser in den Folgejahren Bekanntheit. Man kann ihn kurz und einfach Online-Aktivisten bezeichnen.

Wie kann ich Ihnen helfen?

Eine kleine Nostalgiereise in die Einkaufswelt vor dem Onlineshopping: Es gab sie damals und es gibt sie noch heute, die Buchläden der realen Welt. Dort suchte man früher nach einem Schmöker, der einem das Einschlafen erleichtert oder lange Zugfahrten überbrückt. Vielleicht ging man sogar öfter in besagten Laden. Dann kam der nette Verkäufer, der uns und unseren Geschmack kannte, oftmals auf uns zu und wies uns auf den neuen Band der Romantrilogie hin, von der wir bereits die ersten beiden Bände gekauft hatten. Ein solcher Buchladen hat viele Regale und man war oft dankbar für solche Tipps, die wertvolle Zeit sparen und einem ein fast garantiertes Lesevergnügen bescheren.

Man stelle sich nun die virtuellen Buchregale bei Amazon vor, denen platzmäßig keine Schranken auferlegt sind. Inzwischen sind es nicht mehr nur Bücher, sondern im Grunde das ganze Spektrum an Möglichkeiten, an dem wir unsere Konsumlust ausleben können. Aber auch hier gibt es ihn: den freundlichen Verkäufer, der uns auf die Angebote hinweist, die uns vermutlich gefallen. Er heißt nicht Herr Meyer oder Frau Müller wie im Buchladen, sondern „Personalisierungsagent“.

Wer wir sind

Bereits zu seinen Anfängen 1995 war Amazon ein Online-Shop mit eingebauter Personalisierung. Die Idee von Personalisierungsagenten aber wurde schon früher entwickelt. Mitte der 90er Jahre gab es eine zunehmende Anzahl an Fernsehsendern, aus denen das Publikum auswählen konnte. So entwickelte Nicolas Negroponte am MIT Media Lab 1994 die Idee einer lernfähigen Fernbedienung, die die Vorlieben der Rezipienten abspeichern konnte.

Ganz ähnlich funktionieren die Personalisierungsalgorithmen, die heute so oft den Pfad bestimmen, den wir auf unserer Reise durch das Internet nehmen. Amazon merkt sich die Produkte, die wir gekauft oder nur angeschaut haben und schickt uns entsprechende Empfehlungen. Google speichert unsere „Click Signals“ und erstellt dementsprechend unseren persönlichen „Page Rank“, also die Reihenfolge der Treffer, die angezeigt werden. Das bedeutet, dass zwei Personen, die nach demselben Wort googeln, ihre Ergebnisse nie in derselben Reihenfolge präsentiert bekommen werden. Oben steht, was erwartungsgemäß am meisten unseren Präferenzen entspricht.

So hinterlassen wir Spuren im Internet. Und in jeder dieser Spuren stecken mehr Informationen über uns selbst, als mancher sich vorstellen mag. Ein angenehmer Service, bei der unendlichen Informationsflut im Internet, könnte man sagen. Ja, ABER, würde Pariser antworten.

Zirkel der Verdammnis

„The structure of our media affects the character of our society. The printed word is conductive to democratic argument in a way that laboriously copied scrolls aren’t.“ Das, was man in den Medien zu lesen und zu hören bekommt, prägt den Charakter der Gesellschaft, sagt Pariser. Die Gesellschaft, das ist das, was sich aus jedem einzelnen Individuum zusammensetzt, also aus uns. Beeinflussen diese gefilterten Inhalte also uns, haben sie damit das Potenzial die ganze Gesellschaftsstruktur zu verändern. Damit kommen wir zu dem, was Pariser als „The Filter Bubble“ bezeichnet.

„[Alghorithms] are prediction engines, constantly creating and refining a theory of who you are and what you’ll do next. Together, these engines create a unique universe of information for each of us.“

Was Pariser beschreibt, lässt sich dramatisch ausgedrückt als Zirkel der Verdammnis beschreiben. „What you’ve clicked on in the past determines what you see next – a web history you’re doomed to repeat.“

Die Jagd nach Unterwäsche – gejagt von Unterwäsche

Als klänge das nicht besorgniserregend genug, geht Pariser noch einen Schritt weiter. Nicht nur, dass wir in einer Blase festsitzen, die immer wieder unsere eigenen Interessen widerspiegelt. Nein, Personalisierung birgt noch weitere Potenziale und Gefahren. Ihre Potenziale wurden bereits von der Wirtschaft entdeckt, ihre Gefahren bleiben bei den Nutzern oft unerkannt. Wer sich schon einmal gefragt hat, warum er von Anzeigen für Markenunterwäsche durchs Internet gejagt wird, seitdem er nur einmal darauf geklickt hat, der hat nun ein Wort dafür: Retargeting.

„For now, retargeting is being used by advertisers, but there’s no reason to expect that publishers and content providers won’t get in on it“. Hier muss man keinen großen Gedankensprung mehr machen, um sich auszumahlen, dass durchaus noch weitere Teilnehmer mit ins Spiel kommen könnten, die das Interesse und die Macht haben, Personalisierung für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Man denke beispielsweise an die politische Führung verschiedener Länder.

Doch die Vorteile für Anbieter gehen weit über bloßes Stalking der potenziellen Kunden hinaus. Die Daten der Nutzer, also die bereits erwähnten Spuren, die wir im Internet hinterlassen, gelten in der Online-Welt längst als eine Art Währung. „The company that has the most data and can put it to the best use gets the advertising dollars.“

Wie wir ticken

Pariser verdeutlicht anhand mehrerer Studien, welch starken Einfluss Medien auf unsere Meinungsbildung haben. So führte beispielsweise der Neuropsychologe Drew Westen einen Versuch durch, bei dem Probenden aufgefordert wurden, sich eine Liste von Wörtern zu merken. Darunter die Wörter Mond und Ozean. Als er danach zu der Frage wechselte, welches Waschmittel sie bevorzugten, zeigten die Probanden eine starke Vorliebe für das Produkt Tide. Doch beeinflussen Medien nicht nur unsere Vorlieben. Auch neigen wir dazu, Dinge eher zu glauben, von denen wir vorher schon einmal gehört haben und die uns so bereits bekannt sind.

Homage an die Freiheit

„All of these are basic psychological mechanisms. But combine them with personalized media, and troubling things start to happen. Your identity shapes your media, and your media then shapes what you believe and what you care about.“

In den nächsten Jahren werden die Regeln geschrieben, die das Online-Leben des kommenden Jahrzehnts oder sogar noch längerer Zeit bestimmen werden, so Parisers Prophezeihung. Die großen Player sind gut darauf vorbereitet, diese Regeln nach ihren Wünschen zu formen. Allein die Internetnutzer scheinen es bislang nicht zu sein. Getreu seiner Rolle als Aktivist sind Parisers Worte ein Plädoyer für die Freiheit im Netz und der Aufruf an alle Nutzer, sich aus ihrer Blase zu befreien. „If the great mass of us decide that an open, public-spirited Internet matters and speak up about it […] the lobbyists don’t stand a chance.“

Ein gefährlicher Aspekt der Personalisierungsagenten ist, wie Pariser feststellt, dass sie unsichtbar sind. Der Kampf für die Freiheit im Netz sollte also mit der Aufklärung der Nutzer beginnen. Genau das tut Pariser in The Filter Bubble. Ein Buch, das nicht nur für Medienwissenschaftler spannend sein dürfte, sondern für jeden, der im Internet regelmäßig auf sich selbst stößt.

 

Klartextlogo: Copyright Pascal Thiel; Fotos: flickr.com/poptech (CC BY-SA 2.0); flickr/gi  (CC BY-SA 2.0)

 

Der Mensch, die Medien und ein gutes Buffet

von Pascal Thiel

Seit 2011 lehrt Prof. Dr. Klaus Sachs-Hombach als Professor für Medieninnovation und Medienwandel am Institut für Medienwissenschaft in Tübingen. Am Dienstag, den 20.11.2012 hat er seine Antrittsvorlesung gehalten. In der Vorlesung sprach er über sein neues Forschungsprojekt „Medien aus anthropologischer Perspektive“. Ein Projekt, das eine „Lebensaufgabe“ für Sachs-Hombach werden könnte.

Prof. Dr. Klaus Sachs-Hombach sei der „ideale Inhaber eines Faches, das es nicht gibt, aber bald geben wird“ sagt Prof. Dr. Jürgen Leonhardt, Dekan der Philosophischen Fakultät der Eberhard Karls Universität Tübingen. Sachs-Hombach ist studierter Germanist, Psychologe und Philosoph, somit „fachfremd“. Doch bereits einmal wagte er den Schritt ins Unbekannte – und das erfolgreich. Jahrelanges Engagement in der Bildwissenschaft machten ihn zu einem der wenigen „europäischen Experten“ auf diesem Gebiet.

Doch seine thematische Bindung ans Bild hielt ihn nicht davon ab, 2011 erneut einen großen Schritt zu wagen. Er folgte dem Ruf nach Tübingen. Seitdem ist er Inhaber der Medienwissenschaftsprofessur für Medieninnovation und Medienwandel.

Am vergangenen Dienstag hielt er im Rahmen der Vorlesung „Medienkonvergenz“ seine Antrittsvorlesung zum Thema „Warum gelingt menschliche Verständigung?“ Bereits vier Jahre zuvor hatte er seine damalige Professur an der TU Chemnitz mit einem ähnlichen Thema eröffnet. Begab er sich damals – noch stark unter dem Einfluss seiner bisherigen wissenschaftlichen Karriere – auf die Spur des „Homo Pictor“, sprach er dieses Mal aus der Sicht des „anthropologischen Medienbegriffs“.

Kommunikation zeichnet den Menschen aus

Sachs-Hombach macht keine halben Sachen. Deshalb beginnt er seine Antrittsvorlesung am Anfang – und zwar ganz am Anfang: Der Evolution .

Die Evolution des Menschen ist ein Prozess, der seit acht Millionen Jahren im Gange ist. Seit 200.000 Jahren gibt es den „Homo Sapiens“, der seitdem zu den verhaltensbezogenen „modernen“ Menschen gezählt wird. Dieser ist ein Primat und zeichnet sich, so Sachs-Hombach, durch eine wesentliche Eigenschaft aus: durch eine bestimmte, nämlich die sogenannte „menschliche“, Kommunikation. Diese ist durch die Verbindung zweier wichtiger Elemente gekennzeichnet, der Bild- und der Sprachfähigkeit.

Die Bildfähigkeit ist die Kompetenz, auf verbildlichte Gegenstände, etwa Gesten, angemessen reagieren zu können. Das ist in eingeschränkter Weise auch bei Tieren möglich. Die Sprachfähigkeit hingegen ist das Vermögen des Menschen, sich mittels komplexer Zeichenvorgänge oral auszudrücken. Bezogen auf den Menschen ist das die Bildfähigkeit die Voraussetzung der Sprachfähigkeit. Die beiden Aspekte bedingen sich. Daraus zieht Sachs-Hombach den Schluss, dass die sprachliche Form der Kommunikation beim Menschen immer schon in der nicht-sprachlichen Form eingebettet war.

Um Verständigung zu erreichen, bedarf es also Kommunikation. Doch Kommunikation, so Sachs-Hombach, geschieht nur über Medien.

Medien bestimmen Kommunikation

Bezogen auf die im ersten Abschnitt beschriebene menschliche Kommunikation bedeutet das, dass die Sprache als ein Medium verstanden werden kann. Dabei hält sich Sachs-Hombach nahe am Medienbegriff von Roland Posner (1986). Er versteht ein Medium als „ein System von Mitteln für die Produktion, Distribution und Rezeption von Zeichen“, das den „in ihm erzeugten Zeichenprozessen bestimmte gleichbleibende Beschränkungen auferlegt“. Medien sind hier durch einen „Mittelcharakter“ bestimmt. Sie gelten als „Träger“ der kommunikativen Zeichen. Dabei ist jedes Medium und somit auch die jeweilige Art der Kommunikation durch seine eigene Medialität, also die Alleinstellungsmerkmale eines Mediums, geprägt.

Um dies zu verdeutlichen, greift Sachs-Hombach auf die Überlegungen des US-amerikanischen Anthropologen und Verhaltensforschers Michael Tomasello zurück. Dessen Medienbegriff definiert gestische, nonverbale Zeichen als Träger von Kommunikation. Sie wird dabei in einem weiten Verständnis begriffen. Die Kommunikation des Menschen gilt dabei im Gegensatz zur tierischen als vollendet entwickelte Kommunikationsform.

Tomasello beschreibt zwei Arten gestischer Zeichen. Als „Displays“ bezeichnet er animalische Warnrufe ohne Botschaft und Intention. „Gesten“, die zweite Form können wiederum in zwei Fälle unterteilt werden. „Intentionsbewegungen“ sind intentionale Gesten mit unmittelbarer Reaktion des Empfängers. „Aufmerksamkeitsfänger“ sind intentionale Gesten mit dem Ziel der Aufmerksamkeitserregung, die aber interpretatorische Leistung beim Empfänger notwendig machen. Weiterhin können menschliche Gesten in „Zeigegesten“, also auffordernde, nicht informative Gesten und „ikonische Gesten“, also auf Aufmerksamkeit konzentrierte, interpretationsbedürftige Gesten unterteilt werden.

Gesten dienen also der Kommunikation – mal mehr und mal weniger. Sie sind demnach Medien der personalen Verständigung.

Die bisherige Argumentation hat gezeigt: Verständigung ist nur durch Medien möglich. Eine innere Differenziertheit der Medien ist dabei essenziell, schon allein zur Unterscheidung verschiedener Gesten und ihren Bedeutungen. Denn die Modalitäten dieser Gesten werden nicht durch bestimmte Instanzen bestimmt, wie etwa bei der Sprache durch das Lexikon. Die Bedeutungszuschreibung erfolgt allein aufgrund der individuellen Interpretation des Dargestellten, des Bildes. Kommunikation kann nicht nicht-modal sein. Keine Kommunikation ist bedeutungslos.

Medien bestimmen den Menschen

Diese personale Kommunikation wird stark von Medien bestimmt. Sie nehmen Einfluss auf die Art und Weise der menschlichen Kommunikation. Sie bestimmen ihn und seine „Identitätsbildung“. Geschieht Kommunikation öffentlich, kommt es zur gesellschaftlichen „kulturellen Identitätsbildung“.

Als Beispiel nennt Sachs-Hombach eine Medienform, die sich in seinem Forschungsbereich mittlerweile etabliert hat: Computer- beziehungsweise Videospiele.

Aus anthropologischer Perspektive diene das „Spielen“ dem Erlernen diverser Fähigkeiten. Aus kommunikationswissenschaftlicher Perspektive haben PC- und Videospiele eine erhebliche Bedeutung bei der Wirklichkeitserfassung. Durch virtuelle Welten, die immer näher an der Realität sind, ist eine deutliche Entwicklung zu erkennen. Immer stärker wird die Wirklichkeit selbst durch mediale Erfahrung erfasst. Obwohl das Spielen zumeist im Privaten stattfindet, sei es dennoch ein Massenphänomen. Eine Veränderung der „kulturellen Identität“ durch PC- und Videospiele ist also laut Sachs-Hombach durchaus möglich.

Ein gutes Buffet bestimmt den Menschen

Obwohl man auf Antrittsvorlesungen gerne „alles das sagen [würde], was man schon immer mal sagen wollte“, blieb Sachs-Hombach sachlich und mit dem Thema verbunden. Nach einer mit zahlreichen Annahmen bespickten Vorlesung traf man sich noch im Kleinen Senat der Neuen Aula mit einem Buffet für Gäste, Hörer und Studenten. Dort wurden offene Fragen noch einmal eifrig diskutiert.

Bild: Institut für Medienwissenschaft Eberhard Karls Universität Tübingen (genehmigt, Ausschnitt)

Die fiktive Realität

von Alexander Karl

Egal ob Doku-Soap oder Reportage – Dokumentationen in allen erdenklichen Facetten flimmern tagtäglich über die Bildschirme. Doch eines zeichnet sie alle aus: Sie enthalten immer auch Fiktion. Ausführlich hat sich Dr. Christian Hißnauer, Jahrgang 1973, mit den diversen Doku-Formaten beschäftigt und promovierte 2010 mit seiner Arbeit über „Fernsehdokumentarismus: Theoretische Näherungen, pragmatische Abgrenzungen, begriffliche Klärungen“ an der Universität Göttingen. Heute ist er dort als wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig.

media-bubble.de sprach mit ihm über die Fiktion in Dokumentationen, die Darstellung der RAF und Daniela Katzenberger.

Herr Hißnauer, für Sie zählen auch Reality-TV-Formate wie Big Brother zur Dokumentation. Worin liegt das wissenschaftliche Interesse, Formate wie „Big Brother“ und „Daniela Katzenberger – Natürlich blond“ zu untersuchen?

Christian Hißnauer: Es gibt unterschiedliche Ansätze, mit denen man die diversen dokumentarischen Formate bewerten kann. Bei einer Reportage lassen sich journalismusethische Maßstäbe anlegen, anhand derer auch bewertet werden kann. Das ist bei „Big Brother“ und „Daniela Katzenberger – Natürlich blond“ anders. Hier greifen keine journalistischen Standards, es geht nur um Unterhaltung. Da wird beispielsweise Daniela Katzenberger in allerlei Situationen gezeigt und wie sie darauf reagiert. Etwa, wie sie sich ihre Brüste neu machen lässt. Das kann man unterhaltsam finden oder nicht, aber mehr will dieses Format nicht. Eine klassische Dokumentation über Brustvergrößerung würde hingegen viel mehr Hintergrundberichte bringen und auch das Kriterium der faktischen Richtigkeit würde eine Rolle spielen. Das ist bei Daniela Katzenberger vollkommen egal. Im Zweifelsfalle sogar, ob sie sich die Brüste hat machen lassen oder nicht.

Egal ob Doku-Soap, Reality-TV oder klassische Reportage: In all diesen Formaten schaut man Menschen – ob Schauspieler oder nicht – zu. Man bekommt Einblicke in ihre Lebenswelt. Hat Dokumentarismus auch immer etwas mit Voyeurismus zu tun?

Die Frage ist: Wo fängt Voyeurismus an? Wenn eine Sozialreportage Einblicke in fremde Lebensbereiche gibt, besteht immer die Gefahr, dass es voyeuristisch wird. Es kommt auf den Standpunkt an, aber auch auf die Inszenierung. Wenn bei Reality-TV-Programmen nur Höhepunkte aneinander gereiht werden, dann wirkt es schneller voyeuristischer als in einer klassischen Reportage, in der die Protagonisten ausführlich zu Wort kommen. Letztendlich zeigt man aber durchaus die gleichen Sachen.

Sie sagen, dass Dokumentationen immer fiktionale Aspekte enthalten.

Ja, bei jeder Art von Dokumentation spielt der Autor mit fiktionalen Aspekten – und das auf ganz verschiedenen Arten. Ein Beispiel: Als Autor legt man den Anfangspunkt und den Endpunkt einer Geschichte fest. Genauso die Zwischenschritte. Damit suggeriert man als Autor, dass alles Wichtige erzählt wurde. Alles, was ausgeblendet wird, wird somit automatisch zum Nicht-Wichtigen. Für den Protagonisten, den man darstellt, kann das ganz anders aussehen. Ganz stark hat man das bei Eberhard Fechner, der aus ganz verschiedenen Interviews einen Film zusammensetzt. Dabei schneidet er die Menschen so zusammen, als würden sie miteinander reden. Und das, obwohl die Interviews vielleicht tausende von Kilometern voneinander entfernt aufgenommen wurden. Das ist erfundene Geschichte auf der Basis von Fakten, weil das Erzählte die Schöpfung des Autors ist.

Dokumentarismus umfasst also ein weites Feld. Doch wenn der Dokumentarismus-Begriff so stark zwischen Realität und Fiktion schwankt – warum entscheidet man sich dann, ein Buch über Fernsehdokumentarismus zu schreiben?

Zum einen ist das Thema auch dadurch spannend und es gibt bisher wenig Literatur zum Fernsehdokumentarismus. Zum anderen haben wir täglich mit Dokumentationen und Doku-Soaps zu tun, die mal mehr oder weniger erfunden sind. Die Frage ist also: Wie unterscheiden sich die Formate? Wie geht der Zuschauer damit um?

Der Zuschauer scheint vor allem in den letzten Jahren sein Gefallen an Doku-Soaps, wie eben „Daniela Katzenberger – Natürlich blond„, gefunden zu haben.

Das stimmt, sie sind ja auch oft krawallig. Aber man muss davon ausgehen, dass es verschiedene Nutzungsmotive gibt. Einige Zuschauer erheben sich über die Formate und verstehen, dass die Sendung gefaked ist. Andere erhoffen sich tatsächlich Lebensberatung von „Raus aus den Schulden„. Das ist nicht neu, sondern gab es auch schon bei den Daily-Talkshows in den 1990er Jahren.

Fernab von Daniela Katzenberger und Co. beschäftigen Sie sich auch intensiv mit der Geschichte und Darstellung der RAF. Warum setzen Sie sich – wie auch die deutsche Fernsehlandschaft – so intensiv mit diesem Thema auseinander?

Es gibt unheimlich viele Filme und Dokumentationen, die sich mit der RAF beschäftigen. Mir geht es darum, wie über die Medien Geschichtsbilder erzeugt werden. Und die verändern sich. Jede Generation macht sich sein eigenes Bild von der RAF, genauso wie auch von Hitler.

Was bedeutet das konkret?

Wir haben heute andere Filme zu diesen Themen als vor zwanzig Jahren. Die Aussagen sind auch andere. Beispielsweise die Landshut-Entführung von 1977 in Mogadischu: Wenn wir Dokumentationen aus den siebziger oder achtziger Jahren sehen, wird dies gerahmt in dem Thema des palästinensischen und internationalen Terrorismus. Damals spielte die RAF wenn überhaupt nur am Rande eine Rolle. Heute tritt die Rahmung in dem Bild des internationalen Terrorismus zurück. Stattdessen wird die Landshut-Entführung als eine Hilfsaktion für die RAF dargestellt, sogar teilweise so, als hätte die RAF dies in Auftrag gegeben – was wohl so nicht ganz stimmt. Damit werden nicht nur die Entführung, sondern auch ihre Opfer der RAF zugeschrieben. Das bekannte Ziel der RAF waren staatliche Repräsentanten und Wirtschaftsbosse. Jetzt ist es die ganz normale Bevölkerung, jeder Urlaubsflieger hätte ein Opfer werden können. Und durch die neuen Opferbilder entstehen auch neue Geschichtsbilder.

Kann man davon ausgehen, dass auch die NSU bald so ausführlich behandelt wird?

Bei der NSU verhält es sich anders, alleine schon durch die Opferstruktur. Momentan richtet sich der Fokus ganz stark auf das Versagen des Staates, was übrigens auch im ganzen RAF-Diskurs keine Rolle mehr spielt. Wir wissen etwa, dass die ersten Waffen damals vom Verfassungsschutz in die Szene gebracht worden sind. Es wird immer gesagt, dass die Terroristen reden sollten. Aber auch der Verfassungsschutz sollte hier – ähnlich wie beim NSU – sein Schweigen aufgeben. Übrigens fehlt heute im RAF-Diskurs ein Opferbild – nämlich jene, die unschuldig bei Hausdurchsuchungen oder Polizeikontrollen erschossenen worden sind. Davon gibt es mindestens fünf Menschen. Und das wird völlig tot geschwiegen.

Das Buch zum Interview: Hißnauer, Christian: Fernsehdokumentarismus: Theoretische Näherungen, pragmatische Abgrenzungen, begriffliche Klärungen. UVK, 2011. 416 Seiten, 32,00 Euro.

Foto: flickr/bechstein (CC BY-ND 2.0)

Der Online-Student

von Sebastian Seefeldt

Einmal an einer Eliteuniversität zu studieren, das ist der Traum Vieler. Die Webseite Coursera ermöglicht Wissbegierigen weltweit Zugang zu Universistätskursen von Dozenten, die an den Top-Universitäten lehren. Und das auch noch kostenlos. Sebastian Seefeldt besucht online den Kurs „Gamification“, weil er offline nicht genug von Medienwissenschaften kriegen kann. Ein Selbstversuch.

Freie Bildung

„The best courses from the best instructors at the best universities […] for free“. Das ist der Gedanke von Coursera-Gründerin Dephne Koller. In dem TED-Talk, der im Juni diesen Jahres gehalten wurde, stellte sie ihr Projekt vor, das schon damals 650 Tausend Mitglieder umfasste. Heute besuchen 1,8 Millionen Online-Studenten die virtuellen Klassenräume. Und ich bin einer von ihnen.

Durch jenen TED-Talk wurde ich auf die Seite aufmerksam. Zwei Wochen später begann bereits der erste Kurs. Aus den insgesamt 204 angebotenen Kursen wählte ich den Kurs „Gamification“ aus. Mein Dozent, Kevin Werbach, ist zurzeit an der University of Pennsylvania angestellt, eine der 33 Universitäten, die das Projekt unterstützen.

Studentenleben

Sechs Wochen studiere ich an der Internetuniversität. Jede Woche stehen zwei Stunden Videovorlesungen sowie eine Prüfungsleistung auf dem Plan. Doch die Videos rauschen nicht nur im Hintergrund, während ich auf Facebook die neusten Nachrichten aus dem Offline-Studentenleben lese. Die Videos fordern nämlich Interaktion. Alle paar Minuten poppt eine kleine Multiple-Choice-Frage auf, die das Wissen der vorherigen Minuten prüft. Die Fragen fließen zwar nicht in die Benotung ein, beantwortet man sie aber falsch, läuft das Video nicht weiter. Ich will sie trotzdem richtig beantworten.

In der Offline-Vorlesung bekomme ich eineinhalb Stunden zusammengestauchte Weisheit, die viel zu oft, ohne Spuren zu hinterlassen, an mir vorbeizieht. Auf Coursera bekomme ich Wissen in Häppchen. Jedes Themengebiet ist in kleine Einzelvideos von maximal 20 Minuten unterteilt. Habe ich mal etwas nicht verstanden, erklärt mir Herr Werbach die Thematik auch gerne ein zweites oder drittes Mal. Bleibt dann immer noch etwas unklar, hilft ein Blick in das kursinterne Forum. In dieser virtuellen Mensa gibt es zwar kein Essen, aber wichtige Diskussionen mit anderen Kursteilnehmern über den Unterrichtstoff.

Anfangs habe ich 81 Tausend Kommilitonen. In der zweiten Woche sind nur noch 61 % der angemeldeten Kursteilnehmer aktiv. Immer noch ein überdurchschnittliches Ergebnis meint Kevin Werbach in seiner letzten Sitzung. Dass die Anzahl an Kursabbrechern online im Schnitt knapp 50 % beträgt, ist nicht verwunderlich. Virtuell schreibt man sich gerne impulsiv in einen Kurs ein. Am Ende der sechs Wochen erhielten 8280 ein Zertifikat, dass ihre Leistung bescheinigt. Das Zertifikat wird immer dann ausgestellt, wenn mehr als 70 % der Maximalpunktzahl erreicht wurden. Ich gehörte auch dazu.

Virtuelle Universität – reale Leistung

Wer nun denkt, Coursera sei eine Plattform, auf der inflationär Zertifikate renommierter Dozenten verteilt werden, hat sich getäuscht. Die Leistungsansprüche auf Coursera sind hoch. In meinem sechs Wochen habe ich 24 Stunden Onlinevorlesungen gelauscht, vier Tests, zwei kleine schriftliche Abgaben mit jeweils 800 Wörter, sowie eine Abschlussklausur und ein schriftliches Abschlussprojekt mit 1500 Wörtern geschrieben.

Die Tests werden im Multiple-Choice-Verfahren durchgeführt. Bei den schriftlichen Abgaben kommt eine Methode zutragen, die typisch für Coursera ist. Durch das sogenannte Peer-Assessments-Verfahren benoten sich die Studenten selbst. Hierzu bekommt jeder Student die Abgaben von fünf zufällig ausgewählten anderen Studenten. Diese Studenten benotet er dann nach klaren Richtlinien. Zugegebenermaßen hatte ich zu Beginn Respekt davor, Aufgaben anderer zu bewerten, doch die Aufteilung in quantitative (hat der Teilnehmer alle geforderten Punkte behandelt?) und qualitative (hat der Student die Punkte angemessen bearbeitet?) Maßstäbe hilft. Der klare Vorteil der Peer-Assessment-Methode ist, dass der Teilnehmer Einblick in die Lösungen von anderen bekommt.  Mir kam die Benotung der Abgaben fair vor. In den Foren oder in der obligatorischen Facebook-Gruppe stieß man nur selten auf Beschwerden.

Bringt das was?

Die Frage aller Fragen ist natürlich: „Was bringt mir das Ganze?“ Ich kann behaupten, dass ich durch das Seminar Wissen erlangt habe, dass ich offline nicht verfügbar habe. An der Universität in Tübingen gibt es kein Seminar mit dem Titel „Gamification“. Des weiteren bietet Coursera die Chance, Seminare in Psychologie und anderen Fächern zu besuchen, die durch einen NC beschränkt sind. Welchen Wert die Zertifikate im späteren Berufsleben haben, kann ich derzeit nicht einschätzen. Coursera ist in Deutschland noch nicht etabliert, dennoch handelt es sich um ein Zertifikat eines renommierten Dozenten einer Top-Universität.

Würde ich den PC auf Dauer gegen meinen „Real Life Dozenten“ tauschen? Ja. Das Online-Studium war in jedem Fall eine lohnende Erfahrung, da es die eigene Disziplin und Arbeitsmoral fördert. Auch meinem Englisch hat die Online-Uni gut getan, schließlich werden alle Vorlesungen auf Englisch gehalten.  Nicht zuletzt die freie Zeiteinteilung war ein klarer Pluspunkt. So passte sich der Workload meinem Biorhythmus an und nicht umgekehrt.

 

Foto: Copyright Sebastian Luther (CC-BY-NC)

Bastelanleitung für einen Katastrophenbericht

von Sandra Fuhrmann

Sie war eine wilde Lady, die Tod, Armut und Zerstörung hinterließ. Kaum zog der Wirbelsturm Sandy in Richtung New York, wirbelte er auch durch die Berichterstattung der internationalen Presse. Ein wenig vergessen blieb dabei Haiti, das bereits zwei Tage vor New York von dem Wirbelsturm heimgesucht wurde. Purer Zufall? Nein – vielmehr ein klassisches Beispiel für typische Mechanismen und Faktoren, die die Themensetzung in den Medien beeinflussen.

Ein Frankenstorm zu Halloween

Ein kleiner Rückblick zu den Medienberichten der letzten Wochen. Montag, 29. Oktober: Der Wirbelsturm Sandy trifft auf die Küste New Yorks. Bereits Tage zuvor wurde der „Frankenstorm“, groß in den amerikanischen Medien angekündigt. Prophezeiungen über die Störung  der Präsidentenwahlen und Halloween machten die Runde. „The next climate wake-up call?“, titelte die amerikanische Nachrichten-Website Politico am 24. Oktober. Als der Sturm dann auf die Ostküste der USA trifft, überbieten sich die Medien mit dramatischen Katastrophen-Berichterstattungen.

Die Süddeutsche berichtete im im Nachhinein, wie der ABC-Reporter Sam Champion den Beginn des Sturms unbehelligt im Süden von Manhattan verbringt, während sich sein Kollege Matt Gutman am Strand von North Carolina in einem Ganzkörperregenmantel in die Fluten stürzt. Für die US-Medien war der Sturm ein voller Erfolg. Er bescherte hohe Quoten und hohe Werbeeinnahmen.

Nur wenige Tage zuvor..

Während in den USA das große Bangen beginnt und über die Maßnahmen zur Vorbereitung auf die große Katastrophe berichtet wird, zieht Sandy ihre Spur durch die Karibik. Mindestens 69 Menschen kostet der Sturm in Kuba, Jamaika und Haiti das Leben. Durch Erdrutsche und Erdbeben stürzen Häuser ein und begraben die Bewohner unter sich. Besonders das vermutlich ärmste Land Mittel- und Südamerikas oder gar der Welt wird schwer getroffen: Sandy zerstört die Zeltstädte, die für die Opfer des Erdbebens vor zwei Jahren errichtet wurden. In Europa jedoch hören wir davon nur wenig. Zu sehr sind die Medien auf die anstehenden Präsidentschaftswahlen und die befürchtete Verwüstung New Yorks konzentriert.

Als Sandy die Ostküste der USA hinter sich gelassen hat, wird auch hier das Ausmaß der Verwüstung deutlich: 102 Menschen verlieren ihr Leben. Der Sturm richtet einen Schaden von geschätzten 50 Milliarden US-Dollar an, zerstört Häuser, Stromnetze und mehr. Über mangelnde Berichterstattung aber kann sich hier niemand beschweren.

Auch die Philippinen werden in diesen Tagen nicht verschont: Am 28. Oktober werden die Inseln von einem Sturm heimgesucht, den es in dieser Stärke seit sieben Jahren nicht mehr gegeben hat. Son Tinh, ein Taifun der Stärke drei zieht schließlich weiter über Vietnam nach China. In den westlichen Medien wird jedoch nur wenig über Sandys großen Bruder berichtet. Alle Aufmerksamkeit gilt den USA.  Die sinkende Nachbildung der Bounty vor der US-Küste scheint quotengünstiger als leidende Asiaten. Aber warum ist das so?

Der Mythos ist schon länger tot

Versuch nicht, weiß zu schreiben„, so der Titel eines in diesem Jahr veröffentlichten Buchs von Charlotte Wiedemann. Die Journalistin kritisiert, wie Themen von Redaktionen gezielt aus Gründen den Quotensteigerung ausgewählt werden. In der Tat interessieren uns manche Themen einfach mehr ans andere. Die USA sind uns politisch und kulturell näher als Entwicklungsländer in der Karibik. New York interessiert uns mehr als der Vietnam. Flutwellen vor dem Hintergrund der Skyline einer Weltmetropole machen einfach mehr her als überschwemmte Zelte. Was wir in den Medien zu sehen, hören oder lesen bekommen ist weder Zufall noch ist es in Wahrheit objektiv. Dem Mythos der Objektivität im Journalismus kann dieser nicht gerecht werden – und vielleicht will er es auch gar nicht zur.

Schon früher haben sich Medientheoretiker mit diesem Problem befasst. So untersuchte schon Tobias Peucer im Jahr 1960 die Frage nach den Kriterien bei der Nachrichtenselektion. Derartige Überlegungen mündeten später in der Geschichte der Nachrichtenforschung in eine Nachrichtenwerttheorie. 1965 stellten Johan Galtung und Marie Holmboe Ruge dafür eine Liste von zwölf Selektionskriterien auf, die sie als Nachrichtenfaktoren bezeichneten. Zwei Beispiele für diese Faktoren sind etwa der Bezug zu Elite-Nationen, also Nationen, die im Weltgeschehen eine bedeutende Rolle einnehmen, oder die Konsonanz, also wie sehr ein Ereignis Erwartungen und Wünschen des Publikums entspricht. Spätere Theoretiker führten diese Gedanken weiter. Joachim Friedrich Staab schließlich bezog in die Überlegung mit ein, dass der Journalist bestimmten Ereignissen aktiv solche Selektionskriterien zuschreibt, um sie zu Meldungen verarbeiten zu können. Grund dafür ist, dass er sich bereits im Voraus die Folgen überlegt, die die Publikation einer Meldung haben wird. Erhofft er sich also gute Quoten von einem Ereignis, wird er dieses eher auswählen, um es zu publizieren.

Es sei an dieser Stelle nicht bestritten, dass es sehr wohl Unterschiede im Streben nach Objektivität bei unterschiedlichen Medienunternehmen geben mag. Und wollen wir das Wort Objektivität lieber einmal ausklammern, so kann man es Ausgewogenheit in der Berichterstattung nennen. Zudem ist es vielleicht etwas ungerecht, alles nur auf die Medien zu schieben. Es liegt nun einmal in der Natur von uns Menschen, dass wir bei bestimmte Wörtern eher einen zweiten Blick auf die Schlagzeile werfen, dass wir gewisse Bilder länger anschauen als andere und uns für manche Themen mehr interessieren, weil sie uns aus bestimmten Gründen mehr ansprechen. Hier also ein schönes Schlusswort von Bernd Hagenkord, dem Leiter der deutschsprachigen Sektion von Radio Vatikan in Rom: „Wenn die Menschen aufhören würden, die Geschichten von Kapitän Schettino zu lesen, dann würden die Medien sie auch nicht mehr bringen.“

 

Fotos: flickr/zokuga (CC BY-NC 2.0); flickr/un_photo (CC BY-NC-ND 2.0)

 

Trinity und Chewbacca Hand in Hand: Henry Jenkins „Convergence Culture“

von Sebastian Luther

Who the &%&# is Henry Jenkins?

Der Bart, mächtig und schlohweiß, geht fließend in die verbliebenen Haare am Hinterkopf über und rahmt das Gesicht in einer Manier ein, die auf interessante Art an die popkulturelle Darstellung bestimmter Zauberer erinnert. Henry Jenkins steht auf der Bühne der renommierten Vortragsreihe „TEDxTalks“ und referiert über ‚paticipatory culture‘, also eine Mitmach-Kultur, die das Gegenteil zu einer reinen Konsumenten-Kultur bildet, in der Subjekte sich nicht am allgemeinen Schaffensprozess beteiligen können und eben konsumieren. Ein Forschungsfeld, an dessen Erschließung Jenkins selbst maßgeblich beteiligt war und in dem er mithin als Koryphäe gilt. Jenkins hat eine lange Forschungstradition vorzuweisen. Er gründete 1993 das ‚Comparative Media Studies Program‘ am Massachusetts Institute of Technology mit und war 15 Jahre lang dessen Direktor. Er ist Autor, bzw. Editor von insgesamt 12 Büchern, die sich mit Aspekten der Medien- und Popkultur auseinandersetzen. Er fördert darin Erkenntnisse zutage, die die Manager großer Medienkonzerne zum Lockern des Krawattenknotens bringen können. Sein 2006 erschienenes Buch „Convergence Culture“ macht da keine Ausnahme. Was er beschreibt, deutet nichts Geringeres als den kompletten Umbruch der Medienbranche an. „Convergence is coming and you had better be ready.“

Where old and new media collide

Was haben ‚The Matrix‘, ‚American Idol’ und ‚Star Wars’ gemeinsam? Die Beantwortung dieser Frage, die sich bei Jenkins Buch über 300 Seiten streckt, beginnt mit seiner Argumentation, dass sie alle Teil, Antrieb und Opfer zugleich, des Konvergenzprozesses sind, den er in der Medienwelt diagnostiziert.

„By convergence, I mean the flow of content across multiple media platforms, the cooperation between multiple media industries, and the migratory behavior of media audiences who will go almost anywhere in search of the kinds of entertainment experiences they want.“

…the flow of content across multiple media platforms…

In den explorativen Studien anhand besagter Beispiele, die Jenkins in seinem Buch kapitelweise vornimmt, erklärt er, was seiner Definition nach unter Konvergenz zu verstehen ist. ‚Matrix‘ war demnach nie einfach nur ein 1999 erschienener Cyber-Punk Film, der den postapokalyptischen Kampf zwischen menschlicher und künstlicher Intelligenz darstellt. Vielmehr war ‚Matrix‘ der Anfang einer vielschichtigen Unterhaltungsmaschinerie, eines Franchises, das Fans auf eine Reise in ein Paralleluniversum mitzunehmen vermochte und sie dabei von einer Medienplattform zur nächsten führte. So wurden nach dem ersten Kinofilm Webcomics veröffentlicht, die den Haupthandlungsstrang mit Neo, Morpheus und Trinity um diverse Episoden ergänzten und weitere, tiefere Einblicke ins Matrixuniversum erlaubten. ‚Animatrix‚, eine auf DVD erschienene Serie von computeranimierten Kurzfilmen, war 2003 der nächste logische Schritt, in dem noch mehr Hintergrundinformationen zu Nebencharakteren und der Vorgeschichte der ‚Matrix‘ geliefert wurden. Über das erste Computerspiel ‚Enter the Matrix‘, den zweiten und dritten Film und das zweite, abschließende Computerspiel, das Massively Multiplayer Online Game (MMO) ‚The Matrix Online‘ wurde das Universum in einer fortlaufenden Story vollendet. Man hatte eine Umgebung geschaffen, in der diejenigen das meiste verstanden, die alle Veröffentlichungen rezipiert hatten. Denn sie waren in der Lage, verschiedene Handlungsstränge der Filme miteinander zu verknüpfen und Ereignisse erklären konnten, die in den Filmen nicht direkt aufgegriffen wurden. Die Wachowski Geschwister als Produzenten gaben zudem kryptische Interviews, in denen sie Fragen der Fans mit Fragen beantworteten, Hinweise auf Hinweise gaben und die verschiedensten Interpretationen ihrer Filme zuließen, was die Fankultur noch weiter anheizte, da man alles erklären und jede erdenkliche Bedeutung finden wollte. Jenkins charakterisiert das Matrix-Franchise mit dem Begriff ‚Transmedia Storytelling‘, also dem, was er in Verbindung zu Konvergenz als „flow of content across muliple media platforms“ bezeichnet. Jeder Teil liefert dabei eine wertvolle Ergänzung zum Universum.

…the cooperation between multiple media industries…

Lässt sich diese Entwicklung als eine auf horizontaler Ebene beschreiben, also dass sich verschiedene Plattformen aufeinander zu bewegen, so beschreibt Jenkins in einem anderen Kapitel auch eine Entwicklung auf vertikaler Ebene. War der Bereich der Fan Fiction im ‚Matrix‘-Universum noch relativ klein, explodiert dieser förmlich bei ‚Star Wars‘. Durch verbesserte technische Dispositionen werden Fans immer mehr dazu animiert, sich selbst als Produzenten hervorzutun und die originale Geschichte abzuändern oder durch eigens geschriebene Inhalte zu ergänzen. Produzenten und Konsumenten bewegen sich also auf vertikaler Ebene aufeinander zu, die Grenzen verschwimmen bis zu dem Punkt, an dem sich die Erschaffer der ursprünglichen Geschichte fragen müssen, wie sie mit Fan Fiction umgehen wollen – produktiv oder restriktiv. Das ‚Star Wars‘ Franchise unter George Lucas stolpert mit einer schizophrenen Haltung vom einen Extrem zum anderen, indem Fan Fiction zum Teil offiziell übernommen wird. Allerdings nur, wenn sie sich entlang bestimmter, vorgegebener Regeln entwickelt. Neben der Frage nach Urheberrechten spielen hier vor allem finanzielle Motive eine Rolle, da Unternehmen schließlich nur mit Inhalten Geld verdienen können, die zweifelsfrei ihnen gehören. Schaffen sie es allerdings sich den Konvergenzprozessen anzupassen, bieten sich viele Chancen. Diese stecken laut Jenkins nämlich vor allem in der industrieübergreifenden Zusammenarbeit der Konzerne, um weiterhin Franchises, bzw. Universen im Stile von ‚Matrix‘ oder ‚Star Wars’ zu erschaffen. Inhalte können über solche Wege vermarktet werden und in einer Zeit, in der Märkte zunehmend fragmentieren,  ist langfristige Kundenbindung so immer noch möglich. Beispielhaft hierfür analysiert Jenkins ‚American Idol‘. Coca Cola, Ford und der amerikanische Mobilfunkkonzern AT&T arbeiteten eng mit den Produzenten von ‚American Idol‘ zusammen, um die Beliebtheit des Formats einerseits zu steigern und andererseits davon zu profitieren. Coca Cola und Ford drehten jeweils Werbespots mit Akteuren und AT&T versuchte, die Abstimmung über die Kandidaten per SMS durchzusetzen. Konnten die Konzerne so auf der Welle der Beliebtheit mit schwimmen und Product Placement forcieren, so unterschätzten sie die vermeintlich harmlosen Konsumenten allerdings drastisch.

…the migratory behavior of media audiences…

Durch die Möglichkeiten des Internets bilden Konsumenten in rasantem Tempo Gemeinden und tauschen Informationen aus. Daraus entstehen Wissenskulturen, die nach dem Prinzip funktionieren, das eine Gruppe immer mehr wissen und deuten kann, als ein einzelnes Individuum. Im Fall von ‚American Idol‘ wurde in der drittel Staffel bekannt, dass die Wahlen von den Produzenten manipuliert wurden, um bestimmte Kandidatenkonstellationen zu inszenieren. Das negative Echo der Community fiel entsprechend stark aus und traf nicht nur die Produzenten, sondern auch die Sponsoren der Sendung, die sich so nah an das Format gebunden hatten. Jenkins wertet diese Gruppenbildung als weiteren Indikator für die längst unaufhaltbare Konvergenz, die die Medienbranchen erfasst hat und alle Unternehmen verschlingen wird, die sich ihr nicht anpassen. Ein Prozess, dessen Regeln niemand genau kennt, der wesentlich schwerer wird, als er sich vielleicht anhören mag und den man nur überlebt, wenn man sich anpasst und zusammenarbeitet.

Suche Forschungsfeld

Henry Jenkins Buch „Convergence Culture“ wurde äußerst positiv rezensiert und gilt als ein „Must-Read“, wenn man sich mit diesem Gebiet der Medienkultur auseinandersetzt – es ist auch das einzige, das sich mit genau diesem Phänomen befasst. Jenkins forscht hier auf einem Territorium, das ohne Weiteres noch als terra incognita bezeichnet werden darf, weil es schlicht und ergreifend noch nicht lange existiert  zumindest nicht in dieser Form. Das soll dem Ruf des Buches keinen Abbruch tun, sondern lediglich eine vorsichtige Skepsis nahelegen. Denn so sehr Jenkins Worte zu überzeugen vermögen, so bleibt er bei gewissen Begriffen doch eine harte, endgültige Definition schuldig. Es ist auch kein Wunder, denn Jenkins gibt sein Bestes, will allerdings Fehler vermeiden. Begriffe genau abzugrenzen, die noch nicht annähernd erforscht sind, ist denkbar unmöglich und so muss man Jenkins durchaus hohen Respekt für seine explorative Pionierarbeit zollen, die für den Moment als theoretische Forschungsbasis gewertet werden darf. Es liegt an Jenkins selbst, sowie an anderen Forschern, jetzt an der Überprüfung seiner Thesen zu arbeiten.

Zwei Seelen, ach in meiner Brust

Lesen lohnt, in jedem Fall. Selbst wenn er, wie erwähnt, stellenweise ein wenig schwammig wird, so nimmt er den Leser dennoch auf eine bunte Reise durch die digitale Medienkultur und -geschichte mit, auf der man viel Zeitgeschichtliches erfährt. Jenkins schreibt sehr verständlich, greift viele Themen sinnvoll auf und gibt Erklärungen und Denkanstöße. Es ist nicht nur das Buch eines Wissenschaftlers, sondern auch das eines Fans, der eben nicht nur beschreibend vorgeht, sondern begeistert ist. Diese Begeisterung steckt an, was das Buch gleich in mehreren Hinsichten durchaus lesenswert macht.

 

Bilder: flickr/dan4th (CC BY 2.0), flickr/poulepondeuse_coakes (CC BY-NC-ND 2.0), flickr/peyri (CC BY-ND 2.0)

Jetzt reden wir Klartext!

von der Redaktion

Medien bestimmen unseren Alltag. Und viele kluge Köpfe machen sich bis heute Gedanken über Wege, diese zu beschreiben. Sie produzieren einen Berg von Büchern, Theorien und Definitionen, der uns angehende Medienwissenschaftler zu begraben droht. Wir wollen versuchen, ein wenig Licht ins Dunkel zu bringen.

Morgen geht sie endlich an den Start – unsere neue Serie „Klartext“. Also unbedingt reinschauen, wenn wir trockene Theorien für euch mundgerecht verarbeiten und in spannender und verständlicher Form wiedergeben. Jeden zweiten Montag posten wir für euch einen Artikel, der sich mit einer Theorie oder einem wissenschaftlichen Werk befasst, über das jeder Medienwissenschaftler früher oder später zwangsläufig stolpern muss.

Warum bekomme ich bei Amazon plötzlich Stechpaddel angeboten? Wie verändern all die technischen Spielzeuge unsere Wahrnehmung und die Beziehung zu unseren Mitmenschen? Was treibt diese rasanten Entwicklungen an, wer profitiert davon und wo soll das alles noch hinführen? Fragen, die nicht nur Medienwissenschaftler umtreiben. Auch für alle anderen ein spannendes Feld, von dem wir uns jeden Tag umgeben sehen.

From Barbie to Mortal Kombat – wer Bücher mit solchen Titeln veröffentlicht, der muss doch einfach ein paar spannende Gedanken zum Thema Medien haben. Nicht um dieses aber ein nicht weniger interessantes Buch von Henry Jenkins geht es morgen in unserem ersten Beitrag. Convergence Culture: Where Old and New Media Collide nimmt unter die Lupe, welche Rolle Fanbeteiligung in der heutigen Kulturindustrie spielt und wie wir vom Rezipienten zum aktiven Nutzer werden. Was steht eigentlich hinter Fanfictions, Onlinespielen und Co.? Seid neugierig und schaut vorbei!

Logo: Copyright Pascal Thiel

Bond. James Bond?

von Pascal Thiel

In einer actiongeladenen Verfolgung prescht 007 durch die Straßen Istanbuls. Halsbrecherisch geht es durch dunkle Gassen und über hohe Dächer. Hektische Bilder huschen über die Leinwand. Von melancholischer Ruhe keine Spur. Und doch sprüht dieser Film nur so vor Gefühlen. Der neue Bond – britischer Superman oder ein Weichei?

James Bond war seit seiner „Geburt“ 1962 nie mehr als eine starke und charmante Hülle, die lediglich durch die Abwesenheit jeglicher seelischer Eigenschaften geprägt war. Doch diese Zeiten sind vorbei: Hinter der Fassade ist ein Mensch hervorgetreten. Ein Mensch mit Ängsten, Schwächen und einer Geschichte. Was sich bereits 2005 in „Casino Royale“ zwischen venezianischen Gemäuern ankündigte, findet in „Skyfall“ seine vorläufige Vollendung.

Ein neuer Bond?

Der Film wirbt mit einem Bond, den es so noch nie gegeben haben soll: tiefsinnig, schwach, verletzlich. Eine Ahnung, wie diese – mit dem britischen Agenten eigentlich unvereinbare – Eigenschaften mit genau diesem zusammenpassen, erhält der Rezipient in der ersten Sequenz. Denn konträr zur klassischen Bond-Dramaturgie, die dem Zuschauer zuerst feinste Actionszenen serviert, scheitert der Agent Ihrer Majestät im neuen Film noch vor dem Titel.

Was als spektakuläre Verfolgungsjagd durch enge Gassen und über hohe Dächer Istanbuls beginnt, sich zwischenzeitlich in den Trümmern eines Zugwaggons als Inbegriff vollkommener Bond-Coolness manifestiert, endet abrupt mit der Kugel der Partnerin in Bonds Brust. Er stürzt – und verschwindet.

Ungewöhnlich für einen Mann, von dem man Siege gewohnt ist. Doch Bond kehrt zurück. Der Tod scheint ihm allerdings nicht bekommen zu haben, denn es ist keine heldenhafte Rückkehr. Der einstige Unbesiegbare ist angetrunken, von Drogen gezeichnet, ungepflegt und unrasiert. Ein krasser Gegenentwurf zu dem Bond, wie wir ihn kennen und lieben. Wo sind Stärke, Coolness und Sexappeal geblieben?

Doch nicht nur Bond, auch der gesamte MI6 scheint geschwächt. Unter Ms Führung wankt der Geheimdienst von Katastrophe zu Katastrophe: Zunächst erschüttert eine Bombe die Zentrale, wichtige Computer werden gehackt und M wird der Rücktritt nahegelegt. Je weiter der Film fortschreitet, desto gebeugter geht sie, bis sie in den Weiten Schottlands rauer Schönheit wie eine ermattete Oma ihrem Ende entgegenblickt.

Obwohl „Skyfall“ also klassische Bond-Eigenschaften vermissen lässt, hat er in Großbritannien binnen einer Woche bereits über 100 Millionen US-Dollar eingespielt. In Deutschland verzeichnete der Film den erfolgreichsten Kinostart seit drei Jahren. Es gibt fast nur positive Kritiken der großen Medienhäuser und zufriedene Zuschauer. Es scheint, als sehne sich das Publikum nach neu entwickelten Figuren und nicht nach alten, tradierten Mustern und Konstellationen. Die Neuerfindung des James Bond hat jedenfalls eingeschlagen.

Nicht alles ist neu

Doch obwohl der neue Bond so viel anders macht, so bleiben doch einige Eindrücke unverändert und lassen dieses bestimmte britische Actionfeeling aufkommen, für das Bond seit über 50 Jahren sorgt.

Da sind die eindrucksvollen Kampfszenen in Shanghai, ästhetisch auf höchstem Niveau inszeniert. Da ist der Aston Martin DB5 von 1963 – ein Symbol des Alten. Da ist die geheimnisvolle, verlassene Insel inmitten des chinesischen Meeres, die an die Unterwasserstation  Atlantis aus dem Jahre 1977 („Der Spion der mich liebte“) erinnert.

Und ein Kontrahent, wie man sich ihn wünscht: Raoul Silva, ein halb verätztes Relikt des MI6 aus Tagen des Kalten Kriegs, gespielt von einem herausragenden Javier Bardem. Eine ambivalente Figur – verstörend und genial zugleich. Ein Lob auf die moderne Technologie, ein Fluch auf M, die er aus Rache zu töten sucht, ein Flirt mit Bond. Ein Gegenspieler, der Le Chiffre („Casino Royale“) und Green („Ein Quantum Trost“) bei Weitem übertrifft.

Ein Film mit Stärken und Schwächen

„Skyfall“ spielt mit der Figur des James Bond – und seinen Klischees. In vielen kurzen Momenten wird 007 förmlich parodiert. Bond wird als bisexuell dargestellt – als Silva sich ihm vielsagend nähert. Ein homoerotischer Moment entsteht – früher undenkbar, ist Bond doch der Frauenheld in Person. Doch das Genie hinter diesem Film – Sam Mendes – geht noch weiter: Das Symbol des klassischen James Bond, der Aston Martin, wird, erst feierlich enthüllt, von hunderten MG-Kugeln durchsiebt. Ein Appell an die vielen 007-Nostalgiker, die ständig den „alten Bond“ fordern, damit sie endlich Ruhe zu geben?

Trotz diesen genialen Momenten hat der Film dennoch eine Schwachstelle: Anders als bei vorigen Filmen ist in „Skyfall“ nicht eindeutig ein einheitlicher Handlungsstrang zu erkennen. Zu Beginn steht eine gestohlene Festplatte mit den Identitäten aller verdeckt ermittelnden Agenten im Fokus. Zunächst geht es nach Shanghai, weil sich dort der Dieb aufhält, dann nach Macao, weil dieser eine Marke eines dort ansässigen Casinos bei sich trägt. Doch dann verliert die Festplatte sich – ihr Schicksal bleibt ungeklärt. Bond hingegen begibt sich auf die Spur von Raoul Silva. Dieser will sich an M rächen und stellt somit ihre Beziehung in den Mittelpunkt. Den Rest des Films bildet die Jagd auf M. Für einen Film, der für Millionen Menschen produziert wurde, ein kleines, aber auffälliges Defizit.

In „Skyfall“ zeigt James Bond neue, unerwartete Gefühle und Schwächen. Durch wiederholte Fingerzeige auf Altbewährtes wird aber dennoch ein gewisser Bond-Charme erhalten. In jeder Hinsicht ist „Skyfall“ ein Film, den man nicht mehr ohne weiteres in eine Reihe mit seinen Vorgängern stellen kann, weil er der Figur von James Bond eine nie gekannte Tiefe gibt. Trotz einigen Ungereimtheiten auf der Handlungsebene ein sehr sehenswerter Film.

 

Bilder: DANIEL CRAIG (James Bond) in Sony Pictures‘ SKYFALL. © 2012 Sony Pictures Releasing GmbH; DANIEL CRAIG („James Bond“) in Sony Pictures‘ SKYFALL. © 2012 Sony Pictures Releasing GmbH

Zauberwürfel 2.0

von Sanja Döttling

Vorlesungszeit. Alle hören aktiv zu, nur meine Nebensitzerin hackt mit unglaublicher Ausdauer auf ihren iPhone-Bildschirm ein. Als ich schon fragen will, ob das Ding abgestürzt ist, erklärt sie mir ihr spechtartiges Zwangsverhalten. Der Grund ist „Curiosity – what’s inside the cube?“, eine neue kostenlose Spiele-App von 22Cans. Das Ziel ist die gemeinsame Zerstörung eines Pixelwürfels mit über 100 Millionen Teilchen.

Virtueller Bergbau im Viereck

Am Dienstagvormittag erschien die Spiele-App „Curiosity“ für iOS-Produkte. Schon im Voraus gab es viel Gemunkel über den Coup des Erfinders Peter Molyneux, der schon für Titel wie Fable und Black&White verantwortlich war. Mit der neuen Firma 22 Cans will er 22 Spiele entwickeln, die gleichzeitig soziale Experimente sind. Und sein Erstlingsschlag ist gleichzeitig ein großer Hit. Schon jetzt ist Curiosity auf Platz Acht der deutschen Gratis-App-Chartliste. Diese App ist anders als andere Spiele. Das Spielprinzip ist denkbar einfach: Der Würfel ist aufgebaut aus vielen Schichten, die wiederum aus kleinen, pixelähnlichen Blättchen bestehen. Die Spieler, zurzeit knapp eine halbe Million, sehen auf ihrem Bildschirm alle den gleichen Würfel und alle zusammen arbeiten daran, die kleinen Blättchen abzutragen. Das geht durch gute Fingerarbeit und schnelles Tippen – mit In-Game Geld, erworben durch das Entfernen der Blättchen, kann man sich auch Werkzeuge kaufen, um schneller voranzukommen. Molyneux erklärt, was der Tool-Shop darüber hinaus bietet:

„One problem we had is that some people would think ‚this is interesting. I’ll download it, watch everyone else do the hard work and I’ll just come in at the end and have an equal chance.‘ So we layered in a simple mechanic, a simple motivation – if you keep tapping, you get times two, times three and so on and your chain never ends. That earns you coins, which you can spend in the shop.“

Pixeliges Überraschungsei

So weit, so einfach. Doch der Titel gibt schon den Hinweis, warum dieses Spiel so erfolgreich ist: „what’s inside the cube?“ fragt er und das fragen sich auch die eifrigen Hacker. Entwickler Molyneux sagt natürlich nicht, was nur derjenige erhält, der das letzte Blättchen entfernt. Er sagt:

„Inside the cube really is an incredible, amazing, life-changing thing, and it’s taken me years and years and years to get the centre of the cube right. The power of our experiment lies in me not giving any clues at all about what it might be.“

Der Gewinner dieses ominösen Preises kann dann entscheiden, ob er den Gewinn für sich behält – oder ob er der (Internet-)Welt mitteilt, was er da bekommen hat. Ein Faktum, das den Preis noch viel begehrenswerter zu machen scheint. Doch bis dahin ist es ein weiter Weg. 100 Millionen Blättchen müssen wohl pro Schicht abgetragen werden. Und die Anzahl der Schichten ist unbekannt – zurzeit arbeiten die Spieler an der zweiten, grünen Schicht.

Außerdem zeichnet sich „Curiosity“, genauso wie Bubble Explode,  Doodle Jump oder Angry Birds, durch ein einfaches Spieleprinzip aus. Doch „Curiosity – what’s inside the cube?“ sprengt jede Vorstellung von Einfachheit, und weltweit werden nun die Touchscreens attackiert. Molyneux sagt:

„I’d been playing with this idea in my mind of boiling things down to the simplest element, and seeing what happens when you put something mysterious out into the world. It seems to me that a lot of the games on mobile devices are insanely simple – they’re rather like games from the early days of gaming. And I wondered if we could give people a simple and pure way of interacting with something, while also giving us here something to get our teeth into.“

Gemeinsames Gekloppe

Molyneux bezeichnet die App als soziales Experiment – wenn auch nicht im wissenschaftlichen Wortsinn. Zum einen ist es das Gemeinschaftsgefühl, das sich beim weltweiten Blättchen-hacken einstellt. Schon schnell nach der Veröffentlichung wurde klar, dass „Curiosity“ auch die Kreativität der Nutzer fördert: So war die Oberfläche übersät von Inschriften und Bildern. Eine forderte beispielsweise dazu auf, zur Präsidentschaftswahl zu gehen. Und dann das Geheimnis, das sich um das Innere des Cubes rankt. Gepaart mit einem denkbar einfachen Spieleprinzip, und schon hat man ein Spiel, zu dem alle etwas zu sagen haben. Doch ist es auch genug, um die Spieler für eine längere Zeit an das Spiel zu binden? 

 Fotos: Copyright facebook.com/22Cans; facebook.com/22Cans

Die dunkle Seite hat Kekse: Wie Cookies Nutzer analysieren

von Sebastian Seefeldt

Das Internet ist eine Keksdose und alle greifen beherzt zu. Bei jeder Internetsitzung sammeln sich auf den Computern Unmengen Cookies an. Dass es sich bei einigen Cookies um hinterlistige Spione handelt, wissen viele Nutzer nicht.

Inhaltsstoffe

Ein Cookie ist  eine kleine Textinformation. Sie ermöglicht es unter anderem, dass sich eine Webseite an den Browser des Nutzers „erinnert“. Denn HTTP, das Protokoll auf dem Webseiten basieren, ist zustandslos. Das bedeutet, dass jeder Zugriff auf eine Webseite als „neu“ gewertet wird: Das Internetprotokoll, erinnert sich nicht von alleine an vorherige Zugriffe.

Jetzt kommen die Cookies ins Spiel. Sie beinhalten beispielsweise eine sogenannte Session-ID, eine Zahlenkombination, durch die Nutzer eindeutig wieder zu erkennen ist. Somit sind längere Nutzungen möglich, bei denen nicht jeder Aufruf einer Unterseite die erneute Eingabe des Passworts erfordert. Außerdem werden so persönliche Einstellungen beibehalten – auch Warenkörbe basieren auf Cookies.

Cookies werden durch das Öffnen einer Website, auf dem Rechner platziert – ohne den Nutzer zu fragen. Wird die Internetseite erneut besucht, werden die Cookie-Informationen wieder dem Server übermittelt.

Cookies ermöglichen den Internet-Nutzern Bequemlichkeit. Durch Cookies erhält das Internet seinen Komfort, den kaum einer missen möchte. Beinahe jeder Internetservice basiert auf ihnen – sei es nun Online-Shopping oder Facebook.  Die Alternative zu Cookies wäre die Speicherung der IP-Adressen auf den Servern der genutzten Seite, diese würde ihnen die eindeutige Identifikation ihrer Nutzer ermöglichen. Cookies sorgen so, eigentlich, für besseren Datenschutz.  Doch Werbeagenturen und soziale Netzwerke machen sich das gutmütige Vertrauen der Nutzer, oder ihre Bequemlichkeit, auf andere Art zunutze.

Datensammler

Wer hat sich nicht schon mal gefragt, warum der Zalando-Schuh, den man fast gekauft hätte, einen noch tagelang quer durchs Netz verfolgt? Ein Grund hierfür sind Cookies. Diese kommunizieren nicht nur mit dem Server der Webseite, wenn die entsprechende Seite geöffnet ist. Cookies „telefonieren“ auch dann nach Hause, wenn diese Seite Werbung auf einer anderen, aktuell aufgerufenen Seite schaltet. Wichtig ist nur, dass es eine „Verbindung“ zum Heimatserver gibt. So können Webseitenanbieter und Webwerbeargenturen ihre Nutzer durch das halbe Netz verfolgen.

Besonders soziale Netzwerke benutzen diese Art des Trackings. Hinter allen „Share-Buttons“, wie sie auf beinahe jeder Website zu finden sind, verbergen sich solche Verbindungen durch die Daten an den Server vermittelt werden. Damit Facebook weiß, dass man Sascha Lobos Blog ließt, muss man diesen nicht einmal „liken“. Es reicht, die Seite zu öffnen. Die Websites wissen daher immer, wann und wo sich der Nutzer im Netz umhertreibt. Doch was passiert mit den gesammelten Daten?

Web Analysis

Zunächst ein Grundgedanke: Die meisten Websites des Internets sind umsonst. Wir konsumieren Inhalte, für die wir teilweise in Offlinemedien zahlen müssten – sei es nun Spiegel Online oder Youtube. Der Grund, warum diese Inhalte gratis verfügbar sind, ist die Werbung. Durch sie können Webseiten laufende Kosten wie die Gehälter der Redakteure oder die Webseitenpflege decken.

Die über Cookies eingeholten Daten über Nutzer dienen dazu, diesem personalisierte, also persönlich abgestimmte, statt zufälliger Werbung anzuzeigen. Cookies, die von den großen Webwerbeagenturen platziert werden, sind auf einer Großzahl der besuchten Seiten des Netzes vertreten. Installiert man ein Browser Plug-In, dass die Cookies sichtbar macht, wird dies sehr deutlich. Dank Tracking, also der Auswertung der Netzaktivitäten der User, vermindern die Agenturen so die Streurate und zeigen wirklich nur die Werbung, die für den Einzelnen von Belang ist – ihn also wirklich interessieren könnte. Die Agenturen können dank Cookies abzählen, wie oft eine Werbung bereits gesehen wurde, wodurch die Werbung immer unaufdringlicher wird.  Somit entsteht effektivere Werbung. Werbung, die das Netz am Laufen hält.

Opt-in statt Opt-out

Deutschen Datenschützern geht diese Vorgehensweise zu weit. Hauptproblematik: Die Nutzer sind nicht mehr Herr über ihren Datenverkehr. Denn hierzulande gilt das soggenannte Opt-Out Verfahren. Statt den Nutzer bei der Platzierung eines Cookies zu fragen, ob er diesen möchte (Opt-In), kann dieser nur im Nachhinein regeln, welche Cookies er möchte. Im Jahr 2009 wurde eine EU-Richtlinie erlassen, die es nur dann erlaubt Cookies zu platzieren, wenn diese für den technisch reibungslosen Ablauf nötig sind. Die Umsetzung in Deutschland bleibt allerdings bis heute aus. Hierdurch ist der Nutzer dazu gezwungen, sich selbst zu behelfen, wenn er der zugeschnitten Werbung entfliehen möchte. Die großen Webagenturen bieten beispielsweise Opt-Out Cookies an, die zehn Jahre ab Aktivierung alle Trackingaktivitäten der Agentur blockt.

Auf meine-cookies.org findet sich eine Liste der großen Anbieter. Alternativ gibt es auch Browserprogramme, die effektiv alle unerwünschten Cookies blockieren. Ghostery beispielsweise erkennt Cookies nicht nur. Das Programm bietet auch die Möglichkeit, sich über die Firma, die hinter dem Cookie steckt, zu informieren. So kann man anschließend entscheiden, ob man den Cookie behalten will. ShareMeNot bietet die Möglichkeit, Sharebuttons ihrer Trackingfunktion zu berauben ohne die eigentlich Funktion, das Teilen von Inhalten, zu verlieren.

Tools wie diese ermöglichen es zwar das Keksproblem privat zu lösen, für die Gesellschaft als Ganzes sind sie aber keine angebrachte Lösung. Bedenkt man alleine, wie gering der Anteil an Internetnutzern ist, die überhaupt wissen, dass Cookies nicht nur Süßwaren sind, wird klar, dass eine bessere Informationspolitik her muss. Der Nutzer sollte darauf hingewiesen werden, was er tut: Lieber Opt-In statt Opt-Out.

 

Fotos: flickr.com/stallio (CC BY-SA 2.0) flickr.com/ssoosay (CC BY 2.0)